„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Das sagte der SPD-Vorsitzende Otto Wels heute vor 80 Jahren, am 23. März 1933, vor der Abstimmung über Hitlers Ermächtigungsgesetz. Es gilt zurecht als die letzte freie Meinungsäußerung im deutschen Reichstag, und als Abgesang auf die weimarer Demokratie und Verfassung. Und es ist das am häufigsten in diesem Zusammenhang genutzte Zitat. Was geschah aber wirklich an jenem Donnerstag in der berliner Kroll-Oper? Welche Bedeutung hat das Ermächtigungsgesetz jenseits aller lauten Medialen GedenkRhetorik? War dieses Gesetz, das die Demokratie abschaffte, wirklich legal, und warum haben die bürgerlichen Parteien ihm zugestimmt?
Wenn man heute in Dokumentarfilmen und Schulbüchern, in Radiosendungen und Hintergrundgesprächen an das Ermächtigungsgesetz erinnert, wird man eine Argumentation immer wieder hören: Mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, aus Versprechungen und Drohungen erreichte Adolf Hitler die Zustimmung der bürgerlichen Mitte zu seinem Ermächtigungsgesetz. Sie hegten die Hoffnung, dass Hitler sich an seine Zusagen hielt und einen Rest bürgerlichen Lebens, bürgerlicher Rechte und demokratischer Entwicklung erhalten würde. Die Bürgerlichen Parteien, allen voran das Zentrum, seien von den Nationalsozialisten getäuscht worden, heißt es. Außerdem habe man mit der Zustimmung zu einem ordentlichen Gesetz die Nazis auf einer legalen Linie halten wollen, die Revolution abschwächen wollen, von der Hitler dauernd sprach. Zähneknirschend gaben die letzten lebenden bürgerlichen Abgeordneten von Damals vor wenigen Jahren zu, dass sie sich geirrt hätten, dass sie zu naiv gewesen seien. In den sechziger Jahren behaupteten sie noch, mit ihrer Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz hätten sie denjenigen das Leben gerettet, die das Gesetz abgelehnt hätten, den Abgeordneten der SPD nämlich. Eine kaum zu überbietende Unverschämtheit und Dreistigkeit, denn viele SPD-Abgeordnete überlebten die Nazi-Herrschaft nicht. Überhaupt ist die Argumentation und Entschuldigung der bürgerlichen Parteien eine Farce. Drohungen und Zusagen schließen sich gegenseitig aus. Wieso sollte man den Zusagen eines Mannes ohne Skrupel glauben, der schon gezeigt hat, dass er Drohungen ohne Rücksichten in die Tat umsetzt und ihm also irgendwelche Zusagen völlig egal sind?
Sicher: Am Nachmittag des 21. März 1933 fühlten sich alle Abgeordneten des Reichstags bedroht, die nicht den Nationalsozialisten oder den Deutschnationalen angehörten. Die SS hatte das Gelände der Oper weiträumig abgesperrt, und auch im Sitzungssaal selbst waren SA-Kolonnen aufmarschiert. Hinter dem Podium hing eine riesige Hakenkreuzfahne. Von den 120 gewählten Abgeordneten der SPD waren bereits 26 nicht mehr erschienen, sie waren entweder tot, verhaftet oder untergetaucht. Die 81 Abgeordneten der KPD hatte man bereits ihres Mandats für verlustig erklärt. Jeder sozialdemokratische Abgeordnete wusste, dass sein Leben bei Erscheinen in der Kroll-Oper an einem seidenen Faden hing. Aber unentschuldigt fernbleiben konnten sie auch nicht. Denn der Reichstag hatte mit Zustimmung der bürgerlichen Parteien eine Änderung der Geschäftsordnung beschlossen. Jeder unentschuldigt fehlende Abgeordnete galt als anwesend. Zu den unentschuldigt fehlenden Abgeordneten gehörten auch jene der KPD, die bereits verfolgt wurden, und jene 26 der SPD, die bereits tot, verhaftet oder geflohen waren. Das zur Debatte stehende Ermächtigungsgesetz war ein verfassungsänderndes Gesetz. Einem solchen Gesetz mussten zwei drittel der anwesenden Abgeordneten zustimmen, und es mussten mindestens zwei drittel der gesetzlichen Mitglieder des Reichstages anwesend sein. Wenn die SPD der Abstimmung ferngeblieben wäre, ebenso die KPD, dann hätte es nur noch weniger mutiger Abgeordneter des bürgerlichen Lagers bedurft, um die Abstimmung ungültig werden zu lassen. Deshalb hatte Hitler die Geschäftsordnung so abändern lassen, dass unentschuldigt fehlende Abgeordnete als Anwesend galten. Unentschuldigt war, wer, egal aus welchen Gründen, keine Entschuldigung eingereicht hatte. Diese Geschäftsordnungsänderung allein wäre heute wohl vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden, damals galt sie aber als legal. In den letzten Wochen vor dem Zusammentritt des Reichstages war einiges geschehen. Nicht nur wurde die KPD verfolgt und die sozialdemokratische Presse verboten, sondern es wurden auch nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 durch Notverordnung des Reichspräsidenten viele Grundrechte suspendiert. Als vorübergehende Maßnahme war das legal, nicht aber als Dauerzustand. Außerdem hatten die Nazis mit Hilfe dieser Verordnung auch die Gleichschaltung der Länder betrieben. Landesregierungen waren abgesetzt worden und durch Reichskommissare ersetzt worden, ebenfalls noch offiziell als vorübergehende Maßnahme. Jeder Abgeordnete konnte an diesem Donnerstag bereits wissen, dass Hitler und seiner Regierung verfassungsmäßige Verhältnisse egal waren, dass sie die Macht wollten. Es war auch klar, dass die Macht nur mit Hilfe der Bürokratie, der Beamtenschaft und des Militärs zu haben war. Vorübergehend brauchte man auch den Reichspräsidenten, den greisen Feldmarschall von Hindenburg noch. Darum musste die Machtübergabe an die Nazis legal aussehen. So brachte die Regierung ein Ermächtigungsgesetz ein, das der Reichsregierung die Vollmacht zur Gesetzgebung gab. Gesetze konnten also künftig ohne Zustimmung des Parlaments von der Regierung erlassen werden. Außerdem konnten die von der Regierung beschlossenen Gesetze von der Verfassung abweichen. Nur die Einrichtung des Reichstages und des Reichsrates, der Vertretung der Länder, sowie die Stellung des Reichspräsidenten waren davon ausgenommen. Das waren die Zugeständnisse, die Hitler offiziell den bürgerlichen Parteien machte. Außerdem sicherte er dem Zentrum den Einfluss der katholischen Kirche auf Erziehung und Bildung zu.
Warum haben die Abgeordneten des Zentrums und der kleinen liberalen Parteien wie der deutschen Staatspartei Hitler geglaubt? Warum stimmten Männer wie Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident, Ernst Lemmer, der spätere CDU-Politiker und Reinhold Maier, der später Ministerpräsident von Baden-Württemberg wurde, diesem Gesetz zu, das ganz klar in die Diktatur führte, wie man an der Behandlung der Landesregierungen durch das Reich bereits erkennen konnte? Im Reichstag sagte Maier: „Wir fühlen uns in den großen nationalen Zielen durchaus mit der Auffassung verbunden, wie sie heute vom Herrn Reichskanzler vorgetragen wurde […]. Wir verstehen, dass die gegenwärtige Reichsregierung weitgehende Vollmachten verlangt, um ungestört arbeiten zu können […]. Im Interesse von Volk und Vaterland und in der Erwartung einer gesetzmäßigen Entwicklung werden wir unsere ernsten Bedenken zurückstellen und dem Ermächtigungsgesetz zustimmen.“ Ähnlich hatte sich zuvor Prälat Ludwig Kaas, der Vorsitzende des katholischen Zentrums, geäußert. Natürlich war die Not in Deutschland groß, und alle waren die dauernden Regierungskrisen leid, aber die Zusage einer guten Behandlung der katholischen Kirche allein kann die Parteien doch nicht dazu bewogen haben, ihre Macht vollkommen aus der Hand zu geben. Man muss bedenken, dass Hitler auf diese Parteien angewiesen war. Er brauchte sie, um die Macht nicht mit Gewalt erobern zu müssen, was ihn die Unterstützung weiter Teile des Beamtentums und der Arbeiterschaft gekostet hätte. Außerdem wäre auch das Ausland viel früher misstrauisch geworden, und in der militärischen Führung, die sowieso die Kampfverbände der SA und der SS mit Misstrauen betrachtete, hätte es vermutlich mehr Zurückhaltung gegenüber der neuen Regierung gegeben. Ohne die Zustimmung des Zentrums blieb Hitler der Weg zur legal scheinenden Diktatur verwehrt. Das Zentrum war mit seinen 73 Abgeordneten nach der NSDAP, der SPD und der inzwischen suspendierten KPD die viertstärkste Kraft im Reichstag, stärrker noch als die mit Hitler koalierenden Deutschnationalen, die nur über 52 Sitze verfügten. Ohne das Zentrum hätte Hitler niemals die zweidrittel-Mehrheit für sein Ermächtigungsgesetz erhalten. Warum also stimmte das Zentrum zu, das es in der Hand hatte, die weimarer Demokratie zu retten? Ich nehme an, dass es in Wahrheit andere Gründe waren als die, die uns bislang immer von Medien und Historikern um die Ohren gehauen werden. Da wäre zunächst die tief verwurzelte Angst vor dem gottlosen Marxismus, also eine zumindest teilweise Übereinstimmung mit den harten Maßnahmen gegen die KPD. Zum Anderen möchten Leute, die geschäftliche Interessen haben, Ruhe auf den Straßen. Der Straßenterror der Kampfverbände vor allem der NSDAP störte die Geschäfte erheblich. Der Gedanke war vermutlich, dass ein geordnetes Geschäfts- und Gesellschaftsleben wieder möglich wurde, wenn Hitler sein Ziel erreicht und die Macht errungen hatte. Außerdem galt die weimarer Demokratie vielen als ineffektiv und bürokratisch. Die innere Zustimmung zu diesem Krisenstaat war inzwischen gering geworden. Hitler selbst formulierte in seiner Begründungsrede zum Ermächtigungsgesetz: „Die Zahl der innerlich auf dem Boden der Weimarer Verfassung stehenden Deutschen war trotz der suggestiven Bedeutung und rücksichtslosen Ausnutzung der Regierungsgewalt am Ende nur mehr ein Bruchteil der gesamten Nation.“ Prälat Kaas und eine Mehrheit der Zentrumsfraktion war außerdem innerlich mit den Nationalsozialisten verbunden. Er strebte eine Nationale Sammlungsbewegung unter einer autoritären Führung an, wenn er auch bestimmte Auswüchse der von Hitler beschworenen „nationalen Erhebung“ ablehnte. Diese Bedenken stellte das Zentrum aber zurück und unterstützte das Ermächtigungsgesetz. Von seinen Mitgliedern verlangte das Zentrum Disziplin und Zustimmung. Viele Abgeordnete hatten wohl auch Angst um ihr Leben. In dieser Situation zu behaupten, man habe Hitlers Zusagen vertraut, kann nur eine Lüge sein. Hitler lehnte den Parlamentarismus und die Menschenrechte ab und machte kein Hehl daraus.
Nur die SPD stimmte gegen das Gesetz, und das, obwohl bereits ein fünftel ihrer Fraktion vertrieben, verhaftet oder ermordet worden war. Angesichts der Feigheit der bürgerlichen Parteien ist der Mut der Sozialdemokraten noch mehr zu bewundern. Allerdings nützte ihr Opfer nichts. Mit 444 Ja-Stimmen, nur 12 mehr als erforderlich, nahm der Reichstag das Ermächtigungsgesetz an. Die Zustimmung des Reichsrates war angesichts der bereitts gleichgeschalteten Länder nur eine Formsache. Hitler hatte auf scheinbar legalem Wege die Macht erobert, die Unterstützung der meisten Eliten war ihm damit sicher.
Bis heute wird oft behauptet, eine Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag, oder eine Zustimmung mit weniger als zwei dritteln der Stimmen hätte an Hitlers Herrschaft nichts mehr geändert. So äußerte sich später vor allem Prälat Kaas. Aber das ist falsch. Durch das Ermächtigungsgesetz hatte Hitler die offizielle Macht, selbst Gesetze zu errlassen, die von der Verfassung abweichen konnten. Er musste sich um keine einzige gesetzliche Bindung mehr kümmern. Alles was er tat war von nun an in den Augen der entscheidenden Eliten legal. Binnen weniger Wochen brach Hitler die meisten der von ihm gemachten Zusagen. Die Länder und der Reichsrat wurden abgeschafft, ein Jahr später auch der Reichspräsident: Nach dem Tode Hindenburgs übernahm Hitler dessen Befugnisse selbst. Die katholische Kirche wurde bedrängt, die evangelische Kirche gleichgeschaltet. Alle Parteien bis auf die NSDAP wurden verboten und so der Reichstag zum bloßen Jubelorgan der Nazis herabgewürdigt. Das alles hätte ohne das Ermächtigungsgesetz zumindest nicht scheinlegal geschehen können. Jeder Beamte hätte weniger Gewissensnöte gehabt, auch später jeder Soldat, weil Hitlers Herrschaft eben keine Herrschaft des Rechts gewesen wäre, nicht einmal dem äußeren Anschein nach. Gerade die Beamten mussten annehmen, dass sie zur Treue gegenüber einer Regierung verpflichtet waren, die ihre Gesetze auf rechtmäßigem Wege erließ, aufgrund eines korrekt zustandegekommenen Gesetzes nämlich. Wenn für eine gewisse Zeit faktisch die Herrschaft des Nationalsozialismus auch nicht verhindert worden wäre, so hätte doch das von Hitler als notwendig empfundene Legalitätsprinzip einen echten Dämpfer erhalten. Es hätte ein Signal für die Gegner des NS-Regimes sein können, wenn der Reichstag die Zustimmung zum Diktaturgesetz trotz aller Geschäftsordnungstricks, Verfolgungen und Verhaftungen verweigert hätte. Diese Entscheidung hatten Prälat Kaas und seine Zentrumspartei und die bayerische Volkspartei mit ihren 19 Stimmen in der Hand. Auch sie allein hätte das Ermächtigungsgesetz verhindern können. Dass sie es nicht taten ist ihre Schuld und ihre Verantwortung.
Die Frage, ob das Ermächtigungsgesetz überhaupt legitim war, ob es überhaupt verfassungskonform war, scheint angesichts der Tragweite des Ereignisses und des Versagens der Politiker jener Zeit von untergeordneter Bedeutung. Doch gibt es auch heute noch Revisionisten, die behaupten, Hitlers Regierrung sei legal gewesen. Meiner Ansicht nach ist das nicht wahr. Das Ermächtigungsgesetz enthielt einen Satz, der nicht verfassungskonform sein konnte, weil sonst jede Verfassung zur reinen Makulatur verkäme. Der Satz steht in Artikel 2 des Gesetzes und lautet: „Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben.“ Wenn eine Verfassung einer Regierung durch ein Gesetz die Erlaubnis gibt, von ihr, der Verfassung, einfach so abzuweichen, wozu braucht man noch eine Verfassung? Wozu gibt es verbriefte Rechte, wozu wird auf dem Papier das Recht der Regierenden eingeschränkt, wenn man doch mit einer einfachen Abstimmung dafür sorgen kann, dass die Regierung keine Regeln mehr beachten muss? Ein solches Gesetz kann schon deshalb keine Gültigkeit haben, weil es die Verfassung, die es erst ermöglicht hat, obsolet macht. Keine Verfassung kann es zulassen, dass einer Behörde oder Institution absolute Macht gegeben ist, denn Verfassungen sind per se Beschränkungen absoluter Macht. Das ist quasi ihr Daseinszweck. Wenn absolute Macht gewünscht wird, braucht man keine Verfassung. Es war also ganz bestimmt nicht verfassungskonform, ein Gesetz zu ermöglichen, das es erlaubte, dass der Verfassung selbst keine Beachtung mehr geschenkt werden musste. Das mochte legal ausgesehen haben, kluge Rechtstheoretiker und Juristen hätten aber schon damals erkennen müssen, dass die Legalität der Ermächtigung nur vorgetäuscht war. Das beweist, dass auch der Berufsstand der Juristen erhebliche Mitschuld auf sich geladen hat.
Ich habe in den letzten Tagen die ZDF-Verfilmung „Unsere Mütter, Unsere Väter“ gesehen, in der das Leben von 5 ganz normalen jungen Deutschen im Krieg geschildert werden sollte. Am Ende waren sie alle Opfer, Täter gab es keine, obwohl der Film beanspruchte, einen realistischen Einblick in die damalige Lebenswelt zu liefern. Es ist das Dilemma all unserer Medien, all unserer Veröffentlichungen. Sie dienen immer dazu, die deutsche Schuld an Krieg und Holocaust zu vermindern oder die individuellen Täter als Monster darzustellen. Womit wir überhaupt nicht klar kommen ist unsere Alltagsschuld, die jedem von uns und jedem unserer Vorfahren schwerer wiegt als die Fakten und Tatsachen im großen Stil. Die Schuld beginnt nicht mit dem Ermächtigungsgesetz, aber es ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Barbarei des Nationalsozialismus. Wir täten gut daran, uns einmal endlich dieser Schuld zu stellen, wirklich, ohne Ausflüchte, ohne Erklärungen, einmal klar zu erkennen, dass ganz normale und ehrenhafte Deutsche wie Theodor Heuss und Reinhold Maier zu feige waren, sich gegen das Ermächtigungsgesetz auszusprechen, dass viele der SD- und SS-Offiziere gebildete Bürger waren, nicht von Natur aus Monster, dass der Hass auf Juden in der Mitte der deutschen Gesellschaft lebte, dass es Flucht aus der Verantwortung ist, die Täter immer als außergewöhnliche Menschen darzustellen. Mein Großvater und Ihr Großvater hätte ein SS-Offizier sein können, er hätte möglicherweise ohne Widerspruch tausende von Juden, Russen, Polen oder Jugoslawen ermordet haben können. Das ist die Schuld, die wir einmal anerkennen müssen. Diese Schuld liegt bei jedem Juristen, der sich nicht gewehrt, bei jedem Beamten, der sich nicht verweigert und bei jedem Abgeordneten, der seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz gegeben hat, heute vor 80 Jahren.
p. S.: Ich habe bei diesem Beitrag auf Links im Text verzichtet, weil mich das weitere Stunden Arbeit gekostet hätte. Ich möchte Ihnen daher zwei Links ans Herz legen, durch die Sie alles erfahren können, was es übe das Ermächtigungsgesetz zu wissen gibt:
’nabend Jens,
das ist wieder ein hervorragend geschriebener Artikel. Herzlichen Dank dafür!
Alles erdenklich Gute für weitere Recherchen und Artikel!
Liebe Grüße
Christiane
Zwei literarische Hinweise möchte ich diesem hervorragenden Artikel hinzufügen:
1. „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada beschreibt eine Widerstandsaktion sogenannter „kleiner Leute“ im faschistischen Berlin sehr eindrucksvoll und plastisch.
2. „Der Untertan“ von Heinrich Mann zeigte schon 1908 Strukturen auf, die das Verhalten der Zentrumsfraktion im Reichstag und ihre Zustimmung zum „Ermächtigungsgesetz“ vorher erahnen lassen.
Was ic zudem erschreckend finde, ist die Verharmlosung des Nazi-Unrechts nach Ende des 2. Weltkriegs durch die bundesdeutsche Justiz. Dazu hat Prof. Dr. Joachim Perels aus Hannover beim letzten Verbandstag der Humanistischen Union (HU) in Kassel einen sehr bedrückenden Vortrag gehalten. Auch die Nachkriegs-Justiz hat sich nicht gerade mit demokratischen Ruhm bekleckert.
Ich bezweifele, dass man alles zum 23.3.1933 in Wikipedia und durch Herrn Geiger erfaehrt – beispielsweise fehlen die (ungefilterten) Aussagen der Gegenseite.
Allerdings bin ich kein Experte auf dem Gebiet – im Gegenteil. Ich begnuege mich deshalb mal mit der Verlinkung der Komplettrede von Adolf Hitler an jenem Tag in der Kroll-Oper, die ich *selbst noch nicht gelesen* habe, was die beste Objektivitaetsvoraussetzung zur Weiterleitung sein sollte.
Leider gab es sie nicht auf YouTube, nur die von 1940. Hier aber die von 1933:
http://de.metapedia.org/wiki/Quelle/Rede_vom_23._M%C3%A4rz_1933_(Adolf_Hitler)
Ich poste das aus dem Grund, da natuerlich auch im WDR-Zeitzeichen das heutige Thema „Ermaechtigungsgesetz vom 23.3.1933“ war und in dieser Kurzsendung auch die Rede kurz eingeblendet wurde. Die Laenge und Art der Einblendung duerfte sich allerdings kaum von den 90-Minuten-Dokus unterscheiden.
Hier noch das WDR-Zeitzeichen, da ich es ja genannt habe:
http://medien.wdr.de/radio/zeitzeichen/WDR5_Zeitzeichen_20130323_0920.mp3
Immerhin erwaehnt man, dass es bereits vorher Ermaechtigungen gab, die allerdings „gut gemeint“ gewesen seien – wie auch immer: kann sich ja jeder selbst anhoeren – abgesehen davon natuerlich, dass es heute wieder diesbezueglich und mengenmaessig im TV rund gehen wird – vermute ich, da ich selbst lange kein TV mehr habe.
Abschliessend kann ich wirklich nicht finden, dass die deutsche Schuld klein geredet wird – im Gegenteil: sie wird stetig aufrecht erhalten und seit weit ueber 60 Jahren (fast 70 wuerde ich sagen) beinahe taeglich in Erinnerung gerufen. Fuer einen heutigen Neugeborenen wird das, wenn das so weiter geht, in etwa so sein, als ob wir ueber 45jaehrigen stetig an entsprechende Vorfaelle aus den 1880ern mit dem bekannten Nachdruck erinnert wuerden.
Fuer weiteres muss ich an diejenigen verweisen, deren Steckenpferd diese Thematik ist, also auch entsprechendes Material griffbereit haben und wissen wo sie suchen muessen.
Ich bin allerdings der Ansicht, dass man der Sache betreffend *UNEINGESCHRAENKT* jede Seite gleichermassen zu Wort kommen lassen sollte, wenn man denn tatsaechlich an Information/Aufklaerung interessiert ist.
Hier endet mein Kommentar.
Ach Thorn: Man erfährt nie *alles* über eine Sache, ich weiß z. B. nicht, was es an diesem Mittag zum Essen in der Kroll-Oper gab. – Was ich weiß ist, dass Hitlers Rede überall im Internet frei verfügbar ist. Natürlich habe ich sie gelesen, ich habe sie als Tondokument, sie ist auf manchen, frei verkäuflichen CD’s drauf, und auch die Antwortrede auf Otto Wels. Frei verkäuflich wohl bemerkt. – Dass sie da nicht ganz drauf ist, sondern nur in Auszügen, liegt daran, dass er eine ganze Weile über Einzelfragen von Wirtschaft und Handel spricht, die für das Gesamtwerk unerheblich sind und nichts weiter aussagen. Es handelte sich halt um eine Regierungserklärung. Drohungen gab es nur am Schluss und in der zweiten Rede, die auf Wels folgte. Was damals geschah ist schon deshalb kaum umstritten, weil die Nazis gar kein Hehl daraus machten, dass sie die Demokratie abschaffen wollten. Das sagte Hitler ganz offen, ob es dir gefällt oder nicht.
Ich habe oben geschrieben, was mit „alles erfahren“ bspw. gemeint ist – sicher nicht das Mittagessen, sondern, wie es eben da steht, bspw. die andere Sichtweise.
Ich habe nicht geschrieben, dass Hitler ein Demokrat gewesen waere und auch nicht ob mir das gefaellt oder nicht.
Wie leicht man an welche Inhalte kommt, muss jeder fuer sich selbst bewerten. Da sind die Moeglichkeiten und Faehigkeiten unterschiedlich. Die oben verlinkte Rede ist sicher nicht sonderlich problematisch.
So, der 23.3. ist fast um – welcher Termin steht als naechstes an? Wir werden doch jetzt nicht etwa tatsaechlich bis zum 20.4. Ruhe von der Erinnerungsmaschine haben?
Pingback: Das “Ermächtigungsgesetz” wurde demokratisch beschlossen? – Michael Volkmann