Als Oskar Lafontaine das unschöne und nicht mehr wertfreie Wort „Fremdarbeiter“ in den Mund nahm, ging es von Zeit und Stunde an nicht mehr um Inhalte, sondern um die Einhaltung der „political correctness“.
Auch im Wahlblog entbrannte eine Diskussion zu diesem Thema. Dabei ist die politische Korrektheit eines der schwierigsten Themen überhaupt, und es ist sehr einfach, sich mit einer Meinung über dieses Konzept in die Nesseln zu setzen.
Das allein ist allerdings auch schon der erste Kritikpunkt an der „political correctness“. Wer einen Millimeter vom Sprachcode abweicht, dem wird faschistisches, mindestens aber reaktionäres Gedankengut unterstellt. Ich glaube hingegen, dass viele, die sich genau an die Sprachregelungen der politischen Korrektheit halten, in Wirklichkeit die so geschützten Gruppen ausgrenzen. Mit einer Sprachregelung nämlich ist es nicht getan, und hinter einer korrekt benutzten Sprache kann immer noch das falsche Gedankengut stehen.
Seit in den Niederlanden am 6. Mai 2002 der immer so genannte Rechtspopulist Pim Fortuyn ermordet wurde, und seit er zuvor die eingefahrene politische Landschaft kräftig durcheinandergewirbelt hatte, stand das Thema „Diskriminierung“ und „politische Korrektheit“ in unserem westlichen Nachbarland ganz oben auf der Tagesordnung. Diskriminierung aus Gründen der Religion beispielsweise ist dort, genau wie bei uns, durch die Verfassung verboten. Nach dem Mord an Theo van Gogh durch einen Niederländer marrokkanischer Abstammung und islamischen Glaubens, der diesen Mord aus islamischen Motiven heraus begangen hatte, hängte ein Mann aus Rotterdam ein Bild ins Fenster mit dem Spruch: „Du sollst nicht töten“. Sein Haus lag schräg gegenüber einer Moschee. Wenige Stunden später kam die Polizei und nahm diesen Mann wegen Diskriminierung der muslimischen Glaubensgemeinschaft fest. Ein Aufschrei ging durch das Land, und der Mann betonte, er habe lediglich alle Menschen an dieses grundlegendste aller Gebote erinnern wollen. Für mich wirft das ein bezeichnendes Licht auf die politische Korrektheit. Sie führt dazu, dass man bestimmte Gruppen nicht mehr kritisieren darf, dass kein kritischer Blick mehr erlaubt ist. Natürlich war es richtig, die muslimische Gemeinschaft nach diesem Mord an Theo van Gogh vor Übergriffen zu schützen, wenn es denn welche gab. Aber das machte den Mord selbst nicht ungeschehen, und es darf auch nicht dazu führen, dass man sein entsetzen über diese Tat nicht mehr äußern darf.
Noch ein Beispiel aus den Niederlanden: Die Polizei veröffentlicht immer wieder Kriminalstatistiken. Seit Anfang der neunziger Jahre war es gängige Praxis geworden, die ethnische Herkunft eines Täters nicht mehr explizit zu nennen, oder nur dann, wenn es sich um einen Mitteleuropäer handelte. Außerdem wurden bei den Statistiken die Zahlen der Straftaten, die von Menschen anderer Religion und ausländischer Herkunft begangen wurden, nicht mehr genannt. Man empfand dies als Diskriminierung. Das führte dazu, dass viele Niederländer glaubten, es gäbe kein Problem der Integration der ausländischen Mitbürger in die Gesellschaft. Es wurde totgeschwiegen, dass unter marokkanischen Jugendlichen die Kriminalitätsrate dreimal so hoch lag wie der Durchschnitt. Darum wurde auch nichts gegen die soziale Ausgrenzung unternommen, die diese Jugendlichen tagtäglich erfahren. Auch gegen die mafiosen Strukturen, in die sie schnell geraten, unternahm man lange Zeit nichts. Es herrschte die Angst vor, man würde sich dem Vorwurf der Diskriminierung aussetzen, wenn man sagte, was doch die Wahrheit war. Wahrheit sollte nicht als Diskriminierung verstanden werden. Es zählt eigentlich nur die Einstellung, die dahintersteht, und die ist gleich, ganz egal, welche Sprache ich benutze und welche Wahrheiten ich verschweige.
Gerade bei diesem letzten Fall in den Niederlanden bin ich sehr nachdenklich geworden. Ich war immer für die politische Korrektheit, gerade im Behindertenbereich, in dem ich mich engagierte. Aber nach dieser Diskussion begann sich mein Bild von der guten politischen Korrektheit zu wandeln und zu differenzieren. Das Verschweigen der hohen Kriminalitätsrate bei marokkanischen Jugendlichen in den Niederlanden hatte an ihrer Situation überhaupt nichts geändert. Es hatte sie vielleicht noch verschärft. Jeder in der Gesellschaft fühlte sich wohl und überließ es den Jugendlichen selbst, ihren Lebensstil zu wählen. Man kümmerte sich nicht darum, sie sollten so leben, wie ihre Kultur nun einmal war. Wenn man sie zu einer Art von Integration drängte, ging das gegen ihre kulturelle und religiöse Freiheit. Diese ausrede führte zu einer gigantischen Gleichgültigkeit, die dann mit dem Mord an Theo van Gogh ihre Quittung präsentierte. Die jetzige Regierung der Niederlande wird schon deshalb als rechts bezeichnet, weil sie diese Themen ganz klar anspricht. Aber durch das offene Ansprechen der problematischen Themen diskriminiert man nicht automatisch. Es kann auch zu einem besseren Dialog, zu größerem Verständnis und mehr Toleranz führen.
Nun möchte ich nicht den Eindruck erwecken, als beschränke sich das Problem auf die Niederlande. Wenn in Deutschland ein Gericht einen Muslimen mit einer geringen Strafe belegt, der seine Schwester als sogenannter „Ehrenmörder“ umgebracht hat, um die Familienehre zu retten, und wenn dieses Gericht die Milde der Strafe mit der kulturellen Eigenheit des Täters begründet, und damit, dass er kein Verständnis für die Rechtswidrigkeit seiner Tat habe, dann halte ich auch das für falsch verstandene kulturelle Toleranz und politische Korrektheit. Es bedeutet nach meiner Ansicht, dass das Gericht kein Interesse daran hatte, sich mit dem Phänomen der Ehrenmorde wirklich auseinanderzusetzen. Es machte eine Diskriminierung durch eine andere Wett. Die Frauen in der islamischen Kultur, die dürfen nämlich, weil es eben ihre Kultur ist, diskriminiert, ja sogar ermordet werden, aber gegenüber der Herkunft, Religion und Kultur des Täters hat man sich ja politisch korrekt verhalten. Hier entdecke ich eine Schieflage, die dem ursprünglichen Sinn der politischen Korrektheit nicht entspricht. Aber weil gerade die Linken alles in feste Schubladen kleiden müssen, hält man sich an die politische Korrektheit wie an eine starre Regel und glaubt, dadurch besonders weltoffen und rücksichtsvoll zu sein. Oft ist das Gegenteil der Fall.
Als ich noch an der Uni war und studierte, wurde ich von meinen Komilitonen nie ein „Behinderter“ genannt. Sie sprachen von einem „Menschen mit Behinderung“ oder seit neuestem, was ich aber selbst nicht mehr miterlebte – von einem „andersbefähigten“ Menschen. „Behindert“ wurde als abwertend begriffen und empfunden. Wenn ich aber versuchte, mit meinen Komilitonen ins Gespräch zu kommen, mit ihnen über die Vorlesung zu debattieren, Arbeitsgruppen zu gründen und einfach über normale, alltägliche Dinge zu reden, dann glaubten sie, ich spreche sie nur an, damit sie sich um mich kümmerten. Natürlich gab es immer ein paar barmherzige Samariter, die mir den Weg zur nächsten Kaffeemaschine zeigen wollten. Aber in ihre Mitte aufgenommen wurde ich trotz meiner Bemühungen nie. „Aber was der trotz seiner andersartigen Befähigung alles weiß?…“
Wenn politische Korrektheit eine Sprachregelung ist, dann ist sie die Gedanken nicht wert, die man auf sie verschwendet. Wenn man mich einen Behinderten nennt, kann das bedeuten, dass ich minderwertig bin, weil nicht normal. Die Einstellung eines Menschen ändert sich aber auch nicht dadurch, dass er mich einen „andersbefähigten“ nennt. Aber wenn mich jemand einen Behinderten nennt, dann kann er auch damit meinen, dass ich benachteiligt bin in der Gesellschaft, dass deshalb Dinge passieren müssen, um diese Benachteiligung aufzuheben. Wenn ich lediglich ein „Andersbefähigter“ wäre, dann wäre ja alles in Ordnung, und man müsste nicht viel verändern, durch meine andere, also besondere, Befähigung hätte ich ja vielleicht sogar Vorteile. Besseres Hören vielleicht? Es ist immer eine Frage der persönlichen Einstellung. Und nach meiner Erfahrung wird die politische Korrektheit viel zu oft genutzt, um sich mit dem Problem, das man sprachlich wegrationalisiert hat, nicht mehr befassen zu müssen. Somit führt die konsequente Anwendung der politischen Korrektheit, ganz im Gegensatz natürlich zum Willen der Erfinder, zu Ausgrenzung und Gleichgültigkeit.
Ich selbst bin selten politisch korrekt. Ich spreche immer noch von „Menschen mit Behinderungen“, oder von „Blinden und Sehbehinderten“ statt von „Restsehenden“. Es liegt nach meiner Ansicht klar eine Beeinträchtigung vor, die von der Gesellschaft akzeptiert und ausgeglichen werden muss, durch Barrierefreiheit im Alltag, in der Informationsgesellschaft, ja in allen Bereichen des täglichen Lebens.
Was nun Oskar Lafontaine und seine „Fremdarbeiter“ angeht, so hat das nach meiner Ansicht eine andere Bedeutung als die der normalen politischen Korrektheit. Ich halte es nicht für klug, dass er einen Begriff verwendet, den schon die Nazis verwendeten. Für mich ist klar, dass er damit eindeutig Personen ausländischer Herkunft mit Arbeit in Deutschland meinte. Was hätten seine Zuhörer aus dieser Formulierung gemacht? „Fremdarbeiter“ bedeutet, wenn man den historischen Hintergrund außer Acht lässt: „Fremde, die hier arbeiten“. Das ist zunächst einmal ein zutreffender Begriff. Erst die Tatsache, dass er auch zur Zeit der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Verwendung fand, macht ihn zu einem diskriminierenden Begriff. Oskar Lafontaine hat mangelndes Feingefühl bewiesen, er hat sich der Gefahr ausgesetzt, missverstanden zu werden. Wenn man aber seine Äußerungen in dem Kontext seiner Person sieht, seines bisherigen Lebens, dann gibt es für mich da nichts misszuverstehen. Politische Korrektheit gut und schön, aber sie sollte einem nicht auch noch das eigene Denken abnehmen.
Copyright © 2005, Jens Bertrams
Danke, ein schönes Wortspiel.
Ich bin ein Fremd-Arbeiter:
– Ich Arbeite für einen Fremden
– In der Fremde arbeite ich als Fremd-Arbeiter
– Jeder ist fast überall ein Fremd-Arbeiter
– Mir ist Arbeit Fremd
Worte haben keinen Wert. Menschen bewerten die Worte und ihre Werte. Verwertet mir die Worte nicht. Es gibt schon zu viele die uns fehlen.