Der letzte Flug der Atlantis Teil 1: Abenteuer Raumfahrt

Am 12. April 1981 begann eine Ära, die Ära des wiederverwendbaren Raumtransporters, des Space Shuttle. Ein Raumschiff, dass aus eigener Kraft nach seiner Mission zur Erde zurückkehren und wie ein Flugzeug landen konnte. In diesen Tagen findet der Traum nach 30 Jahren sein Ende, und ich bin dabei.

„… drei, zwei, eins. – Und jetzt sehen wir eine riesige Rauchwolke herauskommen, das ist das Kühlwasser, und das Raumfahrzeug hebt ab! – Strahlend – der Strahl ist heller als die Sonne…“ (Werner Büdeler für die ARD, 12. April 1981 gegen 14 Uhr).

Ich glaube, dass so jede meiner Geschichten über das Space Shuttle anfangen wird, die ich jemals schreiben werde. Es war der erste Höhepunkt einer langen Geschichte, die ich immer verfolgt habe. Ich bin als politischer und gesellschaftlicher Idealist nie ein Feind des Fortschritts gewesen, ich bin nur der Meinung, dass der Fortschritt den Menschen dienen muss. Den Traum von den Sternen, so unendlich weit und doch zum Greifen nahe, habe ich immer mit geträumt, und das werde ich auch in Zukunft tun.

Es ist 20:30 Uhr, drei Stunden nach dem Start des letzten Space Shuttles Atlantis. Die beiden Missionsspezialisten werden gerade dabei sein, Küche und Trinkwassersystem, Computer und Kamerasysteme zu installieren, Pilot und Kommandant bereiten die nächste Triebwerkszündung vor. Es ist eng auf dem Flugdeck, aber eine Etage tiefer, wo die beiden Missionsspezialisten arbeiten, ist etwas mehr Platz. In 90 Minuten umrundet das Raumschiff einmal die Erde, und alle vier werden sie herunterblicken, hinaus aus dem Fenster, um den blauen Planeten in seiner verletzlichen Lufthülle zu bewundern…

Ich war 12 Jahre alt damals, im April 1981. Seit meiner frühesten Kindheit hatte ich mich für Raumfahrt interessiert. Erst für SF-Fernsehserien wie Mondbasis alpha 1 und Enterprise mit Captain Kirk und Mr. Spock. Aber dann wollte ich auch mehr über die Mondlandung wissen, über die ersten Menschen im All und viele weitere Weltraumgeschichten. Mein Wunschtraum war damals, zu anderen Planeten zu fliegen, und wer weiß: Vielleicht traf man dort ja auch andere Lebewesen, von denen man etwas lernen konnte? Es war ein großes Abenteuer, und gerade das faszinierte mich. Wie gern hätte ich selbst in einer Rakete gesessen, aber ich begriff schnell, dass das unmöglich war.

In den Filmen, die über eine weit entfernte Zukunft berichteten, konnten Raumschiffe von jedem Planeten, von fast jedem Ort selbstständig aufsteigen, und auch wieder an fast jedem Ort auf jedem Planeten selbstständig niedergehen. Die Wirklichkeit auf der Erde sah anders aus. Jedes Raumschiff konnte man nur einmal benutzen, und für Start und Landung benötigte man ein riesiges Team. Da war die Idee eines wiederverwendbaren Raumschiffs eine großartige Neuerung. Optimisten sprachen vom Pendelverkehr ins All, und es gab sogar Kinderhörspiele, die über eine künftige internationale Raumstation mit dem Namen „Orbit Challenger“ berichteten, die von Space Shuttles angeflogen wurde. In diesen Hörspielen konnte man einiges über eine mögliche Raumstation und über das Shuttle lernen, und ich habe sie verschlungen. Auch über den Kalten Krieg, Killer- und Spionagesatelliten und über die Schwerelosigkeit erfuhr man einiges. Das Shuttle war also so eine Art Bus ins All. Fantastisch. Und den ersten Schritt dieser Entwicklung, den ersten Start des Shuttles Columbia, wollte ich am 10. April 1981 am Fernsehen verfolgen…

Gegen 10 Uhr heute Morgen unserer Zeit wurden die 4 letzten Menschen, die je mit einem Shuttle fliegen werden, geweckt. Commander Chris Ferguson, Pilot Doug Hurley, sowie die beiden Missionsspezialisten Sandra Magnus und Rex Walheim. Die Mediziner machten erstt die üblichen Tests vor dem Start, dann gab es Frühstück, und dann gab es eine Konferenz wegen des Wetters. Es gab nur eine dreißigprozentige Chance für gutes Wetter, denn bei starkem Regen kann das Shuttle nicht starten, und genau der war angekündigt. Also gab es noch einmal eine Zitterpartie. Und wie vor 30 Jahren saß ich auch heute an meinen Geräten, nicht am Fernseher, sondern am Rechner. Und ich hörte den englischen Livekommentar der NASA. Beim ersten Start war ich dabei, ich wollte auch den letzten verfolgen. Ein seltsames Gefühl, dass das große Projekt nun doch nichts war…

Dieses große Projekt brachte einige Neuerungen. Der 10. April 1981, an dem das Shuttle erstmals mit John Young und Robert Crippen an Bord starten sollte, war ein Freitag. Den ganzen Nachmittag konnte man im ZDF Sondersendungen hören, der Start war für vor 14 Uhr mitteleuropäischer Zeit geplant, musste aber wegen eines Computerfehlers ständig verschoben werden. Ich hoffte, er würde an diesem Tag noch gelingen, die Spannung stieg, aber nach 19 Uhr wurde der Start endgültig abgeblasen. Stattdessen sendete das ZDF eine Sendung mit dem Wissenschaftsexperten Joachim Bublatt, der den Hitzeschild der Columbia vorstellte. Dazu hatte er sogar eine der neu entwickelten Hitzeschildkacheln mit ins Studio gebracht. Durch diesen Hitzeschild ermögliche man es, dass das Schiff unbeschädigt landen und wiederverwendet werden könne, hieß es…

Leider habe ich den ganzen Mittag mit einer wichtigen, aber langwierigen Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik verbracht. Darum habe ich den letzten Start eines Shuttles im Vorhinein gar nicht so genießen können. Inzwischen hat sich ja auch viel geändert: Fast sind die Flüge Routine geworden. Schade, dass auch hier die Kosten der Grund für die Einstellung des Programms sind. Das Shuttle ist viel teurer geworden, und es hat viel weniger Anwender und Benutzer kommerzieller Art gefunden, als man sich zu Beginn erhofft hatte. Der Traum von der Reise zu anderen Sternen starb früh an Geldmangel. Dabei wäre dieses Raumfahrzeug sowieso nicht für diesen Traum geeignet gewesen…

Nach dem internationalen Frühschoppen am 12. April 1981, genau 20 Jahre nach dem ersten bemannten Raumflug, lief bei uns wieder der Fernseher, zweiter Versuch des Starts des Shuttles, und diesmal gelang alles. Mein Vater beschrieb mir, wie das Raumschiff aussah, und später habe ich ein Modell gesehen. Der externe Tank war viel größer als das Raumschiff selbst.

Joachim Bublatt hatte die Hitzeschildkacheln gezeigt. Er hatte sie extremer Hitze ausgesetzt, hatte mit einem Hammer draufgeschlagen, zeigte die robuste Bauweise. Weil das Raumschiff wie ein Flugzeug landen und nicht wie sonst an Fallschirmen niedergehen sollte, war es höheren Temperaturen ausgesetzt. Beim Start ist das Shuttle ein unbeschreibliches Monstrum mit seinen beiden seitlich angesetzten langen feststoffraketen und dem dicken Treibstofftank, auf dem das Raumschiff aufliegt. Die Raketen werden nach 2 Minuten, der Tank nach 8 Minuten abgesprengt. Dann erst ist das Raumfahrzeug nur auf sich selbst gestellt. Eine beeindruckende Leistung, diese erste Mischung aus Raum- und Luftfahrzeug…

Sie werden den Robotarm des Schiffes noch testen, die Systeme für die Annäherung an die internationale Raumstation konfigurieren, die Fernsehkameras so einstellen, dass sie gute Bilder nach Houston senden. Dann wird noch eine medizinische Befragung und Konferenz stattfinden. Am Ende dieses Bordtages wird den Astronauten etwas Zeit zur freien Verfügung eingeräumt. Der Tag endet um 2 Uhr heute Nacht.

Zum letzten mal für lange Zeit wurden heute Mittag amerikanische Astronauten zur Startrampe gebracht und machten ihren Spaziergang zum Startort. Das Einsteigen in das enge Gefährt ist eine langwierige Prozedur. Jeder Handgriff ist auf die Sekunde genau geplant. Und auch, falls etwas schief geht, verlieren die Verantwortlichen nicht die Ruhe. Heute stoppte der Countdown bei T-31 Sekunden, als das Shuttle auf computertechnische Eigenversorgung umschaltete. Die Computer hatten entdeckt, dass sich der letzte Versorgungsarm nicht vollends zurückgezogen hatte und hielten den Countdown an. Glücklicherweise war aber alles in Ordnung, und der Start konnte nach kurzem Überprüfen durch die verantwortlichen Techniker doch durchgeführt werden, eben nur 3 Minuten später.

Viele fragen sich, wozu man die Raumfahrt braucht. Ich werde in den nächsten Tagen genug Gelegenheit haben, die Frage zu beantworten, denn ich werde den letzten Flug eines Shuttles in diesem Blog begleiten.

 

Mehr informationen gibt es hier.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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