Bring doch mal gute Nachrichten, oder: Eine Woche der Demokratie

Bring doch mal gute Nachrichten, sagen mir viele, die meine Beiträge lesen, oder auch: Sag nicht immer sofort „aber“. Ich freue mich, dass ich mit einer guten Nachricht anfangen kann: Es wird vermutlich bald einen Anti-Corona-Impfstoff geben. Er soll zu über 90 % effektiv sein, haben die Farmafirmen BioNTech und Pfizer am Montag bekanntgegeben. Noch im November soll in den USA die schnelle Zulassung beantragt werden. Das ist eine wahrhaft gute Nachricht, und sie wurde mit Sehnsucht erwartet. Es wird allerdings eine ganze Weile dauern, bis ein großer Teil der Bevölkerung tatsächlich in den Genuss der Impfung kommen kann, stellten die Firmen klar, für Normalbürger vermutlich bis 2022. In Deutschland sollen zuerst Kranke, alte Menschen und Angehörige medizinischer Berufe geimpft werden. Das ist nachvollziehbar, sie sind am stärksten Betroffen. Noch mal: Dies ist eine wirklich gute nachricht, und ich freue mich darüber, auch weil die steigenden Infektionszahlen und die Zunehmende Leugnung des Problems ein Gefühl der angst und Unsicherheit verursachen.

Die baldige Zulassung eines Impfstoffes ist auch deshalb so wichtig, weil wir in den nächsten Monaten ein echtes Problem haben werden. Am Montag erreichte die Anzahl der belegten intensivbetten in Deutschland einen Stand, der höher war als im April, die zweite Welle ist also jetzt höher als die erste. Wissenschaftliche Projektionen gehen überwiegend davon aus, dass die Zahl der Infizierten trotz des Lockdown Light weiterhin stark steigen wird, weil es eben auch auf die einzelnen Menschen ankommt, auf ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre Solidarität. Und dabei stehen wir in Deutschland mit zigtausenden von Coronaleugnern schlecht da. Der stellvertretende Leiter des Robert-Koch-Instituts sagte dem Spiegel, es wäre möglich, dass sich um Weihnachten rund 400.000 Menschen pro Tag infizierten. Das ist, wohl verstanden, eine Projektion, eine Möglichkeit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, keine sichere Tatsache. Wir haben es alle in der hand, etwas dagegen zu tun. Allerdings liegt der Ball auch bei der Politik: Ein echter Lockdown wäre wohl vonnöten, um die Welle tatsächlich zu brechen. Mit einer wiederkehrenden Abfolge von Vollbremsungen und langsamen Lockerungen könnte man es dann vielleicht bis zum Impfstoff aushalten, ohne die Wirtschaft und die Gesundheit der Bevölkerung zu sehr zu schädigen. Aber das ist und bleibt eine Modellrechnung.

Immerhin: Wegen der Coronapandemie werden überall im Land
Veranstaltungen abgesagt, damit es keine Superspreader-Events gibt. Beispielsweise durfte sich am Montag die jüdische Gemeinde in Dresden nicht zur Gedenkveranstaltung wegen der Reichspogromnacht 1938 und der unzähligen jüdischen Opfer treffen. Es gibt allerdings auch Ausnahmen von der absagewelle. Ebenfalls in Dresden, ebenfalls am Montag wurde die Großdemonstration von PEGIDA in der Innenstadt erlaubt. Zu den Pegidisten gehören auch viele Coronaleugner. Sind das nicht die, die immer behaupten, sie dürften ihre Meinung nicht sagen in den Medien und der Öffentlichkeit?

Die haben sich auch am vergangenen Samstag in Leipzig zu einem „weitgehend friedlichen Protest“ versammelt, wie Roland Wöller, der sächsische CDU-Innenminister, in einer Pressekonferenz mitteilte. Es sei, so gibt er zu, zu Unregelmäßigkeiten gekommen, aber die Polizei hätte die Hygieneregeln und ihre Auflösungsverfügung nur durchsetzen können, wenn sie mit Wasserwerfern vorgegangen wäre, und das habe doch bei diesem friedlichen Protest niemand wollen können. Solche Maßnahmen sind nur erlaubt, wenn im leipziger Stadtteil Konnewitz ein paar sogenannte Linke demonstrieren. Wo kämen wir auch hin, wenn solche Chaoten unsere Verfassung beschädigen dürften. Es stimmt: Es gab nur wenige Opfer bei der Anti-Corona-Maßnahmen-Demo in Leipzig. Einer davon war ein Journalist, der von rechten Hooligans zusammengeschlagen wurde, einige waren Polizisten, die sich nicht schnell genug zurückgezogen haben, als sie von friedlichen Demonstranten mit Molotow-Cocktails angegriffen wurden. Auch weitere Journalisten könnte man indirekt Opfer nennen, sie wurden von der Polizei bedroht und an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert: Irgendwo muss die Polizei ja ihre Ordnungsmacht durchsetzen. Vorbildlich demokratisch waren auch die Bilder, die einige Polizisten zeigten, die sich mit den friedlichen Demonstranten solidarisch erklärten. Sie nahmen, wie in so mancher Chatgruppe im ganzen Land, nur das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch. Dass dort hin und wieder auch mal zum Spaß verfassungsfeindliche Symbole und Parolen gezeigt werden, sind Einzelfälle. – Stimmt doch: Man findet nur ungefähr jeden Tag einen Fall.

Die Nachrichten über diese Demo am vergangenen Samstag habe ich übrigens größtenteils verschlafen. Kein Wunder nach diesem Wahlkrimi. Welche Erleichterung, als am Samstag um 17:30 Uhr Joe Biden zum Gewinner der US-Präsidentschaftswahl ausgerufen wurde. Es ist ein Grund zur Freude, und ich freue mich darüber. Wenigstens gewählt worden ist Joe Biden, und ist das nicht der Sinn von Demokratie? Ob er sein Amt tatsächlich antreten kann, ist ja wohl zweitrangig. Das hängt nämlich davon ab, ob die Republikaner auf die glorreiche Idee kommen, die die Juristin, Politikwissenschaftlerin und Soziologin Kim Lane Scheppele auf der Website des Verfassungsblogs dargelegt hat: Der oberste Gerichtshof der USA könnte aufgrund früherer Entscheidungen beschließen, dass bei Zweifeln über das Wahlergebnis die Wahlmänner in den Einzelstaaten von deren Parlamenten frei gewählt werden. 37 der 50 US-Bundesstaaten werden von republikanischen Mehrheiten regiert, daran haben diese Wahlen nichts geändert. Zweifel an der Wahl entstehen, wenn in einem Bundesstaat aufgrund von Gerichtsentscheidungen die Wahlgesetze neu ausgelegt werden, meint der oberste Gerichtshof. Für Pennsylvania bedeutet das bereits jetzt, dass die Stimmen, die vor dem 3. November abgegeben wurden aber erst später eingetroffen sind, möglicherweise nicht gezählt werden dürfen. Hier gibt es aber keine zweifel am Wahlergebnis. Pennsylvania hatte diese spät eingetroffenen Stimmen vorsorglich extra aufbewahrt und exra gezählt. In vielen anderen Staaten, die jetzt bereits sicher scheinen, könnten Donald Trumps Anwälte aber behaupten, die Wahlgesetze seien nicht korrekt ausgeführt und von Gerichtsentscheidungen auf unterster Ebene beeinflusst worden. Welche Stimmen davon betroffen sind, könnte man dann nicht mehr feststellen, weil sie eben nicht von den anderen Stimmzetteln getrennt aufbewahrt worden sind wie in Pennsylvania. Dann müssten die Parlamente der einzelstaaten ihre Wahlmänner unabhängig vom Wahlausgang wählen, und die Republikaner hätten die Mehrheit. Donald Trump weigert sich ja auch beharrlich, den Übergangsprozess einzuleiten, was bereits jetzt unbedingt erforderlich ist. Alles deutet daraufhin, dass er genau die von mir kurz beschriebene Strategie verfolgen wird.

Demokratie ist ein hartes Geschäft, und was für eine Woche der Demokratie haben wir erlebt. Gute Nachrichten und Freude sind gerade in diesen dunklen Zeiten so wichtig! Also halten wir fest: Es wird einen, mindestens einen, Impfstoff gegen Corona geben, und Joe Biden hat die Wahl gewonnen, ganz unabhängig vom Amt.

ich wünsche eine schöne Woche.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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