Vielen Zeitungen war es nur eine Randnotiz wert: Aus Kostengründen wird in der hamburger Innenbehörde eine Umstrukturierung vorgenommen, die zur faktischen Auflösung der „Arbeitsgruppe Scientology“ führt, die 17 Jahre lang über die Machenschaften der Scientologen aufgeklärt und Aussteigern oder Angehörigen geholfen hat. Die Leiterin der „Arbeitsgruppe Scientology“, Ursula Caberta, sei nicht zu sprechen, erklärten die Zeitungen. Warum auch? Für sie geht ohne Not ein Kampf zuende, dem sie fast 18 Jahre ihres Lebens widmete. Das Ende dieses Kampfes wurde nicht von ihren Gegnern erzwungen, sondern vom eigenen Arbeitgeber herbeigeführt. Und mich wirft diese Nachricht mehr als 13 Jahre zurück, als Scientology in aller Munde war…ES war Anfang des Jahres 1997, und in Deutschland wurden staatliche Zuschüsse für zwei Veranstaltungen gestrichen, an denen bekannte Scientologen aus den USA und Österreich beteiligt waren. Kritische Stimmen über die Scientology-Kirche mehrten sich, die Junge Union rief zum Boykott des Filmes „Mission Impossible“ auf, in dem der bekannte Scientologe Tom Cruise die Hauptrolle spielte, und die USA reagierten darauf, indem Deutschland negativ im Menschenrechtsreport des US-Außenministeriums erwähnt wurde, weil die Religionsfreiheit in Deutschland nicht eingehalten würde. 34 amerikanische Schauspieler und andere Berühmtheiten protestierten in einem offenen Brief an Bundeskanzler Kohl gegen die Behandlung der Scientologen in Deutschland. In dieser Situation stieß ich im damals noch stark frequentierten Usenet auf die Newsgroup de.soc.weltanschauung.scientology. Hier wollte ich mich über die sogenannte Sekte und auch über die immer lauter werdenden Kritiker informieren. Es war ein Tummelplatz für Scientology-Gegner, und ich habe nie eine größere Zahl von Menschen getroffen, die von einer sogenannten Religion in den Ruin oder – schlimmer noch – in die geistige Umnachtung getrieben wurden. Von nahmhaften deutschen Kritikern wie dem Sektenbeauftragten der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Thomas Gandow, der bestseller-Autorin Renate Hartwig und nicht zuletzt der Hamburger Leiterin der „Arbeitsgruppe Scientology“ bei der Innenbehörde der Hansestadt, Ursula Caberta, warfen der Scientology-Kirche autoritäre Strukturen, menschenverachtende Praktiken und faschistisches Gedankengut vor. Gehirnwäsche und finanzielle wie psychische Ausbeutung der Mitglieder gehörten ebenso zu den Standardvorwürfen. Eine unglaubliche Palette an Einzelbeschuldigungen schloss sich an: Beispielsweise soll eine junge Frau, die aussteigen wollte und zu diesem Zweck öffentliches Aufsehen erregte und in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, von Scientologen zurückgeholt und durch Flüssigkeitsentzug umgebracht worden sein. Dieser Fall der Lisa McPherson erregte damals stark die Gemüter bei den Kritikern. Von Scientologen war zunächst nichts zu sehen. Trotzdem gab es immer wieder heftige Diskussionen, zum Beispiel über die Wirksamkeit der scientologischen Technik des Auditing, solange sie ohne ideologischen Unterbau betrieben werde. Denn Ex-Scientologen gab es eine Menge, und täglich konnte man das heftige Ringen und den nervenzermürbenden Kampf um die Wiedererlangung ihrer geistigen Freiheit und Gesundheit in der Newsgroup in aller Öffentlichkeit beobachten.
Der tragischste Fall war ein Niederländer, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebte und mit einer Deutschen verheiratet war. Er hatte der Scientology-Kirche vor langer Zeit den Rücken gekehrt, benutzte aber ihre Methode des Auditing weiter. Für ihn war der Sektengründer L. Ron Hubbard das Böse an sich, und in vielen, oft willkürlich ausgewählten Menschen, glaubte er die Reinkarnation Hubbards zu erkennen, der Anfang 1986 gestorben war. Er selbst nannte sich „Ambassador for Mankind“ und veröffentlichte täglich weitschweifige Auditing-Protokolle, mit denen er irgendwelche Menschen von Hubbard befreite. Oder er veröffentlichte Bulletins, mit denen er, ganz im Scientology-Stil, Menschen zu sogenannten „unterdrückerischen Personen“ erklärte, weil sie von Hubbard besessen oder übernommen seien. Dieser Mann hatte, trotz seiner unbestreitbaren Intelligenz, seine geistige Gesundheit eingebüßt. Seine Frau lief ihm davon, er versuchte, sie zurückzuholen, scheiterte aber. Als dann seine nicht ganz volljährige Tochter tot im väterlichen Haus aufgefunden wurde, wurde er festgenommen, und vermutlich befand er sich viele Jahre in einer Psychiatrie. Ob er am Tode seiner Tochter Schuld hat, oder ob es sich um einen Selbstmord handelte, ist nach meiner Kenntnis nie festgestellt worden.
Doch ich habe noch andere ehemalige Scientologen kennengelernt, die mühsam ins sogenannte normale Leben zurückfinden mussten. Ein junger Mann, der kaum einen Satz herausbrachte, ohne sich dessen Inhalt viele Male durch den Kopf gehen zu lassen, zu stottern, sich selbst zu unterbrechen. Man hatte das Gefühl, er müsse den inneren Zensor umgehen. Doch er kämpfte und veröffentlichte seine Erfahrungen mit Scientology, wurde aber von der Kirche auch gerichtlich angefeindet, wobei die Scientologen behaupteten, er schulde ihnen noch Geld für Kurse, die er bei ihnen belegt hatte. Außerdem klagten sie gegen seinen Bericht auf Unterlassung. Schließlich einigte er sich mit der „Kirche“, um endlich seine Ruhe zu haben, dass er seinen Bericht zurückziehen sollte. Es gibt aber glücklicherweise noch zwei Stellen im Internet, wo der Bericht zu finden ist.
Ich las und schrieb mit in der Scientology-Newsgroup. Zweimal erachteten mich die Scientologen einer Mailbombe für würdig, rund 10.000 Mails überfluteten mein Postfach, und einige Male diskutierten wir auch mit Scientologen, die in die Newsgroup abkommandiert wurden, um die Berichterstattung dort zu stören. Wenn man über die scientology-internen Straflager, die sogenannte „Rehabilitation Project Force“ las, oder über die Kindergärten, in denen dem Nachwuchs das Spielen verboten wurde, über die erpresserischen Finanzmethoden, über Aussagen des Sektengründers, man solle Kritiker auch töten, und wenn man wusste, dass dies durchaus geschehen war, und dass ehemalige Scientologen solche Verbrechen zugegeben hatten, bevor sie von der „Kirche“ mundtot gemacht wurden, dann konnte man schon erschauern und eine gewisse Form der Angst verspüren. Ein ehemaliger deutscher Scientologe behauptete auch, es gebe handfeste Pläne zum langfristigen Umsturz durch Unterwanderung in Deutschland und anderen Ländern. Der Verfassungsschutz beobachtete und beobachtet in einigen Bundesländern die Aktivitäten der Scientologen. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass der Einfluss der Psychosekte in den letzten Jahren mindestens stagnierte, wenn nicht sogar nachgelassen hat in Deutschland. Trotzdem ist Wachsamkeit nach wie vor geboten. Und in diesem Zusammenhang halte ich die Entscheidung, die „Arbeitsgruppe Scientology“ unter Ursula Caberta faktisch aufzulösen, für einen falschen Weg. Unerschrocken und unbeeindruckt durch Einschüchterungen, Verleumdungsklagen und öffentliche Aktionen der „Kirche“ hat Caberta ihre Aufklärungscampagne fortgesetzt. Man nannte sie eine „Scientology-Jägerin“, aber das trifft in meinen Augen nicht ihre Tätigkeit. Sie hat Fakten gesammelt und Menschen beraten. Die Wahrheit sollte für sich selbst sprechen. Und dieser Wahrheit, die ohne Hetzcampagnen auskommt, dreht man nun den Ton ab. Nicht die Scientologen haben dies vollbracht, sondern der schwarz-grüne Senat der freien und Hansestadt Hamburg. Ein Armutszeugnis, wie ich finde.
Weniger als ein Jahr schrieb ich aktiv mit in der Scientology-Newsgroup. Schon im Oktober 1997 wandte ich mich einem neuen Projekt zu, der öffentlichkeitsarbeit für einen Interessenverein behinderter Menschen. Mein Interesse an der Entwicklung von Scientology in Deutschland und der Welt habe ich allerdings nie verloren.
Leider ist dieser Text zu kurz, um über die Glaubenssätze und die Geschichte der Scientologen und ihres Gründers Lafayette Ronald Hubbard zu berichten. Auch reicht der Platz nicht aus, zu erklären, wie Auditing funktioniert, mit welchen Methoden Scientology seine Gegner zum Schweigen bringt, was der organisationsinterne Geheimdienst schon alles erwiesenermaßen getan hat usw usw. Allerdings möchte ich auf zwei Internetseiten hinweisen, auf denen die wichtigen Fragen beantwortet werden. Tilman Hausherr war trotz seiner durchaus spitzen Zunge immer Derjenige, der sachliche Informationen in der Newsgroup verbreitete. Und Ingo Heinemann verfügt über ein Archiv, das bis in die siebziger Jahre zurück geht.
Ich kann diesen Bericht 100%zustimmen.
Da ich ca.3 1/2 jahre in der Ffm./M Org war.Habe die „Unterdrückung“ Und freiheitsberaubung selbst erlebt.
Und einer Frau A.P. die ca.23Jahre scientologin ist und bis
Heute weder Clear,noch die „Brücke“geschafft hat.Sie ist bis Heute ein Zahlendes Mitglied.Ca.10.000 Euro schulden hat,macht weiter Kurse,ist fanatisch, Paranoid.
Himmel! 13 jahre ist das jetzt her. ja, ich kann mich auch noch sehr gut an die Zeit erinnern, wo wir uns gemeinsam mit dem Thema Scientology beschäftigten. ich war damals an allen spirituellen und pseudospirituellen Themen sehr interessiert und genoß den austausch in der Newsgroup sehr, denn außer den Infos über Scientology ging es auch um Begriffe wie Freiheit, Religion an sich und so weiter. Da wurde engagiert gestritten.Aber ja, ich stimme Dir unbedingt zu, Jens, daß sich dort fürchterliche und erschreckende Beispiele für das vorgehen der Scientology church fanden. ich erinnere mich an vorträge und Referate Deinerseits zu dem Thema auch im Freundeskreis. Heute hört man wirklich nicht mehr so viel von denen, aber das ist ja auch nicht immer ein gutes zeichen. An eine Unterwanderung der wirtschaft in Deutschland allerdings glaube ich nicht mehr. Für Privatleute allerdings sind die Scientologen wohl noch immer eine Bedrohung, und die sind echt meister darin, die Schwächen und Unsicherheiten von Menschen auf ihrer suche nach Perfektion auszunutzen – und die wird ja heute allenthalben von den menschen erwartet: wenn du gut bist, kriegst du ARbeit, Freunde, Geld, ERfolg, einfach alles… Und „gut sein“ ist ja was ganz wichtiges bei den Scientologen und Ihren Kursen. Es war ein gutes Gefühl, sich von den mailbomben nicht abschrecken zu lassen, sondern weiterzumachen. ich hoffe, Frau kaberta findet auch erneut einen guten Weg für sich.