Wenn die Mehrheit der Deutschen heute ihre Zukunft in einer Regierung sieht, die gar nicht verhehlt, dass sie für mehr Wettbewerb, für mehr Ellenbogen, für weniger staatliche Solidarität und für weniger soziale Gerechtigkeit ist, dann zeigt das nur, wie schlecht wir von denen vertreten wurden, die wir einst beriefen, für eine bessere und gerechtere Gesellschaft zu sorgen. Die Suche nach Alternativen ist heute allerdings schwer.
Der jüngste Deutschlandtrend sagt für die SPD gerade mal 23 Prozent der Stimmen bei der kommenden Bundestagswahl voraus. Weniger als ein Viertel der Menschen in Deutschland trauen der großen, traditionsreichen Volkspartei noch zu, ihre Probleme zu lösen, sie „mit ruhiger Hand“ durch die Wirtschaftskrise zu führen und die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft zu bewahren. Dieser Gedanke ist selbst für mich, der ich schon vor 4 Jahren Abschied von der SPD genommen habe, immer noch sehr erschreckend. Schuld ist sicher unter Anderem Gerhard Schröder, den man nicht zu unrecht den „Genossen der Bosse“ nannte. Was ihn an die Spitze getragen hatte, das war der neumodische Stil, mit dem er auftrat, das irgendwie befreiende Gefühl, die SPD sei an der Grenze zum 21. Jahrhundert angekommen. Die alten, verbrauchten Figuren traten ab, ein neuer Wind wehte. Schröder sprach die jungen Leute an, aber wie gesagt, es war die Art, wie er auf die Menschen zuging, nicht das, was er sagte. Diesen Widerspruch habe ich schon im Bundestagswahlkampf 1998 gefühlt. Es war ein Wahlkampf zum Thema „Wechsel“, aber inhaltlich gab es nur sehr wenig, was Schröder ausmachte. Nur die Generation, die sich mehr Pepp in der Politik wünschte, die das Gefühl haben wollte, ernst genommen zu werden, die konnte mit Schröder etwas anfangen. Es gab Politikfelder, auf denen sich danach wirklich etwas bewegte, aber die Grundpfeiler der SPD-Politik, vor allem die soziale Gerechtigkeit, blieben außen vor. Und mit der Hartz-Gesetzgebung und der Stigmatisierung der Arbeitslosen als faul und arbeitsscheu hat die SPD die Menschen in Deutschland endgültig verraten. Nur Gustav Noske war schlimmer.
Bis heute hält die SPD an der unseeligen, inhaltsleeren Politik fest. Schröder, der das einigermaßen verkaufen konnte, ist weg, Beck, der versuchte, das Steuer etwas herumzureißen, trotz seiner berüchtigten Arbeitslosenschelte, wurde in die Wüste geschickt. Und jetzt wird blutleere Politik von blutleerem Personal verkauft. Da wird plötzlich sogar ein Herr zu Guttenberg oder eine Frau von der Leyen interessant. Und das tut weh. Ein Wahlkampf, liebe Ex-Genossen von der SPD, mag auch ein Marketingspektakel sein, aber vor allem und zunächst geht es doch um Inhalte, oder nicht?
Die Volkspartei SPD hat ihr Volk verloren. Wahltraditionalisten und Schröderanhänger sind wohl alles, was der Partei noch bleibt. Und im Grunde ist das richtig so. Wer seine Ideale so verrät, hat es nicht besser verdient. Falls es den Genossen nicht aufgefallen sein sollte: Es gibt immer noch benachteiligte Menschen in unserer Gesellschaft, und die Wirtschaftskrise und die Antwort beispielsweise der F. D. P. auf dieses Problem zeigen deutlich, dass wir ein Gegengewicht brauchen. Nur die SPD kann es nicht mehr sein, da sie auch systematisch ihren Nachwuchs ins Leere laufen lässt. Und das verkauft sie dann schon seit dem Godesberger Programm als notwendige Modernisierung. Angst vor einem festen Standpunkt, so würde ich das nennen. Und natürlich machtpolitisches Kalkül.
Aber welche Partei kann da besser sein? Wer ist die Alternative zum sinkenden Schiff SPD? Die Grünen? Nein, denn die haben sich als F. D. P. für Umweltbewusste entpuppt. Die Linkspartei? – Vermutlich nicht, denn sie haben nie eine Chance, weil sie ignoriert und stigmatisiert werden, und weil ihre Ideen an der Finanzierungswirklichkeit scheitern, was sie sich nicht zu sagen trauen. Aus der Opposition heraus kann man viel fordern, ohne sich um die Machbarkeit kümmern zu müssen. Bleibt also die Piratenpartei? Auch nicht, denn diese Partei ist monothematisch ausgerichtet, so sehr mir ihre Ansichten zu diesem Thema auch wirklich gefallen. Wenn ich keine anderen Sorgen als Internet und Überwachungsstaat hätte, wäre das genau die Partei für mich.
So werden also auch Menschen zu möglichen Nichtwählern, die einen Wahlboykott immer für eine Stimmabgabe zu Gunsten der Rechten hielten. Es gibt keine Alternativen mehr, und die einzig verbliebene politische Großmacht scheint die Union zu sein. Und die darf sich nun freuen, mit der FDP den knallharten, antisozialen Wirtschaftskurs fahren zu dürfen, vor dem selbst Menschen Angst haben, die keine politischen Hitzköpfe oder Außenseiter sind. Der 27. September droht zu einem schwarzgelben Sonntag zu werden. Vielen Dank Gerhard Schröder.
Copyright &Copy; 2009, Jens Bertrams
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