Den folgenden Kommentar habe ich heute für die Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ auf ohrfunk.de geschrieben. Er wird dort veröffentlicht werden.
Ein Bundeswehroberst ist an allem Schuld. Er hat seine Kompetenzen überschritten und einen Luftangriff auf einen gestohlenen Lastzug angeordnet, bei dem, oh Wunder, Zivilisten umgekommen sind. Und das in einem Land, in dem jeder tote Zivilist Wasser auf die Mühlen der Radikalen ist. Aber wir sollten uns nicht beschweren: Wir, bzw. die USA und ihre Verbündeten nach den Anschlägen heute vor acht Jahren, haben den Afghanen die Suppe eingebrockt, und damit auch uns selbst. Wer mit den Worten von der unverbrüchlichen Solidarität in einen Krieg zieht, der hat es auch nicht besser verdient. Und wenn man dann noch weiß, dass die Terroranschläge vom 11. September 2001 nur der Vorwand zum Krieg in Afghanistan waren, reiner Machtpoker also, dann kann man nur noch demütig den Kopf senken.
Natürlich herrschte in Afghanistan ein grausames Terrorregime unbeugsamer Religionsfanatiker. Aber das heutige Regime der Warlords und Stammeskönige ist auch nicht viel besser, zumal die Taliban bei der Bevölkerung wieder viel Boden wettmachen. Es gab eine Menge guter Gründe, die Taliban zu stürzen. Doch die Sowjetunion hatte bereits auf traurige Weise bewiesen, dass ein Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist, auch nicht für eine Supermacht. Unverbrüchliche Solidarität sollte man übrig haben für Leute, denen Leid angetan wurde, das man beenden will. Wer sich sehenden Auges in ein von Anfang an verlorenes Wahnsinnsunternehmen stürzt, muss auch mit den Konsequenzen leben.
Es gibt Parteien, die sich nun zur Bundestagswahl stellen, die fordern, dass Deutschland seine Truppen unverzüglich aus Afghanistan abzieht. Sie hätten besser fordern sollen, dass Deutschland und die USA und all die anderen Staaten sie gar nicht erst entsenden. Jetzt ist eine solche Forderung nicht mehr als das Stehlen aus der Verantwortung. Unsere Soldaten sind es nämlich nun, die für die Menschen in Afghanistan verantwortlich sind. Diese Last wurde ihnen von Politikern wie Gerhard Schröder aufgebürdet. Feige und einfach wäre es nun, sie im Stich zu lassen, nachdem wir sie in Unsicherheit und Bürgerkrieg gestürzt haben. So werden die Soldaten noch Jahrzehnte in Afghanistan sein, oder irgendwann siegt doch der Opportunismus, und sie werden wieder abziehen. Vermutlich sind dann die Taliban schnell wieder an der Macht, es hätte sich also nicht viel geändert. Nur die Rüstungsindustrie hätte verdient, die Menschenrechte in Europa und den USA wären eingeschränkt und die Position der Sicherheitsbehörden gestärkt worden. Was für ein beeindruckendes Resymee. Aber zurück zum Krieg in Afghanistan. Ein Bundeswehroberst, so heißt es nun nach der „lückenlosen Aufklärung“, die die Kanzlerin versprochen hat, hat seine Kompetenzen überschritten und einen Luftangriff angeordnet, bei dem, oh Wunder, auch Zivilisten getötet wurden. Wer sich jetzt über die Kriegführung in Afghanistan aufregt, der heuchelt. Es war immer klar, dass Krieg nicht ohne zivile Opfer stattfinden kann. Jetzt sind es Bundeswehrsoldaten, die diese Opfer hervorgerufen haben. Also zieht man sie zur Rechenschaft, einen Bundeswehroberst zum Beispiel, der tat, was er für seine Pflicht hielt. Der Drahtzieher und Urheber dieses Debakels sitzt als Gasmagnat mit den grausamen Diktatoren Putin und Medvedew an einem Tisch und genießt das Leben. Nicht den Oberst sollte man zur Rechenschaft ziehen, sondern den Mann mit der unverbrüchlichen Solidarität und alle, die ihm seither nachgefolgt sind. – Und natürlich auch den texanischen Cowboy, Sie wissen schon, wen ich meine…
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Autor: Jens Bertrams