Den folgenden Kommentar habe ich am 03.05.2010 auf ohrfunk.de veröffentlicht.Die Welt wird untergehen, sagt die Wirtschaft, und was die Wirtschaft sagt, stimmt immer. Eigentlich erübrigt sich damit jede Diskussion, man muss nichts mehr verstehen, man muss nur noch die Hilfen Deutschlands an Griechenland ablehnen. Denn wenn wir Griechenland helfen, dann haben wir weniger, und uns hilft ja auch keiner. Sollen die Griechen doch selber aufpassen, wir haben genug eigene Sorgen. Richtig? Richtig! Oder verstehen Sie etwa, was in Griechenland wirklich passiert ist? Wissen Sie mehr, als dass Deutschland die unglaubliche Summe von 22 Milliarden Euro an das verschuldete Land zahlen muss? Wissen Sie mehr, als dass die größten Rating-Agenturen – psst, was ist das noch mal? – die Kreditwürdigkeit Griechenlands auf den Status „Ramsch“ zurückgesetzt haben? Da kann doch nichts gutes draus werden, das ist schließlich ein Fass ohne Boden, da noch Geld hineinzupumpen hieße… Ich wollte gerade irgendwas über Eulen und Athen sagen, beherrsche mich aber mal. Gut: Die Wirtschaft sagt, dass Griechenland verloren ist, dass es den ganzen Euroraum mit in die Tiefe reißen könnte, und dass es deshalb schnell aus der Eurozone aussteigen sollte, ohne Hilfe von Außen zu erhalten. Nur das werde dem Euro und damit Deutschland noch helfen.
Doch da meldet sich eine leise, frevelhafte Frage in meinem Kopf: Wie kann ein Euroland so tief sinken? Ein Mitglied der stabilsten Finanzunion der Welt? Ich habe mir die Mühe gemacht, tatsächlich einmal Griechenlands Wirtschaftsdaten anzuschauen. Nun verstehe ich von Wirtschaft relativ wenig und muss mir alles mühsam aneignen, eines aber habe ich sofort festgestellt: Die griechische Wirtschaft ist nach einem Strukturwandel seit mehr als 20 Jahren in permanentem Aufschwung begriffen. Warum also sollte das Land nicht mehr kreditwürdig und zahlungsfähig sein? Ganz einfach: 40 Prozent der Steuereinnahmen des Landes werden hinterzogen, fließen nicht ins staatliche Säckel. Die griechische Verwaltung ist in 5 Ebenen aufgeteilt, die größtenteils überflüssig sind. Korruption und bestechlichkeit sind an der Tagesordnung. Da boomt die Wirtschaft, die Unternehmen verdienen, aber der Staat hat nicht genug Geld, um seine Aufgaben zu erfüllen. Also steigen die Staatsausgaben ins Unermessliche. Die europäische Union erlaubt ihren Mitgliedsländern eine Schuldenmenge von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das Bruttoinlandsprodukt ist der Geldwert aller Waren und Dienstleistungen eines Landes. Längst nicht alle Länder erfüllen dieses Kriterium. Deutschland zum Beispiel hatt einen Schuldenstand von rund 73 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, und jährlich werden es mehr. Denn weil der Staat weniger einnimmt als er ausgibt, müssen jedes Jahr neue Kredite aufgenommen werden, die wieder Zinsen nach sich ziehen. und weil sie nicht zurückgezahlt werden können, erhöhen sich auch die Zinsen. In Griechenland liegt der Schuldenstand bei rund 121 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Wenn wir schon in Deutschland selbst bei Staatsgewinnen von 13 Milliarden Euro mehr als hundert Jahre brauchen würden, um die Schulden zurückzuzahlen, wie soll das dann erst in Griechenland aussehen? Einziges Mittel, dieser furchtbaren Überschuldung Herr zu werden, ist ein radikaler Umbau des Staates, aber auch der Kampf gegen die Korruption und die Steuerhinterziehung, weitreichende Sparmaßnahmen und Hilfe von Außen. Kredite von Außen sind aber immer ein Problem. Während Kredite bei inländischen Banken oder Privathaushalten in Form von Staatsanleihen wie dem Bundesschatzbrief lediglich zu einer internen Umverteilung führen und eigentlich kein Kapital aus der eigenen Volkswirtschaft entziehen, sind Kredite von Außen auf die Dauer schädlich. Sie müssen zurückbezahlt werden und sind dann Schulden, die eben nicht in die eigene Wirtschaft, sondern in andere Volkswirtschaften fließen und natürlich ebenfalls Zinsen nach sich ziehen. So ist die Hilfe für Griechenland für die deutsche Volkswirtschaft auf die Dauer sogar nützlich, denn sie erhält das Geld mit Zins und Zinseszins zurück, wann auch immer.
Eins steht fest: Griechenland braucht Hilfe. Von einem Untergang des Eurolandes kann aber keine Rede sein, nur 3 Prozent der EU-Bürger sind griechen, dasselbe gilt für den Anteil der griechischen Volkswirtschaft an der europäischen Gesamtwirtschaft. Aber die Glaubwürdigkeit auf den Finanzmärkten, die durch die hohen Schulden gesunken ist, sorgt dafür, dass der einfache Grieche nun stark zur Kasse gebeten wird. Die Mehrwertssteuern werden auf 23 Prozent erhöht, die Gehälter im öffentlichen Dienst um 30 Prozent gekürzt, und es sind massive Einschnitte im Gesundheits- und Sozialsystem zu erwarten. Die mittelständischen und großen Unternehmen aber, die durch ihre Steuerhinterziehungen die Krise verursacht haben, werden nicht zur Kasse gebeten. Trotzdem sind die rund 110 Milliarden Euro Hilfe für Griechenland notwendig und ohne Alternative.