In zwei Stunden spielen über 150 große und viele kleine Radiostationen in Europa „You’ll never walk alone“ von Gerry & the Pacemakers. Der Ohrfunk ist auch dabei. Wir brauchen etwas, was Mut macht, die Situation fühlt sich immer beängstigender an.
Bei mir wechselt häufig die Stimmung. Den Tag über fühlt es sich oft ruhig an, nachts überfällt es mich dann hin und wieder aus heiterem Himmel, vor allem, wenn ich mir vorstelle, was da noch kommt.
Eben habe ich getwittert:
„Es ist Nacht und ich kann nicht mehr schlafen. Ich frage mich, was ich heute morgen sagen werde, wenn ich beim Ohrfunk „You’ll never walk alone“ ankündige. Ich will es nicht einfach nur spielen, die Hörer*innen sollen wissen, warum, und was es bedeutet.
Es gibt Momente, in denen die Angst zuschlägt, es gibt Momente, in denen ich gelassener bin. Nachts ist es schlimmer. Eben noch habe ich mit meiner Liebsten auf ihren heutigen Geburtstag angestoßen, jetzt ist alles still. Manchmal ist es ein Loch.
„You’ll never walk alone!“ Sicher, wir werden es irgendwie überstehen, aber was ist danach alles Kaputt? Fridays for Future? Offwene Grenzen? Demokratie? Sozialstaat? finanziell auskömmliches Leben für behinderte Menschen? Wieviel werden wir neu erkämpfen müssen?
Und wieviele Menschen werden nach dieser Krise die Kraft haben, wieder neu zu kämpfen? Grenzen werden in den Augen der Leute wieder Wundermittel sein, ich kenne schon jetzt die Argumentation der Rechten. Autoritätsgläubigkeit wird hoch im Kurs stehen.
Und: Ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, über später nachzudenken? Müssen wir uns nicht gerade jetzt auf die Gegenwart konzentrieren? Warum hören so viele nicht auf die Ratschläge der Virologen und feiern, grillen und lachen über das Virus und sind so verantwortungslos? Und andererseits: Ist es nicht gut, wenn wir nicht so autoritätsgläubig sind? Wobei: Es gibt einen Unterschied zwischen Autoritätsglauben und Vernunft.
Warum lassen wir es so weit kommen, dass die Politik irgendwann zu unser aller Schutz keine andere Wahl mehr hat, als eine Ausgangssperre mit Bundeswehrsoldaten durchzusetzen, von denen ein viertel rechtsextrem sind? Und: Sind das überhaupt die richtigen Fragen?
Und was genau sind die richtigen Fragen in einer demokratischen Gesellschaft, die debattieren muss, um lebendig zu bleiben? Eine Gesellschaft, die kritische Bürger*innen braucht wie die Luft zum Atmen? Wie sollen wir dem gerecht werden, wenn auch Lebensängste kursieren? „You’ll never walk alone“. Das Radio wird euch die Hoffnung bringen, wir werden für Krankenschwestern und Ärzte aus dem Fenster klatschen, irgendwann werden wir von den Balkonen singen. Das Leben wird weiter gehen, es lässt sich nicht dauerhaft besiegen. Daran glaube ich fest! Was also soll ich sagen, wenn ich heute dieses Lied ankündige? Ich möchte Hoffnung machen, Zuversicht vermitteln, ohne dabei oberflächlich zu sein. Heute macht das Leben Angst, das uns einst so sicher erschien. Sicher genug jedenfalls für lauten Widerspruch.
Heute Nachmittag werden meine Liebste und ich gemeinsam mit Freunden ihren Geburtstag feiern. Zugeschaltet werden sechs oder sieben Freunde auf Teamtalk sein, alle mit Kaffee und Kuchen. Das macht Hoffnung. Vereinsamt nicht, verzweifelt nicht! Wir sind alle noch da!
You’ll never walk alone, es hat einen guten Text, einen, der Hoffnung macht. Die Hoffnung brauchen wir.
Um 08:45 Uhr werden in ganz Europa 153 große und viele viele kleine Radiostationen dieses Lied spielen. Der niederländische Moderator Sander Hoogendoorn hat es angeregt, und wir alle wollen dieses Gefühl von Nähe und Zusammengehörigkeit erleben. Bewahrt es euch, es ist so kostbar!!“
Das Lied „You’ll never walk alone“ stammt aus dem Musical Carrousel aus dem Jahre 1945 und wurde erstmals von Frank Sinatra aufgenommen. Berühmt wurde die Aufnahme aus dem Jahre 1963 von Gerry & the pacemakers. Der deutsche Text lautet:
„Wenn du durch den Sturm gehst, halte den Kopf oben und hab keine Angst vor der Dunkelheit. Denn am Ende des Sturms erwartet dich ein goldener Himmel und der süße Gesang einer Lerche. Geh weiter durch den Wind, geh weiter durch den Regen, auch wenn deine Träume durcheinandergewirbelt und weggeblasen werden. Geh weiter, geh weiter mit Hoffnung im Herzen, denn du wirst niemals allein gehen!“
Bleibt gesund und hoffnungsvoll!
Pingback: Nicht allein: Solidarität ist nun erste Bürgerpflicht – marburg.news