Der ganz gewöhnliche Arbeitstag eines Inforedakteurs

4 Jahre lang gibt es seit gestern den Internetradiosender Ohrfunk.de. Aus diesem Anlass habe ich für 17-20 einen kleinen Text geschrieben, den ich hier veröffentlichen möchte. Ansonsten wünsche ich allen ein gesegnetes Jahr 2010.

Montag, 4. Januar 2010, 08:00 Uhr. Eine neue Woche und ein neuer Arbeitstag beginnt. Übers Wochenende hat es in den Koordinationsmailinglisten des Ohrfunkteams einiges an Mails gegeben, die ich mir zuerst vornehme. Danach kommen die Twitternachrichten der letzten Stunden an die Reihe, falls sich interessante Themen ergeben.
Wer glaubt, dass eine Sendung beim Ohrfunk einfach um 17 Uhr beginnt, ohne dass vorher viel passiert, der hat sich getäuscht. Es sind mindestens 5 Leute – Redakteure und Schreiber – die so früh am Tag ihre Arbeit für den Sender beginnen. Andere, die ihre Hauptarbeitstätigkeit in anderen Unternehmen haben, arbeiten in der Freizeit für das Projekt.

08:30 Uhr. Ich rufe im Büro des neuen Bundesbehindertenbeauftragten Hubert Hüppe an und bitte um ein Interview. daraufhin werde ich gebeten, mich schriftlich an die Pressestelle des Amtes zu wenden. Und ich werde gewarnt, dass man mir keinen Termin für ein Interview würde nennen können.
Der erste Schritt zu einer guten Sendung ist die Recherche nach Themen und das Vereinbaren eines Interviews oder das Schreiben von Beiträgen. Andere von uns produzieren Tag ein Tag aus Geburtstagsüberblicke, Literaturtipps, Hörspiel- und Hörfilmtipps,Beiträge über historische Personen, sie stellen einen Star vor, Suchen Musik, die neu bei Ohrfunk ist, schreiben Nachrichten aus der Behinderten- und Sozialpolitik oder stöbern in Kabarettistischen Aufnahmen nach Sachen zum Lachen. Schwierrig ist es nur, wenn man aktuell bleiben will. Ich weiß oft nicht, ob ich, wie im Falle von Hubert Hüppe, ein Interview schnell bekomme oder nicht, und ich kann auch dementsprechend nicht planen. Manchmal zerrt das an den Nerven.

9 Uhr: Natürlich habe ich die Anfrage an die Pressestelle geschrieben, aber ich kann nicht den ganzen Tag hier sitzen und auf eine Antwort warten. Also rufe ich einen Freund an, Franz-Josef Hanke von der humanistischen Union. Ich frage ihn, ob er mir in einem Interview erklärt, welche Herausforderungen er für die Bürgerrechtsbewegungen im Jahr 2010 sieht. Er stimmt sofort zu, und wir beginnen wenige Minuten später mit der Aufzeichnung.
Ein paar Leute sollte man immer haben, die man im Notfall anrufen kann, wenn gar nichts anderes geht. Wenn ich 4 mal in der Woche jeweils 2 aktuelle Beiträge liefern will, dann ist es fast sicher, dass das eine oder andere Interview nicht oder nicht sofort zustande kommt. Wir sind ein kleiner Sender. Den WDR würde niemand auf irgendwann vertrösten, kein Politiker, kein Behindertenbeauftragter, denn der erreicht millionen von Hörern. Aber aktualität ist für einen kleinen Sender schwer zu erreichen. Trotzdem wollen meine Kollegen und ich es versuchen.

10:30 Uhr: Das interview mit Franz-Josef Hanke habe ich geführt und geschnitten, damit es nicht zu lang ist. Am Ende des Gesprächs gab mir mein Interviewpartner noch einen Tipp, sein Bruder ist der erste blinde Stadtverordnetenvorsteher Deutschlands. Das schreibe ich mir sofort auf.
Man glaubt gar nicht, wie viel Zeit beim Zurechtschneiden von Interviews vergeht. Es soll gut klingen, man soll die Schnitte nicht hören, und das Interview soll nicht zu lang sein und trotzdem das Wesentliche enthalten. Natürlich müssen nicht nur die Interviews geschnitten werden, auch alle anderen Beiträge, die ich eben aufgezählt habe, müssen nicht nur erstellt, sondern auch technisch bearbeitet werden. Übrigens gilt das auch für die Abend- oder Wochenendsendungen, die von ihren Machern vorproduziert und nicht live ausgestrahlt werden. Und das sind mehr als viele Hörer denken. 1461 Sendetage hat der Ohrfunk in den letzten 4 Jahren auf diese Weise bestritten, es wurden rund 12.000 Stunden moderiertes Programm gesendet. Vermutlich haben rund 10 bis 12 Leute insgesamt 40.000 Stunden vorbereitend für den Sender gearbeitet in den letzten 4 Jahren. Jeder Ohrfunkmitarbeiter hat also jeden Tag – Sonn-, Feier- und Urlaubstage eingeschlossen – im Durchschnitt dreieinhalb Stunden für Ohrfunk.de gearbeitet. Für einen Sender, dessen Mitarbeiter ehrenamtlich tätig sind, eine beachtliche Leistung.

11 Uhr: Ich habe in den Kobinet-nachrichten gestöbert und herausgefunden, dass die Interessenvertretung selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) von Jena nach Berlin gezogen ist. Also rufe ich ihre Geschäftsführerin Sigrid Arnade an und frage sie, ob sie bereit ist, die ISL im Ohrfunk einmal vorzustellen. Ich habe glück, denn auch sie stellt sich sofort für ein Interview zur Verfügung.
Um Themen für unsere Beiträge zu finden, bedienen wir uns verschiedener Quellen, darunter ist der Onlinenachrichtendienst von und für behinderte Menschen Kobinet, aber auch die Publikationen der Behinderten- und Blindenverbände, allgemeine Zeitungen und natürlich Twitter. Ein Teil unserer täglichen Redaktionsarbeit besteht aus dem Durchforsten dieser Quellen.

12:10 Uhr: Als ich gerade das fertig geschnittene Interview mit Frau Arnade sichere, klingelt das Telefon. Am Apparat ist das Büro des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Hubert Hüppe. Er habe nun Zeit für mich. Hoch erfreut nehme ich auch dieses Interview auf.
Es ist nicht alle Tage so, dass ich so viel Glück habe. Mit einer so schnellen Reaktion konnte ich nicht rechnen, zumal man mir ausdrücklich gesagt hatte, dass man mir keinen Termin nennen könne. Aber dass Herr Hüppe sich so schnell meldete zeigt auch, dass der Ohrfunk sich inzwischen einen Ruf bei Fachpolitikern, manchen Künstlern und manchen politischen Experten erworben hat. Es wäre auch schade, wenn es nach 4 Jahren Arbeit mit so viel Engagement anders wäre.

13:30 Uhr: Natürlich wird das aktuelle Interview mit Hubert Hüppe den beiden anderen vorgezogen. In meinen Mails finde ich eine Nachricht seiner Pressestelle: „Danke für Ihr Interesse an einem Interview. Wegen der hohen Zahl an Anfragen können wir noch nicht sagen, wann es letztlich stattfinden wird.“

16 Uhr: Nachdem ich noch für einen Tag in der nächsten Woche die historischen Ereignisse recherchiert und geschrieben habe, wobei es ja auch immer ein ausführlich behandeltes Thema gibt, endet für mich der Arbeitstag. Für Andere beginnt ihre Ohrfunkarbeit gerade erst, nachdem sie von ihrem eigentlichen Job nach hause gekommen sind. Die moderierten Sendungen beginnen um 17 Uhr und dauern mindestens bis Mitternacht. 7 Stunden täglich, vom Musikprogramm, das, wie es zurecht in unserem Slogan heißt, hand verlesen ist, ganz zu schweigen.

Wollen wir hoffen, dass unser Sender auch die nächsten Jahre so ehrgeizig bleibt uns Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, sich an unserem Programm erfreuen können.

© 2010, Jens Bertrams und Ohrfunk.de

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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