Niemand muss in Deutschland verhungern, sagen nicht nur die Politiker, sondern auch Manche in der Blogosphäre. Ich hatte eine Zeit im Leben, in der ich sehr depressiv war und mich nicht traute, zum Briefkasten zu gehen, es könnte ja schlimme Post drin sein. Aus diesem Blickwinkel unter Anderem verfolge ich die teils heftigen Diskussionen in den Blogs über Speyer und die Folgen.
Nachdem mein Posting zum tragischen Tod eines jungen Arbeitslosen in Speyer von www.mein-parteibuch.com veröffentlicht worden war, hat es dort und bei Unkreativ eine interessante Debatte gegeben. Einige Leser haben, wie nicht anders zu erwarten, die neoliberale Behauptung gebetsmühlenartig wiederholt, dass in Deutschland niemand verhungern muss, und dass der Tote selbst Schuld gewesen sei, denn er habe etwas tun müssen. „Vollversorgung“ sei heute nicht mehr möglich, schrieb einer, ein anderer oder eine Andere sprach von der „Dankbarkeit“, die man empfinde, wenn man durch die Hartz-Gesetze wieder etwas zu arbeiten habe. Auf der anderen Seite wird von Manchen ein Bedingungsloses Grundeinkommen gefordert, und gerade im Diskussionsfaden von Unkreativ finden sich persönliche Schicksale, zu denen mir nichts mehr einfällt: Kranken werden die Medikamente verweigert, sie werden wegen Verweigerung ebenfalls auf Nullbezug gesetzt; andere veröffentlichen Rezepte, wie man mit rund 100 Euro im Monat über die Runden kommen kann, zumindest um das Überleben zu sichern. Sie gehen sogar von 40 Euro im Monat aus, wenn es ganz schlimm kommt. Natürlich gibt es auch die, die vollmundig behaupten, der junge Mann habe einfach auf die Schreiben der Arbeitsagentur reagieren müssen, habe selbst Initiative zeigen müssen. Mit noch so sachlichen Argumenten ist diesen Menschen wohl nicht beizukommen. Einer hat dann etwas gesagt, was mich aufhorchen ließ: „Wenn man depressiv ist, dann geht man auch nicht zum Briefkasten, es könnte ja schlimme Post drin sein.“ Ich fand es mutig, dass jemand so etwas geschrieben hat, denn das ist nicht einfach.
Ich habe zwei Zeiten in meinem eigenen Leben erlebt, wo ich in tiefen Depressionen steckte. Natürlich betrachte ich die Diskussion auch aus diesem Blickwinkel und bringe darum Verständnis für den jungen Mann auf, jenseits aller staatsrechtlich geforderter Sozialstaatsgarantie. Als mein Bruder vor 15 Jahren an Lungenkrebs starb, hatte ich gerade das Gymnasium verlassen und war an der Universität. Ich wollte Jura studieren, das war schon seit mehr als 10 Jahren mein Wunsch. Ich bin heute noch sicher, dass ich es fachlich gepackt hätte, aber die Anonymität als Blinder unter 400 Sehenden, von denen man auch nach Wochen kaum einen kennt, hat mich umgehauen. Da unterhält man sich mit einem Studenten, aber am nächsten Tag findet man ihn unter 400 Leuten nicht wieder, solange er einen nicht anspricht. Als dann mein Bruder gestorben war, habe ich für eine Weile gar keine Vorlesungen besucht, habe manchmal bis zu zwei Wochen nur im Bett gelegen, bin nur zum Essen aufgestanden. Ich fühlte mich dem „draußen“ nicht gewachsen und habe mich vor ihm verkrochen. Es hat zweieinhalb Jahre gedauert, bis ich wieder einigermaßen auf dem Damm war, mein Studium konnte ich vergessen, ich hätte keine Förderung mehr bekommen. Das ist der Grund, warum ich heute zwar mit Abitur, aber ohne Studienabschluss dastehe.
Vor 5 Jahren, nach dem Tod meiner Mutter, der plötzlich und fürchterlich über mich und meine Liebste hereinbrach, die zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung in einer anderen Stadt machte und nur am Wochenende zu hause war, dasselbe Spiel. Allerdings nur ein Jahr lang, dann riss mich der Kampf um das Blindengeld hier in Hessen aus meiner Depression. Aber so etwas ist die Hölle, und man hat die ärgsten Probleme mit den alltäglichsten Verrichtungen. Aufstehen ist eine Qual, man sitzt lange vor dem Telefon und fragt sich: „Wenn ich jetzt den Menschen oder die Behörde anrufe, kriege ich dann eine patzige Bemerkung zu hören? Kann ich die dann überhaupt ertragen?“ Man hat Angst vor jeder negativen Nachricht, vor jedem Wort, das weh tun kann. Es ist schwer, dagegen Mechanismen zu entwickeln.
Menschen, die das nicht kennen, können leicht darüber urteilen, und ich habe in den Blogs durchaus einige gefunden, die das tun, und die gegenteiligen Argumenten nicht zugänglich sind. Wenn es heißt, dass der junge Mann in Speyer depressiv war, dann nehme ich tatsächlich an, dass die Briefe entweder ungeöffnet waren, oder der Inhalt dieser Briefe hat eine totale Lähmung bei ihm und offenbar auch bei seiner Mutter bewirkt. Die Sorge um die notwendigsten Dinge im Leben lähmt einen Menschen mit Depressionen so sehr, dass er möglicherweise nicht in der Lage ist, sich um diese Notwendigkeiten zu kümmern. Darum erschreckt es mich zwar, aber ich kann gut nachvollziehen, warum ein Mensch sterben musste, der mit dem Druck, der auf ihm lastete, nicht mehr zurecht kam.
Ich bin selbst Hartz-Empfänger, aber es gab auch für mich in diesen Debatten Dinge, die mich erschreckt haben: Da wird ein schwerer Pflegefall als voll arbeitsfähig eingestuft, der aufgrund seiner schweren Krankheiten kaum etwas essen kann, und weil es ihm unmöglich ist, aus Gesundheitsgründen, beim Jobcenter vorzusprechen, streicht man ihm das Arbeitslosengeld. Dann auch noch das ausgezahlte Pflegegeld. Seine Frau hat Angst, dass auch ihr Man sterben wird, wie der junge Arbeitslose in Speyer.
Wo leben wir denn? Wie kann da noch jemand sagen, die Leute wären selbst schuld, sie müssten sich bemühen, eine staatliche Vollversorgung könne und dürfe es nicht geben?
Die Blogosphäre ist ein Ort vieler Meinungen. Aber es ist keineswegs so, dass die Nachricht von einem verhungerten Mann in einer reichen deutschen Stadt allgemein und uneingeschränkt Betroffenheit, Bestürzung und Widerspruchsgeist hervorgerufen hätte. Beteiligen Sie sich und setzen Sie ein Zeichen, liebe Leserin, lieber Leser: Ein Zeichen für mehr Menschlichkeit in diesem Lande. Alle drei Blogs freuen sich auf Ihre Einträge, denn jede und jeder ist gefragt.
Copyright 2007, Jens Bertrams.
Ich habe die Diskussion um den Tod des Mannes in Speyer in diversen Blogs mitverfolgt, allerdings ohne mich selbst dazu zu Wort zu melden, obwohl ich überlegt habe, ob ich mich zu Wort melden sollte. Allerdings ist mir schon nach kurzer Zeit des Lesens der diversen Kommentare und Beiträge zum Thema schnell klar gewesen, daß es nur schwer möglich sein dürfte, diejenigen, die denken „selber schuld“ o. ä. von diesem Denken wegzubekommen. Was Hartz IV bedeutet, in welche Krisen es einen stürzen kann, wie sich die Art und Weise, wie man von den Ämtern bzw. den Menschen dort angesprochen und behandelt wird auf die Dauer auf die eigene Psyche auswirkt, das kann nur verstehen, wer es am eigenen Leib erlebt bzw. erlebt hat.
So traurig das ist. Das Bild, das offenbar in den Köpfen der meisten Leute, die noch in Lohn und Brot sind oder darauf nicht angewiesen sind, vorherrscht, wenn sie an Arbeitslose bzw. Hartz-IV-Empfänger denken, ist leider daß des „Sozialschmarotzers“.
Die Meinung, „Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit“, ist weit verbreitet und die meisten Versuche zu zeigen, daß das so – an vielen Orten und aus verschiedenen Gründen für viele einfach nicht wahr ist, schlagen leider fehl – zumindest bei denen, die gar nicht selber von der Problematik betroffen sind.
So graust es mich jeden Monat erneut vor dem Tag, an dem die Arbeitslosenzahlen veröffentlicht werden, wird nämlich freudestrahlend verkündet, diese Zahlen seien weiter gesunken – freut mich das zwar für jeden, der tatsächlich eine Arbeit gefunden hat (abgesehen davon, daß diese Zahlen teilweise auch „geschönt“ werden und nicht wirklich alle, die aus der Statistik herausgefallen sind, haben tatsächlich eine neue Arbeit gefunden), löst aber aus, daß ich mich noch miserabler fühle, weil ich es wieder nicht geschafft habe und kann ich wetten, daß ich, wenn ich anderen gegenüber sagen muß, daß ich immer noch ohne neue Arbeitsstelle bin, von anderen zu hören bekomme: Du mußt Dich halt mehr anstrengen, die Jobs sind ja da, die Arbeitslosenzahlen sinken – wieso hast Du noch keinen neuen Job?!
Wer dann auch noch gesundheitlich eingeschränkt ist, sei es physisch oder psychisch, ist doppelt gestraft und es gibt zu viele, die sich ohne wirklich Ahnung zu haben oder den jeweiligen Menschen und seine Hintergründe wirklich zu kennen, ein Urteil anmaßen. Wer das am eigenen Leib erlebt oder bei anderen beobachtet, wird ebenfalls immer stiller, zieht sich zurück und ist damit wieder ein Schritt näher an der Isolation oder Depression. Darum ist es vermutlich schon gut und richtig, wenn sich Betroffene zu Wort melden und erzählen, wie es ihnen ergeht – damit vielleicht hier und da doch bei Einzelnen ein Umdenkprozeß bzw. eine Erweiterung des Horizonts, was diese Thematik angeht, stattfinden kann.
Jedenfalls an dieser Stelle „Dankeschön“ für die offenen und mutigen Worte in diesem Beitrag.
Triage (franz. Sichtung, Einteilung), nenn es ruhig was es ist, ein Begriff aus dem Militärischen. Triage bedeutet (nach einem Krieg, eigentlich Atomkrieg), abzuschätzen wer vollständige Hilfe bekommt, wer etwas Hilfe bekommt (Schmerzmittel) und wen man verrecken läßt.
Den Begriff Triage gibt es auch seit einigen Jahren in den Denk-Tanks der Neokonservativen. Hier auch gerne umschrieben als „Humankapital“, will heißen: wer ist nützlich. Wer also schwach ist, kränklich, zu jung oder zu alt, wer also nicht dem Leistungssprektrum der (kapitalistischen) Zivilgesellschaft entspricht wird aussortiert. Und das immer rigoroser und ohne jegliche Scham. Moral, Ethik, Mitleid, nie gehört.
Man könnte ja auch wählen gehen, die Machtstrukturen ändern, aber wer wird gewählt? Die Neokonservativen, das wird alles noch viel härter werden, da täuscht euch mal nicht.
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Liisa spricht mir aus dem Herzen, wenn sie es anspricht:
„So traurig das ist. Das Bild, das offenbar in den Köpfen der meisten Leute, die noch in Lohn und Brot sind oder darauf nicht angewiesen sind, vorherrscht, wenn sie an Arbeitslose bzw. Hartz-IV-Empfänger denken, ist leider daß des “Sozialschmarotzersâ€.“
Seit ich 2004 das Blog Arbeitsmarktreform gestartet habe – das jetzt „Das Unterschichtenblog“ heißt – wurde ich oft mit dieser Haltung konfrontiert. Mich macht es von Tag zu Tag rat- und hilfloser, wenn ich merke, dass die PR gegen Erwerbslose wirkt. Und sie wirkt! Manchmal merke ich auch, dass sich Erwerbslose in den Kommentaren melden, die noch vor kurzer Zeit auf der „anderen Seite“ gestanden haben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dann regen sie sich ein paar Wochen auf, dass die Gesetze, dann doch nicht so sind – und vorallem auch nicht eingehalten werden – wie sie das immer dachten. Danach sind sie still. Damit hätten sie nie im Leben gerechnet: Das man nicht einfach immer das bekommt, „was einem zusteht“. Dass ein Sozialgerichtsverfahren eine andere Belastung ist, als ein Rechtsverfahren mit Haftpflichtversicherung. Dass sie nicht wie ein Student behandelt werden. Dass sie gemustert werden und argwöhnich betrachtet. Dass ihre Angehörigen es nicht gut finden, Fragebögen über ihre finanzielle Verhältnisse auszufüllen und und und.
Mein Gott, so schwer ist das doch nicht zu verstehen:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Klingt vielleicht manchen zu abgehoben.
Wenn wir uns nicht mehr gegenseitig um uns sorgen, dann sind wir keine Menschen mehr.
Punkt. Aus. Dann sind wir keine Menschen mehr.
Und dann schreibt da noch MonoMa
notiz: sehr unvollständige liste bekanntgewordener todesfälle im zusammenhang mit antisozialer politik: es gibt viele arten, um einen menschen zu töten…(update)
http://autismuskritik.twoday.net/stories/3645861/
(Ich hoffe, ich habe den Link richtig gesetzt.)
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Vielen Dank für soviel Offenheit! Ich bewundere Deinen Mut!
Ich erinnere mich an Walter. Walter lag den ganzen Tag nur auf seinem Bett. Uns bat er immer, ihm Gummibärchen mitzubringen.
Nachdem wir allmählich dahintergekommen waren, wie es um ihn stand, haben wir versucht, Walter mit Gummibärchen zu locken: Komm mit, dann kriegst Du Deine HaRiBos!
Erst klappte das ein paar Mal, doch dann nutze das auch nichts mehr. Müde und träge meinte Walter. „Bringt mir bitte Gummibärchen mit!“
Außer den HariBos hatte er nichts.
Walter habe ich während des Lehrgangs kennengelernt, den ich besucht habe, nachdem ich erblindet war. Er hat seine Erblindung nicht verkraftet.
Ich habe es damals im Alkohol ertränkt. Schließlich habe ich mich dann aus der säufer-Clique herausgelöst, weil die nur eine Gemeinsamkeit hatte: Das allabendliche Saufen!
Getrauert um das verlorene Sehen habe ich lange. Lange wollte ich es nicht wahrhaben und bin ohne Stock mit weniger als 2 Prozent Sehrest herumgelaufen. Die Bordsteinkanten brachten mich dann aber öfter auf die Knie.
Es hat Monate gedauert, bis ich mir eingestanden hatte, dasss es so nicht mehr weitergehen kann.
Ich habe die Kurve gekratzt. Ich habe Glück gehabt. Relativ!
Der 20-jährige lernbehidnerte Mann aus Speyer hatte zwar wohl seine Mutter, die aber allem Anschein auch depressiv war. Wer hat ihm sonst geholfen?
Anscheinend niemand!
„Arm“ ist nicht ohne Grund gleichbedeutend mit „kein Geld haben“ und „bedauernswürdig sein“. Armut grenzt aus. Armut macht krank.
Dieser Staat duldet diese Ausgrenzung. Er hat sie bewusst herbeigeführt. 1,9 Million Kinder leben in Armut. Hinzu kommen noch einmal mehrere hunderttausend arme Jugendliche. Was haben die verbrochen?
Sind die etwa auch selber schuld?
0,37 Euro monatlich für Spielzeug sieht das arbeitslosengeld II (ALG II) vor. Ein Teddy müsste so lange angespart werden, bis das Kind schon eine Modelleisenbahn möchte. Doch die wäre ja noch viel teuerer!
Spielen ist da kaum drin.
Angesichts von Sprüchen wie „mehr Eigeninitiative“ oder „mehr Eigenverantwortung“ packt mich die pure Wut. Dergleichen hat die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) mit 100 Millionen Euro Etat bis 2010 in die Köpfe der Menschen gehämmert. Finanziert wird diese Propaganda vor allem vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall.
INSM fordert „Reformen“. Gemeint ist genau jener Sozialabbau, den die Menschen hierzulande Hartz IV nennen.
Diese neoliberale Sozialpolitik ist – im wahrsten Sinne des Wortes – mörderisch.
Und dann sagt Beck einem ALG-II-Bezieher, er solle sich doch mal waschen. Ungewaschen ist mancher, weil er keinen Grund mehr darin sieht, sich zu reinigen. Für wen? Für was? Womit? Wovon?
Auch Seife und Wasser kosten Geld.
Wer noch nie hat sparen müssen, der kann sich das nicht vorstellen. Wer schoon einmal tagelang von einer Packung Brühwürfel und einem Kanten alten Brots gelebt hat, der weiß, was hungern ist.
Während die einen an Herzverfettung krepieren, leiden andere an den Folgen von Unterernährung. Auch Kinder!
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde diese Probleme lösen. Es wird kommen. Europaweit!
fjh
Hi Jens,
DANKE für diesen Beitrag! Und besonderes Danke für Deine Offenheit, das Problem mit eigenen persönlichen Tiefs zu hinterlegen. Respekt!
Ich selbst stand zuletzt vor mehr als 7 Jahren auf einer Brücke, mit dem festen Willen runterzuspringen. Seitdem hatte ich Glück im Leben, immer wieder genug Momente, die einen weiterbringen, auch wenn es einem net so toll geht. Damit will ich sagen, dass ich vor Depressionen einen Höllenrespekt hab.
Abgesehen von der ganzen Hartz4-Debatte, die eigentlich eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus ist (ja, ich kann meine ostdeutschen Wurzeln nicht verstecken, und ich will es auch nicht), die Humanität, zu der wir uns in Europa ja dauernd bekennen, sollte uns VORSCHREIBEN solche Schicksale wie das von Dir angesprochene ERNST zu nehmen. Erst einmal als Schicksal, als „wie hätten wir sowas verhindern können?“ Zumindest gleichwertig mit Amok-Läufen, einstürzenden Mehrzweckhallen wie in Reichenhall, einfach mit all den anderen Dingen, die FALSCH laufen und die wir ÄNDERN sollten!
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Wo bleibt eigentlich die Mitmenschlichkeit? Warum hat eigentlich gar keiner gemerkt, daß da einer verhungert? Hat den Mann keiner gekannt? Mal abgesehen von der staatlichen Ebene, wo waren da die Nachbarn? Man kann das Ganze nur auf menreren Ebenen sehen. Auf der psychischen Ebene war da wohl einer, der mit dem Leben nicht mehr klarkam und vor lauter Verzweiflung irgendwann einfach den Kopf in den Sand gesteckt hat. Warum haben das eigentlich die Behörden bzw. die Gutachter gar nicht mitbekommen? Die ARGE hat vielleicht gar nicht mal gewußt, was psychisch mit dem Mann los war und hat einfach nach ihrer Gesetzeslage entschieden. Warum wurde da kein Sozialarbeiter vorbeigeschickt, als man merkte, daß auf die Mahnschreiben von Seiten des Mannes keinerlei Reaktion kam? Die Behörden denken nur in ihren Kategorien. Von ihrer Seite aus war er eben ein Faulenzer. Da hätte ein Sozialarbeiter vorbeikommen müssen, weil man niemanden einfach so ohne Weiteres durch die Maschen fallen lassen sollte. Der hätte ihn einfach bei der Hand nehmen sollen und ihm helfen müssen, die richtigen und notwendigen Anträge zu stellen, weil er selbst nicht fähig dazu war. Er hätte auch in eine Maßmahme für psychisch Kranke oder in eine Schulungsmaßnahme gemußt.
Einfach nur Geld schicken ist zwar auf einer Ebene die richtige Lösung, damit er nicht verhungert, aber wenn er depressiv ist und nichts mehr tut, hilft ihm DAS alleine auch nicht. Wer weiß, vielleicht hätte er sich darum auch nicht mehr gekümmert. Mehr Achtsamkeit von Seiten der Behörden: Warum antwortet da einer nicht? Mehr Achtsamkeit von der Nachbarschaft: Warum sehen wir denn den Herrn XY nicht mehr? Mehr Hilfe von Netzwerken, Verwandtschaft, Nachbarschaft, von der Gesellschaft im Allgemeinen, auch von medizinisch-psychologischer Seite, das wäre hier bei dem komplexen Fall wohl am ehesten notwendig gewesen. Man muß halt mehr differenzieren und auch mal genauer hinsehen. In einem Land mit vielen verschiedenen Beratungseinrichtungen und Hilfsangeboten muß es doch möglich sein, daß so jemand nicht heimlich still und leise vor die Hunde geht.
@Dorothee: Ich gebe dir da vollkommen recht. Nur hat die Arge gewusst, was mit ihm ist. Bis ende 2004 war er vom Sozialamt betreut worden, da waren auch Sozialarbeiter da. Dann hat die Arge ihn für Arbeitsfähig erklärt. Sie wussten es!
Der junge Mann aus Speyer wurde mit Sicherheit aus wirtschaftlichen Gründen als arbeitsfähig eingestuft. Denn die Kommunen machen eine ganz einfache Rechnung auf: Wer arbeitsunfähig ist, der bekommt Leistungen von der Kommune, wer dagegen mindestens drei Stunden arbeiten kann, erhält dieselben Leistungen vom Bund. Unter dem Strich macht es für den Leistungsempfänger keinen Unterschied, die Summe an sich bleibt immer gleich. Für die Kommunen jedoch sehr wohl. Schließlich wollen sie sparen, und bei den Kranken und Eingeschüchterten geht es am leichtesten. Und besonders leicht bei den unter 25jährigen. Es ist dort definitiv eine Klausel im Gesetz verankert, die dem Sachbearbeiter, Casemanager, Fallmanager, Leistungssachbearbeiter (habe ich jemanden vergessen?) eine Leistungskürzung bis 100% legal gestattet. Natürlich nur um die Arbeitswilligkeit des Probanden genau einschätzen zu können. Und es ist auch völlig unerheblich, ob sie die Sanktionen maximal 3 Monate aufrecht erhalten dürfen oder bereits nach sechs Wochen zurücknehmen können. Fakt ist, das sie es können! Ein einzelner Schreibtischtäter hat die per Gesetz die Macht in den Händen, um die elementar weitreichende Entscheidung zu treffen: „Du darfst essen, und du nicht!“ Wo bleibt eigentlich der Aufschrei, der durch Deutschland gehen müsste? Ich höre nichts! Die Medien bleiben stumm. Wer sagte ihnen, dass sie schweigen sollen? Lediglich die Zeit und der Stern haben über den Hungertoten von Speyer berichtet. Und wo steckt eigentlich Herr Müntefering? Hat es ihn die Sprache verschlagen, dass seine Forderung so schnell Realität wurde? Wo bleibt das übliche Wortgedöns unserer Damen und Herren Politiker, die doch immer für ein falsches Wort zur Unzeit gut sind? Hat Söder diesmal garnichts zu bemerken, und Pofalla bleibt auch stumm? Ei, wie kommt denn das? Frau Merkel, Sie als unsere Kanzlerin, was sagen Sie zu dieser unmenschlichen Tragödie? Oder wissen Sie noch nichts davon, weil Sie momentan noch im Ausland herumkrabbeln, und dort Pontius und Pilatus helfen? Herr Köhler, Sie sind unser Staatsoberhaupt. Ein Bürger unseres Landes ist qualvoll verhungert, haben Sie dazu gar nichts zu sagen? Herr Wullf, Herr Kauder, Herr Meyer, Sie alle hocken doch in der Regel als Dreifaltigkeit in sämtlichen Talkshows und geben dort die neuesten Horrorforderungen für Hartz-IV-Bezieher zum besten. Man hört und sieht ja gar nichts von Ihnen. Sie widmen sich momentar wohl verstärkt ihren vielfältigen Nebenjobs und anderen Wichtigkeiten? Doch ich bin sicher, dass wir bald wieder von Ihnen hören werden. Von Ihnen allen. In gewohnter Lautstärke und Impertinenz. Nämlich dann, wenn irgendwann irgendwo in Deutschland irgendso ein armer schwarzarbeitender Hartz-IVer von der Boulevardpresse ans Tageslicht gezerrt wurde, der nebenbei Alg II kassiert. Ich sehe jetzt schon die riesigen Schlagzeilen, die uns morgens in fetten Lettern am Kiosk anspringen. Ich höre bereits jedes einzelne Wort von Kauder, Pofalla, Wulff, Meyer und der ganzen Mischpoke, wenn es darum geht, anhand eines ungeprüften Einzelfalls wieder sämtliche Hartz-IVer als Parasiten, Schmarotzer usw. beschimpfen zu können. Und wenn sie so eine günstige Gelegenheit erhalten,gibt sie Ihnen die Möglichkeit immer neuere Grausamkeiten fordern und durchsetzen zu können. Sie haben jetzt auch eine „Gelegenheit“. Diese Tragödie gibt Ihnen die Möglichkeit neue Forderungen aufzustellen. Und die wichtigste zuerst: Hartz IV muss weg!!! Damit könnten Sie alle sofort durch sämtlich Talkshows tingeln, und ich bin mir sicher, Millionen Menschen wären sofort auf Ihrer Seite. Doch was sind diese Millionen Habenichtse gegen eine Handvoll Lobbyisten? Gegen zahlungskräftige Unternehmen die interssante Nebentätigkeiten offerieren? Die wählen Sie zwar nicht, doch sie zahlen gut.
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Ich finde es auch mutig und nötig dass solche Dinge offen angesprochen werden. Vermutlich kann nur jemand der selber schon depressiv war/ist das nachvollziehen. Immer dann wenn jemand zu todegekommen ist werden die Stimmen laut. Jetzt der junge Mann, ein andermal ein verhungertes Kind. Sätze wie: Wie kann eine Mutter das tun oder wie jetzt, er hätte die Initiative ergreifen müssen. Gesunde, Wohllebende können sich da nicht einfühlen. Falls doch, müsste man von Gleichgültigkeit und Gefühlskälte ausgehen. Solche Zustände sind absolute Ausnahmezustände, alles ist taub, man fühlt nichts. Während einer schweren Depression in meinen frühen Zwanzigern ist es mir passiert, dass mein Wellensittich verhungerte. Im Nachhinein erschreckend, aber heilsam, ich verurteile keine Frau die schuldig an ihrem Kind wurde und verdächtige auch niemand der Schmarotzerei.
Grüsse
Es ist ein Skandal, dass in einer der reichsten Länder Menschen verhungern. Bei Hartz IV werden die Opfer zu Täter gemacht. Wenn der Sozialstaat weiter zerschlagen wird (Reformen) wird die Bundesrepublik Deutschland zu Weimar 2 werden.
Hallo,
es ist schon erschütternd wie wenig Mitmenschlichkeit in diesem reichen Land noch herscht!
Jeder kämpt für sich selbst ums eigene Überleben. Mit dem Röhrenblick brescht jeder voran, ohne nach rechts oder links zu sehen. Die Bundesverfassungrichterin Dr. Christine Hohmann-Dennhardt hat dieses Verhalten in ihrer Laudatio auf Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach am 23. Juni 2006 im Marburger Rathaus mit Hengsbachs Begriff des „Agenda-Menschen“ beschrieben. Wer nicht so funktioniert, bleibt bei Hartz IV halt auf der Strecke!
Da sich jeder nur um sich selber kümmert, sorgt sich auch niemand um seine Nachbarn. Wie sollte er auch? Wann sollte er auch?
Keiner hat mehr Zeit, sich um seinen Nächsten zu kümmern, da jeder im großen Windhunde-Rennen um seine eigene Existenz voll absorbiert ist.
Das Ganze hat System. Und eben deshalb gibt es auch keinen lauten öffentlichen Aufschrei.
Denn dieses Land ist längst eine Bannenrepublik geworden!
Wenigstens einige wenige Aufrechte halten dagegen. Dank der Initiative von Jens bleiben sie nicht stumm. So hat auch die Humanistische Union (HU) in Marburg zum 1. Mai ein Flugblatt zum Hunger-Tod in Speyer verteilt. Auslöser war unser gemeinsamer Hunger nach Sozialer Gerechtigkeit.
fjh
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