Was fangt Ihr an mit Euren Herzen, wenn Ir so etwas lest?: Über 12 Stunden
hinweg mißhandeln, foltern, mißbrauchen 3 Häftlinge in einer Gefängniszelle
einen vierten, um ihn dann zu zwingen, sich selbst zu erhängen? Dazu
verhört, erklären sie, sie hätten einfach mal jemanden sterben sehen wollen.
ich weiß nicht, wie es Euch ging, falls Ihr davon schon gehört habt. Mich
hat die Geschichte sehr mitgenommen und ich knabbere noch immer daran, und
darum kommuniziere ich heute mal darüber mit euch, mit anderen Menschen, was
ja oft hilfreich ist. Aber was fangt Ihr mit so etwas an?
Das erste unvorstellbare Detail, daß sich mir aufdrängte und nicht mehr aus
meinem Kopf verschwinden wollte ist, wie lange das gedauert hat.
Unfreiwillig machte meine Phantasie einen Spaziergang und versuchte, sich
das vorzustellen. 12 Stunden lang, manche sagen länger, waren die da
zusammen in ihrer Zelle eingepfercht und hatten Zeit, ihre Grausamkeiten zu
begehen. Aber was für eine Art von Gruppendynamik ist das, die den Spaß am
quälen so dauerhaft aufrechterhalten kann, die nicht Halt macht vor
Schmerzlauten, vor bitten und betteln, was weiß ich, wie der noch reagiert
hat. Oder wie haben sie das unterbunden? Haben die zwischendurch gegessen,
irgendwas ganz alltägliches getan? Sonst kann man so eine Stimmung doch
unmöglich über 12 Stunden strecken. Unwichtig, ich weiß. Es spielt dafür,
daß das passiert ist, keinerlei rolle. Aber in meinem Kopf geht es vor wie
ein Mühlwerk. Ich kenne solche Berichte aus Kriegen, Berichte über
Massenhinrichtungen und massenvergewaltigungen. Aber so lange? Und drei
Leute! Keine Rotte von Soldaten. Ich wüßte gern, was in solchen KÖpfen
vorgeht, und mehr noch, was die gefühlt haben. Andererseits: wollen das
nicht mittlerweile viel zu viele Leute wissen? Ist das vielleicht ein Grund,
warum immer mehr Menschen so eine Show abziehen? Kriegen sie dadurch nichth
viel zu viel Aufmerksamkeit? Und dann wieder: Muß man es nicht verstehen,
ich meine begreifen, einordnen können, wi es zu so was kommt, um es
verhindern zu können? Aber meine Phantasie hält sich nicht an diese
philosophischen Fragen. Sie macht sich ihr eigenes Bild. Und das ist
schrecklich. Es geht mir nah. Es ist ganz egal, was dieser Mensch verbrochen
hat, warum er in dieser Zelle saß. für mich ist er ein Mensch, ob Dieb oder
meinetwegen sogar Kinderschänder, denn wichtig ist für mich die Frage nach
den Tätern. Und ich finde keine moralische Rechtfertigung für so was, stehe
nur sprachlos davor. Naja, jetzt ja nicht mehr. Und das ist gut so.
Und was haben sie unternommen, damit es niemand bemerkte? Hermann – er hat
einen Namen, das macht es für mich noch schlimmer – soll sogar einmal die
Gelegenheit gehabt haben, an ein Rufgerät zu kommen. die anderen überzeugten
allerdings die wärter davon, man habe aus Versehen auf den Knopf gedrückt.
Ich werde verrückt, wenn ich mir das zu genau vorstelle. Einmal, so heißt
es, sei sogar ein Wärter da gewesen, und da hätten sie ihr Opfer einfach ins
Bett gesteckt… wie kaltblütig muß man sein, um so zu handeln. Oder bin ich
auf dem Holzweg, treffe ich mit keiner meiner Vorstellungen auch nur im
Ansatz, was in denen vorging?
Auch ich bin auf der Suche nach Details. Warum eigentlich? Ich glaube, auch
wenn es früher immer schon schlimme und kriminelle Taten gegeben hat, daß
wir mit der Zeit verrohter und abgestumpfter in unserer Wahrnehmung werden.
Früher hätte eine solche Nachricht an sich vermutlich bei vielen einen
Schock ausgelöst. Schleier und die ersten Entführungen von Menschen durch
die R.a.f haben eine ganze Nation in Atem gehalten, wenn es heute passiert,
daß irgendwo Leute von Terroristen entführt werden, ist das eine Nachricht –
sonst nichts. Heute will man genaueres wissen, will *ich* genaueres wissen.
Ich bin da nicht anders. Vielleicht denke ich, daß ich mich mehr mit diesem
toten solidarisieren kann, je mehr ich – vergeblich natürlich – versuche,
mich in seine Lage zu versetzen. Ich möchte ein Zeichen setzen, daß mich so
etwas noch nicht kalt läßt, daß ich es nicht nur mal so in den Nachrichten
höre, und dann ist es vorbei.
Helfen kann so was aber ja nur, wenn man Konsequenzen daraus zieht. Als ich
davon hörte, fühlte ich mich so klein, so machtlos. Was macht das schon,
wenn ich hier in meinem kleinen Umfeld herumkrebse, möglichst nett zu den
Mitmenschen bin und halbwegs aufmerksam für das, was um mich rum passiert.
Was kratzt das die Kids, die ich im Bus belausche und die sich damit
brüsten, wie sie ihre Relilehrerin, die alte Schlampe, mundtot gemacht
haben, nachdem sie ihr Prügel angedroht haben. Was kratzt das die 15jährigen
Schüler, die andere 15jährige Schüler töten? Und inwiefern hat das gar
irgendeinen Einfluß auf Zuhälter, auf Drogendealer, auf die Leute mit dem
wirklichen Geld, ganz zu schweigen vom ganz großen Weltgeschehen. Bringt
Euch das auch manchmal zur Verzweiflung? Wohin soll das führen, wenn man
selbst mit den ganz jungen nicht mehr reden kann? Ich erinnere mich, als ich
so alt war: Keine Angst, ich komme jetzt nicht mit dem : „damals war alles
besser und die Jugendlichen hatten mehr Respekt“. Aber das reden hatte noch
eine ganz andere Bedeutung, hatte noch Überzeugungskraft. Ich glaube nicht,
daß das Hauptmedium für die heute noch die Sprache oder gar ein Gespräch
ist. Und ich, blind, dick, völlig uninteressant für die und außerdem noch
Grufti mit meinen 36 Jahren – da kann ich keinen Einfluß nehmen. Ich
bewundere Menschen, die es versuchen und mit Jugendlichen arbeiten. Ich
könnte es glaub ich nicht mehr. Aber was kann ich dann tun? Meine Waffe,
mein HIlfsmittel ist die Sprache. An wen wenden damit?
als erstes fallen mir die Medien ein. Ich glaube schon, daß es eine
Bedeutung hat, daß in sogenannten Nachrichtenmagazinen gerade auf den
privaten Sendern immer mehr Details von Greueltaten gezeigt werden. Ich kann
mich an einen Beitrag bei „Sam“ erinnern, wo es darum ging, daß man sich
seine Babysitter sorgsam aussuchen soll. Jemand hatte da zu Hause eine
Kamera und mitgefilmt, wie ein Babysitter das Kind schrecklich mißhandelte,
schüttelte, bis Knochen brachen und so weiter. Warum müssen wir das heute
angeblich sehen und hören? glaubt irgendjemand, wir könnten eine sachliche
Botschaft wie: „Vorsicht! Es hat Fälle gegeben, in denen Babies vom
Babysitter mißhandelt wurden! Sorgen Sie dafür, daß sie Personen besser
kennen, die sie einstellen“ nicht mehr verstehen? Halten die Medien uns für
bekloppt? Jedes Elternteil würde das verstehen, wenn es in Zeitungen, Radio
und seriösen Sendungen verbreitet würde.
In diesen drastischen Darstellungen liegt meiner Ansicht nach unter anderem
der Grundstein für das, was da in Siegburg im Gefängnis geschehen ist. Aber
das ist natürlich nicht alles. Aber man kann wenigstens darauf hoffen, daß
sich die freiwillige Selbstkontrolle der Medien allmählich durchsetzen wird
und sie sich irgendwann nicht nur auf Spielfilme, sondern auch auf andere
Sendungen erstrecken wird.
Sie hätten mal jemanden sterben sehen wollen… auch dieser Satz kreiste
ständig in meinem Kopf und jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Er
schlich sich immer wieder ein, egal, was ich gerade machte. Denn eigentlich
bedeutete er, glaube ich, etwas anderes: sie wollten einmal jemanden von
ihrer hand sterben sehen. Vielleicht hatten sie auch ein
akribisch-wissenschaftliches INteresse daran. Ich weiß es nicht. Mag sein,
daß das dazu kam. Heute ist sterben anonym. Keiner wird nach seinem Tod mehr
zu Hause aufgebahrt, oder die wenigsten, und sterben ist heute ein vorgang,
den es fast nur noch in Krankenhäusern gibt. Selbst das Leben mit tieren
oder Pflanzen wird vielen Kindern immer fremder. Oje, ich merke, ich komme
ins dozieren, in den Bereich von Binsenweisheiten. Aber es ist doch wahr:
Mit Tamagochis statt Haustieren und dutzendweisen Toten im Fernsehen läßt
sich kein Umgang mit Leben und Tod erlernen. Sterben ist irgendwie abstrakt
wie vielleicht Kinder kriegen für Männer oder Kriegserleben für Frauen.
Irgendein PHilosoph hat mal gesagt, daß das, was den Menschen wirklich vom
Tier unterscheidet, die Erkenntnis des Menschen ist, daß er töten kann –
sich selbst und andere. Und ich glaube, da ist was dran. Und je weniger
Menschen die Gefahr der Endlichkeit eines Lebens, die Gegenwart des Sterbens
bemerken, desto allmächtiger können sie sich auch fühlen. Allmacht in der
OHnmacht, hat mal ein Freund von mir gesagt, der beim Jugendamt arbeitet. Im
Grunde kaum eine Perspektive, aber dem gegenüber, der einem nichts zu bieten
hat, muß man sich auch nicht loyal oder freundlich verhalten. Mal etwas
platt gesagt: Wenn ich kein Land habe, zu dem ich mich zugehörig fühle,
brauche ich auch seine Grenzen nicht zu achten. und ich glaube, das gilt
auch für soziale Grenzen, für Hemmschwellen im Umgang miteinander. Ich kann
es mir nicht anders vorstellen, als daß diese Grenzenlosigkeit berauscht. –
aber eigentlich kann ich es mir gar nicht vorstellen. Ich versuche hier eine
Analyse, weil ich hoffe, zu Gedanken zu kommen, die wirklich weiterhelfen
und mir Handlungen ermöglichen, aber im Grunde war ich, als ich das hörte,
doch nur die Frau, die den ganzen Tag über schreckhaft war, wenn jemand
seine Stimme erhob, weil sie nicht glauben konnte, daß
es bei einem normalen Streitgespräch bleiben würde. Ich war die Frau, die
sich mit Entsetzen selbst bei dem Gedanken ertappte: „Hätten wir wieder eine
Autorität, würde so etwas nicht passieren.“ Ich war die Frau, die an einer
Kreuzung stehen blieb, weil sie vor lauter gewaltsamer GEdanken im Verkehr
nicht die Konzentration aufbrachte, die Straße zu überqueren. Ich hab nur
gefühlt: Da ist jetzt jemand tot, und es gibt kaum etwas sinnloseres. Aber
es hilft wohl nur das denken, das Gebrauchen des Kopfes – oder das beten.
Beides zugleich, würde ich sagen.
Warum hat es niemand bemerkt? Warum war die erste analyse der Wärter, die
den jungen Mann im Toilettentrakt vom Bettlakenstrick nahmen, „Selbstmord“?
wie kann jemand wie ein Selbstmörder aussehen, der fortgesetzt geschlagen
und getreten wurde? Mir kommen zwei Erklärungen in den Sinn: Entweder wollte
die Einrichtung vertuschen, was passiert ist, oder – und das fände ich viel,
viel schlimmer: Die Gewalt in diesem Gefängnis ist so allgegenwärtig und
normal, daß ihre Merkmale einfach nicht mit dem Tod des Mannes in Verbindung
gebracht worden sind. Das Frühstück wurde den Häftlingen schon mit dem
Abendbrot in die Zelle gereicht, um einen Zellengang zu sparen, da man ja zu
wenig Personal hat.
Was werden jetzt die Konsequenzen sein? Für mich jedenfalls war das kein
Einzelfall. Es ist ein schockierender Fall in immer mehr werdenden
Schicksalen dieser Art. Und es fängt ja schon in viel kleinerern Dingen an.
Ein guter Freund hat versucht, mich zu trösten, indem er sagte, ich müsse
einfach in meinem kleinen Kreis versuchen, mich anders zu verhalten. ich
werde an diesen Dingen nichts ändern, aber vielleicht hilft es ein kleines
bißchen, wenn ich auch weiterhin dem Penner, der besoffen vor die Bank auf
den eisgefrorenen boden gerollt ist, auf die Bank helfe, wenn ich
Diskussionen führe, vor denen ich mich, des Themas oder des
Gesprächspartners wegen, fürchte. Es komt mir nur manchmal so wenig vor.
Jedenfalls, Hermann H., habe ich an Dich gedacht. Und da heute Trauertag
ist, nehme ich mir die Freiheit, ihn einfach zu erweitern, und zwar noch
weiter, als einige Politiker es heute anregten, die ihn um die Opfer der
Bundeswehr und anderer Menschen bei Auslandseinsätzen erweitern wollen. Ich
werde auch die Opfer von Gewaltverbrechen und ihre Angehörigen mit
einbeziehen, denn sie sind auch Sache des Volkes. Sie gehen uns alle an.
ich habe auch lange überlegt, ob bzw. was ich zu diesem Vorfall schreiben soll. Doch letztendlich war ich sprachlos, bin es eigentlich immer noch, denn wie soll ich etwas, das mich fassungslos macht, in Sprache fassen? Ich kann es nicht begreifen, verstehen schon gar nicht.
Ich habe auch nicht darüber geschrieben. Ich kann diese ganze Gewalt in unserer Gesellschaft nicht richtig einordnen. Eigentlich würde ich sagen: kranke Gesellschaft. Aber so einfach ist es nicht. Ich frage mich oft ob es die Computerspiele sind. Da ist Gewalt und Tod Überlebensstrategie. Kinder wachsen damit auf und es wird zur Normalität. Oder ist es die frustrierte Elterngeneration, selbst arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht, die ihren Kindern keine Werte vermitteln können? Der Konsumterror? Chancenlosigkeit einer ganzen Generation?
Hier in Brandenburg macht die neue junge Elterngeneration bei der Kindererziehung oft Probleme. Denn sie selbst ist schon von frustrierten, chancenlosen Eltern erzogen worden. Von Eltern die durch die Auswirkungen der Wende ihr Selbstwertgefühl verloren haben. In Berlin gibt es die Hungerküche für Kinder (Arche). Kinder essen dort um überhaupt satt zu werden. Das prägt für das ganze Leben.
Menschen, die in einer Gesellschaft nicht geerdet sind, fühlen sich als Außenseiter und setzen sich oft in Szene um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Für die Brutalität in der Gesellschaft gibt es so viele Gründe, aber wie man das ändern könnte weiß ich auch nicht. Ich fürchte es wird noch viel schlimmer werden.
Liebe Leute,
diese Debatte finde ich sehr wichtig. Einige Gedanken dazu habe ich unter dem Titel Gewaltige Aufregung ohne grundlegendes Nachdenken auf der Internet-Seite des HU-Ortsverbands Marburg veröffentlicht.
Ich denke, eingesperrt zu sein unter solchen Bedingungen, ist auch Gewalt. Nun bin ich nicht der Meinung, dass man die Gefängnisse einfach abschaffen könnte, aber wenn man schon Menschen dort inhaftiert, dann muss man ihnen wenigstens so viel menschenwürde zugestehen, dass alle paar Stunden mal jemand intensiv nach ihnen guckt.
Wer am Personal der Knäste spart, der straft die Häftlinge mit Missachtung ihrer Menschenwürde.
Die Folter des Siegburger Opfers müssen sich auch die zuständigen Spar-Kommisare zurechnen lassen.
Liebes „Nest“, bleibe bei Deiner Grundhaltung des Respekts gegenüber jedem Menschen!
Nur, wenn wir daran festhalten, bleiben wir auf der menschlichen Schine.
Liebe Grüße
fjh
sorry, habe erst durch deinen letzten Kommentar auf meiner Sseite gesehen, dass ich deinen Artikel kommentiert habe und nicht den von Jens.
Demnächst werde ich genauer hinschauen.