14 Monate liegen zwischen den Kommunal- und Parlamentswahlen in Holland. Leider kann sich in diesen 14 Monaten noch viel verändern.
Wo hat man so was mit ausnahme von Großbritannien schon seit 2000 erlebt, dass es eine linke Mehrheit gibt? Eine Erscheinung, die es in Europa eigentlich kaum noch zu geben scheint.
Wenn am vergangenen Dienstag niederländische Parlamentswahlen gewesen wären, hätten die Linksparteien eine zwar knappe, aber zur Regierungsbildung ausreichende Mehrheit gehabt. Leider waren es aber nur Kommunalwahlen, und leider dauert es bis zur Wahl der zweiten Kammer noch ziemlich genau 14 Monate. Das ist traurig, denn wir wissen ja, wie schnell sich ein politischer Erdrutschsieg in eine Niederlage verwandeln kann.
Das niederländische Parteienspektrum ist vielfältiger als bei uns, breiter, oder doch zumindest ausdifferenzierter. Ganz links haben wir die Sozialistische Partei, die auf ungefähr 1 bis 2 Prozent der Stimmen bei Parlamentswahlen kommt. Weil das niederländische Wahlsystem keine 5-prozent-Hürde kennt, ist die SP mit zwei oder drei Sitzen im Parlament vertreten. Im Augenblick aber könnte sie wesentlich mehr bekommen, wenn jetzt Parlamentswahlen wären. Es wäre durchaus ein zweistelliges Ergebnis möglich. Als nächstes kommt „Grünlinks“ an die Reihe. Eine Umweltpartei, die sich aber auch anderen Themen nicht verschließt. Beide linke Parteien waren noch nie an der Regierung beteiligt, werden aber auch nicht von den anderen Parteien ignoriert. Sie führen ihr eigenständiges Leben und sind auch bei Politikerkollegen anerkannt. Man geht viel unverkrampfter als bei uns mit ihnen um. Dafür ist der Umgangston der Parteien selbst auch lockerer und unverkrampfter, und ihre Parlamentsarbeit ist konstruktiv. Auch die Grünen kommen auf 4 bis 8 Sitze im Parlament, was ungefähr 3 bis 5 Prozent der Wähler entspricht.
Die dritte Partei, die man noch als halbwegs links bezeichnen könnte, sind die Sozialdemokraten. Die „Partei der Arbeit“ ist zwar durchaus im Hier und Jetzt angekommen, aber sie vertreten auch in Zeiten der Wirtschaftskrise noch sozialdemokratische Positionen. Man muss auch sagen, dass die Partei wieder mehr Wähler bekommt, nachdem sie unter ihrem inzwischen gut aufgebauten Spitzenkandidaten Wouter Bos wieder klare Positionen in Sachthemen bezieht. Dafür lässt sich die Partei allerdings in keiner Weise zu Koalitionsaussagen hinreißen, und seltsamerweise scheinen die Wähler das zu honorieren, die Arbeitserpartei könnte nach momentanen Prognosen im Augenblick rund 48 Sitze abräumen, was etwa 32 Prozent entspricht. Das ist für die niederländische Sozialdemokratie wirklich ein starkes Stück. In letzter Zeit lag sie mal bei 33, mal bei knapp 40 Sitzen. Bei den heutigen Prognosen für die Parlamentswahl hätten die Linksparteien exakt 76 Sitze, einen Sitz mehr, als sie für eine funktionierende Regierung benötigen. Bislang hat es aber in den Niederlanden noch nie eine linke Regierung gegeben, zumindest nicht, seit das heutige Parteienspektrum besteht.
Rechts von den Sozialdemokraten gibt es die linksliberale Partei D66, Demokraten 66. Diese Partei war einmal sozialliberal, hat sich aber nach und nach von ihren ursprünglichen Zielen und ihrer ursprünglichen Klientel entfernt. Im Jahre 1966 als frische Reformpartei gegründet, die damals sogar die Monarchie abschaffen wollte, hat sie sich inzwischen einem wertkonservativen Modell angenähert, die sie eher mit den Christdemokraten als mit den Sozialdemokraten zusammenarbeiten lässt.
Die Christdemokraten sind seit über 50 Jahren auf die eine oder andere Weise immer an der Regierung beteiligt gewesen, mit Ausnahme der acht Jahre der Regierungszeit von Wim Kok von 1994 bis 2002. Die derzeitigen Umfragen sehen sie ungefähr bei 22 Prozent, was erheblich weniger ist als im heutigen Parlament, wo sie bei rund 29 % liegen. Zusammen mit den links- und den Rechtsliberalen stellen sie aber die Regierung, und der rigide Sparkurs wird ihnen von der Bevölkerung zur Last gelegt.
Großer Gewinner der Parlamentswahl vor vier Jahren war die rechtsliberale VVD, die Volkspartei für Freiheit und Demokratie, eine Art niederländischer F. D. P. Sie erhielt die von unserer liberalen Partei bislang nur angestrebten 18 % und verhalf den Christdemokraten damit zu einer stabilen Regierung. Vermutlich profitierte die VVD damals von der Enttäuschung über die noch weiter rechts stehende LPF, die von Pim Fortuyn gegründet nach dessen Tod sich als korrupt und teilweise kriminell dargestellt und ihre Anhänger enttäuscht hatte. Die VVD hatte extrem rechte Positionen besetzt und war damals damit gut gefahren. Jetzt aber scheint sich das Blatt gewendet zu haben, denn die rechtsliberale Partei errang bei den Kommunalwahlen keine 14 Prozent mehr. So ist denn auch der Fraktionsvorsitzende, Josias van Aartsen, das erste Opfer dieser Wahlen. Er trat von seinem Amt zurück. In den Niederlanden sind Partei- und Fraktionsspitze streng voneinander getrennt. Während man die Parteichefs in der Öffentlichkeit eigentlich kaum kennt, sind es die Fraktionschefs, die dort die große Politik machen. Wen ein Fraktionschef nach einer Wahl Minister oder gar Ministerpräsident wird, gibt er das Amt des Fraktionschefs an einen Anderen ab. So wird schon während einer Regierungszeit einer Partei der kommende starke Mann oder die starke Frau aufgebaut. Wobei die Partei nicht daran gehindert ist, den amtierenden Ministerpräsidenten wieder zum Spitzenkandidaten zu machen.
Am rechten Rand in den Niederlanden tummeln sich ein paar obskure kleine Parteien. angefangen von der „Lijst Pim Fortuyn“, der LPF, die aller Vorraussicht nach alle 8 Sitze, die sie jetzt noch hat, bei der nächsten Wahl verlieren wird. Dann haben wir da noch die Christenunion, eine auf religiösen Grundsätzen gegründete Partei, und die reformierte Partei,. Beide sind sehr seltsam, dulden teilweise keine Frauen als Mitglieder und Parlamentarier, und spielen im politischen Leben eine sehr untergeordnete Rolle. Dass auch diese Grupierungen von den Anderen ohne viel Aufhebens geduldet werden, ist wieder einmal ein Beweis für die politische Toleranz in unserem Nachbarland.
Alles deutet darauf hin, dass nach den nächsten Parlamentswahlen erstmals in der Geschichte eine linke Mehrheit aus sich heraus im Parlament entstehen könnte. Das heißt natürlich noch lange nicht, ob diese theoretische Mehrheit den Auftrag zur Regierungsbildung tatsächlich bekommt. In einem Land, in dem sehr viel Wert auf Ausgleich gelegt wird, wird man kaum eine Koalition zulassen, die stark zu einer politischen Richtung neigt. Zumindest nich dann, wenn diese Richtung links ist. Die heutige Regierung war ein Experiment einer Zentrumsregierung, D66, Christdemokraten und Rechtsliberale. Schon das war schwierig, weil D66 und VVD langsam ihr Gewicht immer mehr nach rechts verlagerten. Dafür scheinen sie beide derzeit die Quittung zu erhalten. Die ehemalige Reformpartei D66 scheint ihr Profil so vollkommen verloren zu haben, dass sie regelrecht unterzugehen droht. Die VVD muss wohl einige ihrer Stimmen einbüßen, zumindest dann, wenn sie in den kommenden 14 Monaten keinen Kurswechsel vornimmt oder ihre Politik besser erklärt.
Trotzdem: Selbst wenn die linken Parteien bei der im Mai 2007 anstehenden Parlamentswahl Erfolg haben sollte, wird sich Königin Beatrix vermutlich hüten, ihnen einen gemeinsamen Regierungsbildungsauftrag zu geben. Vermutlich werden auch ihre Berater von diesem Experiment um des sozialen Friedenswillens abraten. Möglicherweise wird es dann auch in den Niederlanden eine sogenannte große Koalition geben, eine Verbindung zwischen Sozial- und Christdemokraten also. sie hätten rechnerisch so gerade die Mehrheit, wenn in den kommenden 14 Monaten ungefähr alles so bleibt wie heute. Doch wenn die Verhandlungen zwischen den Großen scheitern, und wenn die Linksparteien wirklich so groß werden wie vorhergesagt, dann könnte es klapten, was eine echte Sensation wäre. Vielleicht überrascht die Königin auch alle ihre Berater mit einer eigenmächtigen Handlung und bittet um die Linke Regierung. Dass sie zu Überraschungen fähig ist, zeigte sie 1994, als die Verhandlungen zu einer großen Koalition scheiterten. Da beauftragte Beatrix den Sozialdemokraten Wim Kok mit der Bildung einer Regierung aus Sozialdemokraten, Links- und Rechtsliberalen. Diese Regierung, in der es große Gegensätze zwischen D66 und VVD gab, hielt immerhin acht Jahre und ging als das Lila-Kabinett in die Geschichte ein. Als allerdings Pim Fortuyn auftauchte und die Regierung auch nur ansatzweise wegen ihres Verhaltens bei der Eroberung der Muslimenklave Srebrenica im Jahre 1995 durch serbische Truppen in die Kritik geriet, brach das ganze schöne Gebäude wie ein Kartenhaus zusammen.
Ich finde nur, dass es nach langen Jahren der neoliberalen Politik mal wieder zeit für ein Umdenken wird.
Copyright 2006, Jens Bertrams.
Das wäre wirklich schön, aber ich kann nicht daran glauben, dass die Zeit für ein Umdenken wirklich schon gekommen ist.