Heute habe ich meine Programmbeschwerde gegen den Brennpunkt mit Tino Chrupalla vom 03.05. nach Ablehnung durch die RBB-Intendantin an den Rundfunkrat weitergeleitet. Es wird nichts nützen, aber erzählen will ich es doch kurz.
Nach dem der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hatte, gab es viele Sendungen in ARD und ZDF, in die führende AfD-Vertreter*innen eingeladen wurden, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. Gegen die Erste dieser Sendungen habe ich einen Tag später Programmbeschwerde erhoben. Ich habe sie in diesem Blogbeitrag dokumentiert. Am 4. Juli erhielt ich daraufhin eine Antwortmail der RBB-Intendantin. Der RBB war für den Brennpunkt verantwortlich. Der Inhalt des Schreibens lautete:
„Sehr geehrter Herr Bertrams,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 3.5.2025, auf die wir gerne
eingehen. Rückmeldungen zu unserer journalistischen
Berichterstattung sind ein unverzichtbarer Bestandteil unserer
Qualitätskontrolle.
In Ihrem Schreiben äußern Sie den Vorwurf, dass die Einladung Herrn
Chrupallas in die Sondersendung „Brennpunkt“ am 2.5.2025 im
Widerspruch zu wesentlichen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen
Programmauftrags stünde. Wir haben zu dieser Sendung eine Vielzahl
an Zuschriften erhalten, weswegen wir zu dieser Sendung
grundsätzlich Stellung nehmen.
Mit Ihrem Schreiben rügen Sie sinngemäß einen Verstoß gegen die
Programmgrundsätze des Rundfunk Berlin-Brandenburg und haben
eine Programmbeschwerde eingelegt. Gemäß § 13 Abs. 2 rbb
Staatsvertrag entscheidet zunächst die Intendantin über
Programmbeschwerden, daher habe ich mich Ihrer Beschwerde
angenommen.
Im Brennpunkt (2.5.2025) haben wir darüber berichtet, dass der
Bundesverfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextremistisch
eingestuft hat. Zum journalistischen Handwerk gehört es, immer auch
diejenigen zu Wort kommen zu lassen, um die es geht. Im Brennpunkt
haben wir daher auch die betreffende Partei befragt, zumal die AfD
nicht verboten ist. In der Sendung wurden somit ein Vertreter der
AfD, Tino Chrupalla, sowie die am Tag der Sendung amtierende
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Einstufung und einem
möglichen folgenden Verbotsverfahren interviewt.
Die Einladung des AfD-Parteichefs widerspricht nicht dem öffentlichrechtlichen
Programmauftrag, sondern – im Gegenteil – dieser
Auftrag verpflichtet die ARD dazu, Meinungsvielfalt zu gewährleisten
und alle relevanten Akteure angemessen zu berücksichtigen.
Gerade bei einer so weitreichenden Entscheidung wie der Einstufung
der größten Oppositionspartei durch den Verfassungsschutz ist es
journalistisch geboten, auch die Sichtweise der betroffenen Partei
darzustellen, um die Zuschauerinnen und Zuschauer umfassend zu
informieren.
Der von Ihnen angeführte Programmauftrag verlangt explizit nicht
das Ausblenden oder Ignorieren von Positionen politischer Akteure,
solange diese nicht verboten sind. Und die AfD ist eine durch
demokratische Wahlen in den Bundestag gewählte Partei.
Trotz der Einstufung muss daher weiterhin über die Positionen und
Reaktionen dieser Partei sachlich berichtet werden. Die
journalistische Sorgfalt gebietet es selbstverständlich, Aussagen
kritisch einzuordnen und Kontext zu liefern. Ein generelles Ausladen
oder Ignorieren der AfD würde dem Informations- und
Pluralitätsauftrag der ARD als öffentlich-rechtlichem Sendeverbund
widersprechen. Entscheidend ist, wie die Berichterstattung erfolgt:
kritisch, einordnend und transparent – genau das ist im genannten
Brennpunkt explizit und ausführlich geschehen.
Aus den genannten Gründen vermag ich keine Verletzung der
geltenden Programmgrundsätze zu erkennen. Ich weise Ihre
Programmbeschwerde daher als unbegründet zurück.
Gemäß § 13 Abs. 3 rbb-Staatsvertrag haben Sie nun die Möglichkeit,
den Rundfunkrat in dieser Angelegenheit anzurufen.
Mit freundlichen Grüße
Ulrike Demmer
rbb-Intendantin“
Nach ein wenig Recherche und etwas Nachdenken habe ich heute folgende Antwort an den Rundfunkrat geschickt:
„Jens Bertrams
(Adresse, Telefon, Mail)
An den Rundfunkrat des Rundfunk Berlin-Brandenburg
Marlene-Dietrich-Allee 20
14482 Potsdam
Marburg, 12.07.2025
Betreff: Fortführung meiner Programmbeschwerde gemäß § 13 Abs. 3 rbb-Staatsvertrag – „Brennpunkt“ vom 02.05.2025
Sehr geehrte Damen und Herren des Rundfunkrats,
hiermit wende ich mich gemäß § 13 Absatz 3 des rbb-Staatsvertrags an Sie, da ich mit der Entscheidung der Intendantin vom 04.07.2025 zu meiner Programmbeschwerde vom 03.05.2025 nicht einverstanden bin. Ich bitte den Rundfunkrat um eine erneute, umfassende Prüfung.
Ich möchte betonen: Es war nie mein Anliegen, die Berichterstattung über die AfD zu unterbinden oder deren Positionen gänzlich aus dem Programm zu verbannen. Sehr wohl aber halte ich es für journalistisch und staatsvertraglich geboten, extremistische Positionen nicht in Live-Formaten ohne redaktionelle Kontrolle zu verbreiten.
Die Intendantin argumentiert, dass die Einladung des AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla in den „Brennpunkt“ vom 02.05.2025 durch den Pluralitäts- und Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geboten sei, da es sich um eine im Bundestag vertretene Partei handelt, die nicht verboten ist. Ich halte diese Auslegung für zu weitreichend und demokratietheoretisch bedenklich, und sie verfehlt nach meinem Dafürhalten sowohl die journalistische Verantwortung als auch die Schutzfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Im Einzelnen:
1.
Rechtsextremismus und § 3 Medienstaatsvertrag
Der Medienstaatsvertrag verpflichtet unter § 3 Abs. 1 die Anbieter, die Menschenwürde zu achten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen. Die Live-Plattform für einen führenden Repräsentanten einer vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Partei steht im Spannungsverhältnis zu diesem Auftrag – insbesondere, wenn keine redaktionelle Einordnung im Vorfeld erfolgen kann.
2.
Berichtspflicht ist nicht gleich Sendebeteiligung in Live-Formaten
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass Parteien angemessen berücksichtigt werden müssen (BVerfGE 73, 118, BVerfGE 85, 264). Doch dies bedeutet nicht, dass jede Partei gleichrangig in jedem Sendeformat auftreten muss – schon gar nicht live und unredigiert. Der Begriff „angemessen“ schließt Differenzierung ausdrücklich mit ein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat nach ständiger Rechtsprechung nicht nur Berichtspflicht, sondern auch journalistische Gestaltungsfreiheit – und daraus folgt auch Verantwortung.
3.
Beispielhafte Praxis: Der „Cordon Sanitaire“ in Belgien
In Belgien hat sich seit Jahren die Praxis etabliert, rechtsextremen Parteien keine Live-Plattformen zu bieten. Das Prinzip lautet: „Berichten über, nicht mit“. Das ist keine Zensur, sondern eine legitime redaktionelle Entscheidung im Dienst der Demokratie. Ich halte es für geboten, dass der Rundfunkrat diese Praxis diskutiert und die Sendepolitik des rbb im Licht internationaler Vorbilder prüft.
4.
Missachtung meines Kernanliegens durch die Intendantin
In ihrer Antwort setzt sich Frau Demmer mit meinem eigentlichen Kritikpunkt – der unkontrollierten Live-Verbreitung extremistischer Aussagen – nicht inhaltlich auseinander. Sie führt stattdessen ein generelles Argument für Meinungsvielfalt und Berichtspflicht an, das ich nie infrage gestellt habe. Es bleibt somit der Eindruck bestehen, dass der eigentliche Kern meiner Programmbeschwerde unbeantwortet blieb.
Daher bitte ich Sie als Rundfunkrat, das Anliegen erneut zu prüfen. Ich rege an, die Leitlinien für Live-Sendungen mit Beteiligung rechtsextrem eingestufter Parteien auf ihre Vereinbarkeit mit den staatsvertraglichen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen. Es geht nicht um Parteipolitik, sondern um den Selbstschutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Demokratie insgesamt.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Bertrams“
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