Europa ohne Menschlichkeit: Moria ist eine schändliche Tragödie

Die Sommerpause ist vorbei, und man weiß gar nicht, für was man sich als erstes schämen soll: Für den Sturm auf den Reichstag oder die Unmenschlichkeiten in der Behandlung der Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos. Und obwohl mich der Angriff auf den Bundestag tatsächlich vor einer Woche noch in wahre Wutstürme versetzt hat, verblasst doch alles vor der Tragödie, die die europäische Union wegen 13.000 Geflüchteter anrichtet.

Es führt kein Weg daran vorbei, und ich muss es hier auch offen aussprechen: Die EU und jede einzelne beteiligte Regierung haben jedes Maß, jeden Anstand verloren. Ganz egal welchen Sachzwängen sie sich ausgesetzt glauben, ganz egal wie groß die Angst vor rechter Gewalt ist: Es wäre seit Jahren ein Gebot primitivster Menschlichkeit gewesen, die Flüchtlinge auf die europäischen Länder zu verteilen. Weil sich einige nationalistische Regierungen weigern, die die so oft beschworenen europäischen Werte längst vergessen haben, überhaupt Geflüchtete und Vertriebene aufzunehmen, legen die Anderen auch ihre Hände in den Schoß in der Hoffnung, Druck auf die Nationalisten ausüben zu können. Und dabei verlieren sie selbst jede Menschlichkeit, jede Achtung vor dem Leben, jedes Mitfühlen, sie werden zu Technokraten, zu
Verwaltungsrobotern. Derweil geht die griechische Polizei im Auftrag Europas mit tödlicher Gewalt gegen die Menschen vor, die aus ihrer Heimat flohen, um zu überleben. Dabei ist Leben in Sicherheit ein weltweit anerkanntes Menschenrecht.

Auf Twitter schrieb jemand: „Die Faschisten haben schon gewonnen.“ Das stimmt, denn sie schaffen es, dafür zu sorgen, dass ursprünglich nichtfaschistische Regierungen ihre menschenverachtende,
verabscheuungswürdige Politik machen, auf Kinder mit Tränengas schießen, Menschen mit Gummigeschossen verletzen, sie aushungern und den Hilfsorganisationen den Zugang zu ihnen verweigern. Haben sie von Deutschland gelernt? Vom Abschlachten und dem Hungertod der aufständischen Herero und Nama Anfang des 20. Jahrhunderts? Diese Regierungen gehören abgewählt! Alle! Wir haben Platz, rufen die Gemeinden, und es geht aktuell um 13.000 Menschen, die kommen legal alle paar Wochen nach Europa und wandern zu, um unsere Wohlstandsgesellschaft am Laufen zu halten. 27 Staaten bringen es nicht fertig, diese 13.000 Menschen zu verteilen, das wären weniger als 500 für jeden Staat, das ist unfassbar.

Ihr Politiker, ihr wolltet wohl unbedingt die Bürger, die noch etwas empfinden, davon überzeugen, dass Demokratie die schlechteste Regierungsform ist. und weil ihr ihnen Angst vor dem Kommunismus gemacht habt, gehen sie zu den Rechten.

Aber ich werde das niemals tun. Die Welt ist unvollkommen, und wir müssen in ihr leben, wenn ich derzeit auch nicht so genau weiß, wie ich das machen soll.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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3 Antworten zu Europa ohne Menschlichkeit: Moria ist eine schändliche Tragödie

  1. Artur sagt:

    Hallo Jens,

    ich würde gerne mal einige Fragen an dich richten. Auch wenn es sich für dich zunächst so anhören mag, so sind diese nicht als Provokation gemeint. Mich würden lediglich deine Ansichten zu einigen Punkten interessieren, die mit der ganzen Thematik der Flüchtlingsrettung im Allgemeinen und Moria im Speziellen zusammenhängen. Und ja, hierbei werde ich auch scharfe Kritik üben. Dies liegt in diesem Fall vielleicht so ein wenig in der Natur der Sache.

    Kommen wir zunächst einmal zu etwas ganz Grundsätzlichem – nämlich der Frage, aus welchen Gründen Menschen sich auf den Weg nach Europa machen. Ich bin mir nicht ganz sicher, meine mich aber erinnern zu können, dass du in einem früheren Blog-Artikel mal die Ansicht geäußert hast, Menschen würden ihre Heimat nicht freiwillig verlassen wollen, es gäbe also immer einen zwingenden Grund. Man sollte hierbei doch allerdings zwischen zwei Fluchtursachen unterscheiden. Auf der einen Seite wäre da die unmittelbare Gefahr durch Krieg, seien es jetzt Interventionskriege des Westens, gegen die auch ich mich übrigens vehement ausspreche, da sie eigentlich immer auf die Befriedigung von Wirtschaftsinteressen ausgerichtet sind und in ihrer ganzen Hinterhältigkeit, mit der sie geführt werden, den einfachen Menschen kaum eine Wahl lassen, als ihrer Heimat den Rücken zu kehren, oder seien es Bürgerkriege, welche durch korrupte, herrschsüchtige Regime verursacht werden. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch eine große Zahl von Menschen, welche aufgrund von Elend und Perspektivlosigkeit in ihren jeweiligen Heimatländern hoffen, hier in Europa ein besseres Leben zu finden. So sehr ich auf emotionaler Ebene sowohl die Flucht vor Krieg, als auch den Wunsch, dem Elend zu entkommen, verstehen kann, so bin ich der festen Überzeugung, dass es bei der Gewährung von Schutz eine Selektion nach diesen beiden Fluchtursachen geben sollte. Die zweite von mir angesprochene Gruppe von Menschen, die der Wirtschaftsmigranten dürfte, wenn man sich das ganze Elend der Welt vor Augen führt, so groß sein, dass wir, selbst wenn wir es wollten nicht in der Lage wären, sie zu versorgen. Wäre es nicht angebracht, auch im Interesse der Kriegsflüchtlinge selbst, diese Unterscheidung zu treffen? Was für einen Sinn hat es denn, immer mehr Menschen hier bei uns aufzunehmen und somit einen Pull-Effekt zu erzeugen? Führt dies nicht zur Etablierung eines perversen, darwinistischen Systems, welches den Stärksten, Kriminellsten und/oder Gerissensten die höchsten Chancen einräumt und schlussendlich dafür sorgt, dass sich immer nur noch mehr Migranten auf den Weg machen? Sollte sich die westliche Welt, allen voran Deutschland, wirklich daran beteiligen, nur um am Ende den Menschen hier das Gefühl der moralischen Überlegenheit geben zu können, auf der richtigen Seite zu stehen? Geht es in letzter Konsequenz nicht häufig genau darum? Macht außer Deutschland vielleicht auch deshalb kein anderes EU-Land mit, da den Regierenden dort dieser einfache Zusammenhang bewusst ist, den man ohne Aufbietung besonderer Denkleistung herstellen kann? Sind die Zahlenspiele im Bezug auf die aufzunehmenden Flüchtlinge, die dieser Tage von unseren Politikern veranstaltet werden, nicht geradezu höhnisch und grotesk? Genau daran sieht man doch, wie ich finde, worum es dabei wirklich geht.

    In deinem Artikel legst du einen Verteilungsschlüssel zugrunde, der vorsieht, die 13.000 Menschen auf alle 27 EU-Länder aufzuteilen. Immer, wenn ich so etwas lese frage ich mich, ob den Leuten nicht der Realitätssinn abhanden gekommen ist. Bei allem Respekt – aber wie kann man denn mit einer solchen Naivität an die Sache herangehen? Wir haben innerhalb der EU ein solch hohes Wohlstandsgefälle, dass dieses Vorhaben schon an der Natur des Menschen zum Scheitern verurteilt ist. Auch Flüchtlinge verfügen über die notwendige Intelligenz und durch den Austausch mit anderen auch über genügend Informationen um zu erkennen, dass nur wenige Länder, darunter Deutschland, ihnen ein für ihre Verhältnisse üppiges Leben bieten kann und zudem über ein gut ausgestattetes Sozialsystem verfügt. Schlussendlich wird es somit Deutschland sein, das die Hauptlast wird tragen müssen. Mir liegt es übrigens fern, die Menschen selbst dafür zu verurteilen. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich dem Elend ebenfalls durch Flucht in ein aufnahmebereites Land entkommen wollen und es höchstwahrscheinlich auch versuchen. Warum berücksichtigst du in deinen Artikeln immer nur die moralische Seite und stellst dir nie die Fragen nach den Folgen einer solchen Einwanderung für die aufnehmende Gesellschaft, die schon jetzt ganz erheblich sind, und zwar auf sehr vielen Ebenen gleichzeitig – neben den direkten Kosten der Aufnahme und Unterbringung entstehen an den unterschiedlichen Stellen weitere. Ob im Gesundheitssektor, im Justizwesen, im Sozialwesen, im Bildungssektor usw. usw. Über den Anstieg der Kriminalität insbesondere in den Ballungsräumen habe ich dabei noch gar nicht gesprochen. Die Silvesternacht 2015/2016 war der Auftakt zu einer ganzen Reihe an brutalen Vergewaltigungen, welche wir in dieser Größenordnung vorher einfach nicht hatten, wie auch die PKS eindrucksvoll belegt – selbst, wenn man bestimmte Deliktarten herausrechnet und nur die relevanten Tätergruppen gegenüberstellt und betrachtet. Ja, ich kann mir denken, welches Argument nun von deiner Seite kommt: „Wir reden über Menschlichkeit, nicht über Zahlen. Wie kann man nur so eiskalt an die Sache herangehen! Nazi! Faschist Rechter! AfD-Anhänger!“ Für mein Dafürhalten nutzt du solche Begriffe gern und häufig. Nicht weil sie wahr wären, sondern, wie ich finde, um eine künstliche Überlegenheit herzustellen. Die Verpackung in eine emotionalisierende Moralisierung und Verurteilung scheint hierbei wohl das Mittel zu sein, solche wichtigen Fragen bei den Lesern gar nicht erst aufkommen zu lassen. Wir haben hier ein noch relativ gut funktionierendes Wirtschaftssystem, welches bisher in der Lage war, rund 2.000.000 Migranten zu versorgen. Doch der Preis hierfür übersteigt mittlerweile jedes Maß – die Gesamtkosten dürften sich innerhalb der letzten 5 Jahre auf über 150 Milliarden € aufsummiert haben. Dies ist ein ganz erheblicher Teil der Wirtschaftsleistung Deutschlands insgesamt. Hat sich jemals jemand der „Guten“ die Frage gestellt, was passiert, wenn wir hier einen massiven Konjunktureinbruch haben? Aufgrund der Beschaffenheit unseres Asylsystems können selbst hochkriminelle Flüchtlinge nur unter größten Anstrengungen abgeschoben werden. Auch hier belaufen sich die Kosten auf Durchschnittlich 55.000 € pro Fall. Das ist doch Wahnsinn! Niemals wurden wir, die einheimische Bevölkerung gefragt, ob wir einer Aufnahme einer solch großen Zahl an Asylsuchenden überhaupt zustimmen. Man könnte nun anführen, dass wir in einer repräsentativen Demokratie leben und eine explizite Zustimmung formal gar nicht erforderlich sei. Doch angesichts der Tatsache, dass wir hier über eine Verschiebung der Bevölkerungszusammensetzung reden, halte ich dieses Argument für gewagt – sogar für dreist und herablassend.

    Mir hat, und das meine ich vollkommen ernst, noch niemand von denen, die sich als links/progressiv bezeichnen erklären können, wie viele Menschen wir hier bei uns eigentlich aufnehmen sollen? Dabei geht es mir noch nicht einmal um eine konkrete Zahl, sondern viel mehr um Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit eine weitere Einwanderung als nicht mehr sinnvoll betrachtet wird. Wo ist das Ende der Fahnenstange? Denn eines ist klar – so lange wir es zulassen, wird es Einwanderung geben. Angesichts der immer weiter explodierenden Geburtenzahlen in den Herkunftsländern wird sich die Situation nur noch weiter verschärfen und den Teufelskreis aufrechterhalten. Es kommt mir teilweise so vor, als würde die ganze Flüchtlingsbewegung für manche Kreise ein willkommenes Instrument der puren Sabotage an unserem Land sein, bei welcher Flüchtlinge für die Beteiligten als Schachfiguren in einem Machtspiel herhalten müssen. Ein großer Teil der Medien macht fleißig mit – was ist denn mit den Menschen im Jemen? Warum reden wir nicht über sie? Warum diese Kampagne zugunsten der 13.000 Menschen in Moria? Was wird denn wohl passieren, sobald bekannt wird, dass wir hier aufnahmebereit sind? Es werden weitere Lager brennen, so wie neben Moria nun auch Samos. Die Botschaft „Brandstiftung lohnt sich“ wird in den Köpfen der Menschen hängen bleiben. Und ja, mir ist durchaus bewusst, dass es nur einige wenige Kriminelle waren, die das Feuer gelegt haben. Dennoch. Der Präzedenzfall ist geschaffen. Wie kann es sein, dass solche Überlegungen krampfhaft als Rechtes Gedankengut einsortiert werden? Wie kann man denn seitens insbesondere der Linken nur so unglaublich kurzsichtig denken und handeln? Australien hat mit seiner harten „No Way“-Politik beachtliche Erfolge gegen das Schleppertum erzielen können. Es kommen kaum noch Boote mit Flüchtlingen dort an, niemand begibt sich mehr auf die gefährliche Reise dorthin. Würden wir diese Politik ebenfalls fahren, würde sich die Anzahl Ertrunkener innerhalb kurzer Zeit auf einen Bruchteil reduzieren. Zumindest das hat das Beispiel Australiens sehr eindrucksvoll gezeigt.

    Zu guter letzt möchte ich noch einen weiteren, sehr wichtigen Punkt ansprechen. Ich weiß, hier werden sich unsere Ansichten diametral unterscheiden. Ich rede von der zunehmenden Einschränkung der Meinungsfreiheit. Ich finde, sie ist ein elementarer Teil unserer Demokratie. Mehr noch – ohne sie könnte eine Demokratie prinzipiell gar nicht existieren. In den letzten Jahren haben wir, wie ich finde, eine massive Verengung des Korridors des Sagbaren erlebt. Menschen wurden schon für das Ansprechen von immer offensichtlicher zutage tretenden Problemen als Rechtsextreme gebrandmarkt und teilweise durch gezielte Kampagnen regelrecht vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Dies traf nicht nur auf Politiker der AfD oder ihre Anhänger zu, sondern beispielsweise auch auf Menschen, die es gewagt hatten, Probleme in Flüchtlingsheimen offen anzusprechen, obwohl sie dort als Betreuer eingestellt waren und somit über interne Einblicke verfügen. Der ehemalige Verfassungsschutz-Vorsitzende Maßen wurde geschasst, als er es gewagt hatte, die Mär von der Hetzjagd in Chemnitz zu bestreiten – richtiger Weise, wie sich später herausstellen sollte, als die tatsächlichen Vorgänge um das „Hase, du bleibst hier“-Video bekannt wurden, welches in der von Antifa Zeckenbiss veröffentlichten, geschnittenen Version für viel Aufruhe gesorgt hatte. Von unserer Bundesregierung werden immer schärfere Anti-Hate-Speech-Gesetze verabschiedet, man denke nur an das unsägliche NetzDG. Das Ziel ist dabei offensichtlich, auch in den sozialen Netzwerken für ein Klima der Einschüchterung zu sorgen. Die Plattformbetreiber werden unter Androhung harter Sanktionen dazu genötigt, strafbare Inhalte unverzüglich zu entfernen. Das Problem dabei ist allerdings, dass den Netzwerken die Definition überlassen wird und für den Betroffenen keine wirksamen Einspruchsmöglichkeiten existieren. Dies ist eine Verschiebung hoheitlicher Aufgaben ins Privatrecht, was eigentlich unzulässig ist. Denn zu beurteilen, ob eine Äußerung einen Gesetzesverstoß darstellt, ist eigentlich Sache der Gerichte. Doch da diese offenbar zu viel Zeit benötigen, hat man sich eben offenbar eine solche, sehr dreckige und im Kern undemokratische Methode überlegt, um unerwünschtes effektiv bekämpfen zu können.

    Mich würde wirklich sehr interessieren, was du zu diesen, zugegeben doch recht provokanten, aber wie ich finde, berechtigten Punkten zu sagen hast.

  2. Hallo Artur,

    vielen Dank für deine Antwort, auf die ich sehr komplex eingehen muss. Ich nehme nicht an, dass wir uns in der Sache einig werden, doch ich finde es sehr erfrischend, dass wir hier einmal über Sachfragen debattieren können, das ist in der aufgeheizten Stimmung selten. Ich werde versuchen, auf deine einzelnen Punkte einzugehen und sie nach meinem besten Wissen zu beantworten.

    Wie du bin ich der Meinung, dass es zwei grundsätzliche Fluchtursachen gibt: Krieg und Elend, wobei die oft miteinander zusammenhängen. Es gibt aber noch eine dritte: Politische Verfolgung. Nach unserem Grundgesetz genießen allein die politisch Verfolgten einen Rechtsanspruch auf Asyl. Diese machen derzeit 1 bis 3 % der Menschen aus, die Aufnahme begehren, wobei ich verschiedene Zahlen gelesen habe, die sich alle in diesem bereich bewegen. Selbstverständlich ist niemand der meinung, Deutschland solle alle Flüchtlinge aufnehmen. Meine persönliche Meinung ist, dass Kriegsflüchtlinge und politisch Verfolgte aufgenommen werden sollten, sie kämpfen unverschuldet um ihr nacktes Leben. Lieb wäre mir ein europäischer Mechanismus der Verteilung, denn im Gegensatz zu dir bin ich der Meinung, dass viele europäische Staaten im Bezug auf ihren Wohlstand durchaus in der Lage wären, mehr Menschen aufzunehmen. Die Quote der Alochtonen, also der Menschen mit Migrationshintergrund, ist in anderen europäischen Ländern übrigens auch höher als in Deutschland, zum Beispiel in Frankreich und den Niederlanden, aber auch in Großbritannien. Nach dem zweiten Weltkrieg hat die damals kleinere BRD 13 Millionen Flüchtlinge aus Preußen, Schlesien, Pommern und weitere Millionen aus der DDR aufgenommen. Es war nicht einfach, darum geht es nicht, aber die Dimension war eine ganz andere. Was Moria angeht: 174 deutsche Städte erklären sich zur Aufnahme bereit, diese Leute sind vor Ort und sind der Meinung, dass es gehen kann. Außerdem hat Deutschland sich international durch Verträge zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen verpflichtet, wie andere Länder auch. Es gibt übrigens auch andere europäische Länder, die aufnahmebereit sind: Luxemburg beispielsweise, ausgerechnet das kleinste Land, die Niederlande auch in begrenztem Rahmen. Was die sogenannten Wirtschaftsmigranten angeht, so muss man berücksichtigen, dass die wirtschaftliche Ausbeutung durch den Westen eine der Fluchtursachen ist. Weil bestimmte Eliten aus der Kolonialzeit ihre wirtschaftlichen Pfründe sichern wollen, lassen sie es beispielsweise zu, dass in Afrika seltene Erden unter unmenschlichen Bedingungen für unseren Handybedarf gefördert werden. Westliche Firmen halten sich dort an absolut keine Standards für Arbeitssicherheit, Arbeitsrecht und Lohngerechtigkeit. Die Eliten zerstören die eigene Infrastruktur und stürzen die Menschen ohne ihr Dazutun in noch tieferes Elend und Armut. hier bin ich schon der Meinung, dass der Westen eine moralische Verpflichtung hat, den Menschen, die er über Jahrhunderte ausgebeutet hat, zu helfen. Dass die Hilfe vor allem am Ort geschehen sollte, ist richtig, aber sie geschieht nicht dadurch, dass man den korrupten Eliten weiteres Geld gibt. Übrigens: moralisches Handeln sollte meiner ansicht nach im Rahmen der Möglichkeiten jedes Einzelnen immer eine Richtschnur des Handelns sein. Ich sage „Im Rahmen der Möglichkeiten“ und meine das auch. Ohne Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit kann eine bessere Zivilisation nicht entstehen. Und ich bin der ganz grundsätzlichen Meinung, dass man sich darüber einig sein sollte, und danach erst die Frage stellen sollte: Was heißt das in unserem Falle konkret, was kann es heißen, welche Möglichkeiten haben wir?

    Übrigens möchte ich dir in einem Punkt vehement widersprechen, was Moria betrifft. Die Aufnahme von Menschen in Europa wird niemanden zu noch mehr Bränden ermutigen. Das ist dasselbe hirnrissige Argument wie: Die Aufnahme wird noch mehr Menschen ermutigen, übers Mittelmeer zu fliehen. Die Folgen der Brände treffen zunächst einmal die Geflüchteten selbst, ihre Kinder, ihre Kranken, ihre Alten, sie sind die Leidtragenden, die, die Todesopfer zu beklagen haben. Genau wie bei der Fahrt übers Mittelmeer. So eine Fahrt ist keine Komfortreise erster Klasse, längst nicht alle kommen an, ihre Familien haben ihr gesamtes Hab und Gut verkauft, damit *einer*, meistens ein junger Mann, weil der in der Fremde am besten Arbeiten und Geld nach hause schicken kann, die Reise antreten kann. Die anderen bleiben oft mit praktisch nichts außer dem Handy zurück, mit dem sie Kontakt halten. Eine solche Entscheidung trifft man nur und ausschließlich in höchster Not, genau wie die Sache mit dem Brand.

    Du sprachst von den Folgen der Aufnahme für die aufnehmende Gesellschaft. Selbstverständlich kostet die Aufnahme von Menschen Geld, deine Zahl von 150 Milliarden kann ich derzeit weder bestätigen noch widerlegen, ich halte sie persönlich für zu hoch, eine Kurzrecherche beim statistischen Bundesamt hat mir hier keine ausreichende Faktenbasis geliefert. Ich bin aber – wie du richtig bemerkt hast – der Meinung, dass die Zahl relativ egal ist, da ernsthafte Experten gar nicht bezweifeln, dass unsere Volkswirtschaft es verkraften kann. 5 Jahre nach der Einwanderung 2015 haben rund 40 % der Menschen eine Arbeit und tragen selbst wieder zum Sozialsystem, dem Gesundheitssystem und so weiter bei. Diesen Teil der Rechnung vergessen viele. Übrigens gibt es Studien, die besagen, dass Deutschland derzeit pro Jahr rund 200.000 Menschen aufnehmen müsste, um den volkswirtschaftlichen Bedarf in Branchen wie der Pflege und der IT zu decken. Das wäre dann eine gezielte Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen, zum Wohle unserer Volkswirtschaft.

    Zu den Folgen einer Entscheidung gehören auch immer negative Folgen. Wenn Deutschland sich nicht human zeigen würde, übrigens auch, wenn es damit kein Beispiel gäbe, würde das Elend nur noch größer werden, wir würden uns, weil wir zur Linderung beitragen könnten, schuldig machen. Denn natürlich gehört Moral zur Politik, sie muss sogar die Grundlage einer menschlichen Politik sein. Dass man sie nicht immer vollständig erfüllt, ist eine Sache, aber sie muss die Richtschnur bleiben. Eine Politik ohne Moral ist für mich nicht denkbar bzw. nicht anerkennungswürdig. Der sogenannte Realismus ist das, was entsteht, wenn man es nicht schafft, seine moralischen Grundsätze zu verwirklichen. Dass man eine moralische Politik anstrebt, hat nichts mit Überlegenheitswahn zu tun. Nur wer in der Lage ist, mit anderen Menschen mitzuleben, sollte das Recht haben, politische Entscheidungen zu treffen, schließlich hängt das Leben und die Zukunft Vieler von diesen Entscheidungen ab.

    Und jetzt bitte ich dich, ebenfalls Unterschiede zu machen. Asylsuchende sind einzig und allein die Menschen, die aus politischen Gründen fliehen. Es stimmt, dass die einheimische Bevölkerung nie gefragt wurde, ob sie ein Asylrecht für politisch verfolgte Menschen haben will. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es ins Grundgesetz geschrieben, das von den Landtagen verabschiedet wurde, die vom Volk gewählt worden waren. Es wurde unter Anderem aufgenommen, weil viele deutsche Emigranten in den dreißiger und vierziger Jahren die Erfahrung gemacht hatten, in westlichen Demokratien aufnahme zu finden und dort arbeiten zu können. Übrigens kann man auch die Wahlen seit 2015 als implizite Mehrheitszustimmung zur Einwanderung interpretieren, denn es war Thema in jedem Wahlkampf. Ja: Die AfD hat zugelegt, aber zur Mehrheit hat es nie gereicht. Das Asylrecht ist in keinem Falle für eine Verschiebung der Bevölkerungszusammensetzung verantwortlich. Was du meinst ist die normale Einwanderung, die es in jedem Land gibt. Und hier verweise ich noch einmal auf die Länder, die ich eben schon einmal genannt habe: Frankreich, Großbritannien, die Niederlande.

    Und dann sollte man etwas Grundsätzliches zum Thema Einwanderung sagen: Die sogenannte rassische Reinheit des Deutschen gab es nie. Deutschland war immer ein Einwanderungsland, das gilt übrigens für nahezu alle Länder Europas. Um Christi Geburt kamen die Römer, dann die Hunnen, die Mongolen sogar. Außerdem gab es immer Aus- und Einwanderung innerhalb Europas. Der Oberbefehlshaber Wallenstein im dreißigjährigen Krieg hatte ganze Regimenter, die überwiegend aus Kroaten bestanden, die nicht wieder in ihre heimat zurückkehrten. Die Idee des reinrassigen Nationalstaates war bis ins 19. Jahrhundert eine vollkommene Illusion, niemand kam auf diese Idee, weder in Frankreich, schon gar nicht in Österreich oder Deutschland. Heute haben wir über 15 % Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Dazu zählen Menschen, die hier geboren sind und den Ruhrdialekt und das Schwäbische als Muttersprache sprechen. Auch sie werden dazu gezählt. Selbst die Menschen der dritten Generation werden dazu gezählt. Ich weiß, dass meine Familie teilweise von französischen Hugenotten abstammt, ich habe mich aber noch nie als Franzosen gefühlt. Und von der herkunft eines Herrn Sarrazin wollen wir hier lieber gar nicht reden. Was ich meine ist folgendes: Einwanderung an sich ist normal, die Angst dem Fremden gegenüber auch. Wo es gelingt, die Angst zu überwinden, dort funktioniert das Zusammenleben. Die englische Oberschicht war lange normannisch, heute sind alle Engländer. Für die Bestimmung der Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen ist die Hautfarbe und die Sprache oder der Geburtsort der Großeltern meiner Meinung nach tatsächlich unerheblich. Erheblich ist, wie sich jemand in der Gemeinschaft verhält. Seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts sind vermehrt sogenannte Gastarbeiter aus Südeuropa nach Deutschland gekommen. Sie kamen, um auf unseren Ruf hin unser Land und unsere Wirtschaft wieder aufzubauen. Ihr Einfluss in der Gastronomie zum Beispiel ist nicht zu unterschätzen, sie haben unsere Kultur bereichert.

    Und damit kommen wir zur Silvesternacht und den seither deiner Meinung nach so oft geschehenen brutalen Vergewaltigungen. In der Silvesternacht in Köln hat es eine konzertierte kriminelle Aktion gegeben. Ziel war wohl vor allem Diebstahl, die Einschüchterung lief über sexuelle Intimidation. Regelrechte Vergewaltigungen hat es nach offiziellen Angaben nicht gegeben, allerdings eine Menge sexueller Übergriffe und einige schwere Nötigungen. Ist doch keine Frage, dass die Menschen, die das machen, bestraft gehören, seien sie Deutsche oder nicht. Die Kriminalstatistik weist übrigens aus, dass Beziehungsstraftaten mit sexuellen Elementen sehr häufig von Männern begangen werden, gerade Männern, deren Frauenbild das der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts entspricht, deutschen Männern. Die Incel-Bewegung, die Programmpunkte zum Thema Frau und Familie in den AFD-Wahlprogrammen und andere einschlägige maskulinistische Institutionen wie die Wikimannia sagen viel über das Verhältnis der ach so ritterlichen, frauen beschützenden deutschen Rechten zu ihren Frauen aus. Die, die sich über Menschen anderer Hautfarbe erheben, möchten selbst ihre Frauen in den Status der Hausfrau und Mutter drängen, um es mal neutral zu formulieren. Versteh mich bitte nicht falsch: Die Forderung nach Bestrafung bleibt richtig, mir wird nur schlecht, wenn ich höre, von wem sie kommt. Dass die Zahl der Vergewaltigungen oder überhaupt der Kriminalität durch Menschen mit Migrationshintergrund seit 2015 stark angestiegen sei, kann ich nicht bestätigen. Die polizeiliche Kriminalstatistik wird jedes Jahr vom BKA immer so interpretiert, dass in den meisten Bereichen die Quote der Kriminalität nicht höher ist als bei der autochtonen Bevölkerung. Es gibt Ausnahmen, soweit ich weiß, im bereich der organisierten Kleinkriminalität, aber da müsste man noch einmal genau nachlesen. Es hat seither ein paar wenige spektakuläre Fälle gegeben, zum Beispiel in Freiburg. Es hat auch fingierte Fälle gegeben, wie in einem bremer Kaufhaus. Es hat aber auch – wie in Münster – Anschläge Rechtsradikaler Incels auf Frauen gegeben. Alles Aufrechnen und alle gefühlte Wahrheit nützen nichts: Man kann sich derzeit nur auf die veröffentlichte Statistik der Behörden verlassen, und die gibt das Bedrohungsszenario, das hier an die Wand gemalt wird, meiner Ansicht nach nicht her.

    Zu Australien möchte ich gar nicht viel sagen, denn ich halte das Verhalten der australischen Regierung tatsächlich für unmenschlich. Sicher: Es ist ihnen gelungen, die Zahl der Menschen, die zu ihnen kommen, zu reduzieren, übrigens auch, weil der Weg nach Australien weiter ist und so weiter. Wenn dies das Ziel der Politik sein soll, dann hast du recht, dann sind sie erfolgreich. Ich aber bin der Ansicht, dass es das ziel der Politik sein soll, so vielen *Menschen* wie möglich ein Leben in Frieden, Freiheit und Sicherheit zu ermöglichen. Dabei kann man Fluchtursachen bekämpfen, die wirtschaftliche Ausbeutung stoppen und jene, die in ihrer Heimat nicht leben können, aufnehmen, solange es möglich ist, und wir und auch Australien gehören immer noch zu den reichsten Ländern der Welt. Dass der Reichtum vor allem wenigen Familien gehört, dass sechs Familien so viel Geld besitzen wie die ärmere Hälfte der Gesamtbevölkerung in Deutschland, steht auf einem anderen Blatt und wäre durchaus mal etwas, worüber man sich aufregen könnte. Obwohl ich Hartz-IV-Empfänger bin, lebe ich hier sehr gut im Vergleich zu den Menschen in Syrien, dem Jemen, praktisch ganz Afrika und großen Teilen Asiens. Dessen bin ich mir immer bewusst, auch wenn ich gegen Hartz IV kämpfe. Ein Grund, warum es mir so gut geht, ist die wirtschaftliche Ausbeutung auf Kosten der halben Welt. Auch dessen bin ich mir bewusst. Noch mehr profitieren die wirklich Reichen in den westlichen Ländern. Ich wäre durchaus der Meinung, dass wir es uns leisten könnten, praktische Schritte zu mehr Gerechtigkeit zu unternehmen.

    Übrigens: Es gibt da noch einen Punkt, den ich kurz benennen will. Du sagst, dass in den herkunftsländern die Geburtenrate ständig steigt. Das ist ein Irrtum. Es gibt nur noch ganz wenige Länder, in denen die Geburtenrate steigt, wie die UNO-bevölkerungsstatistik ausweist. Es gibt noch einige Länder mehr, in denen die Bevölkerungszahl noch rapide steigt, aber das liegt nicht mehr an einer besonders hohen Geburtenrate, sondern an der Eindämmung der Kindersterblichkeit durch bessere medizinische Versorgung, und das ist auf Dauer ein gutes Zeichen. Die UNO prognostiziert, dass die Bevölkerung noch einige Jahrzehnte wächst, dann aber langsam zurückgeht. Der Grund ist einfach: Sobald Frauen in den armen Ländern ein klein wenig Geld zur Verfügung haben, setzen sie es für notwendige Alltagsgüter ein und für Bildung. Daraufhin nutzen sie stärker Verhütungsangebote und lernen auch, dass die Kindersterblichkeit durch ein leicht höheres Einkommen pro Monat sinkt, was die Notwendigkeit vieler Kinder beendet. Der schwedische Arzt Hans Rosling, der seit Mitte der siebziger Jahre als Arzt und Berater überall auf der Welt tätig war, hat dies in seinem Buch „Factfulness Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“ nur anhand der öffentlich zugänglichen UNO-Statistiken erklärt, und anhand der Entwicklung in den Ländern der sogenannten dritten Welt in den letzten 70 Jahren. Das Buch ist sehr beeindruckend und zur Lektüre empfohlen. Man muss nicht in allem mit ihm einer Meinung sein, bin ich auch nicht, doch ausführlich und eindringlich erklärt er, dass unser Wissen über die Länder der sogenannten dritten Welt aus den achtziger Jahren stammt und sich seither kaum verändert hat. Nur dass die absolute Armut auf der Welt abnimmt, ist bis zu uns durchgedrungen, viele andere Tatsachen aber nicht. Damit möchte ich sagen, dass jede nicht nur vorübergehende Anhebung des Lebensstandards in Ländern der dritten Welt, gepaart mit Rechtssicherheit, die fluchtursachen schon jetzt wirksam bekämpfen kann. Und es geht hier nicht um die sofortige angleichung des Lebensstandards an unseren, sondern um teilweise kleine Verbesserungen. Aus Syrien floh vor dem Krieg kaum noch jemand, es sei denn, er oder sie war politisch verfolgt.

    Und noch ganz kurz zur Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit ist ein extrem hohes Gut. Ich bin für ihre weitestmögliche auslegung. Doch sie hat laut Grundgesetz Grenzen, mit denen ich einverstanden bin. Die Meinungsfreiheit ist als Abwehrrecht gegen den Staat gedacht, nicht als Waffe gegen missliebige Personen oder Personengruppen. Beleidigungen, Verleumdungen und Rassendiskriminierung sind von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG nicht gedeckt, denn es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Recht der persönlichen Ehre sowie die allgemeinen Gesetze die Schranken der Meinungsfreiheit bilden, dazu gehört die Volksverhetzung. Allerdings sind der Einschränkung enge Grenzen gesetzt. Sie soll ja lediglich ein friedliches Zusammenleben ermöglichen. Deine Art der meinungsäußerung z. B. ist voll umfänglich von der Meinungsfreiheit gedeckt, sage ich jezt mal als juristischer Laie. Deine Meinung mag mir nicht gefallen, aber ich würde mich jederzeit dafür einsetzen,dass du sie äußern darfst. Wobei ich die Einschränkung machen muss, dass zumindest die implizite Behauptung der Umvolkung ein völkisches, damit faschistisches und somit verfassungswidriges Argument ist. Ob diese Meinung noch gedeckt ist, ist vermutlich fraglich, je nachdem, auf welche Weise sie geäußert wird. Ich persönlich kann sie nicht akzeptieren. Ich kann auch die Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht erkennen. AFD-Politiker sprechen in jedes Mikrofon, wenn die Rundfunkanstalten Umfragen auf der Straße machen, werden die unglaublichsten Dinge über den Sender geschickt. Gerade Rechte, die auf andere Menschen hetzen, übrigens auch auf Behinderte, und ich bin da betroffen, dürfen alles sagen, was sie wollen, viel mehr als früher. Sie dürfen es zuerst sagen und dann sagen, sie dürften es nicht sagen. Sie haben Meinungsfreiheit nicht verstanden. Was sie nicht aushalten ist, dass ihnen dann eine andere Meinung entgegengehalten wird. Sie wollen nämlich eine ausschließliche Meinungshoheit, sie wollen unwidersprochen ihre Meinung sagen, und das geht meiner Ansicht nach gar nicht.

    Über Maßen und Chemnitz müssen wir nicht reden. Marburger Sozialdemokraten, die in Chemnitz waren, sind von Rechten angegriffen und verletzt worden, als sie zu ihrem Bus gehen wollten. Ob in Lang- oder Kurzfassung zeigt das Video Neonazis, die durch die Stadt ziehen. Aber über dieses Problem müssen wir angesichts von Hanau, Halle, Berlin und soooo vielen anderen „Einzelfällen“ tatsächlich nicht reden. Dass es in Chemnitz Hetzjagden auf Andersdenkende und Angriffe auf Juden gegeben hat, ist nach meiner Ansicht erwiesen. Nicht deswegen ist der damalige Verfassungsschutzpräsident entlassen worden, sondern weil er wegen seiner gesamten Amtsführung zum Schutze unserer Demokratie nicht mehr tragbar war. Der NSU-Komplex ist hier beispielhaft zu nennen. Wenn es etwas gibt, das der bundesdeutschen Demokratie wesensfremd ist, dann ist es völkischer Nationalismus, denn als Konsequenz aus diesem ist sie entstanden. Wer dieses Leitbild verfolgt, stellt sich außerhalb der demokratischen Gesellschaft, denn völkischer Nationalismus geht immer von mindestens zwei Klassen und Wertigkeiten von Menschen aus. Doch laut unserem Grundgesetz, das die Rechten zu verteidigen vorgeben, ist die Würde jedes Menschen unantastbar, und sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Ohne Ideale, ohne Moral, ohne eine Richtschnur der Mitmenschlichkeit ist ein Staatswesen nicht zu führen, dann verfällt es in Egoismen und beruft sich auf das Recht des Stärkeren. In einem solchen Land möchte ich nicht leben, für mich birgt es keine Sicherheit und keinen Lebenswert.

    Ich weiß nicht, ob dir irgend etwas von dem, was ich sage, überhaupt einleuchtet. Ich habe Journalisten gelesen, die viele Argumente viel besser rüberbringen können als ich, und die es auch geschaft haben, andere Menschen noch zu erreichen. Vielleicht kann ich meine Ansicht so zusammenfassen: Ja, es muss über Zuwanderung diskutiert werden und diskutiert werden können. Diese Diskussion muss offen, unter Ausschluss menschenverachtender Meinungen erfolgen. Auf Kinder mit Tränengas loszugehen, Menschen, die positiv auf Corona getestet wurden, nicht zu isolieren und die anderen nicht zu schützen, unmenschliche hygienische, medizinische und logistische Zustände bewusst aufrecht zu erhalten, obwohl es mit verhältnismäßig geringen Mitteln anders ginge, geht gar nicht. Meiner Meinung nach sollte Europa viel aufnahmebereiter sein. Die Geschichte lehrt uns: Nach einem Zuwanderungsschub ging es auch mit der Wirtschaft eigentlich immer bergauf. Wir haben die Kartoffel, das bier und viele andere Dinge importiert, die uns heute als urdeutsch erscheinen. Nach spätestens zwei oder drei Generationen sind die Menschen hier heimisch geworden. Die Polen im Ruhrgebiet, die Niederländer in Brandenburg mögen dafür Beispiele sein. Entscheidend ist, wie wir miteinander umgehen.

    Beste Grüße

    Jens Bertrams

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