„viele behinderte Menschen“, sagte eine Freundin vor kurzem, „gehen nur dann an die Öffentlichkeit, wenn es etwas zu mäckern gibt, anstatt Kritik mit den Betroffenen selbst in aller Ruhe zu besprechen. Im Falle der Christoffel Blindenmission hätte das keinen Erfolg gehabt.
Ich finde es schockierend, jahrelang in einem Land gelebt zu haben, in dem die Blindenmission eine solche Werbecampagne wie „Spenden Sie Augenlicht“ durchführen konnte, ohne dass jemand dagegen aufstand. Für mich stellt sich angesichts der Photos afrikanischer, blinder Menschen mit Geldschlitzen statt Augen die Frage, welche Ansicht die Menschen, die ein solches Plakat entwerfen, aber auch solche Menschen, die ein solches Plakat sehen, ohne dagegen aufzubegehren, über Behinderte Menschen in ihren Köpfen haben. Das Einzige, was mich etwas beruhigt, ist die Tatsache, dass viele Menschen die seltsamen Augen wohl nicht als Geldschlitze erkannt haben, wie die aussagen im Kommentarbereich eines Artikels von Christiane Link beweisen. Trotzdem bleibt das beklemmende Gefühl zurück, dass durch diese Bilder Blindheit mit Geldgier, Almosen und Bettelei verknüpft werden. Es ist ja durchaus möglich, dass die CBM diese Wirkung gar nicht beabsichtigt hat. Möglicherweise ging es ihnen tatsächlich, wie sie im Jahre 2003 behaupteten, um die provokante Darstellung des Zusammenhangs zwischen Spende hier und Wirkung in der dritten Welt. Dann ist aber dieses Plakat absolut daneben gegriffen, weil es die Menschen beleidigt und diskriminiert, denen es eigentlich helfen sollte. Das tatsächliche Problem ist für mich, dass die CBM erst nach öffentlichem Druck, oder der Drohung damit, die umstrittene Plakataktion zurückgezogen hat.
Beinahe wäre alles gut gegangen. Der blinde Entwicklungshelfer Norbert Kater hatte im Januar ein CBM-Plakat in Berlin gesehen. Er empörte sich über die seiner Meinung nach entwürdigende Darstellung und verfasste einen offenen Brief an die CBM. Und weil es sich um einen offenen Brief handelte, teilte er den Inhalt auch verschiedenen Organisationen mit, darunter den Kobinet-Nachrichten, der Nachrichtenagentur von und für Behinderte Menschen im Internet. Diese veröffentlichten den Text des offenen Briefes. Auch Franz-Josef Hanke, freier Journalist und Vorsitzender des Ortsverbandes der Humanistischen Union in Marburg erfuhr davon. Da er sowohl blind als auch Landessprecher der HU in Hessen ist, unterstützte er zusammen mit den anderen Mitgliedern der Bürgerrechtsorganisation Katers Ansinnen. Natürlich wurde die humanistische Union sofort aktiv und gab eine Presseerklärung heraus. Den Entwurf dazu schickte sie an die CBM, die jetzt, als sich eine bekannte Bürgerrechtsorganisation einschaltete, reagierte und Hanke und Kater zu einem Gespräch einlud. Zweifellos war es das Ziel dieser Einladung, öffentliches Aufsehen zum Schaden der CBM zu vermeiden. Es wäre ihnen auch fast geglückt. Bei dem Gespräch versicherten sie den beiden Protestierern, die Plakatcampagne werde beendet. Erst einmal ein guter Schritt. Man bat Franz-Josef Hanke und Norbert Kater allerdings um Verständnis, dass auf der Internetseite der CBM das entsprechende Plakat noch einige Zeit, etwa zwei Wochen, zu sehen sein werde, bis man ein neues, adäquates Bild gefunden habe. Die Humanistische Union gab daraufhin mit Zustimmung der CBM eine Pressemitteilung heraus, die voll des Lobes für die CBM war. Nur wurde nicht erwähnt, dass Kater und Hanke zugestimmt hatten, dass das diskriminierende Bild noch einige Zeit auf der Internetseite der CBM ausgestellt werden sollte. Nach dem offiziellen Ende der Campagne, und nachdem die Kobinet-Nachrichten ausführlich aus der Pressemeldung zitiert hatten, entdeckte der österreichische Journalist Martin Ladstätter das Bild auf der CBM-Seite, und schwups war die Öffentlichkeit da. Das war am 02.03.2006, dem Tag, an dem ich in der Sendung Update auf Ohrfunk.de Franz-Josef Hanke interviewte. Als ich hörte, dass das Plakat noch da war, nahm ich auch noch ein Interview mit Norbert Kater mit in meine Sendung und rief die CBM und ihren Pressesprecher an, der öffentlich keine Stellung nehmen wollte, mir aber versicherte, das sei so ausgemacht gewesen. Er war hörbar verlegen. Die Interviews mit Norbert Kater und Franz-Josef Hanke kann man sich übrigens in meinem Podcast anhören.
Das zeigt wiedereinmal: Man braucht die Öffentlichkeit, um seine Interessen durchzusetzen. Die CBM hat die Plakataktion nur wegen des öffentlichen Drucks beendet, nicht, wie man uns von verschiedenen Seiten glauben machen will, aus Gründen der Einsicht. Am Freitagmorgen nämlich, also nur knapp 12 Stunden nach den Interviews, verschwand auch das letzte Plakat von der CBM-Seite, und die Pressestelle der Organisation hatte nichts eiligeres zu tun, als Franz-Josef Hanke und Norbert Kater anzurufen, um ihnen das freudige Ereignis mit Bitte um Weitergabe an die Kritische Presse mitzuteilen.
Nach meiner Ansicht kommen bei dieser Geschichte mehrere Skandale zusammen. Nicht nur die Tatsache, dass die CBM mit der Umsetzung des Gesprächsergebnisses zögerte, nicht nur, dass sie überhaupt erst auf Druck der Öffentlichkeit reagierte und nicht schon auf den Protest einzelner Betroffener, sondern vor allem, dass sie sich bislang nicht ausdrücklich und öffentlich von dieser Campagne distanziert hat. Diese Aufgabe, so scheint es das taktische Kalkül der Organisation zu sein, durfte die HU Marburg mit ihrer Pressemitteilung übernehmen. Für mich liegt der Verdacht nahe, dass die CBM nicht verstanden hat, was viele blinde Menschen an dieser Plakataktion aufregen dürfte.
Copyright © 2006, Jens Bertrams.
Was soll ich sagen? Wir sind uns einig. Drum habe ich es ja geschrieben und meine gesammelten Infos reingesteckt. Ich habe auch schon drüber nachgedacht, ob CBM nicht ohnehin vorgehabt haben könnte, die Aktion zu beenden, auch wenn sie so erfolgreich war. Zwischen den Zeilen hört man, dass es noch mehr Proteste von Einzelpersonen gegeben haben soll, die aber offenbar wirkungslos abgeprallt sind. Mehr *kann* ich dazu *öffentlich* nicht sagen.
Hat die CBM die Aktion wirklich wegen des öffentlichen Drucks gestoppt? Oder sollte sie nicht sowieso eingestellt werden? Und warum haben sich die beiden Kritiker auf den Kuhhandel eingelassen, das Bild länger online zu lassen? Die CBM diskriminiert mit ihrem Plakat behinderte Menschen, zieht deswegen angeblich die Kampagne zurück, aber ist nicht in der Lage das Bild umgehend von der Internetseite zu entfernen, sondern braucht dafür zwei Wochen Zeit? Und warum braucht es zwei Monate, damit das alles bekannt wird?
Ich würde mir wünschen, dass viel mehr behinderte Menschen auf die Missstände in diesem Land öffentlich aufmerksam machen. Deine Freundin kann ja mal versuchen, mit der Deutschen Bahn, um mal nur ein Beispiel zu nennen, „alles in Ruhe zu besprechen“. Wer immer nur alles in Ruhe besprechen will, muss aufpassen, dass er vor lauter Ruhe nicht einschläft.
@Franz-Josef: Bevor es hier in Kleinkariertheit ausartet, nur eine Bemerkung. Der offene Brief und der PM-Entwurf sind zwar allgemein nicht veröffentlicht worden, aber auf jedenfall bei den Kobinet-nachrichten. Ich nehme an, dass die CBM auch die Kobinet-Nachrichten hin und wieder verfolgt. Ich habe eben mit Herrn Jochum gesprochen. Da ich nicht annehme, dass er mein Blog liest, wird das wohl auf die Kobinet-Nachrichten zurückzuführen sein. Darum meine Ansicht, dass es schon Öffentlichkeit gab, als ihr eingeladen wurdet.
Ganz so, wie beschrieben, war der Ablauf der Geschichte nicht. Deswegen hier ein paar kleine Klarstellungen:
Norbert Kather hatte den Entwurf zu seinem Offenen Brief noch nicht veröffentlicht. Vor der geplanten Freigabe hat er ihn an die Christoffel-Blindenmission (CBM) geschickt. Beigefügt hat er auch den Entwurf einer Presseerklärung der Humanistischen Union Hessen. Auch sie ist nicht veröffentlicht worden.
Nach der Verschickung hat die CBM uns ein Gespräch angeboten. daraufhin haben wir vorerste inmal auf eine Veröffentlichung der PM und des Offenen Briefs verzichtet.
Bei dem Gespräch erklärte uns der CBM-Kommunikationsdirektor Martin Georgi, die Plakat-Aktion sei beendet. Die ursprüngliche Seite http://www.spenden-sie-augenlicht.de mit einem riesigen Poster sei just an dem betreffenden Morgen (Donnerstag, 23. Februar) aus dem Internet herausgenommen worden. Ein kleineres Poster auf der Seite http://www.cbm.de werde ersetzt, sobald man ein geeignetes Motiv gefunden habe. Man wolle die Seite aber nicht ständig ändern.
Einen Entwurf für das neue Poster legten die CBM-Vertreter usn vor. Wir fanden ihn gut. Georgi war das Gesicht des kleinen Jungen aber zu ernsthaft und nachdenklich.
Wir akzeptierten, dass das Poster kurzfristig nochauf der Webseite bleiben werde.
Die Plakat-Aktion – so die CBM-Leute – sei ein voller Erfolg gewesen. Das Spendenaufkommen sei seit ihrem Beginn merklich gestiegen.
Man habe mit den Plakaten Aufmerksamkeit provozieren wolllen. In eienr Welt voller optischer Eindrücke sei das auch notwendig.
Norbert vertrat die Einschätzung, dass nahezu jedes gutgemachte Plakat das Spendenaufkommen der CBM erhöht hätte.
Nach etwa zwei Stunden Diskussion und „Inaugenscheinnahme“ der TV-Spots und Hörfunk-Werbung der CBM zeigte CBM-Pressesprecher Wolfgang Jochum uns eine Ausstellugn zur Arbeit der CBM. Außerdem organisierte er für Norbert ein spontanes Fachgespräch mit einer Kollegin übr die Situation in Ruanda, wohin Norbert im Mai fahren möchte.
Jochum ist ganz bestimmt sehr ernsthaft engagiert, die Belange der Betroffenen nicht zu schädigen. Norbert und ich halten ihn für absolut glaubwürdig und engagiert. Sein Engagement – auch innerhalb der CBM – möchten wir nach Kräften utnerstützen.
Andere Kreise im Missionsrat der CBM scheinen eher altertümlichen Vorstellungen anzuhängen. Norbert und ich sowie unsere beiden Begleiter haben aber den Eindruck gewonnen, dass die CBM sich ernsthaft um eine stärkere Einbeziehung der Betroffenen bemüht. Dieses Bemühen wollen wir stärken und nicht – wie jeder sicherlich verstehen wird – durch eine zu verhärtete Frontstellung zwischen Betroffenen und CBM möglicherweise gefährden.
Man mag solche Überlegungen als „Opportunismus“ brandmarken, aber uns ist an der Sache gelegen: Für viele Blinde in der sogenannten „Dritten Welt“ ist die Arbeit der CBM ein Segen. Man muss allerdings nicht alle Projekte gleichermaßen loben. Dennoch waren wir unter dem sTrich der Ansicht, dass sich die Bensheimer Hilfsorganisation auf einem guten Weg befindet.
Wer meint, er müsse die Kritik weiter aufrechterhalten, der möge das tun. Fair wäre allerdings, wenn er zuvor mit Norbert oder mir Rücksprache nähme.
Telefonisch bin ich unter der marburger Rufnummer 06421/6 66 16 erreichar.
Worüber reden wir hier eigentlich:
Wir reden darüber, dass die CBM mit einem Plakat geworben hat, dass gegen die Menschenwürde verstößt.
Wir reden darüber: „die Plakat-Aktion – so die CBM-Leute – sei ein voller Erfolg gewesen. Das Spendenaufkommen sei seit ihrem Beginn merklich gestiegen.“
Man kann sagen, da treffen zwei Sichtweisen aufeinander. Aber die Verletzung der Menschenwürde ist nicht abzuwägen, gegen den Erfolg des Spendenaufkommens.
Mir tut es nach wie vor in der Seele weh. Dass ich das Motiv nicht gesehen und nicht erkannt habe.
Die CBM ist eine professionelle Hilfsorganisation. Ich habe schon Werbespots auf Viva (oder war es MTV?) gesehen, die junge Menschen ansprechen, die pfiffig und gut waren.
Um so geschockter bin ich, dass sie ihren Fehler nicht eingestehen.
Die Würde des Menschens ist unantastbar – auch das Spendenaufkommen hat da keinen Einfluss darauf.