Die erste Woche nach der Bundestagswahl war ein Tollhaus. Das war zwar zu erwarten gewesen, doch die Geschwindigkeit und Kompromisslosigkeit, mit der Friedrich Merz seinem Vorbild Donald Trump nacheifert, hat mich ein letztes Mal überrascht. Nach dieser Woche allerdings kann es keine Überraschungen mehr geben.
Das erste, was der künftige Bundeskanzler tat war, eine Wahlrechtsreform zu fordern. Ziel dieser Reform sollte sein, dass wieder die direktgewählten Kandidaten ohne Ausnahme in den Bundestag einziehen. Da der Bundestag aber nicht mehr so groß werden soll, soll es künftig keine Ausgleichsmandate mehr geben. Von den 23 Erststimmensiegern, die keinen Sitz im Bundestag erhielten, waren tatsächlich 18 Unionskandidaten. Natürlich kamen die Meisten über die Landeslisten trotzdem ins Parlament. Würde Merz sich durchsetzen, hätte die Union wegen ihrer fast schon natürlichen Begabung, die Wahlkreise zu gewinnen, immer einen größeren Anteil an Abgeordneten, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Das erinnert fatal an die Bemühungen der US-Republikaner, die Wahlkreise so zuzuschneiden, dass sie künftig alle Wahlen gewinnen. Vermutlich wird es ihnen gelingen, die meisten Staaten werden von Republikanern regiert, vor allem die, mit vielen Wahlkreisen mit geringer Bevölkerungsdichte.
Merz‘ zweiter Angriff galt der Zivilgesellschaft. Er stellte eine sogenannte kleine Anfrage an die Bundesregierung, die 551 Fragen enthielt über zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich über seinen Tabubruch gegenüber der AfD aufgeregt hatten. Er wollte prüfen lassen, ob man ihnen die staatliche Förderung entziehen könnte. Also: Lobbyorganisationen der Wirtschaft und der Rechten fördern, kleine Organisationen zerschlagen, die sich um den Fortbestand der Demokratie und des Rechtsstaates kümmern. Es ist alles so unsagbar erbärmlich. Viele haben dazu wichtige Sachen geschrieben, das will ich nicht alles wiederholen. Aber: Diese Anfrage hätte so nie gestellt werden dürfen. Sie ist im Grunde verfassungs- und gesetzwidrig, weil sie sich eigentlich nur auf Arbeitsbereiche der Bundesregierung beziehen darf, und sie ist riesig, was anderen Parteien bislang nie erlaubt worden war. Und sie dient der Verwirrung und Einschüchterung. Es ist der erste, noch zaghafte Versuch, in der Bundesrepublik Deutschland die demokratische Opposition zum Schweigen zu bringen.
Ich schrieb darüber auf Mastodon:
„Ach: Ich könnte schon wieder schreiben und spenden, wenn ich so viel Geld hätte. Bin doch auch nur ein Bürgergeldler. Aber der Angriff der CDU auf die Zivilgesellschaft darf nicht unbeantwortet bleiben!!! Das ist der Weg in den Faschismus! Wirklich! Der braucht immer einen Feind, und die CDU hat die Demokraten und ihre Förderer als Feinde ausgemacht. Und man müsste genau das erklären, dass Faschismus nur in der Krise funktionieren kann, und dass die AfD deshalb Krisenmodus hat. Der Mensch ist in der Lage, Erzählungen in Realität zu verwandeln, und zwar durch Vereinbarung. Woran der Mensch glaubt, das existiert, so erklärte es Yuval noah Harari einmal. Je mehr Menschen an die Legende vom großen Austausch oder sonst einen Mist glauben, desto realer wird sie für diese Leute, desto mehr Bestätigungen finden sie. Wir brauchen eine Gegenerzählung, die die Gefühle erreicht und nicht nur vom Verstand kommt. Aber damit tun sich intellektuelle Linke schwer. Die Partei „Die Linke“ schafft das derzeit so ein klein wenig, aber die muss aufpassen, dass sie sich nicht über einzelne Punkte wieder zerfleischt, auch eine Lieblingsbeschäftigung der linken Kräfte. Wir müssen die Zivilgesellschaft stärken und uns den Versuchen der Union, Demokratie von innen zu schwächen, entgegenstellen! Die Union und die FDP, die vermutlich in 4 Jahren wieder in den Bundestag einziehen wird, gehen den Weg der Republikaner in der Hoffnung, die AfD damit einhegen zu können. Lieber eine konservative illiberale Demokratie, als eine faschistische Diktatur in Reinkultur, vielleicht denkt Merz ja so. Aber wie es Herrn von Papen nicht gelungen ist, so wird es auch Herrn Merz nicht gelingen. Und wenn die AfD an der Macht ist, arbeitet er mit ihr zusammen. Wir brauchen schnell neue Konzepte!“
Trotzdem sitzen wir da wie die Kaninchen vor der Schlange, während die SPD genau das tut, was viele von uns befürchten: Sie führen Sondierungsgespräche mit Merz, der die Faschisten hofiert. Die SPD erinnert mich an ihr früheres Ich aus dem Jahr 1932, das Reichspräsident Hindenburg bei dessen Wiederwahl unterstützte, weil man ihn für das kleinere Übel hielt. Hindenburg hat der SPD nie verziehen und Hitler zum Kanzler gemacht.
Und dann war da das unglaubliche Vorgehen Trumps vorgestern. Zuerst hat er der Ukraine einen Vertrag aufgedrückt, mit dem er Rohstoffe und seltene Erden bekam, ohne der Ukraine Hilfe zuzusagen, und dann hat er sich im weißen Haus mit Präsident Selenskyj gefetzt und versucht, ihn lächerlich zu machen und zu demütigen. Das Netz ist voll von der Liveübertragung dieser peinlichen Szene, aber ich habe sie mir nicht angesehen. Der Vertreter des russischen Staatsfernsehens war auch da und übertrug live, ohne offiziell angemeldet worden zu sein. Putin und Trump hatten das offenbar vorher vereinbart. Das war erschütternd zu lesen, auch die Fassungslosigkeit so vieler Menschen. Ich schrieb dazu auf Mastodon:
„Zu dem unglaublichen Geschehen in Washington fehlen mir die Worte. Trump und Vance haben versucht, einen würdevollen Präsidenten Selenskyj zu demütigen. Es wäre lachhaft, wenn es nicht massive geopolitische Folgen hätte. Ja: Sie versuchen, Bilder und Aufregung zu generieren. Ja: Wir dürfen nicht über ihre Stöckchen springen. Doch es gibt ein offizielles Statement, mit dem Trump der Ukraine die Unterstützung entzieht. Hier geht es nicht um Bilder, sondern um die Allianz der Tyrannen. Sehen wir der Wahrheit ins Gesicht, nicht um zu verzagen, sondern einfach nur um zu wissen, was ist: Es gibt kein westliches Bündnis mehr. Die Ukraine ist auf sich allein gestellt. Europäische Politiker*innen sind nicht in der Lage, mit Trump klarzukommen, weil sie Politiker*innen sind, keine größenwahnsinnigen Verbrecher. Es gibt mit Trump nichts zu verhandeln, er ist mit den anderen Tyrannen im Bunde. Friedrich Merz sollte das schnell begreifen. Unser Problem ist, dass es keine europäische Macht gibt, die wüsste, wie man Trump begegnen sollte. Merz kann es nicht, Scholz hat es ansatzweise getan, einfach weil er noch Werte besitzt, wieviele Fehler er auch hat. Wir werden uns nach der Zeit zurücksehnen, in der sich ein Politiker höchstens mal ein wenig Geld in die eigene Tasche steckte. So etwas wie heute hat es in der veröffentlichten Diplomatie noch nicht gegeben. Und es ist sowohl Propaganda, als auch ernst gemeint. Es geht nicht mehr darum, uns tagelang über das unglaubliche Verhalten Trumps und Vances aufzuregen, das sollte schon jetzt genug sein. Und die Medien sollten nicht noch tagelang Aufreger und empörte Interviews bringen. Stattdessen muss man in der Politik jetzt ernsthaft den Schulterschluss mit der Ukraine und den anderen europäischen Staaten suchen, abgesehen von Ungarn und der Türkei. Und unsere Möchtegern-Trumps müssen wieder vernünftig werden. Wir brauchen Konservatismus im besten Sinne! Ich gehe jetzt schlafen. Ich habe nicht mehr zu sagen. Ich spreche nicht mehr über Einzelheiten. Marina Weisband hat es auf den Punkt gebracht: Ich muss nicht jeden einzelnen Aufreger kennen, ich muss das große Ganze, die Strukturen verstehen. Das gilt für uns alle, für die Medien und die Politik. Es ist unser aller Verantwortung, uns nicht einschüchtern und verwirren zu lassen und zu begreifen, dass wir uns neue Allianzen suchen müssen, vor allem Werteallianzen! Gute Nacht!“
Das Netz scheint noch schockgefrostet angesichts der Bilder aus Washington, und die Politik ist ohnehin bereit, die Ukraine zugunsten einer eigentlich nicht mehr bestehenden Partnerschaft mit den USA fallenzulassen. Zumindest forderte NATO-Generalsekretär Rutte Präsident Selenskyj auf, sich Trump anzunähern. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit und zeigt, wie sehr wir in Europa bereit sind, uns vor Trump und Vance in den Staub zu werfen. Das wird auch der künftige Bundeskanzler Merz tun.
Alles in allem also keine besonders ermutigende oder erfolgreiche Woche. Trotzdem: Die Proteste gegen die CDU gehen – wenn auch auf kleiner Flamme – weiter, und noch könnte die SPD eine Art Mut in sich entdecken und sich der unsagbaren Arroganz und dem Trumpismus von Merz entgegenstellen. Man wird doch wohl mal hoffen dürfen!