Nachdem ich in den letztn Tagen und Wochen doch ordentlich durchgeschüttelt
wurde von all den Gewaltakten und Amokläufen, die mich heftig erschüttert
haben, möchte ich heute einfach mal etwas schönes schreiben. Es hat
keinerlei politische Brisanz, und vielleicht ist es thematisch sogar für
einige von Euch langweilig, aber für mich war der Tag gestern ein Urlaubstag
im Alltag – nicht *vom*, sondern im alltag.
naja, es war Wochenende, also doch nicht so ganz alltäglich, aber es war trotzdem ein sehr normaler Tag
ohne Urlaubsgedanken dahinter.
Meine Freundin Birgit Kissel, Kindergärtnerin in Klein-Winternheim hatte mich
gebeten, zur Theateraufführung ihrer „Wiesenmannschaft“ zu kommen. Das sind
die Kinder, die im nächsten Jahr in die Schule kommen werden. Ich nehme
schon seit einigen jahren diese Veranstaltung privat für die Kinder auf CD
auf. So machte ich mich also morgens auf den Weg. Der Zug war voller
Frankfurt-Fans. Aber ich bin sehr selten mit so vielen durchweg friedlichen
Fans in einem Zug gefahren. Es war zwar ziemlich laut, aber trotzdem tat es
gut, daß keinerlei Aggression oder Streit im Raum schwebte. Einige Männer in
meiner Nähe unterhielten sich über einen anderen, der immer nur lerne am
Wochenende, anstatt „einen draufzumachen“ – aber ihre Gespräche waren
allenfalls gutmütig spöttisch, und einer räumte sogar ein, daß ihm genau
dieser Mann während seiner Schulzeit bei der Versetzung geholfen habe. Dann
ging es noch um einen merkwürdigen Test im Internet, durch den man
feststellen könne, ob man nun schwul sei oder nicht. so ein Jux-Test, nehme
ich an. Ich finde zwar nichts schlimmes am Schwulsein, aber für Männer ist
das anscheinend immer wieder ein Thema zum lästern. Doch sogar hier ging es,
entgegen meinen sonstigen Erfahrungen mit Fußballfans oder
Bundeswehrsoldaten, im Grunde nicht diskriminierend zu. Der eine der beiden
sprechenden räumte sogar mit einigem herzlichen Gelächter ein, daß er selbst
diesem Test zufolge dann auch schwul wäre, einzig und allein schohn
deswegen, weil er auch viel Kosmetika benutze. Das wäre doch heute auch bei
Männern so.
Die Fahrt verlief sehr kurzweilig, und als ich in mainz ankam, herrschte
dort der Frühling. Es war unglaublich! die Sonne schien auf den Platz, und
die Leute flanierten gelassen daher, und überall flogen Tauben. Dazwischen
nahmen sich die ersten Buden für den in der nächsten Woche beginnenden
Weihnachtsmarkt absolut lächerlich und deplaziert aus. entspannt hörte ich
vier alten Leuten zu, die sich über Tauben und andere Vögel unterhielten, in
jenem bedächtigen Mainzer Dialekt, den ich wirklich liebe.
die Sonne begleitete mich dann noch auf der kurzen Fahrt mit dem Bus nach
Klein-winternheim, wo sie alle schon auf mich und mein Aufnahmegerät
warteten. Die Stimmung war wie immer herzlich. durch meine Mitgliedschaft im
Pop- und Gospelchor Popchorn habe ich
in Klein-Winternheim viel mehr Kontakt zum Gemeindeleben als in Marburg, wo
ich wohne. Es ist immer ein bißchen wie nach-Hause-kommen.
Das Theaterstück selbst war absolut goldig. Es ging ums größer werden und ob
man sich das wünschen soll oder nicht, und ob nicht jeder, so wie er ist, am
richtigen Platz ist, und das ganze wurde von Tieren in einer Art Fabel
gespielt. Die Kinder waren so voller Freude, auch der Chor der restlichen,
kleineren Kinder, daß ich – wie immer ganz gerührt war. So kleinen Kindern
ist das Zusammenhalten noch so einfach schmackhaft zu machen! Ich habe
selbst keine Kinder, und der Zug ist wohl mittlerweile auch abgefahren, aber
wenn ich die ganzen kleinen da in Klein-Winternheim sehe, dann werde ich
manchmal traurig, daß es niemanden geben wird, der aus mir hervorgegangen
ist und weiterlebt. Andererseits bin ich, wenn ich mich denn mal um kleinere
Kinder kümmere, oft froh, sie wieder abgeben zu können… Jedenfalls war der
gestrige Nachmittag wieder wundervoll, und ich nahm viel von der Freude und
dem Ehrgeiz der Kinder mit, und wie immer fand ich allerlei Gesprächspartner
aus dem Ort und vom chor nach dem Stück. Ich bin richtig mit Hoffnung und
einem tollen Gefühl gegen Abend wieder weggefahren, und im Zug dann die
gleichen, trotz oder wegen eines „Unentschieden“ gut gelaunten und nicht
aggressiven Fußballfans. Ein ebenfalls ganz netter Punk haute mich dann noch
an, ob ich ihm meine Akkus für seinen CD-Playr leihen konte, und das tat ich
dann auch. Auf Hin- und Rückweg traf ich ständig auf nette Leute, die mir
behilflich sein wollten, ohne dabei aufdringlich zu sein. Es war fast wie im
Märchen, und es tat gut, Menschen zusammen zu sehen, zusammen, nicht
nebeneinander. Es mag naiv und oberflächlich erscheinen, aber solche Tage
sind es, die mir Kraft geben für die große und kleine Politik, für die
kleinen und großen Kämpfe. Ich hoffe, ich konnte Euch etwas abgeben.
Manchmal gibt es diese Tage. Dann glaubt man, dass die Menschheit doch noch den Weg in die richtige Richtung finden könnte. Das wäre schön!