Die letzte Reaktion

Wenn ich gerade mein Blog neu mache, dann kann ich auch richtig aufräumen.

Eigentlich hatte ich mein kleines Privatblog, das ich eine Weile auf
wordpress.com betrieben habe, schon vergessen. Ich hatte es einmal
eingerichtet, weil auf meinem normalen Blog fast nur noch politische
Beiträge standen. Aber nach zwei oder drei Jahren merkte ich, dass ich
doch lieber alles in einem einzigen Blog unterbringen wollte. Ich
schloss das Privatblog wieder, ließ es aber stehen und löschte es nicht.

Heute morgen wurde ich daran erinnert.

Seit 15 Jahren oder so hatt immer wieder ein Typ auf meinem Blog
kommentiert, der sich anfangs „Vater Seidenzopf“ nannte, wenn ich mich
richtig erinnere, später nannte er sich „der Goenner“. Er verbarg sich
hinter fake Mailadressen, war immer zu feige für eine Debatte von
Angesicht zu Angesicht. Anfangs war er ein schwermütiger Rechter, mit
dem man aber durchaus hätte debattieren können. Andere Meinungen sind
bereichernd, und man überprüft immer mal wieder, ob das, woran man
glaubt, noch Hand und Fuß hat, oder ob man sich verrennt. Insofern fand
ich es ursprünglich ganz interessant, mit ihm zu debattieren, zumal ich
anfangs dachte, wir würden eine eigenartige Form gegenseitigen Respekts
füreinander empfinden. Mit der Zeit aber zitierte er immer nur noch
rechte Quellen und beschränkte seine eigenen Aussagen auf Pöbeleien und
Beleidigungen. Er beleidigte nicht nur mich, sondern auch andere
Menschen, so dass mir 2015 schon einmal der Kragen geplatzt ist. Damals
schrieb ich:

„… es ist schwer, sich vom Elend der Flüchtlinge, dem Hochmut der
Politiker und der Tatsache loszureißen, dass Gewalt inzwischen wieder
ein normales Mittel politischer Auseinandersetzung geworden ist.
Franz-Josef Hanke kommentierte (daraufhin): „“Was den Umgang mit
Flüchtlingen betrifft, so gibt es in Marburg derzeit neben der
geschlossenen Kleiderkammer und zu wenig Toiletten im Camp auch Probleme
mit der Gesundheitsversorgung: Krankenkarten wären dringend nötig, um zu
verhindern, dass Ärzte Flüchtlinge nur rudimentär behandeln, weil sie
trotz Kostenzusage des Landes monatelang auf Bezahlung warten.
Schwangere Frauen sollten zur Entbindung nach Gießen ins Klinikum und
wurden drei Stunden nach der Geburt mit dem Säugling ins kalte Zelt
zurückgeschickt!…“ Daraufhin meldete sich einer dieser besorgten
Bürger, einer, der sich von Flüchtlingen bedroht fühlt, der Angst hat.
Vermutlich einer, der nicht mehr genug zu essen hat, seit Monaten auf
der Straße steht, weil ihm gekündigt wurde wegen Flüchtlingen, einer,
der keinen Computer, keinen Elektroherd, keine Waschmaschine hat. So ein
armer verhungerter Stänkerer und Hetzer meldete sich bei mir, ein Typ,
dem der Arsch so auf Grund geht, dass er mit Gift und Galle um Hilfe
ruft! Er antwortete auf den Kommentar von Franz-Josef wie folgt: „Wenn
Ihre Asylanten zu wenig Toiletten haben, kaufen oder mieten Sie halt die
fehlenden. Sie sind doch reich und wenn Ihre reichen Kollegen von der HU
(Humanistische Union) schön zusammenlegen, sollte das Problem doch
schnell gelöst sein. Bei den vielen reichen
Refugees-Welcome-Freiwilligen finden sich sicher auch einige
Handwerker/Bauarbeiter, die Ihnen für Materialkostenausgleich eine Mauer
mit installierten Toilettenkabinen hinstellen, falls noch nicht
vorhanden. Also bitte, dann mal los. Und Ihre Refugees müssten heute
nicht frieren, wenn Sie und Ihresgleichen die nicht in Massen hier her
gelockt hätten, und dann hätten auch die genug, die wirklich auf der
Flucht sind. Alles nichts, was nicht vorhersehbar war, und ich sage
Ihnen, es kommt noch viel schlimmer, aber das wissen Sie auch selbst
ganz genau.“ Zugegeben, es ist noch eine recht harmlose Mail, aber sie
brachte bei mir das Fass zum Überlaufen. Jetzt hör mal zu, du besorgter
Fascho: Ich habe deinen Kommentar erst mal von Rechtschreibfehlern
gesäubert und deinem Text die Wohltat von Umlauten angedeihen lassen,
bevor ich ihn hier eingestellt habe, dafür solltest du mir dankbar sein.
Refugees hast du nur mit einem e geschrieben, auch das habe ich
korrigiert. Aber das lief unter Service des Hauses. Sodann hast du unter
der Mailadresse „goenner-at-haft.wir“ geschrieben, du erbärmlicher
Feigling! Ich will dir mal was sagen: Ein aufrechter Deutscher kann sein
Gesicht offen zeigen, steht seinen Mann und sieht seinem Schicksal
gerade ins Gesicht. Ein ehrenhafter preußischer Offizier hätte dir eine
Ohrfeige verpasst, du Memme! Wenn du was zu sagen hast, dann sage es
offen und ehrlich, schau mich und jeden anderen an und versteck dich
nicht hinter Pseudoadressen, damit man dir nur ja nicht ans Zeug flicken
kann, du geistiger Brandstifter! Und jetzt mal zum Inhalt: Ich bin Jens
Bertrams, wohne in Marburg und beziehe ALG II, auch als Hartz IV
bekannt. Und trotzdem leiste ich mir diese Gutmenscheneinstellung. Reich
ist was Anderes! Deine Unterstellungen kannst du dir in das dunkle Loch
stecken, aus dem du sie hervor geholt hast! … Denke mal ein bisschen,
bevor du brüllst, Möchtegern-Tiger! Und jetzt ein guter Ratschlag von
mir an dich, wenn du überhaupt noch den Mut besitzt, diesen Beitrag bis
zum Ende zu lesen: Wenn du der Meinung bist, die Flüchtlinge hätten in
ihren Heimatländern gut leben können und keinen Grund, nach Deutschland
zu kommen, dann verschwinde endlich nach Syrien! … Du und
deinesgleichen hetzt so lange, bis irgendwelche Idioten Häuser anzünden,
in denen Flüchtlinge leben, ganz egal, ob irgendwer darin umkommt, egal
ob Flüchtlinge oder deutsche Nachbarn. Du und deinesgleichen versteckt
euch so lange hetzend hinter falschen Mailadressen, bis irgendwer, von
euren Parolen und Schreiereien aufgehetzt, Politikerinnen und Passanten
umbringt. Nur du und deinesgleichen, ihr seid es ja nicht gewesen, ihr
habt ja nie mit Klarnamen unterschrieben und nur im Verborgenen gehetzt!
Du und dein selbstgerechtes, anonymes, hinterhältiges Pack!!! Trollt
euch! Macht die Biege! Wir haben genug andere Sorgen! … Du und
deinesgleichen übergießt anständige Menschen mit Hetze und Häme, weil
sie sich für Menschlichkeit einsetzen und überhaupt eine andere Meinung
haben als ihr. Das nennt ihr dann Lügenpresse und Meinungsdiktatur und
was weiß ich sonst noch alles. Ich bin euch so satt! … Wenn du was zu
sagen hast, dann tu es offen, ehrlich, mit Klarnamen und sachlich.“

Das war, wie gesagt, 2015 im Oktober, als meine Liebste
@DasNest
@masto.ai in der Flüchtlingsaufnahmeeinrichtung in Marburg
arbeitete und genau miterlebte, was passierte. Mein Wutausbruch hat den
„Goenner“ nicht daran gehindert, weiterhin zu kommentieren. Lange habe
ich seine Beiträge noch gelesen, wenn ich den unsäglichen Dreck auch
nicht mehr freigeschaltet habe. Ich hätte freigeschaltet, was
einigermaßen anständig gewesen wäre, unabhängig von einer bestimmten
Meinung.

Vor ungefähr einem halben Jahr hatte ich endgültig keine Lust mehr.
Außer Beleidigungen kam nichts mehr. Wir, die rot-grün Versifften, waren
schuld an allem. Punkt! Das reichte mir, und ich schaltete die
Kommentarfunktion meines Blogs fast vollständig ab, zumal es ohnehin
kaum noch Kommentare gab, die sachlich waren. Die Zeit der
Diskussionsblogs, die Anfang des Jahrtausends so hoffnungsvoll begonnen
hatte und dazu hätte führen können, dass die Gesellschaft offen über
Meinungen debattiert, ohne sich zu zerfleischen, ist endgültig vorbei.
Wir haben es nicht geschafft, die neuen Techniken für eine
gesellschaftliche Debatte und für die Verbesserung des gegenseitigen
Umgangs zu nutzen, für mehr Demokratie und Mitbestimmung. Im Gegenteil:
Es ist alles nur noch schlimmer, radikaler und bösartiger geworden.

Heute morgen nun reagierte der „Goenner“, indem er über mein altes, aus
nostalgie stehengelassenes Blog einen beleidigenden Kommentar absetzte.
Daraufhin habe ich das alte Blog ebenfalls gelöscht. Es hat einfach
keinen Sinn mehr. Die Faschos und ihre Nachplapperer zwingen einen, sich
in eine Diskussionsfestung zurückzuziehen, wo man kaum noch kontrovers
debattieren kann, wenn überhaupt ein Gespräch zustande kommt. Aber auf
den „Goenner“ habe ich absolut keine Lust mehr. Da er sicher nicht für
ein Write.as-Abo bezahlen will, bin ich ihn jetzt los. Sicher: Er könnte
mir eine Mail schicken, natürlich kennt er meine Mail-Adresse. – Aber
entweder, er müsste das mit einer gültigen Mailadresse tun, der
Feigling, oder seine Mail würde halt abgewiesen. So einfach ist das. 15
Jahre Diskussionsversuch ist genug. Das war meine allerletzte Reaktion
auf ihn und seinesgleichen.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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