Sieg ohne Zukunft

Die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen ist vorbei. Das Ergebnis ist nicht überraschend. Obwohl die Medien die Angst vor einem letztlichen Sieg von Marine Le Pen immer wieder aufschäumen wie kalt gewordenen kaffee, wird die Rechtspopulistin am Ende vermutlich dem jungen, dynamischen Emmanuel Macron unterliegen. Es mag noch nicht feststehen, aber es ist so gut wie sicher. Konservative und Sozialisten unterstützen ihn in der zweiten Runde. Wiedereinmal, so tönt es aus dem Blätter- und Mikrofonwald, hat der Populismus von rechts eine Niederlage erlitten.

Diese Analyse täuscht über einen ganz anderen, viel wichtigeren Befund hinweg: Wir haben keine linken Alternativen mehr. Macron ist ein pro-europäischer Wirtschaftsliberaler. Einen seriösen, alternativen, linken Kandidaten gibt es in dieser Wahl nicht. So war es auch schon in den Niederlanden: Die Alternative zur Freiheitspartei von Geert Wilders hieß Mark Rutte, und der ist ebenfalls ein Wirtschaftsliberaler. Ein Twitterer brachte es nach der sonntäglichen ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl auf den Punkt: „Massive Sparpolitik gegen massive Sparpolitik mit rassistischem Einschlag, Steuersenkungen für Reiche gegen Steuersenkungen für Reiche mit rassistischem Einschlag.“ Das sind die Alternativen bei der Stichwahl am 7. Mai.

Die linke Utopie ist zum zweiten mal in 30 Jahren gestorben. Und ohne Utopien haben wir nur noch Gegenwart, aber keine Zukunft mehr. Was übrig bleibt sind populistische Wirrköpfe, die ein paar der Verunsicherten und Abgehängten für sich gewinnen mit ihren Thesen, die ähnlich krude sind wie die auf der rechten Seite des politischen Spektrums. Aber niemand glaubt mehr an eine linke Alternative.

Wenn man fragt, was die Menschen bewegt, dann ist es die persönliche Sicherheit und der allgegenwärtige Fetisch der Erwerbsarbeit. Von den Linken bis zu den Rechtsnationalen glauben alle, dass das Leben nur mit schwerer Erwerbsarbeit wertvoll ist, zumindest dann, wenn man es sich nicht leisten kann, sein Kapital für sich arbeiten zu lassen. Konzepte wie eine 30-Stunden-Woche, höhere und gerechte Kapitalsteuern, ein gesichertes Grundeinkommen und eine Arbeit als Mittel zur Gestaltung des persönlichen Lebens nimmt keiner mehr ernst. Aller Fortschritt, den die gemäßigte Sozialdemokratie einst für die Arbeiterklasse erworben hat, schwindet dahin, geht unter in der entpolitisierten, entpersonalisierten, grauen Welt moderner Arbeitssklaverei unter dem Deckmantel persönlicher Freiheit. Wir amüsieren uns zu Tode, um die soziale Frage nicht stellen, und schon gar nicht, um sie beantworten zu müssen.

In Frankreich jubeln nun alle Monsieur Macron zu, der die Herrschaft der Marine Le Pen verhindern soll. Er ist die einzige sogenannte realpolitische Alternative. Die soziale Frage wird er nicht lösen, nicht die Jugendarbeitslosigkeit, nicht die Armut, nicht die Ausgrenzung wirksam bekämpfen können. Den Mut, an den Stellschrauben der Verteilung zu drehen, hat niemand mehr. Die Staaten sind zu Konzernen verkommen. Und natürlich spüren die Wähler das. Deshalb wird der radikale Populismus von rechts und von links auch in Zukunft Zulauf erhalten. Uns fehlen eine Utopie, ein Ziel und ein irgendwie gangbarer Weg dorthin, der Menschen überzeugen kann. Uns fehlen ehrliche, kantige, nicht durchgestylte Politiker, die eine solche soziale Utopie glaubwürdig vertreten können.

Am 24. September wird der nächste Bundestag gewählt. Auch hier fehlt uns die linke Alternative, zumindest die, die ein ernsthaftes, nachhaltiges, stichhaltiges Konzept vorlegen würde. Jeder Sieg von rechts gegen rechtsaußen ist nur die Verhinderung der schnellen Katastrophe, aber keine gangbare Alternative. Ohne solche Alternativen aber, geht die Demokratie zugrunde, die nicht davon lebt, dass sich alle in der Mitte drängen, sondern vom ernst gemeinten, regelbewussten und auch heftigen Streit zwischen Utopien auf der gemeinsamen Grundlage eines politischen Wertekanons.

Aber wem sag ich das? Wer versteht mich überhaupt noch? Vermutlich spreche ich nur gegen eine Mauer aus Unverständnis und Herablassung oder Gleichgültigkeit. Also freut euch über den wahrscheinlichen Sieg von Emmanuel Macron über Marine Le Pen, oder den vermutlichen Sieg von Angela Merkel oder Martin Schulz über Alexander Gauland und seine Anhänger. Es ist ein schaler Sieg ohne Zukunft, ohne Gestaltungsspielraum, ohne Perspektive.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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2 Antworten zu Sieg ohne Zukunft

  1. Ich verstehe dich, denn Du hast das Dilemma völlig auf den Punkt gebracht. Es ist – zumindest für mich – keine weltweit optimistisch stimmende linke Bewegung erkennbar. Überall Reform“sozialisten“ und machthungrige „Real“-Politiker. Wie so oft in der Geschichte ist die Linke genau dann kopflos und gespalten, wenn die Gefahr am größten ist. Kein Konzept, keine Antwort auf existentielle Fragen, keine Zielvorgabe in wichtigen politischen Themen.
    Unsereiner steht dann (wie die Türken) nur noch vor der Wahl des jeweils kleineren Übels oder der resignierenden Entscheidung, es ganz zu lassen. Wobei es schon fragwürdig ist, zwischen Pest und Cholera entscheiden zu müssen. Letztlich reduziert sich das auch wie richtig aufgezeigt auf schale Siege, die nichts weiter sind als weitere Leichentücher für ein System, dass auf diese Weise am Leben erhalten wird. Linke Alternativen? Nicht vorhanden oder (fast) unhörbar.
    Ich bin pragmatisch bei jeder Wahl: Meine Stimme ist für den Gewählten Geld wert. Wessen Arbeit möchte ich damit belohnen oder fördern? Ich schaue da zuerst nach den vermutlich linken 0,5% Parteien. Vielleicht hilft meine Stimme, die linken Alternativen hörbarer zu machen. Vielleicht.

  2. Ronald sagt:

    Sehr überzeugend, mit Sarkasmus und Verzweiflung. So ist die Welt leider und Du hast verdammt Recht ! Interessant wäre für mich mal, wie Du Dir eine linke Alternative konkret vorstellen würdest. Wie sollte sich aber eine linke Kraft entwickeln, wenn Medien, Politiker, Lehrer etc. die Idee von einer gerechten Welt ständig verunglimpfen und diskreditieren ? Die Anhänger sozialer Utopien werden immer in der Minderheit bleiben, Dein Beitrag erklärt ja auch warum.
    Grüße aus dem Vogtland
    Ronald

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