Späte Rache ist süß, sagt man. Ob das auf die Rache von Altkanzler Helmut Schmidt an Oskar Lafontaine zutrifft, muss man analysieren. Jedenfalls tippen sich viele Bundesbürger an den Kopf: Ist der Altkanzler verrückt geworden, Lafontaine mit Hitler zu vergleichen?
Irgendwie erinnert mich das ganze Spektakel an die Kohl-Gorbatschow-Goebbels_Affäre. Erinnern Sie sich noch? „Gorbatschow“, hatte Helmut Kohl 1986 sinngemäß erklärt, „ist ein Taktiker, er versteht was von PR. – Goebbels verstand auch was von PR…“ Es gab ziemlich viel Empörung, als das bekannt wurde, trotzdem bezeichneten sich Kohl und Gorbatschow später als Freunde, und sie werden das auf ihre Weise ausgeräumt haben.
Aber von Altbundeskanzler Helmut Schmidt hätte man eine solch rüde Meinungsmache in seinem hohen Alter wohl nicht mehr erwartet. Trotzdem geht ein Aufschrei durch die informierten Kreise, denn Schmidt verglich, so sagt man, Lafontaine mit Hitler. Dass man bei Männern wie Schmidt auf die Nuancen hören muss, die in einem Text stecken, wird dabei allzu oft vergessen. In einem Beitrag für die „Bild am Sonntag“ sprach er über charisma und erklärte, dass Charisma, wie Lafontaine es besitze, noch nicht an sich einen guten Politiker ausmache. Hitler habe ebenfalls gut reden können… – Das ist kein direkter Vergleich der beiden Personen, obwohl hier durchaus unterstellt werden darf, dass Schmidt dem Saarländer eins auswischen wollte. Er hält Lafontaine für einen Populisten, und einige der Äußerungen des Linkspartei-Co-Vorsitzenden sind ja auch wirklich problematisch. Da gab es den Versuch, Wählerstimmen im Osten durch Anlehnung an die Sprache der Rechten zu gewinnen, indem man die deutschen Arbeiter vor dem noch niedrigeren Lohn der „Fremdarbeiter“ schützen müsse. Man warf Lafontaine vor, das Wort von den „Fremdarbeitern“, das im Nationalsozialismus gebräuchlich war, bewusst eingesetzt zu haben. Es stimmt schon, dass die Falle der Gesten, Worte oder Begriffe des Nazi-Regimes hinter jeder Ecke lauert, und schnell kann man hineintappen, aber Lafontaine ist ein Vollblutpolitiker, und er hätte das verhindern können, wenn er es denn gewollt hätte.
Übrigens, und damit komme ich zurück auf die Rache, ist es nicht das erste Mal, dass er nationalsozialistische Vergleiche heranzog. Im Jahre 1982, als es um den NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung neuer Pershing-Raketen in Deutschland ging, war Lafontaine einer der größten parteiinternen Kritiker Schmidts. Über den damals noch amtierenden Kanzler sagte Lafontaine einmal:
„Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzise gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“
Insofern könnte man glauben, der Altkanzler habe dem Saarländer nach 25 Jahren etwas heimzahlen wollen. Ich für meinen Teil glaube das eher nicht. Vielleicht hat Schmidt an diese Äußerung gedacht, die ihn, der eben diese Tugenden für unglaublich wichtig hält, sehr verletzt haben muss. Doch vermute ich eher, dass die Meinung Schmidts im Zusammenhang steht mit seiner allgemeinen Kritik an der heutigen politischen Klasse. Beständigkeit, verlässlichkeit, Realismus, all das vermisst Schmidt bei einer Politikergeneration, die nur noch bis zum nächsten Wahlsieg denkt, und die ausschließlich im Fernsehen gut auftreten will und das Land auf technokratische Weise regiert. Schon Schmidt hat man vorgeworfen, eher ein „Macher“ als ein „Visionär“ zu sein. Er gibt heute zu, dass ihn das getroffen hat. Einen Politiker, der die internationale Entwicklung im Blick hat, der über die Folgen kurzfristiger Erfolgserlebnisse intensiv nachdenkt, so einen Politiker gibt es heute kaum noch. Helmut Schmidt ist ein solcher Mann und darum im In- und Auslande sehr beliebt und als Ratgeber gern gesehen. Sein indirekter Hitlervergleich ist eine Äußerung, an der man sich reiben kann. Ich zum Beispiel finde sie wirklich nicht gut, man muss Oskar Lafontaine, egal wie man zu ihm steht, an seinen eigenen Äußerungen und Taten messen, und nicht mit der Messlatte eines Anderen, was heute so populär geworden ist. Aber Schmidts Äußerung war mit Sicherheit kein persönlicher Angriff auf den Saarländer, sondern Ausdruck einer Kritik an der politischen Klasse, die keinen Sinn und kein Gefühl mehr für langfristige Verantwortung hat, sondern nur noch auf kurzfristigen Machtzuwachs, oder einen gefährlichen Imperialismus aus ist, wie er es der Bush-Administration zurecht bescheinigt. Dass auch der weise, überparteiliche Über-Ex-Kanzler Meinungen hat, bei denen ihm nicht, wie allgemein ansonsten vermutet, 80 Prozent der Deutschen zustimmen würden, sieht man an seinem öffentlichen Lob für die Agenda 2010. Der Ökonom Schmidt sah die Agenda aus Sanierungsgründen als unbedingt notwendig an. Auch hier wird er, darf man vermuten, weiter gedacht haben als die meisten anderen Politiker. Wenn der Staatshaushalt zusammenbricht, dann ist niemand mehr da, der die soziale Sicherheit egal welches Staatsbürgers auch immer gewährleisten kann. So etwas mag er, natürlich erheblich komplizierter formuliert und gut begründet, gedacht haben, als er die Agendapolitik öffentlich lobte. Dass er damit auch eine behördliche Entsolidarisierung förderte, die Millionen von Menschen in ernste Schwierigkeiten brachte und bringt, das ist es, was selbst ich ihm verüble. Und wer mich kennt, der weiß, dass ich Schmidt ansonsten für einen guten Politiker hielt.
© 2008, Jens Bertrams.
Die alten Wunden sind noch offen, aber leider kommen jeden Tag neue Wunden dazu.
Hallo Jens! So ein bißchen habe ich schon manchmal das Gefühl, daß du Schmidt etwas überhöhst. ich mag und mochte ihn ja auch gern,lese gern“Diezeit“ und so weiter. Aber wenn du ihmbescheinigst,zu den Politikern zu gehören, die stets weiterdenken als andere, dann dürfte es ihm eigentlich nicht passieren, Gründe zu finden, um die Agenda 2010 zu verteidigen. Klar ist das eine binsenweisheit, daß bald der Staatshaushalt nicht mehr reichen könnte, um für alle sozialleistungen zu gewährleisten. Aber das die Hartz-IV-Gesetze keine Lösung sind, ist ja nun auch klar. Und ein weitsichtiger Mensch wie Schmidt hätte sehen müssen, wohin das führt. Und *muß*er eigentlich irgendwelche wirklich wichtigen Statements unbedingt in der bild oder Bild am Sonntag abgeben? Das ist ja nun auch eine Plattform für sich, und auch das weiß er sicherlich. Da istmeiner ansicht nach klar, auf welchen Boden solche leicht mißverständlichen Zitate fallen können. Irgendwas paßt da für mich nicht ganz zu der positivenfigur, die Du malst. So schade ich das auch finde.
Ich weiß nicht, wo du meine Überhöhung hernimmst. Ich kritisiere Schmidt dafür, dass er die Agenda verteidigt. Ich bescheinige ihm lediglich, dass er aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus vermutlich eine Notwendigkeit zum Handeln gesehen hat. Dass er die Bild am Sonntag nutzt, gefällt mir zwar auch nicht, wiegt für mich im Allgemeinen aber nicht so schwer, wird dieses Massenblatt doch einfach von vielen gelesen. Ich finde, Schmidt hätte zurückhaltender sein müssen, sowohl bei der Agenda, als auch bei Lafontaine.
Hi Jens! Genau das meine ich: Wenn jemand ein sehr erfahrener Politiker ist und ein Medium nutzt, daßs sehr viele lesen und das darüber hinaus einen bestimmten Ruf hat, dann achte ich doch noch mehr auf meine worte und vermeide noch mehr, Öl ins Feuer zu gießen.