Der hessische Rundfunk schreitet mal wieder zur Tat und tut etwas für seine Durchhörbarkeit. Und die Hörer stehen daneben und können es mal wieder nicht fassen. Ein Stück Radiogeschichte geht zuende, und ich mache mir so meine Gedanken.
Schon vor Jahren hat der HR das Infoprogramm HR1 reformiert. Alles wurde in seichte Magazine gepackt, Spezialsendungen verschwanden, wie die Politsendung „Der Tag“, oder – noch schlimmer – die Musiksendung „schwarz-weiß“ – aus dem Programm. Während der Tag nach heftigen Protesten einflussreicher politischer Gruppen immerhin noch nach HR2 verbannt wurde, schaffte man die interessante interkulturelle und vertiefende Musiksendung gleich ganz ab. Hörer sollen bei HR1 bleiben, hieß es, Ecken und Kanten müssen aus dem Programm verschwinden, es wären ohnehin zu wenig Hörer, die die Sendung hörten. Auch wenn Tausende ihren Protest äußerten, die Intendanz des öffentlich-rechtlichen Senders ließ sich nicht erweichen. Das kostete den HR in seinem ersten Hörfunkprogramm zunächst einmal viele Hörer. Nach einer Weile aber trat ein Gewöhnungseffekt ein, und einige kehrten zurück, und Studien zeigten, dass sie dem Sender auch abends, wo die unbequemen Sendungen gelaufen waren, die Treue hielten. Gewonnen, dachte sich wohl die Führungsspitze des Senders, und drum wiederholt man das Ganze jetzt in HR3, wo die Sendungen „Der Ball ist rund“ und „Rebell“ abgeschafft werden, beide nach mehr als 20 Jahren Radiogeschichte. Werner Reinke wird zu HR1 geschickt, dort darf er samstagsmorgens weitermoderieren. Wieder ist das Argument die Durchhörbarkeit und die – im Vergleich zum Restprogramm – wenigen Hörer. Mich lässt diese Ignoranz und Arroganz einfach nur wütend und traurig zurück. Ist der HR denn ein kommerzieller Sender? Finanziert er sich nicht aus Gebühren? Wenn sich ein Sender leisten kann, auch Minderheiten zu bedienen, ist es dann nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk? Ja, ist es nicht sogar sein Auftrag und seine Pflicht? Muss sich das Wort „Durchhörbarkeit“ nicht von selbst verbieten? Wo soll man denn sonst Infos aus Kultur, Wissenschaft und Politik her bekommen, wenn nicht aus den Redaktionen gut funktionierender öffentlich-rechtlicher Sender? Und wenn es weniger Hörer als bei den Privaten sind, wen stört das? Wenn man gutes Programm macht, kommen sie auch zurück, wenn sie das Gedudel satt haben. Aber die Herren in der Führungsspitze der ARD-Anstalten trauen sich selbst nicht mehr zu, gutes Radio zu machen, scheint mir.
Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht. Eigentlich, so bin ich mir heute sicher, hätte man den kommerziellen Privatrundfunk gar nicht erst erlauben sollen. Das ist keine Meinung, die ich schon immer vertreten habe. Als ich klein war, habe ich gern RTL gehört, und Radio Veronica, der niederländische Pirat, war auch nichts anderes als ein kommerzieller Sender. Aber wie vieles damals, so war auch der Rundfunk mit mehr Idealismus versehen als heute. Neben dem erklärten Bestreben, Geld zu verdienen, wollte man bei Veronica – und vermutlich auch bei RTL – mit diesem Geld auch etwas anfangen, nämlich gute Programme für die Hörer anleihern, die durch ihre Treue die Werbekunden angelockt und den Sender für sie attraktiv gemacht haben. Für viele war Veronica eine Art Großfamilie, eine frühe Form der Community, wo man auch die Macher kannte, wo man sich einbringen konnte, wo viele Programme gemacht wurden, die für die Hörer gemacht wurden, mit viel Einsatz und Liebe. Heute geht es nur noch darum, Geld zu verdienen, um es den Shareholdern auszahlen zu können. Wer sich in ein solches Privatradioprojekt einbringt, der tut das nicht, um ein gutes Projekt zu starten und etwas zu investieren, sondern der tut es, um mehr rauszubekommen, als er eingezahlt hat. Diese veränderte Einstellung ist es, die mich dazu bringt, kommerziellen Privatrundfunk grundsätzlich heutzutage abzulehnen.
Als mitte der achtziger Jahre die Zeit des neuen Privatfunks in Deutschland begann, gerieten die öffentlich-rechtlichen vermeintlich unter Konkurrenzdruck. Ich sage „vermeintlich“, denn ihre Gebührenfinanzierung bot ihnen anfangs eigentlich eine sichere Plattform. Sie hatten nicht erheblich weniger Geld als zuvor, sie hatten nur Konkurrenten bekommen, eine ungewohnte Angelegenheit, gewiss. Das mag der Grund dafür sein, dass sich bei den Verantwortlichen der Wunsch durchsetzte, die Programme für die Hörer attraktiver zu machen, neu zu gestalten, innovativ zu sein und sich dem modernen Trend anzupassen. Gerade junge Leute gingen vom öffentlich-rechtlichen zum privaten Rundfunk, neugierig, was man dort tun, welche Sendeformen man dort ausprobieren konnte. Und die Hörer zogen mit. Die waren natürlich auf das neue Radio auch total gespannt, alles neue zieht die Menschen an. Die alteingesessenen Rundfunkanstalten erlitten Hörerverluste. Da zog man, finde ich, einen falschen Schluss. Wenn die Hörer zu den Privaten abwandern, müssen die etwas machen, was wir nicht machen oder bislang nicht gemacht haben. Was ist das? Es waren Spiele, seichte Magazine mit flockiger Moderation, Eingrenzung auf kleinere Zielgruppen, Infos in kurzen Häppchen und so weiter und so fort. Die Programme wurden Anfangs mit einem gewissen Aufwand betrieben, der Sender ließ sich die Hörerwerbung etwas kosten. Viele Neugierige kamen.
Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten hätten besser daran getan, nachzudenken und einen langen Atem zu bewahren. Viele Sendungen auf den ARD-Wellen waren bekannt, genossen Kultstatus, wurden gern gehört. Zwar war zumindest das junge Publikum neugierig und verließ nach der Einführung des Privatrundfunks vorübergehend die alten Sendungen und Sender, aber man wartete bei der ARD nicht ab, ob sie nicht zurück kämen. Dabei war diese Rückkehr recht wahrscheinlich.
Wenn ein Sender aus kommerziellen Gründen gestartet wird, und wenn vor allem die Großkonzerne dort mitmischen, dann hat das Radiogeschäft nichts mit Idealismus zu tun. Dann geht es darum, Geld zum Selbstzweck zu scheffeln. Ich habe vor ein paar Tagen von einem Unternehmen gehört, das schon deshalb 1500 Mitarbeiter entlässt, weil der Gewinn nicht gestiegen ist. Ein Unternehmen mit hohen Gewinnen entlässt Mitarbeiter, weil der Gewinn nicht noch mehr steigt, und weil die Shareholder nicht noch mehr Dividende bekommen. Das ist unsere heutige Form des Kapitalismus. Also konnte man bei den neuen Sendern im Privatradiogeschäft davon ausgehen, dass sie nach der kapitalistischen Maxime verfahren würden, möglichst viel Gewinn mit möglichst wenig Aufwand zu machen. Schon nach kurzer Zeit verschwand die Individualität und Vielfalt, die man sich mit der Einführung des Privatradios nämlich erhofft hatte. Es fing mit der vereinheitlichung der Jingles an, das war kostengünstiger. Egal, wo man reinhört, die Jingles klingen einander ähnlich, der Moderationsstil auch. Möglichst wenig Titel kamen nun in die Rotation, damit der Mainstream der Hörer am Empfänger blieb, und man musste nicht so viel Geld ausgeben für Medienkauf und Gemagebühren. Man ließ sich Spiele und immer gleiche Konzepte von externen Agenturen entwerfen, um weniger Personal zu brauchen. Korrespondenten irgendwo sparte man dadurch ein, dass der Infogehalt der Sendungen fast auf Null zurückgefahren wurde. Alles Tendenzen, die von den Erfindern so nicht geplant waren, denn die Vielfalt in der Radiolandschaft sollte eigentlich gefördert werden. So verkam der von den privaten Stationen nunmehr dominierte Rundfunksektor zu einem Einheitsbrei, und die öffentlich-rechtlichen passten sich immer mehr an, anstatt zu begreifen, dass sie plötzlich die Sender waren, die etwas Besonderes darstellten. Hätten sie eine Weile länger durchgehalten, glaube ich, wären die Hörer zu ihnen zurückgekehrt, zumindest damals noch. Als sie das dann taten und in der ARD fast denselben Dudelfunk vorfanden, nur schlechter gemacht, da blieben sie halt bei den Privaten, ist doch logisch, oder?
Jedes private Unternehmen ist auf Gewinnmaximierung ausgerichtet. Das ist auch vollkommen in Ordnung so. Wenn man z. B. im produzierenden Gewerbe eine neue Technik anwenden kann, durch die ein Produktionsprozess billiger wird, und wenn man dann die Preise nicht viel, sondern nur ein wenig senkt, so hat man Gewinn gemacht, ohne dass es den Endverbrauchern zu sehr weh tut. Private Unternehmen müssen versuchen, genügend Gewinne zu machen, wäre nur schön, wenn sie sie dann auch wieder investieren würden. Anders ist es beim Rundfunk. Wenn dort ein nach Gewinn strebendes Unternehmen auftaucht, dann hat dieses Unternehmen kein Interesse an aufwändig gemachten Sendungen, sondern an Billigprodukten, die aber für eine Weile die Hörer festhalten, damit man der Werbeindustrie gute Hörerzahlen präsentieren und so seinen Gewinn erhöhen kann. Von Bildungsauftrag oder Informationsverpflichtung weiß ein Privatradiounternehmen nichts, das kostet und bringt kein Geld. Ein privater Sender kann also keine Aufgaben der Grundversorgung der Bevölkerung mit Information, Unterhaltung und Kultur übernehmen. Die öffentlich-rechtlichen aber, die panisch bemüht waren, sich dem Gedudel der Privaten anzupassen, konnten es auch nicht mehr, als sie einmal angefangen hatten, ihre Bastionen aufzugeben. Der scheinbare Konkurrenzdruck hat uns eine gut funktionierende Radiolandschaft gekostet und fast nur Wüstenei übrig gelassen. Und als die Hörer nichts mehr fanden, was ihren alten Hörgewohnheiten entsprach, suchten sie sich neue. Als sie dann bei einer wie auch immer gefälschten Umfrage angaben, sie könnten höchstens 7 Minuten zuhören, machten die Rundfunkanstalten keine Beiträge mehr, die länger als 5 Minuten waren. Das Hörverhalten änderte sich erneut, und plötzlich war die Beitragslänge auf 2 Minuten und 30 Sekunden geschrumpft. Die langjährige Hörfunkjournalistin Ulrike Holler hat einmal gesagt, dass sie nicht glaubt, dass die Menschen wirklich nicht mehr länger zuhören können. Es sind die Privatradios, und inzwischen auch die ARD-Sender, die ihnen diese neuen Hörgewohnheiten einimpfen, denn sie kriegen ja nichts anderes mehr zu hören. Man besitzt einfach nicht mehr den Mut, sich gegen die Konkurrenz zu stellen. Dabei muss man doch selbst gar nicht so auf die Gewinnspanne achten. Aber man hält die Hörer für dumm und passt sich diesem Niveau an.
Meine Vorschläge zur Rettung des öffentlich-rechtlichen Radios wären:
1. Abschaffung der Werbung
2. Abschaffung der Jingles innerhalb der Sendestunden
3. Abschaffung der Unterleger bis auf Verlesung von Gewinnern, Events, sowie bei Anfang und Ende der Sendestunde.
4. Wiedererkennbarkeit einzelner Sendungen mit ihrem eigenen Konzept, eigener Musik und eigenem Moderator oder eigener Moderatorin
5. Beitragslänge rauf auf mindestens 6 Minuten
6. Mehr vertiefende Themensendungen, vermutlich meistens abends nach der Arbeit; Auch ruhig mal zwei Stunden zu einem Thema senden
7. eine gemischte Musikrotation aus mindestens 5000 Titeln
8. Drei Programme pro Sender tuns auch; Eine Klassik-Infowelle, eine Jugend-Infowelle, eine Welle für alle mit Magazinen, oldies und solchen, die es werden wollen, Schlagern, aber auch – zumindest abends – Jazz, Blues, Musik anderer Kulturen…
Das wären meine Sofortmaßnahmen. Mir würden auch noch mehr einfallen, um die Journalistische Qualität der Beiträge wieder zu steigern. Zur Finanzierung schlage ich vor, dass man die Rundfunkgebühr direkt aus den Steuern aller Bürger bezahlt, Jede und Jeder hört Radio oder sieht fern. Natürlich müssen die Programme offen sein für die Interessen einzelner Gruppen, so dass interessante Sendekonzepte sich auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk entfalten können. Dann könnte man den kommerziellen Privatfunk abschaffen.
Übrigens: Nicht abschaffen hingegen sollte man die freien und lokalen Radios, die offenen Kanäle und die Bürgerfunkradios. Ganz im Gegenteil. Gemeinnützige Initiativen sollten die Möglichkeit erhalten, Sender zu betreiben. Die nämlich wollenwirklich Radio machen und kein Geld scheffeln. Ihnen muss – notfalls auch durch Rundfunkgebühren – die Möglichkeit gegeben werden, ihre Infrastruktur aufzubauen. Dann haben wir nämlich die wirkliche Vielfalt unterschiedlicher Ansätze und Interessen, während die öffentlich-rechtlichen Sender die Grundversorgung übernehmen.
Ach was für ein schöner Traum!
Sollten Sie auch mit der Umgestaltung des HR nicht zufrieden sein, können Sie auf der Seite Der ball ist rund dagegen protestieren.
© 2008, Jens Bertrams
gut gebrüllt, Löwe! wirklich ein schöner Traum. Selbst die Hörspieldomäne, die die privaten noch gar nicht für sich beanspruchen, verstümmeln sie ja schon, unsere öffentlich rechtlichen Sender. wie oft ich im Moment „gekürzt“ lese, wenn ich für den Ohrfunk die Hörspieltipps bearbeite, kann ich gar nicht mehr zählen. Und irgendwie experimentelle Hörspiele haben sowieso immer weniger Chancen, obwohl sich da der HR ganz positiv hervortut.
ich bin mir nicht sichedr, ob die Menschen noch länger als 7 Minuten am stück zuhören können. Ich denke eigentlich schon. Aber du hast Recht: diese Art der Sendeform, die ihnen jetzt aufgezwungen wird, wird auf Dauer dafür sorgen, daß sich diese Prophezeihung von selbst erfüllt. Und das ist wirklich beängstigend. Denn wie beruhigend, so paradox das klingt, ist es doch, sich länger auf eine Sache konzentrieren zu *dürfen*, was im alltag ja eigentlich so gut wie nicht mehr vorkommt. gut gemacht müssen lange Beiträge dann natürlich schon sein und einigermaßen anregend für die Sinne. Daran sollte gearbeitet werden. Sonst verkümmert unsere Konzentrationsfähigkeit wirklich noch.
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