Seit AfD und Pegida in Deutschland groß geworden sind, seit die teilweise hasserfüllten Auseinandersetzungen nicht mehr nur noch in den Zeitungen, sondern auch am heimischen Küchentisch und im Freundeskreis beim abendlichen Drink stattfinden, stellt sich immer wieder die frage, wie man mit dem Rechtsextremismus, seiner Aggression, seiner Gewaltbereitschaft und mit den Menschen, die ihn verkörpern umgehen soll. Soll man „mit Rechten reden“, so der Titel eines populären Buches von Per Leo, Daniel-Pascal Zorn und Maximilian Steinbeis, oder soll man es lassen? Ich habe mir diese Frage auch schon oft gestellt, sowohl in meinem Blog als auch bei Kommentaren für den Ohrfunk.
Vor wenigen Tagen erhielt die Debatte neue Nahrung. Der Journalist Raphael Thelen hatte für das SZ-Magazin 18 Monate lang den AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier begleitet und nach Veröffentlichung seines Portraits von linker Seite Prügel bezogen, die sich teilweise in der Wortwahl nur unwesentlich von den gehässigen Hassbotschaften und Verleumdungen der Rechten unterschied. Dabei ist Thelens Text nichts anderes als ausführlich, beschreibend, strikt nicht wertend und durchaus informativ. Der Vorwurf, er würde mit Nazis Kuscheln und bewerbe sich bereits für das Amt eines Schriftleiters nach der AfD-Machtergreifung ist mithin weit übertrieben.
Natürlich muss die Frage nach dem Sinn solcher Reportagen erlaubt sein. 18 Monate lang begleitet ein Journalist einen Mann, der in seinem Weltbild ein Feind der freien Meinungsäußerung, der freien Presse, der bürgerlichen Vielfalt und der demokratischen Staatsverfassung ist. Er macht daraus auch kaum ein Hehl. Die freie Presse gewährt den Leserinnen und Lesern so einen akzeptierenden Einblick in die Innenwelt ihrer Feinde, und der Journalist gerät bei der Recherche und dem persönlichen Kontakt schnell in die Gefahr, sich zu sehr dem Gesprächspartner anzunähern. So entstehen scheinbar interessante Homestories über den verharmlos Verleger genannten Neonazi Götz Kubitschek oder andere Größen der Neurechten Bewegung. Beim Lesen empfindet man sie dann als etwas seltsam, vielleicht ein wenig abgedreht, aber man hält sie eher nicht für gefährlich. Welchen Erkenntnisgewinn haben solche groß aufgemachten, mehrseitigen Berichte dann?
Außerdem muss man deutlich sagen, dass der Wunsch, auch die Feinde und Gegner fair zu behandeln, gleichzeitig dazu führt, dass man in der Presse die wahren Helden unserer Zeit vergisst. Wo steht ein Portrait über den Alltag eines Seenotretters, einer Krankenschwester, einer Antifa-Aktivistin oder eines aufrechten Opferanwalts. Fair wäre dann eben auch, dass auch sogenannte rechte Zeitungen solche Portraits schreiben würden, wie liberale Zeitungen große Storys über rechte Führungsfiguren schreiben. Es geht also hier gar nicht um Fairness, da sie nichts ist, worauf sich alle Beteiligten einigen können. Es geht darum, dass Journalismus in jedem Falle eine Aufgabe hat: Berichten, was schief läuft im Land, den Finger auf die Wunde zu legen, sachlich, klar und so wahr wie möglich zu informieren und aufzuklären und somit dazu beizutragen, dass es in einer demokratischen und liberalen Gesellschaft immer ein Korrektiv gibt.
Die Journalisten Sascha Lobo und Richard Gutjahr haben in den letzten Jahren davon berichtet, dass es in Einzelfällen etwas gebracht hat, mit Personen ins Gespräch zu kommen, die ihnen mit Hass und Gewaltdrohungen begegnet sind. Es gab hin und wieder sogar Menschen, die sich für Gewaltandrohungen entschuldigten. Wohl gemerkt, es geht nicht darum, dass sie ihre Meinung in der Sache änderten, sondern dass sie auf Gewalt als Kommunikationsmittel verzichteten. Daraus könnte man folgern, dass es durchaus lohnen könnte, mit Rechten zu reden, denn jede Entspannung im Gespräch entschärft das aufgeheizte Klima im Land. – Da ist etwas dran, und ich wäre der letzte, der sich im Einzelfall einem Gespräch verweigern würde. Nur habe ich leider oft die Erfahrung gemacht, dass von rechter Seite nur gesprächsangebote angenommen werden unter der Voraussetzung, dass ihre vorgefertigte Meinung als außergewöhnlich, kreativ, vom bösen Mainstream abweichend und damit als wahr akzeptiert wird. Wer das nicht tut, der ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls ein Volksverräter. Sogenannte „Rechte“ gehen fast nie offen in ein Gespräch, nie mit Neugier oder Interesse, immer mit dem missionarischen Bedürfnis, ihre Meinung auf ganzer Linie durchzusetzen, denn sie ist per Definition die einzig wahre Meinung. Natürlich gibt es, wie immer, Ausnahmen, aber die sind extrem selten. Deshalb habe ich mich entschlossen, auf meinem Blog zum Beispiel eindeutig rechtsradikalen Propagandameinungen auch in den Kommentaren keine Stimme mehr zu geben. Sie haben kein Interesse an einem Dialog, bei dem beide Seiten auf die Argumente der anderen Seite eingehen, sie wollen nur ihre Meinung publiziert sehen, verbreiten und als Mainstream etablieren. Dabei jammern sie die ganze Zeit, dass ihre Meinung ja unterdrückt werde, obwohl sich rechte Politiker nahezu in jeder Talkshow tummeln und in jedes Mikrofon sprechen können. Der Opfermythos der rechtsextremen Zeitgenossen ist schwer erträglich. Aber nur als Opfer können sie die Solidarität verunsicherter Menschen einsammeln, ohne die sie selbst nur arme Würstchen wären.
Im Zuge der Debatte über die Frage, ob man denn mit Rechten reden müsse, verteidigen sich Journalisten, die einen erheblichen Zeit- und Geldaufwand betreiben, um diese einträglichen und Aufregung und damit Klickzahlen produzierenden Storys zu schreiben, oft mit dem Argument, man müsse auch die Gegner der Demokratie verstehen, müsse erfahren, wie sie ticken, und das könne man am besten in einem persönlichen Gespräch. Das ist aber meiner Meinung nach Unsinn. Die krasse, linke Gegenposition lautet: Man kann über Rechte reden, ohne mit ihnen zu sprechen. Sicher kann man das, aber man läuft Gefahr, nur im eigenen Saft zu kochen. Was also ist die Alternative? Man muss in der Tat nicht wissen, wie es bei Björn Höcke oder Götz Kubitschek am Abendbrottisch oder auf dem Bauernhof zugeht. Man muss nichts über ihre Hobbys, ihre Kinder und ihre Lieblingsautos erfahren. Dieser Schwachsinn verwässert die von diesen Leuten ausgehende Gefahr und macht sie zu kleinen, niedlichen Nachbarn, die sie weder sind noch sein wollen. Hin und wieder ist eine Darstellung der politischen Ziele der Rechten, manchmal auch in ihren eigenen Worten, durchaus angebracht. Das Problem des Rechtsradikalismus verschwindet nicht dadurch, dass man es totschweigt, dass man es nicht sehen, nicht analysieren will. Der Punkt ist nur, dass es einen Unterschied gibt zwischen politischer analyse und dem Versuch, auch den rechten Scharfmacher als ganz normalen Menschen darzustellen, der ja irgendwie auf seine verquere Art auch Teil unserer Lebenswirklichkeit ist, dem man Verständnis entgegenbringen kann. – Ist er aber nicht. Wer versucht, Rechtsextremismus als persönliche Abnormität des Einzelnen darzustellen, verkennt die Tatsache, dass er ein weit verbreitetes gesellschaftliches Phänomen ist, dem wir uns mit aller Kraft entgegenstellen müssen. Die liberale Gesellschaft hat keine Verpflichtung, Ideologien einen übermäßig breiten Platz in ihrer öffentlichen Debatte einzuräumen, die die freie Meinungsäußerung zerstören wollen, die Journalisten drohen, nach der Machtübernahme aus den Redaktionsräumen auf die Straße gezerrt zu werden, die Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen mit den übelsten Beleidigungen beschimpfen und generell viele Andersdenkende, die sich uneingeschüchtert äußern, mit dem Tode bedrohen.
Mein Fazit: Für eine gewisse Zeit kann es im persönlichen Umfeld sinnvoll sein, mit einer Person zu reden und zu debatieren, die rechtsextreme Meinungen vertritt, und natürlich müssen wir etwas über die Ziele und Inhalte rechter Politik erfahren. Aber mit Rechten reden, um ihr Innerstes auszuleuchten, sie als ganz normale Menschen zu zeigen oder ihr Menschenbild einer faszinierten Leserschar zu präsentieren, das müssen wir nicht. Sie sind es nämlich, die gar keinen Dialog oder Diskurs wollen. Sie wollen sich darstellen, sich ihren Anhängern präsentieren, ihre Ziele verbreiten, die im Kern menschenfeindlich sind. Der – wie gesagt – durchaus sachliche Text von Herrn Thelen hätte sich auf politische Inhalte beschränken und diese zumindest in den Kontext dessen stellen müssen, was in einer freiheitlichen Demokratie geht und was nicht. – Mit Rechten reden? Man sollte es besser lassen.