In den Niederlanden ist Wahltag, also gebe ich mal einen kleinen Überblick übe das Parteiensystem, das sich in einigem von dem Unseren unterscheidet.Sie sind schon merkwürdig, die Niederländer. Heute ist ein ganz normaler Arbeitstag, obwohl sie ihr Parlament wählen. Außerdem wird an diesem Tag noch ganz normal Wahlkampf gemacht, was in Deutschland undenkbar wäre. Alles ist zwar auf die Lijsttrekker, die Spitzenkandidaten der Parteien, zugeschnitten, aber wenn sie tatsächlich gewählt sind und eine Regierung bilden, dürfen diejenigen, die Minister werden, nicht im Parlament bleiben und müssen ihren Abgeordnetensitz aufgeben. Minister und gleichzeitig Abgeordneter, das ist im kleinen Königreich verboten.
Warum sind die Wahlen in den Niederlanden für uns interessant? Weil die Erschütterungen, die die europäischen Gesellschaften in den letzten 10 Jahren durchgemacht haben, dort am heftigsten aufgetreten sind. Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit erhielten dort eine politisch anerkannte Stimme mit Pim Fortuyn, der kurz vor den Wahlen 2002 von einem Umweltaktivisten ermordet wurde. Das Thema beschäftigte die Niederländer, sie zweifelten an der Integration ausländischer Mitbürger, wofür sie bislang berühmt waren. Das Wort „Parallelgesellschaft“ kam auf. Dann wurde der Filmemacher Theo van Gogh von einem muslimischen Extremisten ermordet, wieder ein Schock für die Gesellschaft des ach so liberalen Landes. Seither kommt die politische Landschaft nicht mehr zur Ruhe. Am rechten Rand bildete sich eine Vielzahl von Parteien, deren prominentester Vertreter Geerrtt Wilders mit seiner Freiheitspartei ist. Die Wahlen heute werden ihm vermutlich Stimmengewinne bringen. Und man sollte in ganz Europa beobachten, wie sich ein plumper Rechtspopulist bei demokratischen Wahlen schlägt.
Das ist aber nicht alles: Das Parteiensystem in den Niederlanden ist vielschichtig und recht kompliziert. Da es keine 5-Prozent-Hürde gibt, hängt vieles auch von den kleineren Parteien ab. Mindestens drei Parteien sind für die Bildung einer Regierung notwendig. 10 Parteien sitzen derzeit im Parlament, und das wird auch in Zukunft so sein.
Ganz links außen haben wir die sozialistische Partei (SP). Sie steht auf dem Boden der Verfassung, ist also nicht altkommunistisch, zumindest nicht mehr. Im Gegensatz zur deutschen Linkspartei handelt es sich aber durchaus um eine anerkannte politische Kraft. Soziale Gerechtigkeit ist eines ihrer Hauptziele.
Die Grüne Linke (GL) mit ihrer Spitzenkandidatin Femke Halsema wird sogar von den politischen Gegnern hoch gelobt. Obwohl es sich um eine durchaus links ausgerichtete Umwelt-, friedens- und Sozialpartei handelt, kann sie auf dem Gebiet der Bürgerrechte sogar mit der rechtsliberalen VVD zusammenarbeiten, die in diesem Jahr vermutlich stärkste Kraft werden dürfte.
Die Arbeitspartei (PVDA) ist eine klassische Sozialdemokratische Partei, die in den letzten Jahrzehnten einen Schwenk in die politische Mitte getan hat. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich nicht besonders von der SPD. Allerdings wird sie in diesem Jahr vom ehemaligen amsterdamer Bürgermeister Job Cohen angeführt, der aufgrund seiner Erfahrung ein pragmatischer Politiker ist, und er ist beliebt, obwohl er im Reden nicht die Brillianz und Strahlkraft anderer besitzt. Cohen könnte der nächste Regierungschef werden, doch im Augenblick steht er nur auf Platz 2 in den Umfragen. Die Sozialdemokraten haben bis vor einigen Monaten in der aktuellen Regierung mitgewirkt, die Koalition aber aufgekündigt, weil sie den niederländischen Afghanistaneinsatz entsprechend ihres Wahlversprechens und des Koalitionsvertrages beenden wollten. Diese Konsequenz gegenüber dem ungeliebten Einsatz bringt der Arbeitspartei Sympathien in der Bevölkerung.
Die Demokraten 66 (D66) ist eine linksliberale Partei, eine sozialliberale politische Kraft, die mitte der sechziger Jahre entstand und eine Staatsreform anstrebte. Damit gab sie den damals unzufriedenen eine Stimme. Ursprünglich mal durchaus radikal – z. B. in ihrer Forderung nach Abschaffung des Königshauses – hat sich die Partei mittlerweile ins allgemeine Spektrum eingefügt. Mit ihrem Spitzenkandidaten Alexander Pechtold hofft die D66, bei der künftigen Regierungsbildung ein Wörtchen mitreden zu können.
Der CDA, der christlich-demokratische Appell, ist unserer CDU nicht unähnlich. Konservativ und wirtschaftsliberal, aber flexibel. Jan Peter Balkenende, derzeitiger Ministerpräsident und Spitzenkandidat der Partei, passt sich aber der jeweiligen Koalition an. Der CDA kann sich entweder den rechtsliberalen oder den Sozialdemokraten annähern. Er wird als Partei der Mitte umschrieben. Allerdings sieht es so aus, als solle die Partei bei den Wahlen nur drittstärkste Kraft werden. Balkenende vermochte es nicht, der Partei ein scharfes Profil zu geben.
Als rechts- und wirtschaftsliberal wird die Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) eingestuft. Sie ist unserer derzeitigen FDP nicht unähnlich, enthält aber weniger Bürgerrechtsliberale, als es das deutsche Pendant zumindest früher tat. In Zeiten der Krise trifft die Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Mark Rutte offenbar genau den richtigen Ton, sie könnte bei den Wahlen rund 25 Prozent der Stimmen erhalten und zur stärksten Partei werden. Dann würde vermutlich zum ersten mal seit 1918 ein Liberaler neuer Ministerpräsident der Niederlande. Man traut Rutte wirtschaftliche Kompetenz zu, obwohl er einen strikten Sparkurs fahren will. Er hat in den letzten 4 Jahren allerdings einiges an seinem Auftreten getan und gibt sich sehr volksnah.
Und dann gibt es da eben noch die fast monothematische, antiislamische, rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders, der früher VVD-Abgeordneter war. Diese Partei versucht mit Hass und Provokation, und natürlich mit Angst die Wahlen zu gewinnen. Eine Weile musste man befürchten, dass sie die stärktse Partei werden könnte, aber das hat sich offenbar erledigt. Skandale in den eigenen Reihen machten die Partei unglaubwürdig. Schlimm ist allerdings, dass CDA und VVD nicht ausschließen, mit der PVV zu koalieren. Bei den jetzigen Umfragewerten könnte dies knapp für ein rechtes Kabinett reichen. Das ist auch ein Grund, warum die Wahlen in den Niederlanden auch für uns sehr interessant sind. Wenn der CDA sich immer der Koalition anpasst, und wenn die VVD stärkste Kraft wird, wird Wilders zum Mehrheitsbeschaffer, zum Zünglein an der Waage. Eine schreckliche Vorstellung.
Glaubt man der Tagesschau, dann waren das alle relevanten Parteien, wobei man dort die D66 sogar vergessen hat. Dabei sind die Demokraten 66 an vielen Regierungen der letzten 30 Jahre beteiligt gewesen. Da es so scheint, als würden sie kräftig zulegen, muss man immer mit ihnen rechnen. Aber es gibt noch mehr Parteien. Die Partei der Tiere (PVDD) ist vermutlich eher eine kuriose Randerscheinung, die sich von den Grünen abgespalten hat. Trotzdem dürfte sie auch 2 Parlamentssitze erhalten. Wichtiger hingegen ist die christlich-orthodoxe Christenunion (CU). Die Partei ist rechtskonservativ, sie hat aber auch soziale Programmpunkte. Christlich, Sozial, gesellschaftlich konservativ, vielleicht könnte man es so umschreiben. In den letzten Jahren war sie an der Regierung beteiligt, zusammen mit Sozial- und Christdemokraten. Ein breites Bündnis, aus dem die CU gestärkt hervorgegangen ist. Ihr Spitzenkandidat Andre Rouvoet ist ein beliebter Politiker.
Ganz rechts außen gibt es dann noch die SGP, eine strengreligiöse Partei, die so mittelalterlich ist, dass bislang Frauen bei ihr keinen Listenplatz bekommen durften. Sie betrachtet sich offenbar als den Arm Gottes auf Erden und verfügt seit altersher über 2 Sitze. An Regierungen wird sie in der Regel nicht beteiligt.
Die erdrutschartigen Verschiebungen in der Parteienlandschaft sorgen dafür, dass die stärkste Partei nicht mehr als 25 Prozent der Stimmen auf sich wird vereinigen können. Viel hängt bei der Regierungsbildung von den kleinen Parteien ab. Ein rechtsgerichtetes Kabinett scheint möglich, aber es verspricht, eine knappe Angelegenheit zu werden. Bis vor ein paar Wochen habe ich noch auf eine Mitte-Links-Regierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Linksliberalen gehofft, vielleicht noch mit den Christdemokraten. Aber an der rechtsliberalen VVD kann wohl heute niemand mehr vorbei. Ich bin gespannt, wie es heute Abend ausgeht, wenn um 21 Uhr die Wahllokale schließen.