Externe Experten in Ministerien verfassungswidrig, und keiner erfährt davon!

Ein kleiner Bericht im Spiegel und eine Pressemitteilung eines in seiner Fraktion wohl nicht besonders beliebten
Bundestagsabgeordneten der SPD ist alles, was mir über das Rechtsgutachten bekannt wurde, das die Anstellung von externen Mitarbeitern in Bundesministerien, die weiterhin von der Wirtschaft bezahlt werden, für verfassungswidrig hält. Warum sollte unsere Medien auch so etwas banales wie die Aushöhlung unserer Demokratie interessieren. Über Hooligans, die Ukraine, den islamischen Staat und die Weihnachtseinkäufe gibt es ja genug zu berichten.

Dem SWR liegt offenbar ein Rechtsgutachten des Juristen Prof. Dr. Bernd Hartmann vor, das er jedoch nicht veröffentlicht. Dieses Rechtsgutachten hält das Austauschprogramm „Seitenwechsel“, das die Bundesregierung mit den Wirtschaftsverbänden seit 2004 betreibt, für verfassungswidrig. Seitenwechsel ist ein nettes kleines Austauschprogramm für Wirtschaftsvertreter, die ein paar Monate lang, manchmal auch zwei Jahre, in den Staatsdienst wechseln. Natürlich werden sie in den Ministerien in ihren Fachbereichen eingesetzt, und sie arbeiten Gesetze aus, die ihre Branche betreffen. So gibt es Vertreter der Fluggesellschaften oder von Flugzeugbauern, die über Lärmschutzvorschriften befinden, Versicherungsvertreter, die Gesetze zum Thema Verbraucherschutz schreiben und vieles mehr. Natürlich werden auch Vertreter der Autobranche eingesetzt, um die Umweltbelastung durch Autos oder andere
verkehrspolitische Maßnahmen zu regulieren. Dies ist seit 2004 offiziell gängige Praxis. Da es sich um ein Austauschprogramm handelt, gehen auch Staatsbedienstete für kurze Zeit in die Privatwirtschaft und können dort schon mal ihr soziales Netz für die Zeit nach dem Staatsdienst aufbauen und pflegen. So ist für jeden gesorgt, zumindest jeden, der nennenswert gewesen wäre.

Nun kommt also dieser Jurist, Bernd Hartmann, und behauptet, das Programm sei verfassungswidrig. Es komme zu einem Interessenskonflikt, weil die externen Mitarbeiter der Ministerien noch von ihren alten Arbeitgebern bezahlt würden und deren Interessen in den Ministerien vertreten würden. Das Rechtsstaatsprinzip verlange aber eine Verwaltung, die sich am Allgemeinwohl orientiere, und das sei bei dieser Praxis nicht mehr gegeben.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow aus Dortmund fordert in einer Presseveröffentlichung, das Programm sofort zu beenden. Natürlich seien die Ministerien auf externen Sachverstand aus verschiedenen Branchen angewiesen, den könne man sich aber auch durch Anhörungen und Gutachten besorgen, meint der SPD-Querkopf. Seine Worte dürften ungehört bleiben, schon 2010 machte er sich mit seinem Buch „Wir Abnicker“ unbeliebt, in dem er schonungslos die Abhängigkeit der Parlamentarier von den Spitzen der Regierung und der Wirtschaft offenlegte. Bei dem mangelnden Interesse der Medien kann die Bundesregierung das Gutachten einfach aussitzen.

Die Episode zeigt wiedereinmal, wie sehr unsere Demokratie am Ende ist. Dabei trifft die Schuld nur zu einem geringen Teil die Unternehmen. Die versuchen natürlicherweise, ihre Interessen in der Politik zu vertreten, und wenn ihnen die Bundesregierung das so leicht macht, würden sie sich fast geschäftsschädigend verhalten, wenn sie ihre Chancen nicht nutzten. Das Problem ist einerseits die Bundesregierung, die mit diesem Verfahren langwierige Anhörungen und teure Gutachten spart, dabei aber die Neutralität des Staates verhökert, und andererseits die Medien und die
Zivilgesellschaft, die sich durch das Gutachten zur Verfassungswidrigkeit des Austauschprogramms zu keinerlei Protestreaktion verleiten lassen. Viele Gesetze werden heutzutage im Interesse einer kleinen Klientel gemacht, und den meisten ist es nur ein Achselzucken wert.

Das ist eines der Merkmale der sogenannten Postdemokratie, wie sie vom britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch beschrieben wird. Demnach ist die Postdemokratie ein System, in dem die demokratischen Institutionen und Spielregeln formal weiter voll funktionsfähig sind, sich aber hinter der Fassade eine undemokratische, elitäre Machtstruktur herausgebildet hat, die politische Entscheidungen auf einen kleinen Kreis von Menschen verlagert, die selbst keine demokratische Legitimation besitzen. „Die Mehrheit der Bürger, so Crouch, „spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle“. Die Demokratie erleidet einen Substanzverlust, dabei „entwickeln sich politische Verfahren und die Regierung zunehmend in eine Richtung zurück, die typisch war für vordemokratische Zeiten: Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt zu, in der Folge ist das egalitäre Projekt zunehmend mit der Ohnmacht konfrontiert.“ Einer Ohnmacht, die zwar spürbar ist, aber deren Ursache von den betroffenen gesellschaftlichen Kräften nicht genau identifiziert wird“, erläutert der SPD-Abgeordnete Bülow.

Weder Internetplattformen wie abgeordnetenwatch.de, noch Bürgerrechtsorganisationen oder vereine wie „Mehr Demokratie e. V.“ können an der zunehmenden gleichgültigkeit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber unserem demokratischen System etwas ändern, und die Politik hat auch gar kein Interesse daran. Demokratie ist langwierig, lästig und kontrovers, und das stört nur beim Durchpauken einer als alternativlos bezeichneten politischen Linie. Solange die Medien ihrerseits kein Interesse mehr an der Aufdeckung dieser Zusammenhänge haben, braucht es nicht einmal irgendwelche Machtmittel, um den Aufschrei zu verhindern, der für eine Veränderung der Situation nötig wäre. Nicht einmal den Text des Rechtsgutachtens hat irgendeine Plattform bislang im Internet veröffentlicht. So funktioniert Postdemokratie.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Externe Experten in Ministerien verfassungswidrig, und keiner erfährt davon!

  1. Schon August von Hajek bezeichnete die Demokratie als hinderlich für die Wirtschaft. Der „Vater des Neoliberalismus“ rechtfertigte das Pinochet-Regime in Chile mit der Bemerkung, die Menschrechtsverletzungen seien zwar bedauerlich gewesen, aber die Wirtschaft wenigstens sei frei gewesen.
    fjh

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