In marburg liegt die Temperatur gerade an diesem frühen Morgen bei 1 Grad, und offiziell schneit es leicht. Offiziell deshalb, weil ich dies für meine Straße durch einen Blick aus dem Fenster gerade nicht bestätigen kann. Aber so verkündet es die Wetterstation in meiner Nähe. Das ist doch ein vortreffliches Wetter für einen 29. Dezember, nicht wahr?
Natürlich weiß ich, dass der gregorianische Kalender heute den 12. Februar 2016 als offizielles Datum nennt. Wie könnte ich es vergessen, es ist mein 47. Geburtstag. Aber genau so sicher weiß ich, dass es zwei Tage vor Beginn meines neuen Jahres ist, also mein persönlicher 29. Dezember.
Obwohl ich Geburtstag habe, steckt der Tag voller Arbeit. Für den Ohrfunk werde ich einen Blogbeitrag schreiben, einen Newsleter veröffentlichen, womit ich unser neues Newslettermodul der neuen Homepage einweihe, ich werde mit meiner Liebsten eine Hörspielsendung produzieren und für Sonntag die Sendung Candlelight so weit vorbereiten, dass ich sie nur noch abzufahren brauche. Dann endlich kann ich mich den eigentlich wichtigen Ereignissen des Tages widmen: Ein Ablaufplan für das Wochenende muss in Punktschrift und auf eine Braillezeile übertragen werden, zwei lange Musiklisten müssen bereit stehen, und außerdem sollte ich ausgeschlafen sein. – Denn heute beginnt das dreitägige Jahresfest meines Freundeskreises. Es ist die 31. Veranstaltung dieser Art, und wir feiern unser 30jähriges Bestehen.
Irgendwann werden sie kommen, aus Hamburg und Wuppertal, und natürlich hier aus Marburg, und wir werden uns wenigstens dieses eine mal im Jahr zusammen setzen, gut essen, über das Jahr plaudern, uns auf den neuesten Stand bringen, Bowle trinken und natürlich unsere Jahreshitparade ausspielen. Wie ein solches Wochenende abläuft, und was das Besondere an unserem Freundeskreis ist, habe ich schon öfter zum Jahreswechsel erzählt. Für mich endet das Jahr mit dem Platz Nr. 1 unserer Jahreshitparade, und es beginnt mit dem gleich im Anschluss gespielten Lied „Happy new year“, irgendwann am frühen Sonntag Abend. Dieses gemeinsame Wochenende mit den besten Freunden, oder sagen wir, den ältesten Freunden, gibt eine Menge Kraft und Lebensmut und Lebensfreude. Normalerweise treffen wir uns immer am dritten Adventwochenende, aber aus Krankheitsgründen mussten wir unser Jahresfest auf den Februar verschieben. Aber das machte nichts: Schon letztes Jahr fand das Treffen im Februar statt, weil im Dezember davor ein befreundetes Ehepaar ein Kind bekam, so bleibt die Länge meines persönlichen Jahres eigentlich ganz normal.
Und es war ein sehr turbulentes und abwechslungsreiches Jahr. Einige von uns haben eine Ausbildung begonnen oder abgeschlossen, ein kleines Kind verbrachte sein erstes Jahr auf dieser Welt, die vielen Flüchtlinge in diesem Land haben uns beschäftigt, in unserem Umfeld gab es einen rechtsradikalen Anschlag, wir kennen Menschen, die zu fanatischen Rechtspopulisten und Frauenhassern wurden. Und ich selbst habe eigentlich alle meiner politischen Illusionen verloren, habe verlernt, an die Selbstheilungskräfte in unserem Land zu glauben, habe den Hass und die gnadenlose Unversöhnlichkeit und Hetze im Internet zu spüren bekommen. Und doch gebe ich nicht ganz auf und bin der humanistischen Union beigetreten. Trotzdem: Der Verlust dieser Illusionen, die Belastung im Ohrfunk, all das wird in den nächsten Wochen für mich Konsequenzen haben. Ein Jahresfest ist ein guter Zeitpunkt, mit den Freunden darüber zu reden, obwohl es auch ein guter Zeitpunkt zum feiern ist.
Heute Abend schon werden wir beisammen sitzen, Salat und Baguettes essen und miteinander scherzen und lachen. Vermutlich werden wir keine Weihnachtslieder singen. In meiner Unterhaltungsliste für den heutigen Abend waren ursprünglich welche enthalten, aber die war ja für den Dezember gedacht. Ich habe sie gestern schnell noch entfernt. Jetzt, wo es ein wenig schneit, überlege ich es mir vielleicht noch einmal anders.
Ich wünsche allen ein gutes Jahr, lasst euch nicht entmutigen und bleibt friedlich.
Viel Glück und Spaß. Möge der Wirkungsgrad bei der Arbeitserledigung drastisch zugunsten
der Frei- und Feierzeit steigen.
MfG
Herbie