Wer das Kreuz verdient, der soll es auch bekommen

Mein Freund Franz-Josef Hanke erhielt am Donnerstag, den 8. September 2005, das Bundesverdienstkreuz für seine berufliche und ehrenamtliche Arbeit. Natürlich war ich dabei.

Dass eine solche Ehrung ins Haus stand, erfuhr ich vor etwa einem Jahr, als mir ein Schreiben des marburger Oberbürgermeisters ins Haus flatterte. Dort bat er mich, ihm eine Stellungnahme zu schreiben über Franz-Josef Hankes Arbeit in unserem gemeinsamen Verein, dem Arbeitskreis barrierefreies Internet, und auch sonst in der Behindertenbewegung. Ich solle aber bitte dem geehrten nicht sagen, was ihn erwarte, es sollte eine Überraschung sein. Das regte mich dazu an, mal über das Leben und Wirken von Franz-Josef nachzudenken.

Er wurde in Bonn geboren und früh politisch aktiv. Er ist Jahrgang 1955, und seine Familie wohnte auf dem Venusberg, wenige Meter von den Villen von Willy Brandt und Walter Scheel entfernt. Manchmal erzählt er, wie er dort am Martinsfest singen war als Kind, und wer freigiebig war und wer nicht. Politik und Politiker bekommen da plötzlich ein persönliches Profil. Schon in der Jugend engagierte Franz-Josef sich für „Amnesty International“ und die Welthungerhilfe. Später dann, als er nach Marburg gekommen war, trat er der „Humanistischen Union“ bei und ist seit 18 Jahren in Marburg ihr Vorsitzender und Landessprecher in Hessen. Er war mal Mitglied des Landesvorstandes der Grünen, gründete zahlreiche Initiativen und Vereine. Er setzte sich für einen barrierefreien Verkehr in Marburg ein, spätestens, seit er selbst blind geworden ist. Aber das waren lange nicht die einzigen Betätigungsfelder. Er schreibt für Zeitungen und Zeitschriften und für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk. Seine Tätigkeit in den Gewerkschaften, der Deutschen Journalistenunion, der IG Medien und Ver.Di haben ihn bis in die Bundeskommission freier Journalisten geführt. Und trotz all dieser Verpflichtungen findet er immer noch Zeit und Gelegenheit, sich in Marburg für soziale Bürgerrechte, vor allem die Rechte Erwerbsloser, einzusetzen. Weil er selbst blind ist, könnte man glauben, Franz-Josef würde sich in der Hauptsache mit Blinden- oder Behindertenthemen befassen. Weit gefehlt! Bürgerrechte, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit liegen ihm gleich viel am Herzen. Wenn jemand das Bundesverdienstkreuz wirklich verdient hat, dann ist es Franz-Josef.

Über den Rest der vielen Verdienste und die gehaltenen Reden habe ich übrigens bei Kobinet einiges geschrieben.

Natürlich war ich gespannt, wie eine solche Ehrung abläuft, schließlich war ich noch nie bei einer Verdienstkreuzverleihung dabei. Ich schrieb also mein Statement, wie vom Bürgermeister erbeten, und schickte es an die Stadtverwaltung. Lange Zeit geschah nichts. Dann kam wieder ein Brief, der mich für den 8. September 2005, 15 Uhr, in den historischen Rittersaal des marburger Rathauses einlud. Dort sollte die Verleihung stattfinden. Natürlich hatte ich immer noch Stillschweigen bewahrt. Erst eine Woche vor diesem Datum kam die Feierlichkeit zwischen Franz-Josef und mir erstmals zur Sprache. „Du kommst doch auch am 8. September?“ fragte er mich. Selbstverständlich sagte ich zu.

Ich kenne Franz-Josef seit sieben Jahren, und manchen Nachmittag, vor allem bei Geburtstagen unseres gemeinsamen Freundes Dr. Eckart Fuchs, von dem übrigens auch das Bild oben stammt, haben wir über alte Zeiten geplaudert. Er hat mir humorvolles und ernsthaftes, vor allem aber Interessantes aus seiner politischen Laufbahn erzählt. Mit dem heutigen Bundesaußenminister Joschka Fischer, mit Gerd Bastian und Petra Kelly war er per du, und er kann politische Zusammenhänge und persönliche Begebenheiten in einem spannenden Mix erzählen und vermitteln. Damals, im Januar 1998, war ich Vorstandsmitglied eines kleinen Vereins namens „Behinderte in Gesellschaft und Beruf (BiGuB) e. V.“, und wir wollten gegen ein behindertenfeindliches Urteil demonstrieren. Franz-Josef Hanke bekam davon mit und rief mich an. „Wie habt ihr Werbung für die Demonstration gemacht?“ Ich sagte ihm, dass ich versucht hatte, übers Internet Werbung zu machen. Bevor ich ihm noch erzählen konnte, dass wir über 50 Zeitungen angeschrieben hatten, fiel er mir ins Wort: „Tja, Internet ist ja wohl nicht alles, so kann man doch keine Pressearbeit machen!“ Ich schäumte vor Wut. Bis dahin hatte ich nicht viel von Franz-Josef mitbekommen, er war einmal mit einer Freundin von mir befreundet gewesen, und wir hatten hier und da mal ein Wort gewechselt, aber das war es auch. Arroganz und Überheblichkeit, das war es, was mir als erstes an ihm aufgefallen war. Schon wenige Wochen später, als unsere Zusammenarbeit begonnen hatte, verstärkte er seine Präsenz im Internet, und langsam aber sicher baute er sich ein riesiges Netzwerk auf. Nein, Internet ist nicht alles in der Pressearbeit, aber gerade bei Franz-Josef nimmt es einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Ich hatte mir überlegt, diese Geschichte auf der Verleihungsveranstaltung zu erzählen, habe es aber dann gelassen, um die schöne Stimmung nicht zu trüben.

Als Dr. Eckart Fuchs und ich vor dem historischen Saal im Rathaus ankamen, stand Franz-Josef da und freute sich über jeden Einzelnen, der kam. Zeitgleich mit uns tauchte der ehemalige marburger Oberbürgermeister Dietrich Möller (CDU) auf, der uns fröhlich begrüßte. Ich fand es passend, dass er bei dieser Veranstaltung zugegen war, er hatte an manchen von Franz-Josefs Erfolgen Anteil und hat uns bei Aktionen, die wir unternommen haben, immer unterstützt. Als die hessische Landesregierung aus CDU und F. D. P. vor knapp 2 Jahren das Blindengeld um 30 Prozent kürzen wollte, baten Franz-Josef und ich ihn um Hilfe, die er uns großzügig und von Herzen gewährte. Wir konnten unter anderem erreichen, dass die Kürzung nur 15 Prozent betrug. Dietrich Möller ist ein Realist, der sich für die Bewohner seiner Stadt einsetzte und einsetzt, und dazu zählen eben auch die rund 1000 Blinden und sehbehinderten Einwohner Marburgs. Gemeinsam gingen wir in den bereits vollen Saal und begaben uns auf unsere Plätze.

Den neuen marburger Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD) kannte ich zwar auch aus meiner politischen Arbeit, ich hatte ihn aber bislang noch nie bei einer Rede erlebt. Er eröffnete die Veranstaltung und freute sich sehr darüber, dass es die Ehrung von Franz-Josef Hanke war, bei der er erstmals nach der Übergabe die Amtskette wieder tragen dürfe. Er zeichnete anhand der von vielen Organisationen und Einzelpersonen abgegebenen Statements den persönlichen und beruflichen Lebensweg des geehrten nach und betonte, dass Franz-Josef als Freiberufler mit seinem Journalistenbüro immer wieder jungen Menschen, die sich für Journalismus interessierten, durch ein Voluntariat bei ihm wichtige Kenntnisse vermittelt habe. Viele Voluntäre stammten aus dem Blinden- und Sehbehindertenbereich. Es wurde nach meiner Ansicht viel zu oft darauf verwiesen, denn andere Dinge fehlten fast ganz. Seine Bürgerrechtsarbeit wurde eher heruntergebetet. Letztes Jahr noch haben wir bei der Organisation und Moderation der Marburger Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau zusammengearbeitet.

Dann kam der hessische Justizminister Dr. Christean Wagner. Er hielt die Laudatio auf Franz-Josef, und auch er würzte sie mit persönlichen Erlebnissen mit blinden Menschen. Er fände es faszinierend, dass Blinde an der Uni sich so hervorragend durchbeißen würden, er habe sich immer gefragt, wie sie das schafften. Aber sie wüssten, dass sie mehr leisten müssten als andere Menschen, um dasselbe Ziel zu erreichen. Die Ehrung, so erklärte Wagner, sei nicht nur Dankbarkeit und Respekt, sondern auch ein Beispiel für Andere, sich ebenfalls für diese Gesellschaft zu engagieren. Denn unsere Gesellschaft brauche Menschen, die selbstlos und ehrenamtlich für sie eintreten. Franz-Josef habe bestimmt schon festgestellt, dass er durch sein „Geben“ selbst reicher geworden sei. Schließlich machte er unserem Journalisten ein Kompliment: „Marburger Geschichte der letzten 20 bis 30 Jahre wäre ohne Sie nicht denkbar.“ Die Verleihung des „Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ schloss sich an. Dabei las er die Verleihungsurkunde vor und hängte Franz-Josef das Bundesverdienstkreuz um.

Was dann folgte war meiner Meinung nach eine sehr schöne Ehrung. Wer von den Gästen etwas zu ergänzen oder einfach so zu berichten hatte, ging zum Rednerpult und tat dies. Ich ging zuerst hin und erzählte die Geschichte von der Demonstration weiter, mit der unsere Zusammenarbeit begonnen hatte. Ich ging als Organisator des Marsches durch Marburg an der Spitze des Demonstrationszuges und hielt das Megaphon in der Hand. Plötzlich hörte ich von hinten einen Mann auf mich zulaufen. Er blieb neben mir stehen und sagte: „Wow, 235 Leute.“ Es war Franz-Josef, der blinde Journalist. Ich fragte ihn, woher er das wisse. Seine Antwort: „Ich bin die Reihen entlang und habe geschätzt. Wird ungefähr hinkommen.“ Die Polizei und unsere Ordnungshelfer bestätigten diese Zahl später ungefähr. Franz-Josef mischte sich in die Organisation ein, engagierte sich für den guten Verlauf der Demonstration, schmetterte Parolen und Aufrufe an die marburger Bevölkerung, sich uns anzuschließen, und er hatte damit durchaus erfolg. Ich wusste von Anfang an, dass wir auch weiterhin gut zusammenarbeiten würden, meine Wut war verraucht. Außerdem erzählte ich, dass sich Franz-Josef immer kompromisslos bei der Durchsetzung von neuen Standards für die Schwächsten einsetzt. So sehr, dass selbst ich manchmal aus diplomatischen, politischen und technischen Gründen zurückweiche. Das beste Beispiel ist die Sache mit den Standards im barrierefreien Internet. Franz-Josef sagt klipp und klar: „Alles, was Menschen mit Textbrowsern ausschließt, ist eine Barriere und darf nicht hingenommen werden.“ Damit wendet er sich gegen im Internet gebräuchliche Technologien wie Javascript, Frames und ähnliches. Die offiziellen Empfehlungen zu diesem Thema sagen aber, dass alles eine Barriere ist, was trotz gebräuchlicher ausstattung des Nutzers unbenutzbar für ihn ist. Früher waren Textbrowser für Blinde durchaus eine gebräuchliche ausstattung, aber inzwischen nutzen weniger als 1 Prozent der User diese Möglichkeiten. Deshalb werden heute von den Blindenverbänden auch neuere Technologien als barrierefrei Akzeptiert, die auch notwendig sind, um das Internet optimal nutzen zu können. Lange Zeit hat Franz-Josef sich auch öffentlich immer wieder dagegen gewehrt und sich gerade bei denen, für die er eintrat, den Ruf eines rückwärts gewandten Spinners eingefangen. Aber er blieb bei seiner Meinung, dass sich Standards an den Schwächsten zu orientieren hätten. So sehr man in der Sache anderer Meinung sein kann, so bewundernswert finde ich diese kompromisslos menschenfreundliche Haltung.

Nach mir sprach Rudi Ullrich, der Pressesprecher der Blindenstudienanstalt in Marburg. Er erzählte, dass er einmal mit Franz-Josef einen Aprilscherz gemacht habe. Sie hätten gemeinsam den Führelefanten für Blinde erfunden, der aber leider in Marburg nicht einsetzbar sei, weil die Gassen der marburger Oberstadt zu eng sind. Außerdem dankte er Franz-Josef für seine Arbeit im Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. – DVBS.

Dr. Bernhard Conrads, der Geschäftsführer der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung und Mitglied des Vorstandes der Aktion Mensch erzählte, wie Franz-Josef einst die Debatte um die Umbenennung der „Aktion Sorgenkind“ aufgelockert habe. Er machte den nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag, die „Aktion Sorgenkind“ in „Aktion Morgenwind“ umzutaufen. Wie Franz-Josef mir selbst einmal erzählt hat, gab das interessante Diskussionen und schärfte für alle den Blick.

Franz Kahle, mitglied der Grünen und Bürgermeister von Marburg, erinnerte sich an die gemeinsame Zeit bei den Grünen und bei verschiedenen, heute vergessenen, Hochschulgruppen und Bürgerinitiativen und lobte das Engagement des geehrten Freundes.

Schließlich meldete sich noch Dieter Giefer von der Deutschen Journalistenunion zu wort, der betonte, dass man in Franz-Josefs Arbeit gar nicht bemerke, dass er blind sei. Hier kam deutlich die Bewunderung für die trotz der Behinderung geleisteten Arbeit zum Vorschein.

Zum Schluss war es an Franz-Josef, auf die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes zu antworten. Er bedankte sich bei allen, die an dieser Verleihung beteiligt waren, obwohl Minister Wagner diesen Dank schon nicht mehr entgegennehmen konnte, weil er den Saal bereits verlassen hatte. Franz-Josef ging insbesondere auf Marburg ein, seine großen Geister, von denen manche in Vergessenheit geraten seien, weil sie durch die Nazis verfolgt wurden, manche, weil in Marburg zwar viel Tradition vorhanden sei, an die man sich aber erinnern müsse. Obwohl er nicht in Marburg geboren sei, lebe er gern hier, und er verstehe die auszeichnung als Ansporn so weiterzumachen. Lautstark forderte er soziale Bürgerrechte ein, wodurch er auch nach der Ehrung seinen Grundsätzen treu blieb. Er wird wohl auch weiterhin eine unüberhörbare, manchmal unangenehme Stimme bleiben.

Als die Veranstaltung zuende ging, sprach mit einemmal Franz-Josefs Mutter. Sie freue sich sehr über die Ehrung ihres Sohnes, und vieles von dem, was hier aufgezählt worden sei an Verdiensten, habe sie selbst nicht gewusst. Sie stellte sich als die kleine Mutter des großen Sohnes vor, und sie machte deutlich, wie stolz die Familie war und ist.

Zu einem kleinen Umtrunk fanden wir uns noch im Foyer des großen historischen Saales zusammen, und wir prosteten Franz-Josef zu. Es war ziemlich voll, und wir mussten auch bald weg, aber es war eine sehr schöne und gelungene Feierstunde.

Copyright © 2005, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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