Meine Programmbeschwerde gegen den ARD-Brennpunkt mit Tino Chrupalla

Endlich, wenn auch zu spät! Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD nun als gesichert rechtsextremistisch ein. Und was machen unsere Medien? Sie diskutieren mit Verfassungsfeinden, als ob sich nichts geändert hätte.

Am 2. Mai 2025 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Daraufhin lud die ARD den AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla und die noch amtierende Innenministerin Nancy Faeser zu einem Streitgespräch ein, frei nach dem Motto: Au ja, das bringt eine tolle Quote! Ich habe daraufhin Programmbeschwerde gegen die Sendung „Brennpunkt“ vom 02.05.2025 erhoben.

Eine Klarstellung vorweg: Die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch durch den Bundesverfassungsschutz hat zunächst keine rechtlichen Folgen. Die Partei muss keinerlei Probleme befürchten. Z. B. dürfen ihre Mitglieder weiterhin im öffentlichen Dienst arbeiten. Denn diese Einschätzung des Bundesamtes ist eben genau das: Eine Einschätzung. Ob sie zutrifft, kann allein das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Dazu müsste nur jemand den Mut besitzen, einen Verbotsantrag zu stellen. Das Können nur Bundestag, Bundesrat oder die Bundesregierung tun. Ich gehe nicht davon aus, dass das geschehen wird. Das Gutachten erschien so spät, dass die alte Regierung nicht mehr die Möglichkeit hat, einen solchen Antrag zu stellen, und ich nehme an, dass das Gutachten bewusst so spät erschien. Denn dieses Gutachten mit seinen Beweisen wäre die Grundlage für die Anklage vor Gericht. Die neue Regierung unter Friedrich Merz hat kein Interesse an einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, da führende CDU-CSU-Vertreter*innen dafür plädieren, die AfD zu normalisieren. Damit spielen die bürgerlichen Parteien wieder den Steigbügelhalter für die Faschisten.

Zurück zu den Medien: Solange die AfD nicht verboten ist, und solange sie in den Parlamenten vertreten ist, muss man über sie berichten, ihre Positionen darstellen und einordnen. Das Gebot der Fairness verpflichtet die Sendeanstalten dazu. Totschweigen dürfen sie die AfD nicht. Sie könnten nur alle Aussagen der vermutlich gesichert rechtsextremen Partei vor ihrer Ausstrahlung journalistisch einordnen und gegebenenfalls widerlegen. Ein Beispiel dafür ist Belgien, wo es tatsächlich gelingt, die Rechtsextremen davon abzuhalten, weiter zu wachsen. Dort debattiert man nicht mit, sondern über die Rechtsextremen. Deshalb habe ich mich für eine Programmbeschwerde wegen des Brennpunktes entschieden, denn dort fand eine Debatte mit, und nicht über die AfD statt. Es folgt mein Brief an die ARD:

„Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erhebe ich formell Programmbeschwerde gegen die Ausstrahlung des ARD-Brennpunktes vom 02.05.2025, in dem der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla zu Gast war, um zur aktuellen Einstufung seiner Partei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz Stellung zu nehmen.
Ich halte diese Sendung in ihrer Konzeption und Ausführung für einen klaren Verstoß gegen die Programmgrundsätze der ARD sowie gegen die rechtlichen Verpflichtungen aus dem Medienstaatsvertrag. Die Einladung eines führenden Funktionärs einer vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Partei in eine Live-Sendung, in der er ohne ausreichende kritische Einordnung seine Sichtweise darstellen konnte, widerspricht in meiner Auffassung der gebotenen staatsvertraglichen Zurückhaltung im Umgang mit extremistischen Positionen.

1. Zur rechtlichen Einordnung
Die ARD argumentiert gelegentlich, sie sei aufgrund des Medienstaatsvertrags verpflichtet, Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien zu Wort kommen zu lassen, solange diese nicht durch das Bundesverfassungsgericht verboten seien. Diese Argumentation greift jedoch zu kurz und missversteht die einschlägigen Bestimmungen:
§ 26 Absatz 2 Satz 3 Medienstaatsvertrag:
„Parteien ist bei der Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben angemessener Raum im Rundfunk einzuräumen.“
Dies bedeutet gerade nicht, dass jeder Partei, gleich welchen Inhalts oder welcher demokratischen Verfassungstreue, eine Live-Bühne eingeräumt werden muss – und schon gar nicht in einem Sondersendeformat wie einem „Brennpunkt“. Die Verpflichtung bezieht sich auf angemessene Berücksichtigung, nicht auf Gleichbehandlung in Formaten, die eine erhebliche öffentliche Wirkung entfalten. Das Vorgehen der AfD in Parlament und Medien kann auch, gerade im Licht des neuen Verfassungsschutzgutachtens, nicht als Erfüllung verfassungsmäßiger Aufgaben betrachtet werden, da sie sich dezidiert gegen die pluralistische Verfassung und die Völkerverständigung wendet.
§ 3 Absatz 1 Medienstaatsvertrag – Allgemeine Grundsätze:
„Angebote nach diesem Staatsvertrag sollen der Achtung der Menschenwürde, der sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugung anderer, der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Förderung der Verständigung zwischen den Völkern dienen. Sie sollen die freiheitliche demokratische Grundordnung achten und die Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland stärken.“
Eine Sendung, die einem als rechtsextrem eingestuften Politiker eine Live-Plattform bietet – ohne Vorabredaktion, ohne Einordnungsmöglichkeit durch journalistische Bearbeitung vor der Ausstrahlung – verstößt gegen diese Grundsätze. Sie bietet jenen Kräften, die die Grundordnung infrage stellen, die Möglichkeit, sich als legitime Stimme im demokratischen Diskurs zu inszenieren. Das läuft dem Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zuwider.

2. Keine Verpflichtung zur Live-Präsenz
Weder der Medienstaatsvertrag noch der ARD-Staatsvertrag verpflichten die Rundfunkanstalten, extremistischen Parteien Live-Zeit einzuräumen. Vielmehr ist durch redaktionelle Freiheit und journalistische Sorgfalt gewährleistet, dass über extreme Parteien berichtet wird, nicht mit ihnen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist damit nicht nur Träger der Rundfunkfreiheit, sondern auch Schutzorgan der Demokratie. Die Grundsätze aus § 3 MStV verpflichten ihn zur Verteidigung der Menschenwürde, des Gleichheitsgrundsatzes und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – was im konkreten Fall bedeutet, dass Live-Auftritte von Rechtsextremen nicht zur publizistischen Pflicht gehören, sondern eine zu vermeidende Gefährdung darstellen.

3. Internationale Praxis – Vergleich mit Belgien
In Belgien praktizieren Medien seit vielen Jahren einen sogenannten „Cordon Sanitaire“: Über rechtsextreme Parteien wird berichtet, aber nie in Live-Formaten, nie ohne Einordnung, nie mit der Möglichkeit, redaktioneller Kontrolle zu entgehen. Die journalistische Praxis dort lautet: „Berichten über, aber nicht mit.“
Dies ist nicht etwa Zensur, sondern Ausdruck journalistischer Verantwortung – und auch in Deutschland rechtlich zulässig. Im Gegenteil: Ein solcher Umgang würde den Pflichten aus § 3 MStV besser entsprechen als die derzeitige Praxis der ARD.

4. Fazit und Forderung
Ich fordere die ARD und die zuständigen Gremien auf,
1. ihre Praxis der Einladung von Vertreter*innen der AfD zu Live-Formaten wie Talkshows und Sondersendungen wie „Brennpunkten“ kritisch zu überprüfen,
2. sicherzustellen, dass künftig keine als rechtsextrem eingestuften Akteure unkommentiert, live und mit journalistisch kaum kontrollierbarer Bühne auftreten können,
3. und stattdessen Formate zu entwickeln, die die gebotene Distanz und Einordnung ermöglichen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss kein Sprachrohr von Verfassungsfeinden sein. Er darf es nicht einmal.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Bertrams
Marburg, 03.05.2025″

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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