Jedes politische System ist darauf angewiesen, dass es von einer Mehrheit seiner Bürger unterstützt wird. Das gilt insbesondere für die freiheitliche Demokratie. Wenn die gegner dieses Systems eine bestimmte kritische Masse überschritten haben, dann läuft der Umsturz von ganz allein, und die autoritäre diktatur bricht sich bahn. Diese Kritische Masse der gegner der Demokratie liegt vermutlich bei rund 35 bis 40 %. Wenn diese Gegner dann über Presseorgane, große Finanzmittel und entschlossene Randalierer verfügen, haben sie praktisch schon gewonnen.
6 bis 10.000 Neonazis gingen in der letzten Woche in Chemnitz auf die Straße. Und bitte erzähle mir keiner, sie hätten nicht gewusst, dass die Demonstrationen faschistisch gewesen seien, sie hätten doch nur protestieren und provozieren wollen. „Heute sind wir nicht Gesinnung, heute sind wir das Volk, also bindet euren rechten Arm fest“, riefen die Einpeitscher ganz öffentlich. Diese Aufmärsche verliefen nicht chaotisch, sondern diszipliniert und geplant offensiv. Sie fanden trotz eines massiven öffentlichen Drucks statt, und ganz offen wurde der Hitlergruß gezeigt, wurden Journalisten angegriffen, oder auch eine Gruppe marburger Sozialdemokraten mit einer Gewerkschaftsfahne. Diesen 6 bis 10.000 gewaltbereiten, gut organisierten Straßenkämpfern standen bei einer bundesweit beworbenen und aufrüttelnd bekanntgemachten Gegendemonstration gerade einmal 2500 mutige Menschen aus der Zivilgesellschaft gegenüber, die von wenigen Polizisten nicht ausreichend geschützt werden konnten. Mehrfach hat die Polizei in der letzten Woche zugeben müssen, die Gefahr unterschätzt zu haben, und einige wenige Polizisten haben ein strukturelles Problem in ihrer Organisation zugegeben.
Bei den sogenannten Demonsrationen und Trauermärschen der Neonazis marschierten AFD-Politiker und bekannte Neonazis und Rechtskriminelle Seit an Seit. Die Polizei, die bei Demonstrationen von 500 Linken schweres militärisches Gerät auffahren lässt, war konfus und hilflos. Und die Menge, die angesichts der wenigen Menschen, die die Demokratie hatte mobilisieren können, Morgenluft witterte, brüllte eine parole: „Das System ist am Ende, wir sind die Wende!“ Das sind keine besorgten Bürger mehr, und wir alle wissen das.
Nach der Ermordung eines Mannes in Chemnitz sind ein Syrer und ein Iraker als Tatverdächtige festgenommen worden. Zum ersten mal überhaupt wurde der Haftbefehl von einem Justizbeamten an eine rechte Website weitergeleitet. Damit sind die Namen der Tatverdächtigen bekannt, und sollten sie sich als unschuldig herausstellen oder je wieder entlassen werden, können sie mit Anschlägen auf ihr Leben rechnen. Ein Staatsbediensteter ist illoyal gegenüber dem Staat und seinen Bürgern und verkündet seine Tat stolz in der größten deutschen Tageszeitung als Whistleblowing. Ein anderer Staatsbediensteter hatte zuvor ein Presseteam bei seiner Arbeit behindert und erfolgreich versucht, die Polizei gegen die Presse einschreiten zu lassen. Pegida-Demonstranten als Mitarbeiter des LKA. Die Loyalitätsfrage ist hier wohl klar beantwortet.
Als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sich in einem Stadion mit sogenannten besorgten Bürgern traf, sagte er klar und deutlich, dass das zeigen des Hitlergrußes in Deutschland ein No Go sei. Man hielt ihm entgegen, er rede nur über den Hitlergruß, nicht über den Mord an einem Deutschen. Er ging darauf ein. Das Schlimmste sei die Ermordung gewesen, und die Täter würden bestraft. Nachdem er das gesagt habe, sei er sich doch nun mit den Menschen einig, dass der Hitlergruß überhaupt nicht gehe? Ihm antwortete ein Stadion mit eisernem Schweigen, nur eine einzige Person im weiten Rund klatschte, und eine andere nickte zögernd. So haben es anwesende Reporter beschrieben.
Nach den Bildern vom Wochenende aus Chemnitz fragen sich einige Politiker, ob es nicht besser wäre, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Ich bin dagegen, genau wie mein Innenminister Seehofer. Die Gründe dürften allerdings sehr unterschiedlich sein. Ein Verfassungsschutz, dessen Präsident sich mehrfach mit AfD-Spitzenpolitikern trifft, um ihnen Tipps zu geben, wie sie der Beobachtung entgehen, ist bestenfalls ein Papiertiger, möglicherweise auch der Komplize der rechten Umstürzler. Und ein Verfassungsschutz, der linke Kirchentagsmitglieder wie Bodo Ramelow Jahrzehnte lang überwacht, obwohl der nie zu Gewalt aufgerufen hat und alles andere als Kommunist ist, dürfte gar kein Interesse an der Beobachtung der Neonazis haben. Und mein Innenminister sagt auch, dass die Indizien für eine Beobachtung nicht ausreichen, ganz im Gegensatz zur Linken. Er muss es ja wissen, der Innenminister.
Vor allem aber glaube ich, dass es für eine Beobachtung der AfD zu spät ist, selbst wenn der Verfassungsschutz seine Arbeit gut machen würde. Erich Kästner hat einmal gesagt, dass die Naziherrschaft spätestens 1928 hätte verhindert werden müssen, wenn die Demokraten dann entschlossen zusammengestanden hätten. Damals hatte die NSDAP gerade mal 2 % Rückhalt in der Bevölkerung, vielleicht 5 %, wenn man die Dunkelziffer mitrechnet. Die AFD hat jetzt offiziell schon 15 bis 17 %, und auch hier gibt es eine Dunkelziffer. Und die Lawine rollt bereits so schnell, dass die AfD gar nichts mehr tun muss. Das berühmte Sommerinterview mit Alexander Gauland hat gezeigt, dass sie für keines der großen Politikfelder Konzepte hat. Die braucht sie aber auch nicht, ihr Hass auf Zuwanderer und ihre systemverändernde Message reichen aus, um ihr auch jetzt, nach Chemnitz, wieder tausende Anhänger zuzutreiben.
Es könnte sein, dass die kritische Masse derer, die mit aller Kraft und Entschlossenheit eine Systemveränderung wollen, bereits überschritten ist. Dabei hat die AfD heute weniger günstige ausgangsbedingungen als die NSDAP damals. Denn ab 1929 herrschte in Deutschland tatsächlich Hunger, bittere Armut und Perspektivlosigkeit. Heutzutage haben dieselben Leute einen Hass auf Ausländer und das System, die kaum einen Fremden zu Gesicht bekommen, denen es persönlich gut geht und die sich keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Das belegen Studien aus Sachsen.
„Das System ist am Ende, wir sind die Wende“, schreien sie unter den augen der Polizei und zeigen den Hitlergruß. Sie werden zu Talkshows eingeladen, ihre Ängste und Sorgen werden analysiert, während sie dunkelhäutige Menschen durch die Straßen hetzen oder Sozialdemokraten verprügeln. Sie sind ungeniert, unbeeindruckt und haben Oberwasser.
In den letzten Wochen war oft vom Staatsversagen die Rede. Damit meinte man die Behörden und die Polizei. Doch wer ist eigentlich dieser ominöse Staat, der derzeit kläglich versagt? Der Staat, liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser, das sind wir. – Und wehe, einer von Ihnen sagt mir später, vorausgesetzt, es gibt ein später, er oder sie habe von nichts gewusst, er oder sie habe sich nicht vorstellen können, dass es so weit kommen könnte. Sie wussten es. Wir alle wissen es!
Ja, es hätte sich nach 2 erfolglosen Umsturzversuchen ausgemerkelt. Hätte, hätte..
ja der Konjunktiv. Es sind auch keine 35 oder 40 Prozent Demokratiegegner er-
forderlich. Nein, es reichen nervöse Bundespolitiker die gemäß dem Prinzip #Teile
und Herrsche# vom eigentlichen Problem ( Zuwanderung ) ablenken wollen, durch
Diskreditierung, Bevormundung oder Notfalls durch Überstrapazierung der Nazikeule.
Mit freundlichen Grüßen
Herbie
@Herbi: Ich nehme an, Sie wissen, dass ich da ganz anderer Ansicht bin als Sie. Für mich ist die Zuwanderung nicht das Hauptproblem, aber das habe ich in vielen Kommentaren deutlich gemacht.
Es tut mir leid, dass ich Ihren Kommentar erst jetzt gesehen habe, Ihr Hinweis brachte mich dazu, noch mal genauer nachzuforschen.
@Jens Bertrams
Klar ist mir bekannt, dass Sie anderer Ansicht sind. Weil das oft so ist,
lese ich hier seit etwa Sommer 2015. Auslöser war eine Abhandlung von
Ihnen über Flüchtlinge im Herbst 2015, in der humane Aspekte beleuchtet
wurden bei gleichzeitiger Feststellung ihrerseits -es werden nicht alle
kommen können-.
Unter Zuwanderung meinte ich in meinem Kommentar die rechtlichen Aspekte
der sogenannten Flüchtlingskriese.
Mit freundlichen Grüßen
Herbie