Und ich soll jetzt also die Wahl analysieren? Das ist Unsinn, denn wir kennen alle das Ergebnis, und die Meisten von uns haben es auch irgendwie in dieser Größenordnung vorausgesehen. Vielleicht haben wir die Linke nicht so gut eingeschätzt, vielleicht haben wir gedacht, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht in den Bundestag einzieht, aber alles in allem waren wir schon vor der Wahl recht gut informiert darüber, was uns nach der Wahl erwartet.
Zu den Dingen, die uns erwarten, gehört eine Koalition aus CDU und SPD, bei der die SPD keine andere Wahl hat, als mitzumachen, diesmal tatsächlich aus jener staatspolitischen Verantwortung heraus, die sie so oft im Munde führte und die für falsche Entscheidungen sorgte. Es wird sich wiederholen, was immer passiert, wenn der Juniorpartner einer Koalition nicht FDP heißt: Für Versäumnisse wird die SPD verantwortlich gemacht, was gelingt, wird Merz zugeschrieben. Das ist kaum anders denkbar, weil sich Merz als Macher präsentiert. CDU und SPD können kaum etwas richtig machen, und die AfD kann ihre Stunde abwarten, denn die Regierung verliert während ihrer Amtszeit immer an Zustimmung, weil sie nie die meisten Erwartungen der Wählerinnen und Wähler erfüllen kann. Wie denn auch? Raushalten aus internationalen Konflikten, weniger Migration, Arbeit für alle, weniger sperriges Europa, geringere Mieten, mehr Pflegekräfte, sichere Arbeitsplätze, billige Autos und keine Einschränkung im Konsum sind eben nicht alle auf einmal zu haben. Die Masse Mensch versteht das aber nicht. Einzelne Menschen verstehen es, aber in einer entfesselten Gruppendynamik bleibt eine kollektive Unzufriedenheit übrig, die man denen da oben anlastet. Und was immer Merz auch unternimmt: Stets und ständig hängt ihm die AfD vor der Nase, die lauthals herausposaunt, sie hätte es besser gekonnt, ja sie würde mit dem ganzen selbstgerechten Politzirkus aufräumen, würde Entscheidungsprozesse beschleunigen und mit dem linken und woken Gesocks Schlitten fahren. Merz versucht das auch, in seiner Abschlussrede beim Wahlkampf in München hat er sämtliche Demonstranten als linke und grüne Spinner bezeichnet, die nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, und für die er keine Politik machen werde. Und als Erstes nach der Wahl verlangte er eine erneute Änderung des Wahlrechts, damit die Union mehr Sitze im Bundestag bekommt. Das würde auch der AfD helfen, also kann er die SPD erpressen, es mit ihm zu beschließen, weil er es sonst mit der AfD beschließt. Merz ist nicht zu trauen, und er hat bei Trump viel gelernt.
Und so könnte ich noch ewig fortfahren, aber es würde uns nur Mutlosigkeit bescheren. Stattdessen will ich sagen, dass wir jetzt mehr oder weniger vier Jahre Zeit haben, das Steuer herumzureißen. Wir müssen uns alle für diese Demokratie engagieren, und das kann man auf vielfältige Weise tun. Wir müssen weiter gegen rechts demonstrieren. Wir müssen die Sorgen derer, die sich geringere Mieten, höhere Löhne und sichere Arbeitsplätze wünschen, ernstnehmen. Wenn sie glauben, dass die AfD sie vertritt, müssen wir sie darüber aufklären, dass das gar nicht so ist, und dass die AfD das nicht einmal wirklich sagt. Wir müssen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schützen. Wir müssen an unsere Abgeordneten schreiben, und zwar wirklich schreiben, per Post und in Massen, wenn wir mit einer Entscheidung nicht einverstanden sind und eine andere Politik wollen. Wir können uns in gesellschaftlichen Gruppen engagieren, in Vereinen beispielsweise, oder in Kirchengemeinden. Damit schaffen wir einen Raum, wo man sich wieder begegnen, kennenlernen und organisieren kann. Wir müssen etwas gegen die Vereinsamung und Vereinzelung tun. Viele Menschen, die aus Frust AfD oder CDU wählen, könnten vielleicht umdenken, wenn sie sich irgendwo aufgehoben und angenommen fühlen. Kann auch sein, dass es nicht funktioniert, aber wollen wir es deshalb lassen? Dann wären wir alle selbst schuld. Auch die Aktiven, die Kämpferinnen und Kämpfer, gerade in den östlichen Bundesländern, brauchen dringend Unterstützung, gute Worte und Solidarität. Mit dem Ende der Wahl hat der Kampf erst begonnen. Wir sollten ihn kraftvoll und unnachgiebig führen, aber nicht verbissen und mies gelaunt, sondern kreativ, humorvoll, nicht vom hohen Ross herab, sondern mit Hingabe und Menschenfreundlichkeit, auch und gerade gegenüber jenen Menschen, die erst einmal anderer Meinung scheinen. Wir sollten sie als Gesprächspartner und Mitmenschen betrachten, bis sie uns durch ihr Verhalten möglicherweise beweisen, dass es sich nicht lohnt, das Gespräch fortzusetzen. Versuchen aber müssen wir es, und zwar um unserer selbst willen. Also: Auf die Barrikaden! Der Kampf geht weiter! 🙂