In dieser Nacht fällt die wichtige Entscheidung, wer das amerikanische Volk und damit einen beträchtlichen Teil der Welt durch die folgenden 4 Jahre führt. Ich verfolge diese spannende Nacht via Radio, Fernsehen und Twitter, und ich schreibe in diesem Beitrag meine persönlichen Eindrücke auf. Der Beitrag wird in den folgenden Stunden immer wieder ergänzt.
Dienstag, 6. November 2012
21:45 Uhr: Die Wahlnacht in den USA steht kurz bevor. Ich habe Twitteraccounts gesammelt, mir Adressen von Livestreams zurechtgelegt. Für den Ohrfunk und mich selbst werde ich diese Nacht verfolgen, ganz allein hier vor meinem Rechner, nur mit einer Flasche Apfelschorle bewaffnet. Ich erinnere mich an die Wahlnacht vor 4 Jahren, die ich auch vor dem Radio verbrachte, aber auf Twitter war ich damals noch nicht. Wie viele Hoffnungen hatte ich damals, wie töricht war mein Wunsch, mit einem möglichen Präsidenten Barack Obama würde sich die Weltlage entscheidend ändern? Damals ging ich mit Optimismus in diese Nacht, die hoffnungsvolle Spannung hielt mich aufrecht. Heute ist da Angst, denn die Euphorie ist sehr sehr schnell bitterer Ernüchterung gewichen, als Obama nach seiner Wahl nichts von dem erreichte, was er versprochen und gewollt hatte. Und doch ist er auch heute wieder mein Favorit. Nicht mehr als Hoffnungsträger, sondern nur noch als das kleinere Übel. Deshalb gehe ich heute mit Wehmut, einer gewissen Verbitterung und Resignation in diese Wahlnacht. Große Veränderungen erwarte ich nicht mehr, wenn geschieht, worauf ich hoffe. Wenn aber eintritt, was ich fürchte, dann wird sich die Weltlage noch verschlechtern.
22:10 Uhr: Eine Reporterin der marburger Lokalzeitung Oberhessische Presse wird durch die Kneipen ziehen, in denen auch die Wahl übertragen wird und wird sich die Reaktionen ansehen. Ich hätte gar nicht gedacht, dass sich irgendwer in Marburg für dieses Thema interessiert. Auf Twitter schlägt ein Pfarrer nach dem Sichten eines Bildwitzes den Hashtag #Backaroma für die Berichterstattung zur Präsidentenwahl vor: „Eine Frau stutzt im Laden, denkt: Ich glaub’s nicht … jetzt gibt es von Barack Obama schon … ach, nein … Backaroma.“ Ein anderer Spruch auf Twitter lautet: „Es gibt viele Gründe Barack Obama zu wählen, allen voran Mitt Romney.“ Stimmt. – Ich gähne und bin schon müde, bevor das Event beginnt. Was bringt uns die Wiederwahl Obamas? 4 Jahre Aufschub des Wahnsinns. Das twittere ich.
22:45 Uhr: Langsam beginnen in den Sendern die Sondersendungen. Es ist immer nur von der Präsidentenwahl die Rede, dass aber auch ein Teil des Kongresses gewählt wird, wird kaum erwähnt. Dabei ist es sehr wichtig für die künftige Machtposition des Präsidenten, mit welchen Mehrheiten er regieren kann. Unterdessen meldet der niederländische Rundfunk in Gestalt der NOS, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Wahl in den USA gegeben habe, und dass beide Lager sich gegenseitig des Wahlbetrugs beschuldigen. Ein gerichtliches Nachspiel wird immer wahrscheinlicher, zumal es bei den Anschuldigungen um die sogenannten Swing-Staaten Ohio und Florida geht. So hat 2000 George W. Bush die Wahl gegen Al Gore gewonnen. Was für ein undemokratisches Juristengeschacher! „Beide Kandidaten haben ganze Heere von Anwälten ausgeschickt, um Fehler der Gegenseite aufzuspüren“, erklärt die NOS. Wie unwürdig, fällt mir dazu nur ein. Und das ist der feierlichste Akt der größten Demokratie der Welt? Über 5 Milliarden Dollar kostet die Wahl. Warum entscheidet man sie nicht gleich vor Gericht, das wäre billiger.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich 1992 staunend und ehrfürchtig die Wahl Bill Clintons verfolgte. Mein Gott, was ist davon geblieben? Schade, dass Politik für mich jede Feierlichkeit, jede Würde, alles Erhabene verloren hat. Zumindest die US-Präsidentenwahl.
23:30 Uhr: In der ARD erklärt Henry Kissinger, er habe für Romney gestimmt. Auch so ein Friedensnobelpreisträger, der die USA als starke Weltmacht sieht. Er erinnert mich irgendwie immer an einen Machiavellischen Fürsten. Wenigstens sagt er einen wahren satz: „Die USA müssen die Zusammenarbeit mit anderen Ländern lernen.“ Von Gleich zu gleich, so möchte ich hinzufügen. Die ARD-Sendung zur Wahl habe ich wieder abgeschaltet. Zum einen, weil der Stream wohl überlastet war, zum Anderen aber, weil es irgendwie wie eine große Unterhaltungsshow aufgezogen ist. Ich glaube, ich werde doch mal das Radio als Quelle nutzen.
Bevor ich dazu komme lese ich auf Twitter, dass ARD und ZDF jetzt stundenlang Zeit totschlagen, bis es tatsächlich etwas zu berichten gibt. Ich überlege ernsthaft, ob ich mich noch drei Stunden schlafen lege, bevor es spannend wird. Vor 4 Jahren hätte ich das unter keinen Umständen getan.
Es stimmt, was einer auf Twitter sagte, als er hörte, dass Henry Kissinger Mitt Romney gewählt hat: „Damit wissen wir, was das Kapital, was Goldman Sachs, was die Bilderberger wollen.“ Zumindest könnte man es vermuten. Andererseits kommen sie vermutlich mit jedem Präsidenten zurecht. Ich habe längst aufgehört, daran zu glauben, dass es einen Unterschied im Großen macht, wer Präsident der USA ist oder welche Partei in Deutschland die Regierungsverantwortung trägt. Vor 20 Jahren hätte es mich zur Weißglut gebracht, hätte jemand so einen Satz gesagt. Heute weiß ich, wie sehr die Politik von der Lobby beeinflusst wird. Heute weiß ich, dass die US-Präsidentenwahl unter Millionären ausgemacht wird, und dass trotz des immer wieder beschworenen amerikanischen Traums nur die Leute mit Geld eine Chance haben, in ein bedeutendes Amt gewählt zu werden. Das ist moderne Postdemokratie. Schade, dass ich heute Nacht wirklich nichts übrig habe für die Welt außer Resignation, aber leider ist es so.
7. November 2012
00:10 Uhr: Allein am letzten Wahlkampftag hat eine Frau von der Eliteuniversität Harvard 23 Wahlkampfmails von den Kandidaten und ihren Teams bekommen. 23 Mails? Das wäre für mich reiner Spam. Das hat auch mit Netzdemokratie und so nichts mehr zu tun, das ist reine Belästigung. Sicher: Ich stelle mir Netzdemokratie so vor, dass es mehr Interaktion via Internet zwischen den Kandidaten und den Bürgern gibt. Aber ich stelle mir das als Nehmen und Geben vor. Hier wollen die Kandidaten ihren Schrott an alle los werden, aber es geht gar nicht darum, den Menschen zuzuhören. Warum regt mich das eigentlich noch auf?
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss twittert: „Die armen Amis haben die Wahl zwischen einem schwachen und einem durchgeknallten Präsidenten.“ Dann geht er ins Bett und tut sich die Nacht nicht an. Vielleicht hat er recht.
In Pennsylvania gab es Probleme mit Wahlcomputern. Den Wählern war es unmöglich, für Obama zu stimmen, sagt eine Nachricht, eine von vielen, die aus den USA herüberschwappen. Auch ein Wahlbetrugsmanöver? Ich bin ohnehin gegen Wahlcomputer, spätestens seit ich Andreas Eschbachs Buch „Ein König für Deutschland“ gelesen habe. Sie laden zur Manipulation geradezu ein, und völlige Sicherheit gibt es nicht. Es ist sehr interessant, dass gerade die Computercracks von Wahlmaschinen abraten, und zwar im Sinne der Demokratie. Die Niederlande, die einst Vorreiter für diese Computer waren, haben sie abgeschafft. In den USA und zum Beispiel auch in Brasilien werden sie damit gerechtfertigt, dass Analphabeten mit ihnen besser wählen können. Aber ihre Informationsverarbeitung ist intransparent, und wenn es in den USA noch so viele Analphabeten gibt, dann sollten sie sich mal um ihr Bildungssystem kümmern und das nicht den Kirchen überlassen. Bildung ist nun einmal die Grundlage für Weltoffenheit, und die ist die Grundlage für echte Demokratie.
Der Journalist Dieter Kronzucker sagte in der ARD-Wahlsendung, er habe keine Angst vor Mitt Romney, wünsche sich aber Barack Obama. Romney könne aber, das sei sein großer Vorteil, mit Wirtschaft umgehen. Das ist immer das schlagende Argument, andere gibt es gar nicht mehr. Schafft die Parteien ab, setzt Wirtschaftstechnokraten ohne politische Überzeugungen ein. Aber Kronzucker sagte noch etwas, was ich einleuchtend finde: Vor 4 Jahren wurde Obama als Missionar gesehen. Würden die USA ihn wiederwählen, würden sie einen Afroamerikaner zum Präsidenten wählen. Jetzt erst.
Und jetzt schließen die ersten Wahllokale, und die Umfragen sagen, Romney sei kompetenter in Haushalt und Wirtschaft. Dann müsste er die Wahl ja eigentlich schon gewonnen haben.
00:15 Uhr: Endlich habe ich das Radio eingeschaltet. Im WDR 5 läuft eine informative Sendung. Leider ist immer wieder ein Thema, wie sehr Obama seine Wähler enttäuscht hat, die vor 4 Jahren so hohe Erwartungen hatten. Und für mich war damals schon klar, dass er längst nicht alle erfüllen konnte, das konnte nicht in einer Amtszeit auch nur halbwegs vernünftig angegangen werden. Aber ich glaube, er hat praktisch nichts erreicht.
00:30 Uhr: Alle warten auf die ersten Hochrechnungen. Aber noch passiert absolut nichts. Langsam überlege ich, ob ich mir einen nächtlichen Kaffee machen sollte.
00:45 Uhr: In Kentucky gewann Romney mit 79 % sagen die ersten Hochrechnungen. Es ist keine Überraschung, es galt als Sicher, dass die Republikaner hier gewinnen. Aber irgendwie ist das eine beeindruckend hohe Zahl für eine Demokratie. Auch in Indiana gibt es die ersten Hochrechnungen. Obama gewann den Staat vor 4 Jahren, aber diesmal hat er ihn wohl verloren. Wenn er die Präsidentschaft gewinnen sollte, wird es wohl sehr knapp.
00:55 Uhr: Irgendwie habe ich das Gefühl, dass jetzt immer weniger wirkliche Nachrichten aus den USA kommen. Die Spannung steigt, und wenigstens ein wenig davon hat mich auch erfasst. Allerdings habe ich Radio und Fernsehen abgeschaltet. Das stört mich alles. Es ist mir zu laut.
01:00 Uhr: Immer mehr Leute auf Twitter machen Witze oder beschweren sich darüber, dass unser deutsches Fernsehprogramm mehr über die US-Präsidentenwahl berichtet als über deutsche Ereignisse. Man habe interkontinental die Fernsehprogramme getauscht, sagte eine Frau. Es stimmt: Die Wahl findet auf allen Sendern statt. Das genau müsste uns deutlich machen, wie wichtig dieses Ereignis auch für uns ist. Und wir dürfen nicht mal mitwählen.
01:10 Uhr: Vermont geht mit 3 Wahlmännern wohl an Obama, Kentucky mit seinen 8 Wahlmännern an Romney. Obwohl das noch gar nichts aussagt, gefällt mir der Vorsprung für Romney nicht. Im ersten Swing-State, Virginia, liegen beide gleichauf. Wenn ich mir vorstelle, dass der Sieger, und habe er nur eine Stimme mehr, alle Stimmen der Wahlmänner aus Virginia bekommt, wird mir übel. Virginia, fällt mir ein, ein Staat, der den USA schon zu Zeiten des Bürgerkrieges Ärger bereitet hat. Ich bin froh, kein US-Bürger zu sein. Das land der Freien und die Heimat der Mutigen? Ich weiß nicht. – Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich die Tweets von ARD, ZDF, WDR, der Tagesschau und des ARD-Studios Washington lese. Gleichzeitig habe ich noch den Spiegel und die TAZ offen. Das muss reichen.
01:25 Uhr: Erste offizielle Ergebnisse soll es erst gegen 5 Uhr geben, heißt es. Warum so spät? Vor 20 Jahren, als Bill Clinton gewählt wurde, war um halb vier in der Nacht alles gelaufen. Diesmal wird es wohl noch Tage dauern. Wenn in Virginia wirklich neu ausgezählt werden muss, wenn in New Jersey die Leute bis Freitag wählen gehen dürfen, weil Sandy viele Wahllokale vernichtet hat, wenn es in Florida tatsächlich massenhaft Probleme mit Wahlmaschinen gab, die eine Stimme für Obama nicht zuließen, dann hat es doch eigentlich keinen Sinn, die Nacht hier abzuwarten? Denn ich spüre Müdigkeit. Vor 4 Jahren war ich optimistisch, gespannt, positiv aufgeregt. Jetzt bin ich müde, nicht mehr. Nur diese kleine Hoffnung, dass vielleicht doch ein Erdrutschsieg alles schon heute Nacht klarmachen könnte, hält mich hier, und natürlich meine Verpflichtungen gegenüber meinem Sender, aber keine Begeisterung. Denn wenn Obama mit einem Erdrutschsieg gewinnen sollte, selbst dann würde das nur bedeuten, dass sich nichts ändert. Aber ist Stillstand erstrebenswert? – Ja, wenn man die Alternative fürchtet.
01:35 Uhr: Romney hat auch West Virginia gewonnen. Nach Wahlmännern führt er jetzt mit 24 zu 3 Stimmen. Experten behaupten, die ländlichen Gebiete, die traditionell für die Republikaner stimmten, wären schneller mit dem Auszählen und hochrechnen, drum gebe es am Anfang so eine Verzerrung. Einer schrieb auf Twitter: „Die Welt steht kurz vor Romney und Twitter schläft?“ Nein, Twitter schläft nicht, aber es kann den möglichen Sieg des extremistischen Republikaners auch nicht verhindern.
01:45 Uhr: Auch South Carolina geht an Romney. So langsam glaube ich tatsächlich, er könnte gewinnen, und so langsam fürchte ich, er könnte das noch heute Nacht tun. Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Noch ist nichts entschieden, aber es geht schon recht eindeutig in Romneys Richtung.
02:00 Uhr: Ich habe die ARD, das ZDF und den WDR gebeten, bei ihren Twittermeldungen auch die Wahlmännerzahlen der Staaten mit anzugeben, oder das Verhältnis der feststehenden Wahlmänner. Mit den auf Webseiten angebotenen interaktiven Grafiken kann ich nun einmal nicht so viel anfangen, und als Textaufbereitung ist es wohl nicht modern genug. Wörtlich schrieb ich auf Twitter: „Find es gut, wenn @ardwashington, @ReporterZDF und @WDR_Presse die Wahlmännerzahlen mittwittern. Als Blinder hab ich Probs mit den Grafiken.“ Das passte genau in 140 Zeichen und wurde als Lob missverstanden. Ich musste es ihnen noch mal anders mitteilen: „Sagen wir es anders: Bitte twittert die Wahlmännerzahlen mit #a11y #USWahl @ardwashington @ReporterZDF @WDR_Presse…“ Mal sehen, ob sich was ändert.
02:10 Uhr: 6 Staaten, nämlich Connecticut, Delaware, Illinois, Massachusetts, Maine und Rhode Island gehen an Obama, so die neuesten Hochrechnungen. Jetzt steht es plötzlich 64 zu 40 Wahlmänner für Barack Obama. Aber auch das hat man erwartet.
Die Reporter unserer Lokalzeitung sind von ihren nächtlichen Streifzügen zurück. Rund 30 Leute haben sie getroffen, die sich in den Kneipen das Event ansehen. Das ist nicht viel, aber mehr als ich gedacht habe. Immerhin leben wir auch in Marburg in unpolitischen Zeiten. Eine Stadt, in der 4 Monate nach einer heftigen Atomkatastrophe nur noch 6 Leute zur Demo gehen, kann man nicht als hochpolitisch bezeichnen, auch wenn die linken Studenten das gern anders sehen.
02:20 Uhr: Bislang keine Überraschungen, sagen die Experten. Ich muss ihnen glauben, obwohl ich mich ein wenig mit der Wahl befasst habe, weiß ich längst nicht von jedem Staat, wohin er tendiert. Florida geht wohl an Romney, aber Ohio scheint Barack Obama für sich zu gewinnen. Zumindest symbolisch ein wichtiger Sieg.
Um mich wachzuhalten frage ich mich, was denn in vier Jahren sein wird, wenn die Stagnation der US-Führung so fortgesetzt wird, falls also Obama gewinnt. Zu großen Veränderungen ist dieser Mann ja selbst dann nicht in der Lage, wenn er die Mehrheit in beiden Kongresshäusern hat, wie vor 4 Jahren nach seiner Wahl. Nicht einmal das Gefangenenlager Guantanamo hat er schließen können. Was also ist in vier Jahren? Vermutlich würde man dann jeden noch so radikalen Republikaner wählen, nur um die Krankenversicherung wieder loszuwerden. Abe die Welt verändert sich auch in diesen 4 Jahren. Während Barack Obama dem Aufstieg Chinas ungefähr so zusieht wie seinerzeit Michail Gorbatschow dem Zusammenbrechen des warschauer Paktes, wird ein republikanischer Präsident der Ehre von Gottes auserwähltem Volk wieder Geltung verschaffen wollen. Ach: Ich sollte aufhören zu schreiben, es wird spät.
02:40 Uhr: In Florida, sagt ein Experte aus den USA, ist Obama besser als 2008. Die von mir angesprochenen Studios geben den Zwischenstand bei den Wahlmännern nur ganz selten bekannt. Man muss abwarten, bis mehr Stimmen ausgezählt sind.
02:45 Uhr: In Florida wechselt immer der vermutete Gewinner. Erst Mitt Romney, dann Barack Obama, jetzt wieder Mitt Romney. Es wird vermutlich eine lange nacht ohne Ergebnis. Vor 20 Jahren wäre so eine Nacht spannend gewesen, aber da gab es fast keine Spannung. Clinton räumte seinerzeit ab.
03:00 Uhr: Ich muss aufpassen, nicht einzuschlafen, aber es kommen ja bald wieder neue Ergebnisse. Schwer ist es trotzdem. 12 Staaten schließen ihre Lokale.
03:20 Uhr: Ich verfolge weiter trotz Müdigkeit. Zwar habe ich längst den Überblick verloren, außerdem sagt jede Quelle etwas anderes, aber in Florida bleibt es spannend. Nur wenige hundert Stimmen trennen Barack Obama und Mitt Romney voneinander. Und sie wechseln sich in der Führung ab. Hier wird bis zur letzten Sekunde gekämpft, und vermutlich noch darübe hinaus. Im Repräsentantenhaus behalten die epublikaner die Mehrheit, und wenn es bei den Wahlmännern zu einem Patt kommt, muss das Repräsentantenhaus den Präsidenten wählen, was einen Vorteil für Romney bedeutet.
03:30 Uhr: Die Präsidentschaftswahl in den USA fühlt sich so an wie die Punktevergabe beim Eurovision Song Contest, meint der norddeutsche Rundfunk. Vielleicht stimmt das sogar, wenn man den Ernst der Lage und die Wichtigkeit der Entscheidung außer Acht lässt. Es gibt aber gravierende Unterschiede: Wir dürfen keine Punkte vergeben, müssen aber mit allen Anderen gemeinsam die Suppe auslöffeln. Trotzdem: Wir alle schauen gebannt hin.
03:45 Uhr: Alles konzentriert sich jetzt auf Florida. Im Jahr 2000 hatte der Staat mit seinen 537 mehr Stimmen für George W. Bush die Wahl entschieden. Im Moment liegt wieder Obama vorn, mit 1000 Sttimmen, aber schon in 2 Minuten kann es wieder andersherum sein. Zwar meldet sich jetzt auch mein Magen, abe jetzt möchte ich schon das Ergebnis wissen.
03:50 Uhr: Auch der wichtige Staat Ohio ist noch umkämpft. In einem Bericht des WDR habe ich die Antwort auf meine Frage bekommen, warum so viele Amerikaner Obamas Reformen ablehnen. Ein schwarzer Taxifahrer sagte zu einer WDR-Reporterin in Ohio, er habe Romney gewählt, denn er wolle nicht seine Steuern für Leute zahlen, die sich nur auf die faule Haut legten. Wird das generell jedem unterstellt, der keinen guten Job hat? Warum frage ich mich das, ich kenne doch die Antwort: Wer nichts aus seinem Leben macht, liegt auf der faulen Haut auf Kosten Anderer. Der hat natürlich auch keine Krankenversicherung verdient, in die alle einzahlen müssen. Ein grundsätzlicher Mangel an Solidarität und Mitgefühl herrscht in dieser Gesellschaft, sonst könnten die Hardliner dort nicht so viel ausrichten.
Ich bin müde, ich merke es beim Schreiben, mir entflieht die Konzentration.
04:22 Uhr: Wieder ein paar Staten, die sich für Barack Obama enttschieden haben. Auch in Ohio sieht es gut aus. Jetzt sprechen viele Kommentatoren von einem Sieg Obamas, und Sarah Palin, die führende Repräsentantin der Tea-Party-Bewegung erklärt, sie sei enttäuscht. Nichts offizielles, aber immerhin. Noch nicht genug, um mir jeden Stein von der Brust zu nehmen.
04:55 Uhr: In den Schlüsselstaaten Ohio und Florida führt Barack Obama, und plötzlich, mitten in der Nacht, im Halbschlaf, der mich ehrlich gesagt umfangen hält, empfinde ich die Spannung noch. Los jetzt, Obama, mach’s noch einmal. Und wenn es nur dazu ist, die Amerikaner gegen ihre eigene Mentalität zu versichern und uns allen das Gefühl zu geben, eine Katastrophe abgewendet zu haben.
05:05 Uhr: Nur ein paar Unentwegte posten noch auf Twitter. Barack Obama hat souverän die Westküste gewonnen, sagen die ersten Prognosen. Es gibt kaum noch Reaktionen in meiner Timeline. Selbst einige Kommentatoren von Fernsehsendern haben sich zurückgezogen. Ich selbst twittere seit meiner Einschlafattacke auch nicht mehr. Es ist ein gefühl vorsichtiger Erleichterung, das mich packt. Neben dem Grummeln und Flau-Sein meines Magens. Nicht dass ich an große Veränderungen in Barack Obamas zweiter Amtszeit glaubte, wenn sie nicht noch von Gerichten weggeurteilt wird, aber ich glaube an eine bestimmte internationale Stabilität, während ich eine weitere Spaltung der amerikanischen Gesellschaft selbst befürchte. Das wäre mit Mitt Romney aber nicht anders, er würde sich vermutlich nur kriegerischer dagegen auflehnen.
05:15 Uhr: Endlich, Barack Obama hat den wichtigen Swing-State Ohio gewonnen. Wenn er jetzt noch Florida gewinnt, gewinnt er wohl auch die gesamte Wahl. Ein Patt entstünde aber, wenn er außer Florida nichts mehr gewinnen würde. Ein Patt bringt Vorteile für Mitt Romney. Auf Twitter schreibt einer: „Mitt Romney hat zuletzt vor 5 Stunden getwittert, Barack Obama vor einer Stunde. Ein Omen?“ Sie wollen sich in der spannendsten Stunde die Situation schön reden, denn auf Twitter hat Barack Obama klar die Mehrheit.
05:17 Uhr: Der erste Sender erklärt, Barack Obama habe die Präsidentschaft verteidigt. Überall stürmen Menschen auf die Straßen, nachdem bekannt wurde, dass er auch den Swing-State Iowa gewonnen hat. Doch noch ist nichts entschieden. Aber der Präsident twittert: „This happened because of you!“ Ich denke, das ist offensichtlich.
05:22 Uhr: Noch 13 Wahlmännerstimmen fehlen Barack Obama zur Wiederwahl. CNN legt sich auf ihn als Sieger fest, die Demokratische Partei verkündet ebenfalls seinen Sieg. Noch hat Mitt Romney seine Niederlage nicht eingestanden, und manchmal haben die Medien auch schon zu früh einen Sieger ausgerufen. Ich wünschte, es käme jetzt eine erlösende Nachricht, die das hier beendet. Um sieben Uhr soll ich ein Interview geben, bis dahin sollte es gelaufen sein. Allerdings wenn jetzt die Nachricht kommt, schlafe ich vermutlich einfach ein. Vor 4 Jahren habe ich diese Nacht, diesen Moment am Radio mitverfolgt, habe Liveschaltungen und Originaltöne gehört. Heute war mir nicht danach, ich wollte schreiben und lesen und meine Gedanken zu Papier bringen, bzw. in die Tasten hauen. Es ist kein historischer Moment wie vor 4 Jahren, nur eine Fristverlängerung.
05:25 Uhr: Alle Sender erklären, dass Barack Obama gewonnen hat. Der Swing-State Ohio geht eindeutig an ihn, er hat mehr als die benötigten Wahlmänner. Ich wage noch nicht, mich zu freuen, bzw. die Erleichterung in mich eindringen zu lassen. Kann ein gerichtliches Nachspiel die Sache noch ändern? Wird Romney seine Niederlage eingestehen? Rechnet er sich noch Chancen aus, es in einigen Staaten herumzureißen? Bislang wurde erst jemand zum Sieger erklärt, wenn der Verlierer seine Niederlage eingestand und mitteilte, er habe dem Sieger gratuliert.
05:30 Uhr: „4 weitere Jahre!“ twitterte Obama. Doch noch zeigen die Grafiken nur Prognosen in vielen Staaten, keine Endergebnisse. Und das Romney-Lager weigert sich auch offiziell immer noch, Barack Obamas Sieg anzuerkennen. Man warte noch auf weitere Ergebnisse, heißt es. Verstehe ich, ich würde auch bis zum letzten Moment warten wollen. Und recht hat er, sicher ist das alles noch nicht, egal wieviel Rummel die Medien machen.
05:40 Uhr: Tagesschau und ZDF vermelden seit einer viertel Stunde nichts neues mehr. Das kann eigentlich nicht sein! So sehr können sie sich nicht festlegen!
05:50 Uhr: Offiziell hat Barack Obama die 270 Wahlmännerstimmen noch nicht erreicht. Deshalb hält sich Mitt Romney zurück und alle Chancen offen. Im Kommentar zu diesem Blog wurde ich gefragt, warum ich mir das antue, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen. Außer für den Sender tue ich es natürlich auch für mich. Natürlich gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten, aber wenn ich Politik immer so betrachten würde, bräuchte ich gar nicht mehr zu schreiben, mich gar nicht mehr zu engagieren. Barack Obama ist für mich das kleinere Übel.
06:00 Uhr: Wie ich es mir dachte: Mitt Romney erkennt seine Niederlage zumindest noch nicht an. Vermutlich will er prüfen, ob er am Wahlausgang in Florida, Virginia und Ohio etwas ändern kann. Die Wahrheit ist: Nach der Gesamtstimmenanzahl liegt Romney wohl tatsächlich vorn, aber das Wahlmännersystem verhindert, dass er Präsident wird, wenn in den Einzelstaaten tatsächlich so abgestimmt wurde, wie es jetzt aussieht.
06:05 Uhr: Virginia und Colorado gehen an den amtierenden Präsidenten. Trotzdem schweigt sich Mitt Romney noch aus. Farce? Oder rechnet er sich noch Chancen aus. Eine Frau auf Twitter schrieb: „genug geschrieben und gar nicht gezittert – die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub behagt mir nicht.“ Ein hartes Urteil, aber es ist ja was dran. In einigen Medien erscheinen Aufforderungen an Obama, jetzt aber bitte seinen „Change“, seine Veränderung, anzugehen. Aber wie, wenn er einen feindlichen Kongress gegen sich hat? Und wie gesagt: Noch ist nicht alles entschieden. Das stößt mir übel auf, dieses Geschacher, das sich seit Bushs Wahl am grünen Tisch bei Republikanern eingeschlichen hat.
06:11 Uhr: Jörg Taus schreibt auf Twitter: „Hoffe,dass jetzt die Kampagne für Bradley Manning wieder an Fahrt gewinnt. Druck auf Obama. Und endlich den Schandfleck Guantanamo weg!“ Auch er geht von Obamas Wiederwahl aus. Romney will abe immer noch nicht zugeben, dass er verloren hat.
06:20 Uhr: In Washington wird gefeiert. In Marburg wird leider immer noch nicht geschlafen. In den USA, auf den Straßen der Hauptstadt, löst sich die Spannung. Kann Mitt Romney noch gegen so viel Macht des Faktischen klagen?
06:25 Uhr: Der neue Obama-Schlachtruf lautet: „Yes we did“ oder „four more years“. Alle scheinen nun davon auszugehen, dass Barack Obama gewählt ist. Die Medien beenden ihre Sondersendungen. Die ersten Blitzanalysen erscheinen. Ich muss noch durchhalten, gleich ein Interview geben, mir meine eigenen Einschätzungen überlegen.
Erleichterung? Vielleicht kann Mitt Romney gar nicht so viele Staaten gerichtlich für sich gewinnen, wie er bräuchte, um Präsident zu werden. Ganz leichte Erleichterung also. Vorerst.
06:30 Uhr: Auf Twitter schrieb jemand: „Lieber Herr Romney, bitte räumen Sie schnell ihre Niederlage ein. Ich bin müde und möchte gerne schlafen gehen. Danke.“ Dem schließe ich mich an. Noch immer werden Stimmen ausgezählt, noch immer prüfen Mitt Romneys Anwälte. Derweil lese ich folgenden Tweet: „the first disabled woman, the first openly lesbian woman, and the first Asian woman have all been elected into Senate tonight. fuck yeah.“ Immer wieder gibt es kleine historische Ereignisse in der größten und ausgereiftesten Demokratie der Welt. Nicht wahr?
06:45 Uhr: Die Tagesschau bringt es auf den Punkt: „Mitt Romney hat noch immer nicht zugegeben, dass er die Wahl verloren hat. Damit kann auch Obama die Wahl noch nicht annehmen.“ Ich verstehe leider nicht, was seine Anwälte da noch prüfen wollen? Sie warten auf noch mehr Zahlen, sagen sie. Was haben sie in der Hinterhand?
06:50 Uhr: Endlich! Der erste Sender meldet, Mitt Romney habe Barack Obama angerufen und die Niederlage eingeräumt. Jetzt werden bald die Auftritte der Kandidaten kommen, und dann endlich ist diese lange Nacht vorbei. Meine Erleichterung hat vor allem damit zu tun, dass es kein langes Tauziehen mehr geben wird. Viele sagen, Obama müsse jetzt liefern, aber ich sagte ja schon, dass ich nicht glaube, dass er es kann.
Jetzt einen tiefen Schluck aus der Schorleflasche, auch wenn es noch nicht offiziell ist. Seit Stunden habe ich nicht mehr getrunken, da merke ich, dass ich doch angespannter war, als ich zu Beginn des Abends dachte.
07:30 Uhr: Mein Interview beginnt gleich, etwas verspätet. Ich bin müde, hab aber glaube ich das Schlimmste hinter mir. Mitt Romney hat seine Niederlage eingestanden, auf die Rede von Barack Obama wird noch gewartet.
08:00 Uhr: Barack Obama dankte seinen Wählern. Damit geht die Wahlnacht zu ende. Ich bin hundemüde, gehe aber gleich noch zu einem Geburtstagsfrühstück. Schlafen werde ich erst heute Mittag. Ich bin erleichtert über den Wahlausgang. Barack Obama hat nicht wie vor 4 Jahren ein eindrucksvolles Mandat gewonnen, er wird Federn lassen müssen. Aber ich hoffe, es sind nicht zu viele. Mit ach und Krach ist er wiedergewählt worden. So sehr die Menschen auch feiern, die zweite Amtszeit wird noch schwieriger als die erste. Wie sagte es ein amerikanischer Korrespondent: „Rund 6 Milliarden Dollar hat der Wahlkampf gekostet, und die Verhältnisse sind nachher fast genau so wie vorher.“
herzliches beileid. warum tut man sich sowas an, wo es doch definitiv scheißegal ist, welche der beiden gestalten den präsidenten gibt. nach der wahl dürfte es höchstens graduelle unterschiede in der art kriege zu führen geben.
@Landbewohner
jupp, sehe ich auch so:
voellig egal wer die Wahl gewinnt.
Jeder tut das, was die eigentliche Regierung, die nicht zur Wahl steht, will.
Andernfalls hagelt es „Unfaelle“.
Ich weiss immer noch nicht wer die Wahl gewonnen hat,
aber wenn Kissinger verlautet, dass er Romney gewaehlt hat,
dann… hm… inne minne muh…
wird es wohl Obama. Das Kasperletheater muss ja noch weiter gehen.
===
Eben mal das Radio angemacht… naja, siehste…