Volksseele zum Thema Sozialschmarotzer
Gestern, am 18. Juni, war hier in Marburg ein heißer Tag.
Mein Freund Christian war bei mir zu Besuch und bereitete sich auf seine mündliche Abiturprüfung vor, die in wenigen Tagen stattfindet. Und nachmittags, als alles vorbei war, bekamen wir Hunger. Das traf sich gut, denn Eckart, ein anderer guter Freund von mir, hatte ebenfalls Hunger. Also gingen wir abends zusammen in ein nettes italienisches Restaurant. Wir saßen draußen in der tiefstehenden Sonne und unterhielten uns, ließen uns das Essen schmecken und freuten uns des Lebens und des schönen Sommertags.
Hinter mir am Tisch saßen einige ältere Damen und ein Herr, der aber selten sprach. Sie unterhielten sich laut über alles, was ihnen in den Sinn kam. Natürlich hörten wir nicht zu, bis sie sich plötzlich darüber unterhielten, wie sehr es doch gelogen sei, dass die Arbeitslosen kein Geld hätten.
„Ich kenne eine“, sagte eine der FRauen, „die kocht nie für ihre Kinder. Immer gibt die denen Geld für eine Pizza oder anderen Kram, ist aber ARbeitslos. Die hätte doch genug Zeit, für ihre Kinder zu kochen. Aber die müssen es ja haben. Alles gelogen, von wegen 400 Euro zum Leben.“
Eine zweite Frau fiel ein: „Sozialschmarotzer! Beschweren sich, dass sie kein Geld haben, und dann gehen sie essen. Also wenn ich kein Geld hätte, würde ich nicht essen gehen, und ich achte schon jetzt genau darauf, was ich ausgebe. Denen sollten sie wirklich mal das Geld streichen, wenn sie schon nicht arbeiten. Stattdessen sitzen sie hier und schlagen sich die Bäuche voll.“
Jetzt wurde es mir aber langsam unheimlich. Kann man mir ansehen, dass ich ein Arbeitsloser bin? Ich war versucht, Messer und Gabel beiseite zu legen und schamrot zu verschwinden. Wenn wir doch so viel Geld haben, dachte ich, um mein Gehirn wieder an das logische Denken zu gewöhnen, dann kann man es uns ja nicht ansehen. Blo?: Ich laufe in ziemlich alten und abgewetzten Klamotten rum, und daran könnte man mich doch erkennen, oder? Aber nein: Abgewetzte Klamotten sind eher ein Zeichen für wenig Geld, nicht für viel. Zumindest sollte das so sein. Meine Gedanken rasten! Hatte ich ein Sakrileg begangen, dass ich hier mit meinen FReunden saß und einen Salat aß und ein Nudelgericht? Hätte ich das Geld lieber anderweitig ausgeben sollen? Oder: Habe ich dieses Geld überhaupt verdient?
Jetzt weiß ich, dass Hartz ein Segen ist. Ich fand halt, nach der langen Büffelei hatte Christian ein anständiges Essen verdient.
Copyright © 2005, Jens Bertrams.