„Es ist Mode geworden, die Freiheitsrechte des Bürgers in den Vordergrund zu stellen“, sagt Siegfried Kauder missmutig. Davon habe ich noch gar nichts bemerkt? Oder geht es vielleicht nicht um meine und deine Freiheit? Welche Bürger meint Siggi Kauder da eigentlich?
„Hereinspaziert! Freiheitsmoden beim Schlussverkauf zum günstigen Preis!“ So möchte man rufen, wenn die mit dem und im Internet geborenen Freiheitskämpfer gegen die Sicherheitsfirma „Kauder & Uhl“ antreten. „Genießen Sie den Nachmittag in heiterer und beschwingter Atmosphäre, für Ihre Sicherheit ist gesorgt, es kann Ihnen gar nichts passieren.“ Doch viel zu schnell hört der Spaß auf, wenn man den im Halse steckengebliebenen Satz des Siegfried Kauder mühsam wieder herausgewürgt hat, um ihn mit der gebotenen Gelassenheit und mit einer Nacht Abstand zu analysieren. Zwangsläufig informiert man sich dann auch über die bisherigen Schaffensmomente des Protagonisten, und dann weiß man, es ist alles noch viel schlimmer, als man bislang angenommen hat. Was? Sie wollen wissen, worüber ich rede? Okay, erzählen wir die Geschichte von Anfang an.
Am 1. August interviewte das ZDF-Heutejournal unter Anderem Hans-Peter Uhl und Siegfried Kauder zu den neuen Internetregulierungsvorschlägen nach dem Massaker von Oslo. Während selbst junge Unionsabgeordnete von einer zu starken Regulierung des Internets abraten, sagte Kauder den inzwischen berühmt gewordenen Satz von der Modeerscheinung Freiheitsrechte. Er sekundierte damit seinem Kollegen Uhl, der behauptet hatte, das Verbrechen von Oslo sei im Internet geboren worden. Diese Argumentation dient den Unionspolitikern nach meinung vieler Kritiker aus der Netzgemeinde zur Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit.
Als ich den Satz Kauders erstmals vernahm, war ich sogleich empört. Wie schleichend das Gift der Abschaffung bürgerlicher Freiheitsrechte wirkt, erfuhr ich, als ich ihn einer gewöhnlich engagierten und aufmerksamen jungen Frau mittleren Alters vorlegte, mit der ich bereits öfter interessante politische Diskussionen ausgetragen habe. Sie beschied mir bestimmt, der Satz selbst sei nur dann problematisch, wenn man den Zusammenhang kenne, und im Übrigen stimme es, dass das Leben der in unserem Land lebenden Bürger nicht nur aus Rechten und Freiheiten bestehe, sondern auch aus Pflichten, und man solle die Freiheit nicht dazu missbrauchen, Solidarität mit dem Nächsten abzulehnen, so könne Kauder, immerhin ist er, fällt mir ein, Mitglied der CDU, seine Äußerung auch gemeint haben. Ohne gründliche Recherche sei es unfair und typisch für die Medien, mit einem einzigen Satz Meinungsmache zu betreiben.
Natürlich hat sie recht. Zumindest mit dem Hinweis auf Solidarität und die übliche Vorgehensweise der Medien. Was mich erschreckte war, dass sie nicht sah, dass dieser Satz, von einem erfahrenen Politiker in aller Ruhe bei einer vorproduzierten Interviewsituation platziert, schon an sich eine Unmöglichkeit darstellt. Im Brustton seiner eigenen, durch Satzaufbau und Wortwahl deutlich kenntlich gemachten Ablehnung, bezeichnete er die Freiheitsrechte, die in den Vordergrund gestellt werden, als Modeerscheinung. „Es ist in Mode gekommen, die Freiheitsrechte des Bürgers in den Vordergrund zu stellen.“ So lautet der Satz, und das nachfolgende Statement, dass man immer vergesse, dass der Bürger ein Recht auf innere Sicherheit habe, macht ihn nur noch schlimmer.
Denn!!!
Verehrter Herr Rechtsanwalt Siegfried Kauder, der Sie mit dem juristischen Rüstzeug seit 35 Jahren ausgestattet sind: Freiheitsrechte des Bürgers gehören laut unserer Verfassung in den Vordergrund des politischen und gesellschaftlichen Handelns. Das ist genau der ihnen vom Grundgesetz zugewiesene Platz. Somit ist dies keine Modeerscheinung, sondern der von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes vorgesehene und erwünschte Normalfall. Sie als Rechtsanwalt, der auch die Grundrechte schon in den ersten Semestern gründlich studieren musste, werden dies genau wissen. Diesen Satz kann man als Demokrat in einer Demokratie einfach nicht sagen, ganz egal in welchem Zusammenhang. Freiheitsrechte des Bürgers genießen einen höheren Stellenwert als das Bedürfnis des Staates nach Kontrolle über die Aktivitäten seiner Bürger, üblicherweise mit den Worten „innere Sicherheit“ getarnt. Denn Freiheitsrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Sie sollen eben zu viel Kontrolle verhindern, sollen dem Bürger eben gerade ermöglichen, seine auch unbequeme Meinung frei zu äußern, ohne repressalien fürchten zu müssen. Um diese Freiheitsrechte, die vom Grundgesetz geschützt sind, geht es, nicht um die Freiheit, jemanden in die Pfanne zu hauen oder seinen Zaun zu vergrößern. Und egal in welchem Zusammenhang, verehrte Gesprächspartnerin: Dieser Satz ist eines demokratischen Politikers und Rechtsexperten unwürdig! Und er hat im politischen Alltag eines demokratischen Staates nichts verloren, bis auf die Tatsache natürlich, dass Herr Kauder seine Privatmeinung ebenfalls äußern darf. Aber daran werden wir ihn dann auch messen können, und wir werden wissen, dass seine Ansichten nicht harmlos sind, nicht das Gemeinwohl und die Solidarität im Blick haben, sondern auf die Einschränkung der verfassungsmäßig garantierten bürgerlichen Freiheitsrechte abzielen.
Es ist ja nicht das erste mal, dass Siegfried Kauder für die Einschränkung der Freiheitsrechte eintritt. Ganz offen plädierte er für eine Einschränkung der Pressefreiheit, wenn es um Terrorismus und seine Verfolgung geht, was zum Beispiel bedeuten kann, dass die Presse dann auch nicht mehr die Folterung von Terrorverdächtigen aufdecken und enthüllen kann. Und im Fall Kurnaz wird auch auf seine Anregung hin gegen Journalisten ermittelt, die die verzwickte Affäre um den deutschen, der zu Unrecht in Guantanamo festgehalten wurde, aufdecken wollten.
Allerdings muss zur Ehrenrettung des Rechtsanwalts Kauder auch etwas gesagt werden. Er ist auch schon zweimal vehement für die Freiheitsrechte eingetreten. Zum einen wollte er den Kauf von Steuersünderdateien durch Deutschland verbieten lassen, denn auch Steuersünder haben ihre Freiheit, und zum Anderen wehrte er sich gegen die Pflicht zur Offenlegung von Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten. Die Freiheit der Abgeordneten, zusätzlich Geld zu schäffeln, hält Siegfried Kauder hoch, die Freiheit, Steuern zu hinterziehen auch. Ansonstten bietet er zu günstigen Preisen die letzten Freiheitsrechte als Modeartikel im Schlussverkauf an. „Innere Sicherheit“ ist wieder angesagt, lange sind diese Freiheiten nicht mehr zu bekommen, und schon gar nicht, wenn der einfache Konsument, Verzeihung Bürger, nicht einmal merkt, dass ihm dieses Grundnahrungsmittel der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft leise und heimlich entzogen werden soll.
Natürlich endet die persönliche Freiheit da, wo sie die Freiheit Anderer einschränkt. Diese Faustregel wird schon vom gesunden Menschenverstand diktiert. Mit der Einschränkung der Abwehrrechte gegen staatliche Kontrolle und Willkür hat das aber nichts zu tun. Freiheit wird im Rechtsverkehr mit anderen Trägern dieser Freiheit beschränkt. Der Staat ist kein Träger dieser Freiheit, er ist der potentielle Gegner, der die Freiheit aufgrund seiner Natur einschränken will. Genau deswegen ist der Satz von der Modeerscheinung Freiheitsrecht so skandalös.