Nachts auf Mastodon

Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen, und so habe ich seit langem mal
wieder Mastodon aufgerufen und mich einigen Tröts zugewandt, die ich
gerade las.

Der
Erste Tröt
stammte von Pauline von Hellermann: „An old school friend
who lives in Rome (and who normally definitely has a more neoliberal
than eco-warrior outlook on life) texted this morning: the whole
Mediterranean is boiling“.“ Ein alter, eigentlich neoliberaler
Schulfreund, der in Rom lebe, habe ihr eine Nachricht geschrieben: Das
Mittelmeer kocht. Dazu verlinkte sie einen Artikel
des Guardian
, in dem vorausgesagt wird, dass es in Rom und weiter
südlich in Italien einen Hitzerekord von mehr als 48 Grad geben wird.
Seit ich das Buch „Das Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanlay
Robinson gelesen habe, kann ich mir ungefähr vorstellen, was bei einer
solchen Hitze passieren kann. Wenn ein bestimmtes Verhältnis von
Feuchtigkeit und Hitze aus der Balance gerät, sterben die Menschen
selbst dann, wenn sie sich in vermeintlich kühleres Wasser zu retten
versuchen, selbst da ist es für die Körper zu heiß. Wir steuern auch in
Europa auf diese Hitze zu, doch im Buch wird sie in Indien beschrieben,
wo sie in den letzten Monaten ebenfalls aufgetreten ist. Die
Klimakatastrophe schreitet mit riesigen Schritten voran, und die Politik
tut nichts. Mein Bundeskanzler, den ich gewählt habe, auch um
Schlimmeres zu verhindern, meint, man müsse Klimaschutz der Bevölkerung
auch vermitteln können. Tja: Und das geht eben nicht bei einem Anteil
von über 20 %, der der AfD zugerechnet werden muss. Die Nachricht aus
Italien hat mich wieder einmal darin bestärkt, dass auch wir, die wir
jetzt mitte fünfzig sind, die Klimakatastrophe noch erleben werden, dass
wir ihre Folgen noch sehr deutlich spüren werden, ja dass wir das
bereits tun. Wenn ich nicht Demokratie für einen Wert an sich hielte,
würde ich mich für ein Verbot von FDP und AfD stark machen.

Der
zweite Tröt
, der mich schockierte und zum Nachdenken brachte,
stammte von der deutschen Welle. In
einem Artikel
berichtet der deutsche Auslandssender von fünf jungen
deutschen Männern, die auf Mallorca wegen einer Gruppenvergewaltigung
verhaftet wurden. Seit dem Skandal um Rammstein und ihren Frontmann Till
Lindemann hatte ich ehrlich gesagt naiverweise angenommen, solche
grausamen Vorfälle würden seltener in die Medien geraten, vielleicht
sogar seltener passieren. Doch der Frauenhass und der männliche
Überlegenheitswahn kennen offenbar keine Grenzen. Ich glaube, dass unser
Land in den letzten Jahren sogar wieder frauenfeindlicher geworden ist,
was auch einige wissenschaftliche Studien nahelegen.

Jedenfalls saß ich da, rund um mich war alles still, und ich fand, dass
Klimakollaps und Frauenhass den Zustand unserer Welt ganz gut
beschreiben. Nimmt man noch den Rechtsextremismus hinzu, hat man die
drei wichtigsten Punkte beisammen. Und all das hat bereits in den
neunzigern angefangen mit dieser hemmungslosen Einführung des
Neoliberalismus in Deutschland und der Welt. Wenn man das Buch über die
Neunziger liest, das Jens Balzer geschrieben hat, und das unter dem
Titel „No Limit“ erschienen ist, kann einem übel werden, weil er diese
Entwicklung so plastisch beschreibt und am Privatfernsehen und der
Privatisierung des Gesundheitswesens erläutert. Und wie so oft sehe ich
mich wie das Kaninchen vor der Schlange, das dann nicht weiß, was es tun
soll, um die Welt auch nur ein klein wenig besser zu machen.

Heute beim Frühstück habe ich mit meiner Liebsten @DasNest@masto.ai
darüber gesprochen: Wir können nur tun, wozu wir die Kraft haben, können
nicht die Welt retten, sondern nur in unserem direkten Umfeld so viel
tun, wie wir können. Jedes Gespräch, durch das es jemandem besser geht,
jede fröhlich verbrachte Stunde ist ein Juwel, das es zu bewahren gilt.
Wer den eigenen Anspruch zu hoch setzt, vermag am Ende gar nichts zu
verändern. Also engagiere ich mich in der SPD, mache unterhaltsame und
informative Sendungen für den Ohrfunk und hoffe, dass ich für die, die
um mich sind, ein guter Freund bin, damit wir zusammen auch die
schlechteren Nachrichten ertragen und nicht aufgeben. – Niemals!

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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