Jetzt ist es an uns

Den folgenden Beitrag habe ich am 24.03.2025 für den Ohrfunk geschrieben.

Am 24.03.1933 trat in Deutschland das sogenannte Ermächtigungsgesetz in Kraft, das tags zuvor vom deutschen Reichstag auf rechtswidrige Weise durch Geschäftsordnungstricks beschlossen worden war. Es bestimmte, dass die Reichsregierung ohne Zustimmung des Reichstags Gesetze erlassen konnte, die sogar der Verfassung widersprechen durften. Damit wurde der Reichsregierung unter Adolf Hitler von den konservativen und liberalen Parteien der Weimarer Republik der Weg zur Diktatur geebnet. Auch später als integre Persönlichkeiten gerühmte Männer wie der erste Bundespräsident Theodor Heuss stimmten für dieses Gesetz. Das Ziel dieses Staatsstreiches im Parlament war es, die Kontrolle über die Gesetzgebung vollständig in die Hand zu bekommen und faktisch die Verfassung auszuschalten, ohne sie abzuschaffen.

Es hat damals übrigens auch Versuche aus der Verwaltung gegeben, den Aufstieg der NSDAP zu verhindern und frühzeitig zu stoppen. Der heutige US-Präsident Trump hat daraus gelernt: Er versucht von Anfang an, für seine faschistischen Ziele die Verwaltung des Landes unter Kontrolle zu bringen. Er tauscht mehr als 50.000 Bundesbeamte aus und stört sich nicht daran, wenn die Gerichte ihm widersprechen. Richter*innen haben keine Polizeimacht, um ihn an seinen Vorhaben zu hindern. Das ist das Grundübel aller Demokratien. Sie funktionieren nur, wenn alle Institutionen und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger bereit sind, ihre Regeln zu akzeptieren. In den USA setzt sich jedoch die „unitary executive theory“ durch, eine Rechtstheorie, nach der der Präsident alleiniger und vollständiger Inhaber der Exekutivgewalt ist, auch wenn die Exekutivbehörden vom Kongress geschaffen wurden. So erweist sich die Demokratie in den USA als extrem bröckelig und morsch. Schon jetzt findet institutioneller Widerstand kaum noch statt, obwohl die Trump-Regierung ganz offen zu ihren Zielen steht. Seit Jahrzehnten bereitet man sich dort in konservativen Thinktanks auf einen systematischen Umbau zu einem autoritären, diktatorischen, menschenverachtenden Staat vor. Das Ziel dieses Umbaus ist es, die Macht der Reichen und Besitzenden zu stärken. Oft wird behauptet, Trump handle eratisch, also ohne klare Ziele, einen klaren Plan. Doch das alles gehört zum Plan. Er wurde von mehreren Thinktanks unter Führung der Heritage Foundation entwickelt und Trägt den Namen Project2025. Er ist seit 2023 bekannt und erklärt erstaunlich offen, wie die USA zu einer Diktatur gemacht werden sollen. Dazu ist ein Trump loyaler Kongress nötig, der zuschaut, und ein oberster Gerichtshof, der zustimmt. Mehr nicht, ganz einfach. Beide Voraussetzungen hat Trump in seiner ersten Amtszeit und durch die jetzige Wahl geschaffen.

Nun glauben wir in Europa, und speziell in Deutschland, uns könne so etwas nicht passieren, da wir mit unserem Grundgesetz aus der Geschichte gelernt und starke Sicherungen eingebaut haben. Doch dies ist ein Irrtum. Beispielsweise sind Verfassungsänderungen in den USA viel schwieriger durchzuführen und dauern viel länger als bei uns, wo man so was auch schon mal in drei Tagen durchpaukt. In den USA dauert es Jahre. Bloß ist das heutzutage egal. Wenn es niemanden von den Akteuren mehr stört, wenn der Präsident mit Dekreten regiert, kann die Verfassung noch so sehr anderslautende Bestimmungen enthalten, sie bleiben wirkungslos. Vor unseren Augen entfaltet sich mit erschreckender Geschwindigkeit der Zusammenbruch einer der ältesten Demokratien der Welt. Hier in Deutschland muss das Ganze ein wenig anders laufen, aber es gibt entsprechende Pläne. Führende CDU-Politiker*innen haben sich mehrfach mit Vertretern der Heritage Foundation getroffen und beraten, und Friedrich Merz ist offenbar gewillt, in die großen Fußstapfen Trumps zu treten. Die Abwicklung des Entwicklungshilfe- und des Umweltministeriums sind da nur erste Schritte, doch sie sind wichtig. Die Regierung soll umgebaut werden, hin zu Merz‘ Kernthemen. Desweiteren sind der Angriff auf die Zivilgesellschaft, die Nichtregierungsorganisationen, die Abschaffung des Bürgergeldes, womit viele Menschen in Unsicherheit gestürzt werden und keine Gefahr mehr darstellen, und die Abtötung der Grünen und der SPD durch Diffamierung oder Erpressung weitere Schritte zum systematischen Aushöhlen der Demokratie. Auch die Beschneidungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehören dazu. Auch dies alles ist lange geplant. Nur das Gewand ist anders. Auffallend ist die ähnliche Rhetorik von Trump und Merz. Beide wollen von Tag 1 ihrer Regierung an alles anders machen, beide kommen mit radikalen Vorschlägen. Trump setzt sie als Dekrete um, Merz erpresst die SPD damit, möglicherweise mit der AfD zusammenzuarbeiten, wenn sie nicht spurt. Wie sonst ist zu erklären, dass ein SPD-Verhandler es für möglich hält, dass Merz sich mit seinen Vorstellungen durchsetzt? Die SPD müsste schlicht nein sagen! Doch sie hat schon zu viel Angst! Wir werden uns die Augen reiben, und das schnell. Es wird gekämpft werden, und das wird den Eindruck verstärken, die Politik könne nicht durchgreifen, was der AfD Stimmen bringt. Wieder steht uns eine Ermächtigung ins Haus, wieder sind es die Konservativen und Liberalen, die die Demokratie verraten, weil sie ihren eigenen, macht- und geldgierigen Interessen im Weg ist. Die SPD trägt diesmal eine mitschuld, weil sie ihren Mut und ihre Eigenständigkeit seit 28 Jahren, seit der sogenannten Reformpolitik von Gerhard Schröder, verloren hat. Ich sage nicht, dass wir nicht gewinnen können, aber die Chancen stehen schlecht. Und um zu gewinnen, müssen wir die Lage so sehen, wie sie ist. Jegliche Verharmlosung muss unbedingt aufhören! SPD, Grüne und Linke müssen, wo immer sie können, Widerstand leisten, die Zivilgesellschaft muss sich organisieren. Es ist 12 Uhr, die Glocken schlagen! Sie rufen: „Feuer!“ Das Haus brennt, und die Feuerwehr legt Brände, statt sie zu löschen! Das ist die Lage! Jetzt ist es an uns!

Erlauben Sie mir einen Nachtrag:
Ich habe eben mit großem Respekt und innerer Bewegung Gregor Gysi bei seiner Rede als Alterspräsident des 21. deutschen Bundestages gelauscht. Bei der Schnelligkeit, mit der heute Demokratien fallen, war es vielleicht die letzte Gelegenheit, einen Linken in Deutschland so sprechen zu hören. Er hielt eine inhaltliche, keine Kampfrede für die Demokratie. Das hätte eine Mehrheit der Demokraten erfordert, und die ist nicht zweifelsfrei gegeben. Ein feierlicher Moment, vielleicht ein Abschied. Die AfD hatte beantragt, den ältesten Abgeordneten, Alexander Gauland, das Parlament eröffnen zu lassen. Bernd Baumann hielt sich bei der Begründung des Antrages nicht an die Redezeit und verletzte bewusst sämtliche parlamentarischen Spielregeln. Die AfD sind nicht als Freunde oder Neutrale im Parlament, sondern um sich aus dem Arsenal der Demokratie mit den Waffen zu ihrer Zerstörung zu versorgen. Ich glaube nicht, dass wir dagegen noch viel tun können, wir haben viel zu lange gezögert. Thorsten Frei von der Union hat zwar die Praxis, das dienstälteste Mitglied die Eröffnung durchführen zu lassen, verteidigt, aber eine persönliche Spitze gegen Gysi losgelassen. Natürlich sei man nicht mit allen Alterspräsidenten einverstanden, das träfe auch auf den heutigen zu. Er gehört zu den Spezis von Friedrich Merz, mit denen er Deutschland umbauen will. Da inzwischen die AfD mit jedem Tag größer wird, egal, was sie sagt, ist die Zerstörung der Demokratie zum Selbstläufer geworden. Vielleicht hieß unsere Clara Zetkin, die 1932 als Alterspräsidentin den Reichtstag eröffnete, der dann Hermann Göring zu seinem Präsidenten wählte, Gregor Gysi. Er hastete und haspelte sich durch die Rede, er war teilweise unkonzentriert, sein Humor war verblasst. Auch Clara Zetkin war damals alt und krank gewesen und starb kurz darauf. In Momenten wie diesen ist die Hoffnung weit entfernt, und ich sehe keine Kräfte, die sich dem Volkswillen entgegenstellen. Hoffentlich irre ich mich.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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