Offenbarung 23 – auf jeden Fall eine bemerkenswerte Hörspielserie

Seit einigen Monaten kenne ich nun „Offenbarung 23“, eine Hörspielserie, von der bislang 29 folgen bei Luebbe audio erschienen sind. Ihr autor ist, zumindest
bis genau zur letzten Folge, jan Gaspard. Das soll sich nun allerdings ändern, aber dazu später.

worum geht es bei „Offenbarung 23“? In erster Linie ist es eine Aufarbeitung etlicher Verschwörungstheorien, die so im Umlauf sind: vom Tode J. F. kennedy’s
über das Schicksal der Titanic und den Absturz des Luftschiffes „Hindenburg“, bis hin zum mysteriösen Selbstmord (oder auch nicht) Uwe Barschels. Jack
the ripper wird aufgespürt oder zumindest eine neue theorie darüber erörtert, wer es gewesen sein könnte, und auch die anschläge vom 11. September 2001
werden natürlich nicht ausgelassen. Über 29 Theorien wurde schon berichtet.

Held der Story ist der Student für wirtschaft und informatik, Georg Brand, ein Hobby-Hacker, dessen Pseudonym T-Rex ist, und so nennen ihn auch seine Freunde.

allerdings nicht nur die: T-Rex wird von zahlreichen geheimdiensten belagert, die sich sein hackertalent zunutze machen wollen. Und alle sind sie hinter
der gleichen Sache her: sogenannten „chifren“, die der hacker Tron hinterlassen hat, bevor er Selbstmord beging oder aber, nach Lesart seiner Freunde und
Verwandten, ermordet wurde, weil er durch seine Nachforschungen einem zu viel auf die füße getreten war. Und all diese chifren bezieen sich eben auf ungeklärte
oder sonstwie mysteriöse Begebenheiten, um die sich Verschwörungstheorien ranken.

Zunächst bleibt die Sache mit den Geheimdiensten auch eher Nebenhandlung, aber leider entfalten sie sich mehr und mehr zur haupthandlung, sodaß ich für
die Folgen ab 22 doch einiges an Geduld brauchte, zumal alles nur noch so von Pyramiden und anderen zeichen in allem und jedem strotzt, was ich etwas an
den Haaren herbeigezogen finde. Überall spielen Kelten und Freimaurer und andere, mysteriöse Geheimbünde eine rolle. Trotzdem hat die Hörspielserie etwas
mit mir gemacht, was mir noch nie passiert ist. manche der Theorien sind so verblüffend einleuchtend, daß es mich, den weltberühmten netzmuffel, in den
fingern juckte, bis ich google einfach aufrufen *mußte*, um Namen, Fakten und Querverweise zu erforschen, ja sogar in recht kompliziert angelegten foren
herumzuschnüffeln, die mich für gewöhnlich auf die Palme bringen. Was war geschehen? Ich staunte über mich selbst.

worin lag die Magie der Serie? Den etwas übertriebenen Slogan, den ich irgendwo über sie gelesen hatte, fand ich von anfang an blöd: „die erste wirklich
interaktive Hörspielserie“. Das bezweifele ich, aber ich habe, mich selbst beobachtend, begriffen, was damit gemeint war. Ziemlich fassungslos stand ich
vor ganzen foren zu diesem Thema, foren, die sich ineinander gespalten, miteinander zerstritten hatten, aber auch vor vielen, vielen menschen, die ihre
eigenen Theorien beisteuerten und auch Theorien über die wahre Identität des Autors, dessen name jan Gaspard nur ein Pseudonym ist. Auch ich, ich gestehe
es, habe versucht, aufgrund der Hinweise, die er selbst gibt, herauszufinden, wer er sein könnte, habe mir aber die Zähne an dieser Frage ausgebissen.
Gestritten wurde allerdings in der hauptsache nicht über die folgen des Hörspiels, sondern über den autor und vor allem wegen Tron. Und da muß ich nun
sagen, daß ich es verstehen kann, denn es ist schon etwas Pietätlos von Gaspard, den hacker Tron zu einer der hauptfiguren seiner Hörspiele und Romane
zu machen, den es wirklich gegeben hat und der gerade einmal vier jahre, bevor die erste Hörspielfolge erschien, an einem Baum hängend aufgefunden wurde.
sogar Streitigkeiten darüber, ob sein voller name genannt werden dürfe, gab es. Und das hätte ja nun wirklich nicht sein müssen, finde ich. Gaspard jedenfalls
scheint keine Skrupel zu kennen und behauptet, die Familie sei mit seinem tun letztlich einverstanden gewesen. andere, Freunde aus der hackerszene, wie
es scheint, widersprechen dem auf das Heftigste. In den Foren ist jan Gaspard ganz schön ins Kreuzfeuer geraten. Fans der Serie werfen ihm vor, er habe
skrupellos ihre Ideen verwurstet und mache nun damit Geld, ja, es gibt sogar jemanden, der behauptet, aufgrund einer bestimmten folge habe seine Mutter
einen Schlaganfall erlitten… Es war eine überwältigende Erfahrung, wie viele Verrückte auf beiden Seiten diese Produktion über Verschwörungstheorien
auf den Plan rief und wie viele kleine, private und schmutzige Verschwörungstheorien so im Netz ausgebrütet werden… Mit was manche Menschen ihre mehr
oder weniger knappe Lebenszeit verbringen, ist schon beeindruckend.

Ich jedenfalls möchte diesem Reigen von Verrücktheiten keine weiteren spekulationen hinzufügen und wende mich lieber von diesem ganzen „jeder gegen jeden-Szenario“
aus dem Netz ab und den Hörspielen wieder zu, die es Wert sind, daß man über sie schreibt.

Nun habe ich fast alle folgen in einem Rutsch gehört, was sicher zu einem fast rauschhaften Verhalten geführt hat. ich möchte unbedingt davor warnen, das
so zu machen, denn wenn man diese Serie zu geballt konsumiert, dann wimmelt plötzlich alles in einem von „vertraue niemandem“, einer lebensweise, die mir
überhaupt nicht zusagt. Eine gewisse Hilflosigkeit angesichts all der für meinen Geschmack teilweise recht einleuchtend belegten Theorien stellte sich
ein. Wie konnte man als „kleines Licht“ gegen all diese großen Zusammenhänge bestehen? Das ist auch ein wirkliches manko der Geschichten, und das wurde
leider auch in den späteren folgen immer schlimmer. Einerseits vertritt Jan Gaspard in seinen Statements die ansicht, die ich übrigens ganz großartig finde,
daß es Sinn der Sache ist, über solche Ungerechtigkeiten und Zusammenhänge zu sprechen, um gemeinsam stark zu sein. Die größte macht hat das wort, sagt
er, und was wir in die Welt tragen durch unser wort, worüber wir diskutieren, woran wir uns die Köpfe heiß reden, kann nicht mehr versteckt und nicht mehr
vergessen werden. Echt super! andererseits steckt die Handlung so sehr voll vom bereits erwähnten „vertraue niemandem“, – denn man weiß am Ende gar nicht
mehr, wer auf welcher Seite steht oder wer sympathisch oder unsympathisch ist -, daß man das schon als eine der hauptbotschaften verstehen könnte, und
das wäre das genaue Gegenteil vom solidarischen Miteinander, wie ich es bevorzuge. ich glaube, nur so könnten sich die menschen wirklich Kraft und Schutz
geben, nicht als Einzelgänger, die zwar heroisch kämpfen, aber lernen, daß es unter jedem Stockwerk der HÖlle noch ein tiefer gelegenes, schlimmeres Stockwerk
gibt.

Doch die auswahl der Themen fand ich wirklich fesselnd. Einige, wie „jack the ripper“ waren für mich nur einfach spannend und aufregend, obgleich ich die
theorie dazu wirklich beunruhigend finde. Das würde einige Krimifans aufwühlen, wenn sie stimmte und eimal mehr den Glauben an „den guten menschen und
den Verbrecher, dem man doch *irgendwie den Verbrecher anmerkt“ über den haufen werfen. andere folgen wie „die Krebsmacher“ oder „Angst“ erreichten wirklich
mein allerinnerstes, da ich mich für medizin und alles darum herum schon mein Leben lang sehr interessiere. außerdem ist „Angst“ eine zum Teil recht brutale
folge, die es in sich hat. genießt sie mit vorsicht, wenn ihr, wie ich, etwas schwächere Nerven habt.

Und was ich absolut großartig finde ist, daß jan Gaspard seine HörerINnen nicht für dümmer hält, als sie sind. So erwartet er von ihnen auch mal Dinge,
die ich noch in keinem anderen Hörspiel erlebt habe: da gibt es kleinere Textpassagen, die nur in englisch vorgetragen und nicht übersetzt werden. Wen
es wirklich interessiert, der wird sich aus seinem Konsumentensessel erheben und jemanden fragen oder selbstständig nachforschen. Und was mich als behinderte
wirklich, ich muß es einfach so sagen, so tief bewegte, daß mir tränen in die Augen traten war, daß sich tatsächlich mal jemand in einem Hörspiel, einem
kommerziellen Produkt also, mit eugenik, mit Bioethik und den heutigen, durchaus realistischen Möglichkeiten der erneuten Selektion scheinbar unwerten
lebens befaßt. Nicht genug damit, daß die folgen der neuen Gesundheitskarte, des gläsernen menschen und die daraus resultierenden Perspektiven zur Steuerung
unserer Gesellschaft zutage gefördert wurden – nein, die gleiche Folge endet auch noch mit dem auszug der Dissertation von Hans Heinrich Freiherr von Stackeberg,
der an der Philipsuniversität in marburg, ausgerechnet der Stadt, in der ich heute lebe, das Thema „Probleme der Erfolgskontrolle präventivmedizinischer
Programme, dargestellt am Beispiel einer Effektivitäts- und Effizienzanalyse genetischerBeratung “ bearbeitete. Ich überlasse es Ihnen und Euch, diesen
ausgesprochen aufschlußreichen und wie ich finde menschenverachtenden Text, für den von Stackeberg von allen Seiten gelobt wurde, selbst zu lesen. Worauf
es mir jetzt ankam, ist die Tatsache, daß es sich um einen wirklich komplizierten Text handelt, wie schon der Titel zeigt. Dennoch brachte Gaspard die
von natur aus schwererer Kost gegenüber relativ unaufgeschlossenen Hörspielproduzenten dazu, einen Teil dieser Dissertation der eigentlichen Hörspielfolge
anzuhängen. ich darf sagen, daß es für mich ein ausgesprochen berührendes Erlebnis war, das zu hören und zu wissen, daß Tausende, die sich durch die spannende
Geschichte unterhalten ließen, plötzlich Kenntnis von diesem thema bekamen, näheres darüber erfuhren, wo es mich selbst tagtäglich betrifft, sei es in
der Familie meines Liebsten, wo man sich Gedanken darüber machte, ob man ihn abgetrieben hätte, hätte man gewußt, daß er blind werden würde, sei es in
meiner klasse während der massageausbildung, wo MitschülerINnen es für ein unverantwortliches Verbrechen hielten, daß blinde Menschen Kinder bekommen wollen.
Wenn Sie dies hier jemals lesen sollten, Herr Gaspard, dann gilt Ihnen für diese Tat mein ganz besonderer Dank!

Dennoch wird Jan Gaspard die weiteren folgen von „Offenbarung 23“ nicht mehr schreiben, denn Luebbe audio hat sich von ihm getrennt und will die Serie mit
anderen Autoren fortführen. ich muß zugeben, daß ich die letzten Folgen auch oft sehr verschroben und verstrickt fand, es wimmelte nur so von Freimaurerzeichen
und anderen Geheimbünden und wie schon gesagt, brauchte ich manchmal ganz schön Geduld, um weiterzuhören.

Dennoch finde ich es nicht richtig, denn ich finde, nach 29 Folgen und mehreren büchern könnte man „Offenbarung 23“ durchaus als Gaspards geistiges eigentum
bezeichnen. Doch kenne ich als laie die genauen Gründe für die Trennung natürlich nicht, und beide Seiten halten sich erstaunlich bedeckt, im Gegensatz
zu den vielen „netzkriegern“, die eifrig spekulieren. Doch selbst, wenn die entscheidung Luebbes nachvollziehbar und gerechtvfertigt sein sollte, müßte
dann meiner ansicht nach die Serie enden, anstatt von anderen weitergeführt zu werden. Mich jedenfalls hätte doch interessiert, wie „Offenbarung 23“ bis
zur folge 52 weitergegangen wäre, mit der Gaspard sie anscheinend hatte abschließen wollen, wie im netz zu lesen ist. ich werde es wohl nicht mehr erfahren.
Schade eigentlich. Doch so frustrierend das auch ist, würde ich Ihnenn empfehlen, sich die eine oder andere der bisherigen folgen mal anzuhören und sich
selbst ein bild zu machen. die Produktion ist aufwändig, die SprecherINnen klasse. In jedem Fall ist „Offenbarung 23“ eine bemerkenswerte Hörspielreihe,
an der man sich herrlich reiben kann, und sie wissen ja: wo reibung ist, ist auch wärme. In diesem sinne…

© 2008, Das Nest

Dieser beitrag wurde von Wespennestwärme übernommen.

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2 Antworten zu Offenbarung 23 – auf jeden Fall eine bemerkenswerte Hörspielserie

  1. kaze sagt:

    Hallo!

    Ich selbst bin auch ein riesiger Fan von Offenbarung 23 und genau die beiden von dir genannten Folgen haben mich selbst am meisten zu Eigenrecherchen angespornt.

    Da auch ich mit etwas Pech ein „körperliches“ Handycap geerbt habe interessierte mich natürlich auch die Ausarbeitung von Herrn Freiherrn von Stackelberg… einfach unglaublich das soetwas überhaupt veröffentlicht und dann auch noch in solch einem Maße gelobt (!) werden konnte.

    Was mich einmal interessieren würde, ist wie du zu den anderen einzelnen Folgen so stehst? Kannst mir ja evtl. einmal eine E-Mail schreiben, meine Adresse siehst du als Administrator ja 😉

    Grüße

    kaze

  2. imoxowi sagt:

    Wooow! Genau wegen dieser Freiherr von Stackelberg Dissertation bin ich hier gelandet… Hab die erwähnten Teile im Hörbuch gehört und wollte mich auch etwas schlau darüber machen. Erschreckend zu hören dass die Menschen sich auf so ein Gedankengut herab lassen! Aber es gibt ja auch Leute wie Peter Singer, den man sogar Unterrichten lässt.

    Naja, danke für die vielen Infos! Ersparrt mir einiges an Zeit 🙂

    Ein echt faszinierendes und hörenswertes Hörspiel.

    LG imoxowi

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