Den folgenden Beitrag habe ich mit Material und genehmigten Textauszügen von Ottmar Miles-Paul am 15. November 2009 verfasst und in der Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ veröffentlicht.
vor 15 Jahren, am 15. November 1994, sind die im Rahmen der Wiedervereinigung Deutschlands erarbeiteten Änderungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten. Damals wurde auch der Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ ins Grundgesetz aufgenommen.
In Absatz 3 des Artikels 3 des Grundgesetzes hieß es bis dahin lediglich: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Dieser Satz, der vor allem wegen der Erfahrungen aus der Verfolgung und den Morden der NS-Herrschaft ins Grundgesetz aufgenommen wurde, war nach Ansicht der Behindertenverbände nicht vollständig, da auch behinderte Menschen erhebliche Benachteiligungen und Verfolgungen bis hin zur sogenannten „Euthanasie“ ausgesetzt waren und in vielen Bereichen nach wie vor benachteiligt werden. Deshalb hat die Behindertenbewegung bereits kurz nach der deutschen Einheit auf die Aufnahme eines Benachteiligungsverbotes für behinderte Menschen ins Grundgesetz gepocht. 1990 wurde hierfür der Düsseldorfer Appell von einem Bündnis verschiedener Behindertenverbände verabschiedet und auf der Reha-Messe in Düsseldorf der Öffentlichkeit vorgestellt. Für diesen Appell, der zusätzlich ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz für behinderte Menschen forderte, wurden bis 1994 zigtausende Unterschriften gesammelt und vielfältige Veranstaltungen und Protestaktionen durchgeführt.
Während die Forderung von SPD, Grünen und der damaligen PDS unterstützt wurde, stieß sie bei CDU/CSU und FDP auf massiven Widerstand. Man wolle die Änderungen im Grundgesetz möglichst gering halten, sonst könne ja jeder kommen und die Aufnahme ins Grundgesetz fordern – zum Beispiel auch Brillenträger. Dies waren nur einige der Argumente, die den Behindertenverbänden damals von Seiten der Union und FDP entgegen schlugen. Im Vorfeld der Bundestagswahlen 1994 gelang dann jedoch der Umschwung, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl die Zeichen der Zeit und wohl auch das Wählerpotenzial erkannte und erklärte, dass er die Aufnahme ins Grundgesetz unterstütze. Daraufhin war das Blatt gewendet und sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat stimmte dem Ansinnen für ein Benachteiligungsverbot behinderter Menschen im Grundgesetz mit großer Mehrheit zu.
Seither heißt es in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes auch: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Was die Bewegung behinderter Menschen geschafft hat, gelang für Schwule und Lesben jedoch nicht, so dass diese immer noch auf den ausdrücklichen verfassungsmäßigen Schutz vor Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Orientierung warten. Für behinderte Menschen bot diese Verfassungsänderung den Beginn einer Reihe von Regelungen zur Gleichstellung. Im Jahr 2002 wurde das Behindertengleichstellungsgesetz auf Bundesebene verabschiedet. Mittlerweile haben alle Bundesländer entsprechende Landesgleichstellungsgesetze, und im Jahr 2006 folgte nach heftiger Diskussion das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das seine Wirkung vor allem in zivilrechtlichen Fragen entfaltet. Inzwischen hat Deutschland auch die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen ratifiziert, die seit dem 26. März 2009 in Deutschland gilt.
Auch heute noch gibt es Stimmen, die behaupten, das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz sei nicht mehr als eine Alibibestimmung, im Alltag bewirke sie nichts. Aber wer kann beurteilen, ob ohne eine solche Bestimmung das Gleichstellungsgesetz überhaupt verabschiedet worden wäre? In jedem Falle hat es behinderte Menschen immer mal wieder ins Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt, und das ist es in der Hauptsache, was man dieser Bestimmung meiner Ansicht nach verdankt. Wer immer wieder von sich reden macht, der wird auch nicht so einfach vergessen. Insofern war das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz ein durchaus wichtiger Schritt hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
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