Mein Wahlaufruf

Den folgenden Wahlaufruf habe ich für den Ohrfunk geschrieben.

Liebe Hörerinnen und Hörer,

es ist schon fast Tradition, dass ich in meinem letzten Kommentar vor einer Bundestagswahl dazu aufrufe, wählen zu gehen. Mal mehr, mal weniger intensiv behaupte ich, es handle sich um eine Schicksalswahl, und man müsse unbedingt demokratisch wählen. Spätestens seit 2017 sage ich das. Das alles wissen Sie, und ich muss es nicht wiederholen. Wenn Sie sich in Ihrem Umfeld umhören, dann wissen Sie auch, wieviel Hass und Hetze im Land existiert. Jede und Jeder von uns erkennt schmerzlich, dass Freunde oder Familienangehörige den rechten Hetzern auf den Leim gegangen sind und die AfD wählen werden, egal wie menschenverachtend diese Partei ist. Sie wollen von Faschismus und dem dritten Reich nichts mehr hören. Vielleicht ist das auch in Ordnung so, denn mit dauernden Mahnungen erreicht man die Menschen nicht, die glauben, Angst um ihre Existenz haben zu müssen. Es kann mir und Ihnen nicht darum gehen, die zu überzeugen, die von der AfD überzeugt sind. Für jetzt sind sie hinter einer unüberwindlichen Mauer verschwunden, denn Hass und Hetze werden nicht durch Vernunft reduziert oder gar überwunden.

Mein Wahlaufruf kann also nur Ihnen gelten, die Sie auf keinen Fall die AfD wählen wollen, sich aber ansonsten nicht sicher sind. – Haben wir nicht wirklich zu viele Flüchtlinge aufgenommen? – In Deutschland sterben jährlich rund 1 Million Menschen, und rund 600.000 werden geboren. Ohne Einwanderung sinkt unsere Bevölkerung jährlich um rund 400.000 Personen. So sagt es das statistische Bundesamt. Man mag denken, dass das angesichts hoher Arbeitslosigkeit ja auch gut so ist, doch weit gefehlt. Für viele Arbeitsplätze gibt es keine Bewerberinnen und Bewerber mehr, die Wirtschaft verlangt nach Zuwanderung. Es stimmt, dass die Kommunen Alarm schlagen, weil sie Hilfe bei der Bewältigung des Zustroms von Geflüchteten benötigen, denn sie haben zu wenig Personal und zu wenig finanzielle Unterstützung. Das müsste der Bund regeln. Stattdessen möchte der vermutliche nächste Bundeskanzler den Familiennachzug für Flüchtlinge nach Deutschland abschaffen. Kaum jemand weiß, dass es sich derzeit um 1000 Personen pro Monat handelt. Mit der Abschaffung des Familiennachzuges würden also pro Jahr 12.000 Menschen weniger nach Deutschland einwandern, und die jungen Männer, die auf den Nachzug ihrer Familie hoffen, bleiben allein und verzweifelt im fremden Land zurück. Und wie soll die Abschaffung des Familiennachzuges gegen Attentate helfen, wie Friedrich Merz behauptet? Begehen Frauen und Kinder die Attentate, oder ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass traumatisierte, einsame junge Männer auf die schiefe Bahn geraten? Die Union hat für eine unwirksame Symbolpolitik einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, als sie versuchte, dieses Gesetz mit den Stimmen der AfD durch den Bundestag zu bringen, und für die FDP gilt dasselbe.

Aber, werden Sie fragen, muss man nicht wirklich etwas gegen die furchtbare Gewalt unternehmen, die sich durch die Anschläge von Solingen, Aschaffenburg und München in Deutschland ausbreitet, und wo die Täter immer geflüchtete Ausländer waren? – Ich weiß nicht, ob es Sie überraschen wird, aber nicht nur Ausländer begehen Messerstechereien. Der Volksverpetzer, eine hervorragende Rechercheplattform, schrieb vor ein paar Tagen in sozialen Netzwerken: „In den vergangenen Tagen gab es Messerangriffe in Bremen, Lübeck, Ratingen, Erfurt, mehrere in Dortmund und in Berlin. Teilweise mit Toten, mit Schusswechsel mit der Polizei. Von keinem hast du wahrscheinlich gehört. In die Trends kommen nur die Einzelfälle mit Schutzsuchenden. Rate mal, warum.“ Ich finde das eine erschreckende und interessante Frage. Der entscheidende Punkt ist, dass in den Medien nur dann Messerstechereien auftauchen, wenn sie von Menschen mit Migrationshintergrund begangen werden. Selbst Schusswechsel und Tote unter Beteiligung biodeutscher Krimineller bleiben unerwähnt. Das hat System und Methode. Der Umgang unserer Medien mit Kriminalität und gesellschaftlichen Debatten ist ein Teil des Problems, und gerade jetzt, im Wahlkampf, wird dieser Trend durch Politiker*innen verstärkt. Auch SPD und Grüne werden in den Sog der Migrationsdebatte gezogen, dabei hatten sie sich auf einen Wahlkampf mit völlig anderen Themen eingestellt: Gesundheit, Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Klimaschutz. Das sind auch die Themen, die den Deutschen bis zum Tabubruch von Friedrich Merz besonders am Herzen lagen.

Eigentlich müsste für uns alle klar sein: Wer sich mit Faschisten einlässt, ist unwählbar. Dass die AfD eine rechtsextreme Partei ist, verheimlicht inzwischen nicht einmal mehr der Verfassungsschutz. Das Problem ist: Vielen Leuten ist es inzwischen egal. Sie teilen den Hass der Rechtsextremen. Sie pochen auf Meinungsfreiheit, bedrohen aber gleichzeitig Journalist*innen und Politiker*innen, die anderer Meinung sind, mit dem Tode. Auch Menschen mit Behinderung werden inzwischen wieder offen bedroht, wie jüngst ein User aus Hamburg in den sozialen Netzwerken berichtete.

Angesichts der gesetzwidrigen Machtkonzentration in den USA und dem Druck, der mittlerweile in Deutschland auf die politischen Parteien ausgeübt wird, sich Donald Trump zu beugen, und auch wegen der Geschehnisse, über die ich eben berichtet habe, ist diese Wahl tatsächlich sehr bedeutend. Wir müssen unseren sozialen und demokratischen Rechtsstaat verteidigen, die Beachtung von Minderheitenrechten einfordern und Menschen schützen, die von den hasserfüllten Rechtsextremen bedroht werden, weil sie anders sind: Homo- und Transsexuelle, arme Menschen, Frauen, Menschen mit Behinderung, aufrechte Journalisten und Rechtsanwältinnen. Für mich steht fest, dass sich die CDU unter Friedrich Merz Donald Trump sehr weit angenähert hat, und der hat nicht davor zurückgeschreckt, das Kapitol, den demokratisch gewählten amerikanischen Kongress, von rechtsextremen Banden stürmen zu lassen. Das wird hier nicht geschehen, auch nicht, wenn Merz im März die Regierung bilden wird. Hier in Europa wird es anders laufen. Man wird den öffentlich-rechtlichen Medien das Geld kürzen, Bildungsprogramme über alternative Lebensentwürfe einfrieren, den Schwangerschaftsabbruch und das Selbstbestimmungsgesetz für Transsexuelle wieder abschaffen, ebenso wie die sogenannte Homo-Ehe. Man wird das Bürgergeld kürzen, die Unterstützung für arme Familien zurückfahren und die Steuern für Unternehmen und Vermögende weiter senken. Man wird Menschen mit Migrationshintergrund entrechten und zu Sündenböcken stempeln, wird viele des Landes verweisen, die doppelte Staatsbürgerschaft mindestens erschweren. Das alles und noch viel mehr wird zum Programm der nächsten vier Jahre gehören, wenn wir nicht so wählen, dass eine Koalition jenseits dieser Brandstifter möglich ist. Dafür ist jede Stimme wichtig, auch die Ihre. Darum: Gehen Sie wählen, und wählen Sie eine Partei, die in den Bundestag kommt, und die aus sich heraus solchen Entrechtungsmaßnahmen nicht zustimmen würde. Und wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Engagieren Sie sich nach der Wahl in den Parteien und sorgen Sie mit dafür, dass sie ihren Kurs ändern und ein gefestigtes, demokratisches Profil erhalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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