Der Karikaturenstreit und die Folgen – Dänemark und die Weltkrise

Es gibt kaum noch ein anderes Thema als den sogenannten Karikaturenstreit. Aber ist er die Aufregung wirklich wert?

Botschaften brennen, genau wie Flaggen. Leider gibt es auch Tote. Und das nur, weil eine dänische Zeitung Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlicht hat? Ganz so einfach ist die Situation leider nicht.

Jylland Posten heißt die Zeitung, die im September letzten Jahres einige Mohammed-Karikaturen veröffentlichte, die jetzt in aller Welt für Unruhe sorgen. Die rechtsgerichtete dänische zeitung hat damit eine Krise ausgelöst, deren Verlauf und Ende noch nicht abzusehen ist. In muslimischen Ländern brennen westliche Botschaften und Flaggen, und wir fragen uns, ob die Pressefreiheit wichtiger ist als die religiösen Gefühle der Muslime. Dabei ist es wichtig, den Anlass zu kennen, der zu einer solchen Auseinandersetzung führte. Auch müssen wir uns darüber bewusst sein, dass mehr als drei Monate nach Erscheinen der Karikaturen absolut gar nichts passierte. Dann erst ist die Frage nach der Rangordnung der Werte „Meinungsfreiheit“ und „Schutz der Religion vor Verunglimpfung“ sinnvoll.

Die Mohammed-Karikaturen sind nicht nur plump, sie sind auch geschmacklos. Eines der Bildnisse zeigt Mohammed mit einem zur Bombe geformten Turban. An diesem Turban befindet sich eine brennende Zündschnur. Ein weiteres Bild zeigt vier Selbstmordattentäter auf einer Wolke vor dem Eingang des Paradieses. Mohammed tritt ihnen entgegen und entschuldigt sich mit den Worten: „Uns sind gerade die Jungfrauen ausgegangen.“ Es gibt noch andere Bilder, die heftige und geschmacklose Szenen zeigen. Eindeutig sollte hier ein geschmackloser „Witzefekt“ auf Kosten unserer muslimischen Mitbürger erzeugt werden. Ob es sich lohnt, für solchen Schunt die Presse- und Meinungsfreiheit hochzuhalten, muss sich erst noch zeigen.

Auf der anderen Seite muss man wissen, dass drei Monate nach Erscheinen der Bilder in „Jylland Posten“ rein gar nichts passierte. Erst als von dänischen Muslimen bei einem Besuch in die islamischen Länder ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht wurde, und zwar durch Karikaturen, die überhaupt nicht in der Zeitung erschienen sind, wurde die islamische Welt aufmerksam. Und ist es nicht seltsam, dass jetzt in Staaten, wo sonst Demonstrationen verboten sind, Massenaufläufe sogenannter gläubiger Muslime stattfinden, die dann äußerst radikal vorgehen und Botschaften in Brand stecken? Das sieht ganz nach organisierten Krawallen aus. Hier wird kontrolliert und kalkuliert eine Lunte gelegt, und zwar oft aus innenpolitischen Gründen. Zum Beispiel in Syrien. Dort ist die Regierung froh, dass sich die Wut der Massen, die sich früher zunehmend gegen das eigene Regime richtete, nunmehr auf den Westen kontrolliert. Eine gewisse Menge von Krawall ist erwünscht. Oder im Iran, wo das Regime dabei ist, mächtigster Staat in der Region zu werden und eine radikale Politik zu fahren, die der islamischen Republik Atombomben einbringt.

Vor diesen Hintergründen müssen wir uns die Frage stellen, ob hier überhaupt ein Wertekonflikt vorliegt.

Einverstanden: die Freiheit von Kunst, Meinung und Presse ist zu gewährleisten. Aber diese Freiheiten haben ihre Schranken. Hier geht es allerdings nicht um guten Geschmack. In diesem Punkt wären alle Religionen empfindlich. Christliche Religionen mögen es auch nicht, wenn ein Film wie „Die letzte Versuchung Christi“ in die Kinos kommt, wo es eine Liebesszene zwischen Jesus und Maria-Magdalena gibt. Sie reagieren nur in der Regel nicht ganz so heftig, wie muslimische Regime und Radikale. nein: Die Schranken der oben genannten Freiheiten liegt in der Ehrverletzung anderer Menschen, oder in einer anders gearteten Einschränkung ihrer Freiheitsrechte. Und da wird die Sache kompliziert. Unsere Rechtsordnung schützt ausdrücklich die religiöse und weltanschauliche Überzeugung jedes Einzelnen. Das bedeutet nicht, dass man gegen keine Religion etwas sagen darf. Aber es bedeutet, dass man nicht mit voller Absicht dorthin treten darf, wo es anderen Menschen im tiefsten Innern weh tut, und schon gar nicht, weil es anderen Menschen weh tut. Das aber hat Jylland Posten meiner Ansicht nach getan. Es mag Karikaturen gegeben haben, die wirklich solche waren, ein Überziehen tatsächlicher Gegebenheiten, ein Herausstellen gewisser Be- und Empfindlichkeiten. Damit muss jede Religion leben. Ich glaube nicht, dass alle Menschen, die jetzt in den islamischen Ländern auf die Straße gehen und Gewalttaten verüben, sich persönlich durch die Bilder an sich getroffen und verletzt fühlen. Es wird vielmehr durch die Propaganda mit den Bildern eine allgemeine antiwestliche Stimmung geschürt, die durch die Politik der USA und des Staates Israel zusätzliche Nahrung erhält. Gerade für ein Land wie Iran, das sich als radikale Macht profilieren will, kommen diese Auseinandersetzungen gerade recht. Trotzdem möchte ich nicht für diese Schundbilder die Pressefreiheit hochhalten. Denn sie verletzen gewollt die Gefühle muslimischer Mitbürger. Zumindest einige von ihnen. Sie wurden mit der kalkulierten Absicht veröffentlicht, Proteste auszulösen und zu verletzen, das ist meine Ansicht, denn sonst hätte man sich andere Bilder einfallen lassen.

Ich gebe dem österreichischen Kabarettisten Werner Schneider recht, der in einer WDR-Sendung sagte, wir dürften nicht zurückweichen vor den Drohungen radikaler Muslime. Es muss auch künftig möglich sein, Bilder von Mohammed in westlichen Zeitungen zu zeigen, genau wie Bilder von Jesus und Budha. Wir dürfen nicht zulassen, dass von uns verlangt wird, uns an die Regeln der Sharia, des islamischen Rechts, zu halten. Sonst geben wir unsere Grundrechte einer von uns nicht gewollten religiösen Rigidität preis. Aber es ist auch nicht zulässig, dass wir zusehen, wie ein Großteil unserer Mitbürger beleidigt und verleumdet wird. Sicher ist die Karikatur mit den Jungfrauen beispielsweise eine Sache, über die man nachdenken muss. Junge Selbstmordattentäter glauben, dass ihnen nach ihrem Tode im Paradies viele Jungfrauen dienen werden. Trotzdem stößt diese Karikatur wie die Anderen auch an eine Schamgrenze. Kunst kann manchmal auch beleidigend, zumindest provozierend sein. Dies aber bewusst herbeizuführen, damit es zu einer Krise kommt, ist unzumutbar. Freiheit als Freibrief zur Hetze misszuverstehen auch. Deshalb sehe ich keinen Grund, die Veröffentlichung dieser speziellen Karikaturen zu verteidigen.

Allerdings bleibt es dabei: Grundsätzlich muss die westliche Presse das Recht haben, frei zu berichten. Sonst könnte es demnächst passieren, dass wir uns nicht mehr trauen, Bilder von Frauen ohne Schleier zu zeigen, weil wir damit die islamischen Ehrgefühle verletzen. Toleranz ist immer eine gegenseitige Angelegenheit. Wenn beide Seiten die Gefühle der jeweils Anderen respektieren, ohne mit ihnen konform gehen zu müssen, und wenn wir nicht bewusst beleidigend oder gewalttätig gegeneinander handeln, und zwar auf beiden Seiten, könnte ein Dialog gelingen. So wie es jetzt läuft, ist er allerdings noch weit entfernt.

Copyright © 2006, Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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