In dieser Woche ist es zwei Jahre her, dass das Corona-Virus nach Deutschland kam. Ich kann es kaum fassen, wenn ich darüber nachdenke. Zwei Jahre meines einmaligen, unwiderbringlichen Lebens habe ich zusammen mit der ganzen Welt damit verbracht, mich vor einem tödlichen Virus zu schützen. Wenn ich durch meine Stadt gehe, trage ich eine Maske, lauter als bislang muss ich mir das Geschrei und die hasserfüllten Beleidigungen von Extremisten und Verrückten anhören, die oft einfach die Realität leugnen. Die Politik, die es allen recht zu machen versucht, stolpert von einer Katastrophe in die nächste. Und sollte dieser Albtraum je zu Ende gehen, werden sie sich alle auf die Schulter klopfen und uns versichern, dass wir doch verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen sind. – Ich bin dieses immer gleichen, unentrinnbaren Karussells inzwischen extrem müde.
Vor ein paar Wochen kam die Hoffnung auf, dass die Omikron-Welle vielleicht die letzte Hürde sein würde, bevor wir die Pandemie überwunden hätten. Sie ist zwar viel ansteckender als alle vorhergehenden Wellen, aber sie sorgt bei geboosterten Menschen ohne Vorerkrankungen viel häufiger für milde Krankheitsverläufe. Selbst einige Expert*innen sagten, dass es unwahrscheinlich sei, dass sich danach wieder eine tödlichere Mutante entwickeln werde. Inzwischen haben sie den entstandenen Optimismus wieder gedämpft: Es gibt schon wieder neue Varianten unter Beobachtung, die möglicherweise den Impfschutz umgehen. Und bei all dem sind Kinder noch nicht geimpft, die Impfstoffe, die es mit Omikron aufnehmen können, stehen immer noch nicht zur Verfügung, und die Inzidenzen steigen ins uferlose.
Das alles ist bekannt, doch ein anderer Aspekt wird lieber unter den Teppich gekehrt: Nach zwei Jahren Pandemie gibt es viele Menschen, die psychisch ausgelaugt sind, die sich selbst nicht als krank bezeichnen würden, deren Kraft aber aufgebraucht ist. Der Alltag fällt ihnen zunehmend schwer, und daran ist nur teilweise die Tatsache schuld, dass sie weniger Menschen treffen als früher. Wenn ich mich an die Zeit vor 21 Monaten erinnere, wird mir bewusst, dass wir damals mit 5000 Infizierten viel größere Kontakteinschränkungen auf uns genommen haben als heute mit anderthalb Millionen. Die seelische Müdigkeit kommt von der Unsicherheit über die Zukunft, von dem ständigen hin und her der aktuellen Situation zwischen Hoffnung und Verzweiflung, von der Dauerpanik, die sowohl in den Medien, als auch im eigenen Geist an der psychischen Gesundheit nagt. Und man versucht, vernünftig zu bleiben, sich nicht unterkriegen zu lassen, den eigenen Alltag auf die Reihe zu kriegen. Ich sehne mich nach den Anfangsmonaten zurück, als ich tatsächlich für einen Moment glaubte, die Entschleunigung könnte eine Chance für einen neuen Aufbruch in unserer Gesellschaft nach der Pandemie sein, die sicher nicht länger als wenige Monate dauern würde. Ich kenne aber auch das andere Extrem: Irgendwann 2021 hatte ich das Gefühl, das Corona-Virus könnte die Menschen nahezu ausrotten, weil es den Impfstoffen immer um einen Schritt voraus wäre.
Die Panik, die in Wellen kommt, die kurzfristige Erleichterung zwischendrin, wenn die Inzidenzen niedrig sind, die neue und wiederkehrende Ratlosigkeit der Verantwortlichen, die die nächste Welle trotz lauter Warnungen nie vorhergesehen haben wollen: Das alles macht mürbe und müde. Und das Schlimme ist, dass man es nicht sofort bemerkt. Man lebt seinen Alltag und glaubt, sich eingerichtet zu haben, vielleicht sogar Glück gehabt zu haben, weil man nicht krank geworden ist bislang. Trotzdem fühlt es sich bei genauer Beobachtung an wie ein langsam schwerer werdendes Gewicht, das einem aufgeladen wird.
Ich glaube, dass dies ein Phänomen ist, dem der größte Teil der Bevölkerung mehr oder weniger stark ausgesetzt ist. In einer Gesellschaft, deren einziger Daseinszweck die Wirtschaft und die Arbeitsleistung zu sein scheint, wird man nach der Pandemie – wann auch immer das sein wird – diese Ausgelaugtheit eher ignorieren als anerkennen. Auch und gerade während der Pandemie hat die hart arbeitende Bevölkerung den Reichtum der Superreichen extrem vermehrt: Für diese Reichen waren die letzten zwei Jahre ein Goldregen. Der Ausbeutungskapitalismus übersteht sogar eine der größten Erschütterungen unserer Gesellschaft der letzten hundert Jahre. Warum sollte man da nachher auf die völlig veränderte psychische Situation der meisten Menschen Rücksicht nehmen? Sie arbeiten doch, und sie werden auch zukünftig arbeiten.
Vielleicht ist ein weiterer Grund für die miese Stimmung im Land auch die Tatsache, dass sich die anfängliche Solidarität nicht gehalten hat. Wir sind roher und brutaler geworden, eine Minderheit treibt die vernünftige, aber resignierte Mehrheit vor sich her. Wer mit aller Kraft diese Solidarität aufrecht erhalten möchte, wird von den Anderen als Gutmensch verspottet. Und nun macht sich auch noch Fatalismus breit: Im Laufe der nächsten Wochen werden sich wohl alle mit Corona infizieren, sagen viele Expert*innen. Damit erlahmt der Kampf gegen das Virus. Für mich mit meinem hohen Übergewicht z. B. heißt das, dass ich auf das Prinzip Hoffnung setzen muss. Vielleicht sterbe ich ja trotz meines Übergewichts nicht, vielleicht hilft der Boosterschutz ja auch mir? Wenn man dieses Hamsterrad zwei Jahre mitgemacht hat, ist die Erschöpfung kein Wunder, die einen auch dann ergreift, wenn man nicht infiziert wurde, wenn man mit wenigen, vorsichtigen Kontakten gut durch die Zeit gekommen ist.
Sicher werden diese Jahre in jedem und jeder von uns nachwirken. Wir werden diese Pandemie nicht abschütteln wie einen Schnupfen, selbst wenn sich die positivsten Szenarien bewahrheiten sollten. Wir werden uns mindestens einmal pro Jahr impfen lassen müssen, und die Gesichtsmasken werden nicht aus unserem Alltag verschwinden. So wie vorher wird es nicht wieder werden, zumindest nicht für die Vernünftigen unter uns. Und es sind diese Vernünftigen, die weiterhin unter den Folgen leiden werden, nicht die Egoisten.
Doch vermutlich wird das nachher niemand hören wollen.