Plädoyer gegen eine Verfassungsschutzreform

Der folgende Text wurde gestern im Ohrfunk veröffentlicht.

So ein Verfassungsschutz ist praktisch, finden Sie nicht auch? Wenn die Öffentlichkeit verlangt, gegen rechte Gewalttäter vorzugehen, dann schreddert man einfach ein paar Akten, die belegen, wie nahe man den faschistischen Kommandos war, und man hat sich erfolgreich jeder Kontrolle durch die Quasselbude, wie Hitler seinerzeit das Parlament nannte, entzogen. Es mag ein paar nachhakende Journalisten geben, aber die kann man, weil sie letztlich doch brav sind, mit Hinweis auf die Geheimhaltungspflichten abwimmeln. Und dann kann man sich seiner eigentlichen Aufgabe widmen: Die Ausschaltung der linken Gefahr, die alle gleichmachen will und die zarte Speerspitze klassenkämpferischer Ambitionen bildet. Diese Linken gilt es, natürlich mit demokratisch gewendeter weißer Weste, die aus dem alten, schön gebleichten Braunhemd hervorgegangen ist, zu vernichten. Und praktischerweise ist nach dem Schreddern der Akten auch ein Verbotsverfahren gegen die NPD unmöglich, es sind ja keine Beweise mehr da, und auch keine Beweise dafür, dass der Verfassungsschutz kräftig bei der NPD mitmischt. Sagen Sie selbst: Ist so ein Verfassungsschutz nicht großartig? Eine Speerspitze des völkischen Kampfes gegen Demokratie und diese Menschenrechte, von denen alle faseln.

Und jetzt wollen sie ihn reformieren! Nein, nur das nicht, ruft da das patriotische Herz, wer soll dann den polizeilichen Einschüchterungen gegen Andersdenkende noch ein legalistisches Mäntelchen umhängen? Oder: Könnten wir das so machen, dass die Einsatzfähigkeit und Schlagkraft der Truppe nicht behindert wird? Könnten sich Reformen darauf beschränken, die Büros in einen anderen Flur zu verlegen, den Präsidenten auszutauschen und viel in den Medien darüber zu reden? Das wäre ja okay, dann merken sie da draußen, dass wir etwas tun und uns wirklich bemühen, aber uns bleibt der Verfassungsschutz erhalten, diese Behörde, deren Aufgabe es natürlich ist, die Demokratie zu schützen, unsere freiheitliche Verfassung. Natürlich ist kein Mitglied des Verfassungsschutzes Antidemokrat oder steht den braunen Schlächtern nahe, Gott bewahre. Verfassungsschützer sind alles lupenreine Demokraten. Also ich bin grundsätzlich gegen eine Reform der Behörde, man weiß ja nie, wie stark die Linken noch werden!

Aber was machen wir, wenn jetzt selbst schon Leute aus der CDU und der FDP für eine Reform eintreten? Gut: Dienstherr ist CSU-Innenminister Friedrich, von da droht dem Verfassungsschutz keine Gefahr. Aber über Sabine Leutheusser-Schnarrenberger müsste man vielleicht doch mal ein Dossier anlegen, mal gucken, welche Polizeikollegen wann bei ihr Dienst schieben und so. Das Dossier kann man ja zu gegebener Zeit wieder schreddern. Und wenn das alles nichts hilft, haben wir nicht irgendwo noch einen Anders Breivik sitzen, den man aus der Konserve holen könnte? Irgendeinem, dem man Waffen und Sprengstoff liefert, und der uns dann einen prima Vorwand verschafft, diese Reform aufzuhalten? Denn das ist ja das Lustige in einer Demokratie: Die Sicherheitsorgane scheitern mal um mal trotz Hochrüstung bei der Verhinderung von Terroranschlägen. Entweder sie hängen mit drin, oder sie versagen einfach, was meines unmaßgeblichen Verstandes nach kein Wunder ist, weil es perfekte Sicherheit nicht gibt. Aber dann stellen sie sich hin und fordern noch mehr Aufrüstung, und die Angst der Menschen gibt ihnen alle Mittel in die Hand, die sie wollen, um die linke Gefahr zu bekämpfen. Dass man mal an gesellschaftlicher Offenheit, wahrer Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und einer friedlichen Außenpolitik bastelt, Maßnahmen also, die ein offeneres und weniger aggressives gesellschaftliches Klima schaffen und zur Deeskalation führen, das kommt wohl niemandem in den Sinn.

Darum: Bloß keine Verfassungsschutzreform in unserer Zeit!

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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