Globale Krankheit: Medien, Politiker und die Gewalttat von München

Am Freitagabend konnten wir alle beobachten, wie Politiker und Medien sich eine blamable Katastrophe nach der anderen leisteten. Die meisten – die Rechten nämlich, die einfach hetzten, ohne die Hintergründe zu kennen – entschuldigten sich nicht einmal, sondern hetzen weiter. Die meisten Politiker ziehen sich vornehm zurück, andere machen die Killerspiele verantwortlich, und die Medien denken wieder einmal schamvoll über ihre Rolle nach, wie nach jeder Katastrophe. And nothing ever happens!

Während deutsche Medien stundenlang wiederholten, dass sie nichts wüssten, dass sie nur spekulieren könnten, dass es sich um einen Terrorakt handele, während die Zahl der toten zwischen 0 und 9 hin und herschwankte, erklärte der neue britische Außenminister Johnson, man habe es mit dem globalen Phänomen des islamischen Terrors zu tun. Was auch sonst? Drei Täter hatten in einer deutschen Großstadt schwer bewaffnet auf viele Menschen geschossen und einige getötet, was konnte das anderes bedeuten? Musste man da nicht von einer terroristischen Lage ausgehen?

Nein, liebe Medien, liebe Politiker, und ganz besonders liebe Parteisprecher der AFD, musste man nicht. Der Pressesprecher der münchener Polizei, Markus da gloria Martins, hat immer gesagt, was man wusste und was nicht. Und während er später für seine beruhigende Pressearbeit von allen gelobt wurde, konnte er die wildwuchernden Spekulationen, Falschaussagen und Sensationsberichte der Zeitungen und Fernsehstationen nicht vereiteln, und konnte die Politiker nicht daran hindern, das schreckliche Geschehen für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen. Am Ende war es ein einziger, mit einer Pistole bewaffneter Täter, der unter Depressionen litt und sich kurz nach der Tagesschau vor den Augen der Polizei erschoss. Er war Deutscher, in Deutschland geboren, aufgewachsen und sozialisiert, auch wenn die Medien konsequent vom deutsch-Iraner schreiben, um doch ein klein wenig von der ausländerhetze der AFD und rechten CDU retten zu helfen. Wessen Eltern vor 50 Jahren, also vor der eigenen Geburt, aus Russland auswanderten, den nennt heute auch keiner mehr einen deutsch-Russen.

Fast alle Medien haben ihre gesellschaftliche Verantwortung vergessen und sich dem Quotenwahn untergeordnet. Dieser ist die globale Krankheit, gegen die es anzukämpfen gilt. Sensationsgeilheit und Quotenwahn. Nichts von wegen vierte Gewalt: Es regiert die Geldgier. Damit treiben die Medien die Menschen in die Arme der Vereinfacher, der Rattenfänger von rechts.

Und die Politiker versprechen mehr Sicherheit, mehr Bundeswehr, mehr Überwachung. Es ist der reinste Irrsinn! Es war der voraussehbare Irrsinn!

Und jetzt sind also die Killerspiele schuld. Viele Menschen spielen seit vielen Jahren einfache Killerspiele, ohne gewalttätig geworden zu sein, auch Jugendliche. Auch werden Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Problemen nicht gleich zu Gewalttätern, ich kann das teilweise beurteilen, ich habe selbst ab und an mit Depressionen zu kämpfen. Das globale Phänomen, gegen das wir ankämpfen müssen, ist die Tatsache, dass wir immer einen Sündenbock wollen und brauchen, weil wir uns nicht zumuten wollen, komplexe Zusammenhänge zu erfassen. Das würde ja Arbeit machen.

Schön wäre es, wenn die Medien wirklich ihre Berichterstattung in solchen fällen überdenken würden. Ein wenig mehr Distanz zum Geschehen täte uns gut, auch und gerade wenn dnie privaten Fernsehanstalten sich wie die Geier auf die Sensationen stürzen. Mit denen müssen öffentlich-rechtliche Medien nicht konkurieren. Aber es wird wohl ein Wunschtraum bleiben, und die „globale Krankheit“ wird weiter wuchern.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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4 Antworten zu Globale Krankheit: Medien, Politiker und die Gewalttat von München

  1. Lieber Jens,
    Du hast es gut auf den Punkt gebracht: Mehr Distanz und mehr Nachdenklichkeit wären hilfreich. Außerdem brauchen wir mehr Mitmenschlichkeit und Strukturen einer zeitnahen psychotherapeutischen Unterstützung vor Ort sowie mehr Mitmenschlichkeit.
    fjh

  2. ronald wolf sagt:

    Ja, genau auf den Punkt gebracht, wie es FJH schreibt. Sehe ich auch so. Die Gründe für solche grausamen Taten sind sehr vielfältig und schwarz-weiß funktioniert nur für die Dumpfbacken. Die unverantwortliche Berichterstattung der Medien hat mich auch erschüttert. Leider werden wir alle den Preis für diese Panikberichterstattung bezahlen, in Form von Abbau demokratischer Rechte, Ausbau der Geheimdienste und Verschärfung des Asylrechts. Die IS-Chaoten klopfen sich vor Freude auf die Schenkel.
    Dabei hatte die dramatische Nacht von München noch nicht mal einen islamistischen Hintergrund.
    Bedenklich finde ich aber im Gegensatz zu J.B. die Ballerspiele, die auf jeden Fall die „Schmerzgrenze“ zu töten senkt. Dafür sind sie erstmals vor vielen Jahren von US-Militärs entwickelt worden. Bei normalen jungen Menschen lösen sie wohl nicht unbedingt einen Amoklauf aus, aber bei psychisch labilen Typen können sie schon wirken, nicht umsonst tauchen im Nachhinein bei den „Durchgeknallten“ diese Spiele auf den PC auf. Das kann kein Zufall sein – aber auch nicht der einzige Grund für Gewalttaten.
    Viele Grüße aus dem Vogtland
    Ronald

  3. Goenner sagt:

    Zu Ihrem (Ex-)Kumpel, der beim Wahlomaten die NPD empfohlen bekam: Das ging vielen so, nicht nur Ihrem (Ex-)Kumpel, und ging seinerzeit auch seicht durch die Luegenpresse. Deshalb:
    „““
    Parteischule
    Posted on 1. August 2016 by eulenfurz
    projektwoche-hbf-koeln
    Jungpolitiker der Linksjugend, der Grünen Jugend, der Jungen Union und der Jusos führen eine Podiumsdiskussion an einem Gymnasium in Bad Doberan (Mecklenburg-Vorpommern) durch. Die im Landtag vertretene NPD war nicht anwesend, obwohl 14 Prozent der 18- bis 24-Jährigen sie bei der letzten Landtagswahl wählten. Ebenso wenig die AfD, gemäß Umfragen drittstärkste Partei des künftigen Parlaments, sie könnte aber auch die stärkste werden.
    „Warum wurden AfD und NPD nicht eingeladen?“, wollen die Schüler wissen.
    Der Juso-Vertreter: „Ich persönlich würde nicht mit der AfD reden, das sind Nazis in Anzügen. … In der AfD-Spitze sitzen stark rechte Arschlöcher. Erst wenn sie ins Parlament kommen, müssen wir weitergucken.“ Die Abgeordnete der Grünen-Jugend: „Es gibt einen Parteibeschluss auf Bundesebene, dass wir nicht mit der AfD zu Podiumsdiskussionen an Schulen gehen. … Es gibt in der AfD einige Rattenfänger, mit denen wollen wir nicht an Schulen gehen.“ Hier mehr [ auf Verlinkung verzichte ich; es duerfte auch so verstanden sein].
    Für Mecklenburg-Vorpommern wird es zur diesjährigen Landtagswahl keinen Wahl-O-Mat geben, weil die voraussichtlich von massiven Stimmenverlusten betroffenen Regierungsparteien CDU und SPD der Landeszentrale für politische Bildung, welche für die Erstellung des Wahl-O-Mates zuständig ist, die Beantwortung der 38 Fragen verweigerten.
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