Was gesagt werden müsste

Die ganze offizielle Republik, von Bild bis Taz, von Union bis Grüne, hat einen Feind, einen Dorftrottel. Günter Grass heißt er, und bislang war er der deutschen Nation liebstes literarisches Aushängeschild. Offenbar hielt er sich für unangreifbar und beging einen folgenschweren Fehler: Er kritisierte Israel, und sei es noch so zögernd und ausgewogen. Vor den Bluthunden aus Politik und Gesellschaft rettete ihn das nicht. Aber offenbar hatte er es vorausgesehen.

Man wirft Günter Grass, dem 84jährigen Literaturnobelpreisträger, jetzt Antisemitismus vor. Die Judenfeindlichkeit der Waffen-SS habe ihn nie verlassen, hieß es aus Kreisen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Der israelische Botschafter in Berlin, Emmanuel Nahshon, erklärte, sein Land lehne die Rolle ab, die Grass ihm bei der Bewältigung der deutschen Vergangenheit zukommen lassen wolle. Entsetzt war nicht nur der Zentralrat der Juden in Deutschland, sondern auch die SPD-Führung, Politiker der Grünen und Mitglieder der Unionsfraktionen im Bundestag. Regierrung und Literaturpapst Reich-Ranicki lehnten jede Stellungnahme ab. In den Zeitungen wird Grass durchgehend als verkappter Antisemit, als Feind Israels gesehen, der damit nur über seine eigene Schuld, in der Waffen-SS gewesen zu sein, hinwegtäuschen wolle. Es fiel auch die Äußerung, Grass sei schon immer ein Judenfeind gewesen, der Typ des gebildeten Antisemiten, habe dies aber noch nie so deutlich gezeigt wie jetzt.

Was um alles in der Welt hat Günter Grass getan, dass man ihn seelisch hinrichtet? Er schrieb ein Gedicht, dass eigentlich ein offener Brief hätte sein sollen. Dies veröffentlichte er in einigen Tageszeitungen, darunter die Süddeutsche Zeitung. Das Gedicht steht unter dem Titel „Was gesagt werden muss“ und lautet:

„Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren – wenn auch geheimgehalten –
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt „Antisemitismus“ ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir – als Deutsche belastet genug –
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.“

Erlauben Sie mir, dieses Gedicht in Kurzprosa zu übersetzen:

„Warum schweige ich schon so lange zu dem, was doch jeder weiß, dass Israel schon seit langem Planspiele zu einem Angriff auf den Iran einübt, deren Durchführung das iranische Volk auslöschen könnte? Warum sage ich nicht, dass Israel selbst ein wachsendes Nuklearpotential besitzt, das von der IAEO nicht überprüft wird und damit unkontrolliert bleibt? Weil ich bei Androhung des Antisemitismusvorwurf gezwungen bin, zu schweigen, und alle ordnen sich dem unter. Jetzt aber, wo Deutschland, dessen vergangene Verbrechen beispiellos sind, einfach so und noch als Wiedergutmachung bezeichnet Massenvernichtungswaffen exportiert, die auf den Iran gelenkt werden könnten, weil die Behauptung des Besitzes der Atombombe schon als Beweis gilt, da sage ich, was gesagt werden muss. Ich schwieg, weil ich ein Deutscher bin, und weil ich aus einem Land komme, das selbst mit unsäglicher Schuld belastet ist. Warum sage ich jetzt erst, dass die Atommacht Israel den ohnehin brüchigen Weltfrieden gefährdet? Weil es morgen zu spät sein könnte, und weil wir uns dann wieder schuldig gemacht hätten. Außerdem bin ich der Heuchelei des Westens überdrüssig und hoffe, dass mehr Menschen den Mut zum Reden finden und Israel zum Gewaltverzicht auffordern. Die Regierungen Israels und des Iran sollten beide internationale Kontrolleure ihres Atompotentials zulassen. Nur so ist den nahe beieinander lebenden verfeindeten Völkern der Region und letztlich allen Menschen zu helfen.“

Sagt Grass hier einen antisemitischen Satz? Zugegeben, er kritisiert die Regierung Israels scharf. Er behauptet, es gäbe Pläne für einen militärischen Erstschlag gegen den Iran. Das bestreiten ja nicht einmal israelische Quellen, Anfang des Jahres konnte man in deutschen Zeitungen lesen, in Israel rechne man noch in diesem Frühjahr mit einem Erstschlag. Die Aufregung ist künstlicher Natur. Und wenn Verteidiger der israelischen Regierrung sagen, Grass verdrehe die Tatsachen, Israel würde niemals ein Volk auslöschen, im Gegensatz zum Iran, dann sei auf die Politik gegen die Palästinenser verwiesen. Nicht nur, dass Araber in Israel Bürger zweiter Klasse sind, die Palästinenser erhalten weder wirtschaftliche noch politische Perspektive, was am ehesten geeignet wäre, dem Terrorismus den Boden zu entziehen. Im Gegenteil: Unschuldige werden getötet, Häuser widerrechtlich abgerissen, Existenzgrundlagen entzogen, illegale jüdische Siedlungen gebaut, und die Regierung schaut zu oder unterstützt diese Aktivitäten bewusst. Bei einer solchen Politik und der täglich wieder zu hörenden Selbstverteidigungsrethorik der israelischen Regierung, gepaart mit der Unangreifbarkeit eines jüdischen Staates, der moralischen Unangreifbarkeit, die man mit Hinweis auf den Holocaust Tag um Tag behauptet, soll man keine Angst vor einem gewaltsamen Erstschlag haben? Man soll glauben, dass Israel, das die internationalen Regeln mit Füßen tritt und sogar Besatzungen von Schiffen verschleppt und ermordet, die nur Hilfsgüter und keine Waffen bringen, Maßvoll mit dem Iran umspringt? Das ist nicht einfach. So ist die Weltgemeinschaft gehalten, mäßigend auf Israel einzuwirken.

Und weiter: Selbst wenn die Kritik völlig aus der Luft gegriffen wäre, was hätte das mit Antisemitismus zu tun? Die Regierung eines Staates zu kritisierren und einen Angriffskrieg zu befürchten, ist das schon Antisemitismus? Die inflationäre Nutzung dieses Begriffs in den deutschen Gazetten würdigt die Opfer des Faschismus herab.

Israel sei das einzige Land, dessen Existenzrecht öffentlich in Frage gestellt werde, sagt der israelische Botschafter in Berlin. Das ist leider wahr. Allerdings kann er diesen Vorwurf nicht Günter Grass machen. Auf diese Idee käme Grass nicht, der dem Staate Israel verbunden war und bleiben will. Der Staat Israel hat sogar ein sehr sehr großes Existenzrecht. Juden wurden in Europa jahrhundertelang schändlichst verfolgt. Sie haben ihre Heimstatt mehr als verdient. Jeder, der es unternimmt, Israels Existenzrecht anzuzweifeln, muss die Kritik der zivilisierten Welt erdulden. Und Israel muss im Gegenzug Heimstatt aller seiner Bürger werden, auch der Bürger, die nicht jüdischer Abstammung sind. Und es muss auch denen eine Heimstatt zu schaffen erlauben, die nicht in seinen Grenzen leben wollen oder können, eben durch den Staat Palästina. All dies ist kein Antisemitismus, sondern es ist Gerechtigkeit. Viele israelische Politiker sind und waren Überlebende des Holocaust. Sie haben das Recht auf größt mögliche Sicherheit, doch man sollte maßvoll mit Gewalt umgehen.

Günter Grass hat Angst um den Weltfrieden, und die ist meiner Ansicht nach berechtigt. Ob der Iran tatsächlich eine Atombombe besitzt oder in nächster Zeit bauen kann, wissen wir nicht. Die US-Geheimdienste bezweifeln es. Belogen hat man uns schon einmal im Bezug auf den Irak, und man musste diese Lüge zugeben. Dort wurde jahrelang die Existenz von Massenvernichtungswaffen behauptet, bis man erklären musste, dass es nicht nur keine gab, sondern dass die angeblichen Beweise Fälschungen waren, um den Krieg zu rechtfertigen. Was nun, wenn mit der Atomfrage ein Krieg gegen den Iran gerechtfertigt werden soll? Wird man denn nie klug? Hat man aus Afghanistan und dem Irak nicht gelernt, dass ein solcher Krieg verhehrend ist, dass er nicht gewonnen werden kann und nur den Fanatismus anstachelt?

Dass ich mich mit Günter Grass gegen einen Krieg ausspreche heißt natürlich nicht, dass ich wie viele deutsche Linke den Iran und seine Führung für ungefährlich halte. Ich sympathisiere keine Sekunde mit den Mullahs. Auch sie sind ein unterdrückerisches und verbrecherisches Regime. Aber sie sind nur von innen heraus, und nicht durch westliche Arroganz und moralische wie militärische Überlegenheit zu verjagen und zu vertreiben. Eine oder mehrere Atombomben in den Händen dieses Regimes sind für mich ein Grund für Angst und Furcht. Ein Erstschlag aber, nur weil die Möglichkeit eines Bombenbaues in nächster Zeit vermutet wird, löst das Problem nicht, sondern verschärft es, und Israel findet nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.

Die Hetzjagd auf Günter Grass, weil er die israelische Politik und Regierung kritisiert, zeigt für mich den Zustand auf, in dem sich Deutschland befindet. Es ist nämlich die Mehrheit der Unterstützer Israels, nicht Grass, die nicht so oft an die deutsche Vergangenheit erinnert werden wollen und darum jede Kritik an Israel abblocken, um sich die israelische Führung gewogen zu machen. Es ist falsch verstandene Freundschaft. Unter echten Freunden ist Kritik willkommen. Regierungen mögen sie aber in der Regel nicht und sprechen dann von „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“. Gerade in Deutschland sollten wir alles tun, einen vernichtenden Krieg, jeden Krieg, so gut es geht zu vermeiden, wir wissen, wer die Opfer sind, und eigentlich wissen das alle anderen Nationen auch. Wir sollten uns gegen Aggression, gegen Säbelrasseln, gegen Einschüchterung engagierren. Im Gegensatz zu Günter Grass glaube ich, dass der „Maulheld“ von Teheran mehr ist als das. Das Maulheldentum mag den Fanatismus kanalisieren, ein Krieg gegen den Iran aber würde ihn stärken. Günter Grass mag eine unbequeme Meinung haben, aber ein Antisemit ist er sicher nicht. Seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS im Alter von 17 ist ein nicht zu tilgender Makel, aber Menschen können sich ändern, und Günter Grass hat nun lange bewiesen, dass er sich geändert hat. Auch er hat das Recht auf seine eigene Meinung, ohne von denen, die über ihre eigene Vergangenheit schweigen, wegen Fehlentscheidungen vor der Volljährigkeit heute noch kriminalisiert zu werden.

Das ist es, was ich finde, was mal gesagt werden müsste, aber was aus Mangel an Bekanntheit meines Blogs wohl ungesagt bleiben wird.

 

Artikel zum Thema:

Der Spiegel: Schuldverrechnung eines Rechthabers

Die Welt“: Grass entgegnet Kritikern mit „Nazi-Terminologie“-Vorwurf

SZ: Antisemitismusvorwürfe gegen Günter Grass

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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8 Antworten zu Was gesagt werden müsste

  1. Lieber Jens,
    ich stimme Dir voll zu. Ich lese aus dem Gedicht von Günter Grass heraus, dass ihn auch die Sorge um Israel umtreibt. Ist das antisemitisch?
    Ich halte diejenigen für antisemitisch, die jede Kritik an einer israelischen Regierung reflexartig unterbinden wollen, weil sie damit kruden Behauptungen von angeblicher Macht eines „Weltjudentums“, das vor allem faschistoide Kreise ausgemacht haben wollen, stärken und unterstützen. Wer aus dem furchtbaren Holocaust wirklich gelernt hat, der sollte Mahnungen vor einem Krieg im Nahen Osten ernst nehmen und nicht abkanzeln mit Verdrehungen und hasserfüllten Vorwürfen.
    Leider ist es inzwischen nicht mehr üblich, dass Intellektuelle und Schriftsteller mahnend das Wort erheben. Leider ist demokratische Kultur in Deutschland mehr und mehr einer kurzatmigen Parolen-Publizistik gewichen.
    Das Wort „Gleichhschaltung“ ist hier zwar zu hart, aber die Beobachtung von Günter Grass trifft meines Erachtens zu, dass die geifernde Meute hetzender Pressebeißhunde ein willkommenes Opfer zur Steigerung ihrer Quoten ausgemacht haben. Wer Demokratie ernst nimmt, mag Grass kritisieren, aber bitte sachlich!
    Deswegen danke ich Dir für diesen Kommentar, dessen Tenor ich mich voll und ganz anschließe.
    fjh

  2. Canabbaia sagt:

    Ihre Darstellung der Grass-Aussage mutiert von
    „Planspiele zu einem Angriff auf den Iran einübt, deren Durchführung das iranische Volk auslöschen könnte?“ zu
    „Er behauptet, es gäbe Pläne für einen militärischen Erstschlag gegen den Iran.“
    Grass wirft Israel ganz unmissverständlich vor, dass es das iranische Volk (mit einem „Erstschlag“, also einem atomaren Angriff!) auslöschen wolle:
    „… das behauptete Recht auf den Erstschlag, der das … iranische Volk auslöschen könnte.“

    Entweder stellt Grass diesen Sachverhalt bewusst falsch dar, oder (wahrscheinlicher) er ist schon leicht senil.
    Diese Falschdarstellung der tatsächlich anzunehmenden israelischen Pläne für einen Präventivschlag (und keinen – atomaren – „Erstschlag“) muss man ihm ankreiden. Hier wird der über die wirklichen Zusammenhänge nicht unterrichtete Teil der Öffentlichkeit bewusst oder unbewusst desinformiert.

    Der Vorwurf des Antisemitismus ist dagegen absurd. Soweit er von – ausländischer oder deutscher – jüdischer Seite erhoben wird, halte ich diese Strategie auch nicht für sonderlich intelligent. Grass kann sich damit als Opfer darstellen und entkommt der inhaltlichen Debatte über den Mist, den er verbreitet.
    Zur Verteidigung der israelischen Position (die ich in vielen anderen Belangen keineswegs unterstütze) reicht es völlig aus wenn man zeigt, dass Grass hier Blech redet.

  3. @kannabbaia: Günter Grass hat inzwischen klargestellt, dass er von einem nichtatomaren Erstschlag ausgeht, dass er aber befürchtet, dass bei der Vernichtung funktionierender Atomanlagen ein GAU entstehen könnte. Vielleicht hat er zu wenig Ahnung davon, um sich dessen sicher sein zu können. Es ist eine Meinung, und als solche sollte man sie behandeln.

  4. Jörg sagt:

    Zugegeben, das „Schnurrbartmonster“ gehört nicht zu meinen ausgewiesenen Freunden – das muss ja auch nicht sein. Es ist eine Tugend, anderen (vor allem älteren) Leuten aufmerksam zuzuhören. Sie haben immer etwas zu sagen, weil sie keine Rücksichten mehr nehmen müssen. Es würde ja ein: „Ok, so habe ich das noch nicht gesehen“ reichen. Oder ein peinlich berührtes Schweigen wie seinerzeit, als der senile Joopi Hitler als guten Kerl bezeichnete. Schwamm drüber, war halt daneben …

    Aber der Umgang mit Grass und einer legitimen Meinung zeigt die Verkommenheit so genannter „politischer Kultur“. Wo sind wir, dass ein gesprochenes Wort Beissreflexe auslöst und sachliche Argumentation mit kollektivem Mobbing geahndet wird? „Jehova, Jehova“ wird gefährlich, die Steine liegen offensichtlich jederzeit bereit. Wie bei den getroffenen Hunden scheint dabei nur zu offensichtlich zu sein, dass Grass die Finger auf ein wohl gehütetes Geheimnis gelegt hat: Unter dem Deckmantel historischer Unantastbarkeit ist eine gefährliche Kraft auf der politischen Weltbühne aktiv, die in den USA eine starke Lobby hat, an deren Meinung nichts, aber auch gar nichts vorbeigeht. Wem nützt es denn, wenn Iran sein Öl nicht mehr selbst vermarktet? Wird es wieder Israel sein, das wie seinerzeit für Ruhe und Ordnung in den Nachbarstaaten sorgte, Gebiete annektierte und nun eine Mauer betreibt, gegen die selbst die Grenze zwischen den USA und Mexiko harmlos wirkt?
    Die Sache stinkt zum Himmel.

    Isreals Politiker könnten ohne die jüdische Lobby in den USA und die westliche Allianz nicht die Rolle spielen, die sie sich anmaßen. Deshalb trifft die Politiker hierzulande die Aussage von Grass bis ins Mark. Damit die ganze schmutzige Angelegenheit nicht hinterfragt wird, DARF auch nicht nur ein Körnchen Wahrheit gesagt haben. Es fliegen Steine – das „Jehova“ von heute ist die Kritik an Israel.

  5. Canabbaia sagt:

    @ Bertram: „Günter Grass hat inzwischen klargestellt …“
    Danke für den Hinweis; war mir nicht bekannt.
    Aber wenn ein Sprachfachmann (und das zumindest ist er ja) nicht einmal in der Lage ist, seine Meinung zu einem politischen Sachverhalt klar zu formulieren (und z. B. zwischen „Erstschlag“ und „Präventivschlag“ zu unterscheiden), dann soll er sich doch bitte nicht zum praeceptor der Welt aufspielen!

  6. Was mich entsetzt, ist der Geifer, mit dem eine Meute hinter Günter Grass herhetzt. Selbst wer nicht seiner Meinung ist, sollte sie doch respektieren!
    Zudem: Leider werden einzelne Sätze von seinem Gedicht immer wieder aus dem Zusammenhang gerissen und dann so seziert, dass dabei herauskommt, der Autor habe keine Ahnung. Das ist nicht nur unfair, sondern auch undemokratisch!
    In einer Demokratie hat jeder das Recht, seine Meinung zu sagen. Angebliche „Experten“, die sich anmaßen, andere für angeblich unwissend zu erklären, achten nicht die grundlegende demokratische Tugend des Respekts gegenüber jedermann und jederfrau.
    Im Übrigen hat Grass geschrieben, dass der Erstschlag das iranische Volk „auslöschen könnte“. Das ist etwas Anderes als das, was der zweite Kommentator herausgelesen hat, der ja so großen Wert auf sprachliche Genauigkeit gelegt hat.
    fjh

  7. Canabbaia sagt:

    @ F. J Hanke: Das Recht auf Meinungsfreiheit befreit die Meinenden nach meiner Meinung noch lange nicht von der Verpflichtung, Sachverhalte korrekt zu begründen. Und macht sie hoffentlich nicht kritikimmun, wenn sie das – vorsätzlich oder fahrlässig – nicht tun.
    „Erstschlag“ ist ein Begriff, der sich auf einen Atomwaffenangriff bezieht. Und bei einem solchen Schlag darf man durchaus die Gefahr sehen, dass er ein Volk auslöscht.
    Wie ein nicht-atomarer Angriff Israels das iranische Volk auslöschen kann, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.
    Ebensowenig erschließt sich mir, welche Meinung Grass‘ ich aus seinem „Gedicht“ falsch „herausgelesen“ haben sollte; das müssten Sie ggf. schon näher erläutern.

  8. gunter sagt:

    Schön, dass Günter Grass eine Steilvorlage für jede Art von Satire geliefert hat:
    Es wäre ja wirklich eine Ironie des Schicksals, wenn es den “Juden” (Israelis) gelänge, die ersten und letzten Arier dieser Welt (Iraner = “Arier”) mit Atombomben auszulöschen (oder umgekehrt: wenn die Iraner Hitler zu Ende führen würden).
    Mein Gott, in was für einer primitiven Welt überall (mit Begriffen wie “Juden”, “Deutschen”, “Arier”, “Iraner”, etc.) muss ich denn überhaupt leben?
    Schafft endlich alle Nationen und “Rassen” ab (sowie jegliches Denken, das mit Begriffen wie “Juden”, “Arier”, “Deutschen” etc. zu tun hat!).

    Ich will endlich einmal in einer Welt leben ohne diesen jüdisch-christlich-muslimisch-kapitalistisch-kommunistischen Blödsinn und Schwachsinn überall!!!
    Jede Religion (auch die jüdische als die älteste…) ist nicht Opfer, sondern Täter!!
    Nehmt euch mal die Amazonas-Indianer (Pirahas) zum Vorbild: die kennen keine „Geschichte“, keine Mathematik und auch keine Ökonomie — und daher auch keine industriell organisierten Kriege und Genozide (etc.).
    Diese Leute sind viel zivilisierter als alles, was ich mir anhören muss auf der (fast) ganzen Welt!

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