Schon wieder eine Programmbeschwerde, diesmal gegen das Sommerinterview mit Alice Weidel

Hier kommt noch eine Programmbeschwerde. Das wächst sich langsam aus. Diesmal erhebe ich sie gegen das Sommerinterview mit Alice Weidel.

Frech hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Protest überhört, der sich erhob, als die ARD am Abend nach der Veröffentlichung des Verfassungsschutzgutachtens, das die AfD als gesichert rechtsextremistisch einstufte, den AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla zu einem Brennpunkt bat. Die Proteste wurden mit dem Argument glattgebügelt, man sei verpflichtet, über die AfD zu berichten, solange sie nicht verboten sei. Dabei ging man schamlos darüber hinweg, dass das auch niemand in Zweifel gezogen hatte. Keiner der Leute, die eine Programmbeschwerde geschrieben haben und von denen ich gehört habe, haben verlangt, nicht mehr über die AfD zu berichten. Die Frage war immer die nach dem WIE!

Und gestern wurde die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel ins Sommerinterview geladen, diese Sommerlochplauderrunde mit allen im Bundestag vertretenen Parteien. Da kann man extremistische Aussagen machen, über die sich dann alle aufregen, und die dann Quote generieren, ein Win-Win-Szenario zwischen AfD und ARD. Und das, obwohl die AfD die ARD als Systemmedium bezeichnet und schamlos diffamiert.

Wie im Mai finde ich, dass die ARD ihren Pflichten nicht nachgekommen ist, zumal sie es zugelassen hat, dass Frau Weidel es im Interview ablehnte, sich klar zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen. Entsprechenden klaren Fragen wich sie aus.

Also gibt es jetzt von mir die nächste Programmbeschwerde an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit erhebe ich Gemäß § 10 Absatz 6 RBB-Staatsvertrag Programmbeschwerde gegen die Ausstrahlung des ARD-Sommerinterviews mit der AfD-Co-Vorsitzenden Alice Weidel, das am 20. Juli 2025 im Rahmen des „Bericht aus Berlin“ live übertragen wurde. Ich sehe in der Gestaltung und Durchführung dieser Sendung einen Verstoß gegen die gesetzlichen und staatsvertraglichen Pflichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, insbesondere gegen den Medienstaatsvertrag, den ARD-Staatsvertrag und die verfassungsrechtlich gebotene Rolle der ARD als Trägerin demokratischer Meinungsbildung.

1. Keine Pflicht zur Live-Übertragung extremistischer Positionen

Weder aus dem Medienstaatsvertrag noch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich eine Verpflichtung, extremistischen politischen Akteuren eine Live-Plattform zur Selbstdarstellung zu bieten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gemäß § 3 Abs. 1 Medienstaatsvertrag vielmehr dazu verpflichtet, zur Achtung der Menschenwürde, zur Förderung der Verständigung zwischen den Völkern sowie zur Stärkung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung beizutragen. Eine nicht redaktionell bearbeitete Live-Sendung mit einer führenden Repräsentantin einer vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Partei widerspricht diesem Auftrag.
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk alle wesentlichen politischen Grundströmungen „angemessen“ zu berücksichtigen habe (vgl. BVerfGE 73, 118 [146]; BVerfGE 85, 264 [291 f.]). Dies bedeutet jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung in der Form oder im Format, sondern verlangt eine journalistisch verantwortete Darstellung, die der demokratischen Funktion des Rundfunks gerecht wird. Die Entscheidung, das Sommerinterview mit Frau Weidel live auszustrahlen, entzog dem journalistischen Korrektiv jede Handhabe zur Einordnung oder Richtigstellung von Aussagen in Echtzeit.

2. Verweigerung eines Bekenntnisses zum Rechtsstaat blieb unwidersprochen
Im Verlauf des Interviews weigerte sich Frau Weidel trotz mehrfacher, klar formulierter Nachfrage, ein eindeutiges Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat abzulegen. Stattdessen sprach sie dem Bundesamt für Verfassungsschutz die Legitimität ab und unterstellte ihm eine politische Steuerung durch „Konkurrenzparteien“. Damit wurde der Eindruck erweckt, staatliche Institutionen seien nur dann legitim, wenn sie der eigenen politischen Richtung dienlich sind – ein Standpunkt, der das Prinzip der Gewaltenteilung untergräbt.
Dass solche Aussagen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht sofort durch journalistische Einordnung oder Moderation relativiert wurden, stellt eine erhebliche Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht dar. Wer die Neutralität und Rechtmäßigkeit zentraler Organe der demokratischen Ordnung öffentlich infrage stellt, muss im Sinne des Bildungs- und Schutzauftrags der ARD mit redaktioneller Klarheit konfrontiert werden, durch kritisches Nachfragen, durch Einordnung oder – wenn nötig – auch durch den Abbruch der Sendung oder den grundsätzlichen Verzicht auf ein Live-Format.

3. Kritik am Live-Format: Redaktionelle Kontrolle unmöglich
Besonders schwerwiegend ist in diesem Fall die Entscheidung, das Interview live zu senden. Diese Form der Ausstrahlung ließ keinerlei redaktionelle Bearbeitung zu. Falschaussagen und delegitimierende Behauptungen konnten nicht durch Fakten, rechtliche Einordnung oder kontextualisierende Kommentare ergänzt oder korrigiert werden.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht dazu verpflichtet, Politikerinnen und Politikern ein unmoderiertes Live-Forum zu bieten – insbesondere nicht dann, wenn die betreffenden Personen demokratische Institutionen systematisch delegitimieren. Die journalistische Praxis etwa in Belgien zeigt mit dem sogenannten „Cordon Sanitaire“, dass auch in etablierten Demokratien extremistischen Akteuren bewusst keine Live-Plattformen gewährt werden. Dort wird über solche Parteien berichtet, aber nicht mit ihnen in Formaten, in denen sie sich unkontrolliert äußern können. Dies ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern Ausdruck redaktioneller Verantwortung und ein notwendiges Schutzinstrument der demokratischen Öffentlichkeit.

4. Verantwortung und staatsvertraglicher Auftrag
Das Sommerinterview wurde vom ARD-Hauptstadtstudio produziert, das organisatorisch vom Rundfunk Berlin-Brandenburg getragen wird. Gemäß § 11 Abs. 2 des ARD-Staatsvertrags und § 3 Abs. 3 des RBB-Staatsvertrags ist der Sender verpflichtet, zur politischen Bildung beizutragen, das Demokratiebewusstsein zu stärken und extremistischer Vereinnahmung vorzubeugen. Die Ausstrahlung des Interviews in der gewählten Form widerspricht diesen Anforderungen in mehrfacher Hinsicht. Besonders gravierend ist, dass die Redakteur*innen nach vielen Jahren Erfahrung mit den Amts- und Mandatsträger*innen der AfD längst wissen müssten, dass solch ein Format zur Erfüllung ihres Auftrages nicht zielführend ist. Die Vermutung könnte aufkommen, der ARD gehe es bei den Sommerinterviews und ähnlichen Konfrontationsveranstaltungen, die ja oft an private Produktionsfirmen ausgelagert werden, um Spannung und Quote, und nicht um ihren demokratisch legitimierten und gebotenen Auftrag.

5. Schlussfolgerung und Forderung
Ich fordere Sie daher auf,
1. die Entscheidung, Frau Weidel im Rahmen einer Live-Sendung auftreten zu lassen, kritisch zu prüfen und zu begründen, und zwar nicht mit der einfachen Behauptung, sie seien dazu verpflichtet, alle Strömungen angemessen zu beteiligen,
2. künftig sicherzustellen, dass Aussagen, die den Rechtsstaat delegitimieren, im Moment ihrer Äußerung durch die Redaktion eingeordnet oder transparent korrigiert werden,
3. und das Format der Sommerinterviews grundsätzlich zu überdenken, insbesondere mit Blick auf den Umgang mit politischen Akteuren, die offen gegen zentrale Prinzipien der Verfassungsordnung agitieren.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht dazu verpflichtet – und darf es im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Bindung auch nicht – sich zum unbegrenzten Verstärker für antidemokratische Aussagen zu machen. Er hat vielmehr die Aufgabe, die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Aussagen politischer Akteure einzuordnen, Widersprüche zu erkennen und demokratische Prinzipien gegen ihre Aushöhlung zu verteidigen.

Mit freundlichen Grüßen

Jens Bertrams

Marburg, 21. Juli 2025

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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