Der große Sprung 3: Fernsehtag

Vor 50 Jahren startete die erste Mondlandung. Leider habe ich damals nicht dabei sein können, ich war erst 155 Tage alt, als das Raumschiff abhob. Trotzdem fasziniert mich das Geschehen von damals. Auch der dritte Missionstag wäre für mich mit Ausnahme der Fernsehübertragung vermutlich recht langweilig geworden.

18. Juli 1969, Mitternacht in Houston, 5 Uhr deutscher Zeit. Wieder zieht das weiße Team im Kontrollraum ab, das schwarze Team übernimmt. Unter den Männern, die jetzt eine kurze und wohlverdiente Nachtruhe antreten, sind Bob Carlton, der als CONTROL-Officer für die Triebwerke der Mondfähre zuständig ist, Steve Bales, der Guidance Officer, der die Steuerungssysteme überwacht, und sein Gehilfe Jack Garman, der als Unterstützer in einem der sogenannten Hinterzimmer sitzt, einem Staff Support Room. Diese drei Männer wissen es noch nicht, aber in drei Tagen werden sie zusammen mit ihrem flugdirektor Gene Kranz die schwierigsten Minuten ihres Lebens durchzustehen haben, und sie werden dafür sorgen, dass die Mondfähre erfolgreich auf dem Erdtrabanten landet. Während die Fernsehstationen – vor allem die ausländischen – nur von einer Bilderbuchlandung sprechen, wird die Landung zweimal ganz knapp vor einem Abbruch stehen. Carlton (39 Jahre alt), Bales (26) und Garman (23) werden hinter den Kulissen die Helden des Tages werden. Schuld ist die pedantische Art, in der Flugdirektor Gene Kranz darauf besteht, auf wirklich alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. In 9 Monaten, wenn die Apollo-13-Mission beinahe zum Desaster wird, wird er sein Lebens- und Arbeitsmotto in dem Satz zusammenfassen: „Ein Fehlschlag ist nicht akzeptabel! (Failure is not an option)“ In diesem Moment aber gehen die Männer einfach nur nach Hause oder schlafen in den Gemeinschaftsräumen im Kontrollzentrum, während das schwarze Team eine Ereignislose Nacht verlebt.

Um 09:41 Uhr houstoner Zeit (14:41 Uhr deutscher Zeit) wurde die Raumschiffsbesatzung eine Stunde später als geplant geweckt. „Wie geht es dem grünen Team heute? War es eine ruhige Nacht?“ fragte Michael Collins nach dem Wecken. Bruce McCandless antwortete: „Es war sehr ruhig. Das schwarze Team beschwert sich, dass es keine Gelegenheit hatte, mit euch zu plaudern. Ron Evans wird hier immer mehr als der stille CapCom bekannt.“
„Das ist die beste Art, Bruce“, erwiderte Collins.

Dann machten sie sich wieder an die Hausarbeit. Sie entleerten das Schmutzwasser, also vor allem ihren Urin, in den Weltraum, der sich für eine Weile an Teilen der Raumkapsel niederschlug. Dann wurden wieder die CO-II-Filter ausgetauscht. Beim Frühstück hörte die Crew wieder Musik. Ansonsten befassten sie sich oft mit Verbindungsproblemen. Sie wechselten von ihren Rundstrahl- auf die Richtstrahlantennen, aber immer wieder mussten sie die Antennen nachjustieren.

Zur allgemeinen Erheiterung gab es die Nachrichten aus der Zeitung, darunter die Weltmeisterschaft im Porridge-Wettessen.
„Da können wir Buzz das nächste mal anmelden“, meinte Mike Collins. „Ist er so gut darin?“ wollte McCandless wissen.
„Er futtert hier schon seinen Teil.“
„Habt ihr nicht alle gerade gegessen?“
„Ich esse noch“, sagte Aldrin mit vollem Mund.

Die Stimmung unter den freundlichen Fremden an Bord war entspannt, Michael Collins war für den Humor zuständig, die Anderen genossen ihn schmunzelnd. Einige Minuten später sagte er bei einem Alarmton wegen eines kleinen Problems mit einem O2-Filter: „Der Masteralarm hat einen schönen Ton, man wünscht sich gleich mehr davon.“
Ich wage zu bezweifeln, dass seine Kollegen ihm da nach ihrem Mondflug noch zugestimmt hätten.

Zur Vorbereitung der Fernsehsendung, die zum Teil auch in der Mondfähre stattfinden sollte, wurde die Sonde entfernt, die beim andocken geholfen hatte.
„Mike hat das ziemlich gut gemacht mit dem Docking, die Sonde hat keine Delle und keinen Kratzer abgekriegt“, lobte Neil Armstrong. Aus seinem Mund war dies ein erhebliches Kompliment.

Schließlich öffneten sie die Mondfähre zum ersten mal. Da in beiden Raumfahrzeugen unterschiedliche Druckverhältnisse herrschten, musste der Kabinendruck erst angeglichen werden.

Die Fernsehsendung, die in den USA, Japan und Westeuropa ausgestrahlt wurde, begann gegen 23 Uhr deutscher Zeit, 18 Uhr in Houston. Die Astronauten zeigten auch öffentlich Bilder der Mondfähre, die in den Ländern, wo es bereits Farbfernsehausstrahlung gab, sehr gut zu sehen waren. „Kann sich Mike in der Fähre umsehen?“ wollte Charlie Duke, der derzeitige CapCom, wissen.
„Wir sind bereit, ihn rein zu lassen, aber er hat noch nicht gesagt, wie viel er bezahlen will“, entgegnete Armstrong.
„Er sollte aber seine Finger von den Schaltern lassen“, gab Duke zu bedenken.
„Wenn ich ihn dazu bringen kann, die Finger von meinem Computer zu lassen, kann er sich hier gern umsehen“, meinte der Kommandant. „Das ist der Grund, warum ich heute so viel esse“, sagte Michael Collins, „er lässt mich nicht mehr an den Computer und ich habe sonst nichts zu tun.“

Nach der einstündigen Übertragung wurde die Mondfähre geschlossen, Fangtrichter und Sonde wieder installiert und die Rollbewegung des Raumschiffes eingeleitet. Das waren alle wichtigen Ereignisse dieses so unspektakulären Tages.

Meine Beschreibung klingt so, als hätten die Astronauten nichts zu tun gehabt auf ihrem Flug. Dabei ist der flugplan, den man auch heute noch nachlesen kann, gut gefüllt, er ist ein dickes Buch. Allerdings stehen die Prozeduren, die die drei Männer durchführen mussten, aufs genaueste in diesem Dokument und den zugehörigen Checklisten. Das ging so weit, dass aufgeschrieben stand, wann man welche Karte vom Zielgebiet auf dem Mond aus welcher Tasche holen sollte. Es wurde nichts dem Zufall überlassen. Im Weltraum ist – wie wir noch sehen werden – Planung auf die Sekunde genau bisweilen lebenswichtig und lebensrettend. Vieles von dem, was auf dieser Mission geschah, machte man zum ersten mal, und doch stellt sich an diesem dritten Flugtag so etwas wie Langeweile ein. Das liegt auch daran, dass die Astronauten immer wieder ihren Computer mit neuen Anweisungen füllen mussten. Der Computer an Bord der
Apollo-Raumkapsel hatte einen Speicher von 72 Kilobyte und einen festen Wortschatz an Befehlen und Verben, die über Zahlen aufgerufen wurden. Mehr war damals nicht möglich. Trotzdem funktionierte das Gerät mit absoluter Präzision und Zuverlässigkeit. Jedenfalls mussten immer wieder lange Zahlenkolonnen eingegeben werden, die mit der Bodenstation abgeglichen wurden. Wenn man den Funkverkehr von damals hört und dramatische oder einmalige Dinge erwartet, wird man meistens enttäuscht: Zu hören sind technische Begriffe, vorgetragen in lakonischer Coolness und Unaufgeregtheit. Nur wer sich die Mühe macht, sich ein wenig mit der flugtechnik zu beschäftigen, oder wer gleichzeitig einige der ausführungen des Pressebeauftragten liest, kann wenigstens im ansatz verstehen, worum es eigentlich ging. Diese nüchterne Art, den Funkverkehr zu gestalten, führte – wie bereits erwähnt – bei der Landung zu der irrigen Annahme vieler Journalisten, es sei alles vollkommen glatt gegangen.

Ungefähr um 22:20 Uhr in Houston (03:20 Uhr deutscher Zeit) ging auch dieser Tag für die Crew von Apollo 11 zu ende.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
Dieser Beitrag wurde unter erlebte Geschichte, Weltraumfahrt abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar