Ist eine Machtergreifung der AfD noch zu verhindern?

„Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in einer ähnlichen Zeit leben
wie in der Weimarer Republik. Mir kommt es so vor als wären wir am
Vorabend von Etwas, das ich nicht miterleben möchte.“ Dies sagte der
Comedian Hape Kerkeling, und in einem Land, in dem die Brandmauern
fallen, die Konservativen mit den Faschisten kuscheln und die AfD nur 12
% davon entfernt ist, so viel Zustimmung zu haben wie die NSDAP im
Januar 1933, ist diese Befürchtung nur zu verständlich.

Mir und meiner Generation, der Generation der spät geborenen, hat man
immer wieder gesagt, wie glücklich wir sein dürfen, die Schrecken des
Krieges und der Zerstörung nicht miterlebt zu haben. Wir sollten uns der
Schande der Mütter und Väter erinnern und ansonsten alles besser machen.
Außerdem hatten eben diese Mütter und Väter, gewissermaßen als Sühne,
mit den eigenen Händen Deutschland aufgebaut, waren ansonsten natürlich
völlig unschuldig an dem, was in ihrem Namen vermutlich verübt worden
war, auch wenn es nach ihrem Verständnis sicher viele Übertreibungen
gab, und sie wünschten nichts sehnlicher, als dass es uns besser gehen
möge, wofür sie unter Schmerzen und Entbehrungen gesorgt hatten. – Ach
ja, da war noch ein Satz, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit
ausgesprochen wurde, damit man ja nie in den Verdacht geriet, die
braunen Jahre nicht doch im tiefsten Inneren zu vermissen und zu
verteidigen: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Und solange es
einem gut ging, solange am Ende jedes Monats die fette schwarze Zahl
stand, wie es Heinz Rudolf Kunze in seinem Lied „Wunderkinder“ einmal
gesagt hatte, solange konnte man sich mit dieser Demokratie arrangieren.
Der Bundestag war nie so eine Quasselbude wie das Parlament der weimarer
Republik, wie der Führer zu Recht bemerkt hatte, auch wenn man das heute
nur noch hinter vorgehaltener Hand sagen durfte. Nein, diese Demokratie
war ganz in Ordnung, man konnte stolz sein auf die friedliche
Wirtschaftsmacht Deutschland, auf die Tatsache, dass die Nachbarn, die
man einst besetzt und gequält hatte, mit einer gewissen Bewunderung nach
Deutschland schauten, auf das Land der Dichter, Denker und Ingenieure
des Todes, der pünktlichen Eisenbahnen und funktionierenden Gaskammern.
Nur bei Reisen in diese Nachbarländer benahm man sich im Suff hin und
wieder daneben, war ja nur Spaß. Es ist dieses Deutschland, diese
kleine, kleinkarierte, kleinbürgerliche bonner Republik, nach der wir
uns hin und wieder alle sehnen, weil wir nur einen Teil von ihr
betrachten, nämlich die Beschaulichkeit, die uns in einer untergehenden
Welt fehlt. Wir haben es doch weit gebracht in dieser bonner Republik,
wir hatten die 68er und die Friedensbewegung, auch wenn sie den
Zeitgenossen eher als langhaarige, verweichlichte Faulpelze erschienen,
aber im Nachhinein kann man ja stolz darauf sein. Wir fuhren mit den
Schulklassen in die KZ’s, zeigten ihnen, wie tüchtig und
durchorganisiert die Väter und einige Mütter gewesen waren, machten aus
den unappetitlichen Nebenerscheinungen Kunstinstallationen und schauten
nicht so genau hin, wenn die Schülerinnen und Schüler gelangweilt
Kaugummis kauten, während man pflichtschuldig auf den Appellplätzen
herum stand. Und wenn man mal wieder an die dunkle Zeit erinnern musste,
an die man sich doch nicht so gern erinnern wollte, weil das Handel,
Wirtschaft und Wohlbehagen irgendwie störte, dann rief man mit Inbrunst:
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! In Deutschland war man sicher
vor den Verlockungen des rassistischen Überlegenheitsdünkels und der
Mordmaschinerie, man hatte es durchlitten, denn natürlich leidet auch
der Mörder, und man war daraus wie Phönix aus der Asche aufgestiegen,
geläutert und rein, mahnend und achtsam. Wirklich?

In einem Kommentar zu den Putschvorbereitungen von rechts, die im
letzten Dezember aufgedeckt wurden und im Gegensatz zu den Protesten der
„letzten Generation“ wieder aus den Medien verschwunden sind, schrieb
ich: „Der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum sagte bei Anne
Will: „Die Gefahr kommt aus der Mitte. Die Weimarer Zeit ging zugrunde,
weil das Bürgertum die Demokratie nicht verteidigt hat. Die Akzeptanz
für rechte Ideen ist sehr viel größer, immer gewesen, in Deutschland,
auch nach dem Krieg, als für linke.“ Das ist natürlich eine
Binsenweisheit, aber sie erklärt, warum für konservative
Politiker\*innen verstopfte und blockierte Straßen schlimmer sind als
gewaltsame Umsturzpläne, wenn sie nur in die richtige, in die rechte
Richtung führen. Ich glaube, dass es zwei Gründe gibt, warum uns dieser
gescheiterte Putschversuch kaum juckt: Erstens ist in Deutschland die
Akzeptanz für rechte und völkische Fantasien sehr groß. Wie denn auch
nicht? Viele unserer Großeltern haben bei der größten Massenvernichtung
mitgewirkt, die dieser Planet je gesehen hat, bei industriellem
Völkermord. Millionen Deutsche waren beteiligt. Wie können wir glauben,
dass sie nichts davon an ihre Kinder weitergegeben haben? In vielen von
uns stecken kleine Nazis, und es bedarf unseres Willens, Verstandes und
unserer Menschlichkeit, um sie in uns zu besiegen, und wir müssen uns
ihrer immer bewusst sein. Und zweitens: Diese kleinen Nazis in uns haben
ihre größte Chance, aktiv zu werden, wenn wir die Welt und unsere
direkte Umgebung als krisenhaft wahrnehmen, wenn wir Angst um die
Zukunft haben, wenn die Demokratie mit ihren langen Entscheidungswegen,
ihrer Korruptionsanfälligkeit, ihrem schwierigen Interessenausgleich und
ihrer allgemeinen Schwerfälligkeit als ungeeignet wahrgenommen wird,
Wohlstand und sozialen Frieden zu sichern. Dann wollen viele eine
durchgreifende, schnell handelnde Regierung, die nicht nur kosmetische
Änderungen am krisenhaften System vornimmt, sondern einen Weg aus der
allgemein beängstigenden Situation weist. Dann gewinnen bei Menschen,
die sich in besseren Zeiten durchaus unter Kontrolle haben, die ererbten
Instinkte von Fremdenhass und völkischer Überlegenheit wieder mehr
Gewicht. … Das ist es, was mich so wütend macht. Das alles geschieht,
genau wie unsere Ignoranz gegenüber dem Klimawandel, in aller Offenheit,
vor unser aller Augen. Die Konservativen zucken die Schultern, empören
sich aber über eine Klima-RAF, oder über eine griechische,
sozialdemokratische EU-Abgeordnete, die sich von Qatar hat kaufen lassen
und dabei erwischt wurde. Man möge sie so hart bestrafen, wie das Gesetz
es fordert, und ich finde, dass die Konservativen alles Recht haben,
sich aufzuregen und zu empören. Über klare Bekenntnisse zu unserer
Demokratie und klare Worte über die Gefahr von rechts würde ich mich
ebenfalls freuen, weiß aber, dass ich darauf lange warten kann. Also bin
ich wütend und hilflos und muss zusehen, wie wir erneut auf eine
faschistische Gewaltherrschaft zusteuern. Wie viele werden dann bei den
Fackelzügen jubeln? Und welche Krise wird sie nach oben spülen?“

Doch müssen wir so pessimistisch sein? Ist der Grundsatz „nie wieder
Faschismus, nie wieder Krieg“ nicht eingebrannt in unsere DNA, damit die
Deutschen ihren guten Ruf in der Welt behalten mögen, frei nach dem
Motto: „Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang, Sollen in der Welt behalten Ihren
alten schönen Klang?“ Derzeit können wir die Probe aufs Exempel machen.
Nach dem zweiten Weltkrieg waren es auch die Konservativen, vor allem
die neu gegründete CDU, die den oben zitierten Grundsatz verinnerlicht
zu haben meinte. Freilich hat es während ihrer gesamten Geschichte
Figuren gegeben, die mit rechten und autoritären Diktatoren und
Faschistenführern befreundet und verbandelt waren, doch herrschte über
eine ganze Zeit hinweg eine gewisse Vorsicht, nicht schon wieder zu Eng
mit den Völkermördern zusammenzuarbeiten. Über den Vorwurf der Opfer des
Nationalsozialismus, die Konservativen seien Steigbügelhalter für die
Faschisten gewesen, hatte man sich mit christlicher Empörung und
moralkeule schwingender Rechtfertigungsrhetorik hinweggesetzt, man habe
immer das ruhige, bürgerliche, liberale Leben gewollt, den
Nationalsozialismus verhindern wollen, die Sozialdemokraten schützen
wollen, die einem nun diesen undankbaren Vorwurf machten. Mit Faschisten
wollte die Union nichts zu tun haben, und die FDP, die während der
meisten Jahrzehnte der bonner Republik an ihrer Seite stand, auch nicht.
Dabei vergisst man, dass gerade die FDP lange ein Sammelbecken für
Altnazis war, und dass sie in NRW für einige Jahre sogar den Ton
angaben. Schon vor drei Jahren, als sich in Thüringen ein FDP-Mann von
CDU und AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, um den absolut
gemäßigten Linken Bodo Ramelo zu stürzen, hatte die CDU den Grundsatz,
nicht mit Faschisten zusammenzuarbeiten, endgültig und offen gebrochen.
Medientricks und die Tatsache, dass auch die Behörden seinerzeit noch
zögerten, die AfD als rechtsextrem einzustufen, halfen der Union, die
Öffentlichkeit den gescheiterten Versuchsbalon vergessen zu lassen.
Jetzt aber, wo die Situation viel günstiger ist, muss sich der
CDU-Vorsitzende Friedrich Merz keine Sorgen mehr machen. Jetzt kann er
das Projekt der Annäherung an die AfD relativ gefahrlos angehen.
Eigentlich hätte jeder deutsche Parteivorsitzende, der in einem
Interview gesagt hätte, auf kommunaler Ebene müsse man pragmatisch mit
der AfD umgehen, spätestens am nächsten Tag mit Schimpf und Schande aus
dem Amt gejagt werden müssen, doch Friedrich Merz ist immer noch
CDU-Vorsitzender, die Kritik an ihm ist nach wenigen Tagen verstummt,
und das Thema ist aus der Berichterstattung verschwunden.

Warum marschiert die deutsche Demokratie mit so viel Inbrunst auf ihren
Metzger zu wie eine dumme Kuh? Warum kann sich Friedrich Merz so sicher
sein, dass ihm niemand Einhalt gebietet?

Wir leben in einer Krisenzeit. Die Inflation ist hoch, alles ist teuer,
das Auskommen wird immer schwieriger. Tief in uns spüren wir, dass der
Klimawandel kommt, auch die Leugner wissen es. Sie begreifen, dass sie
dem allen hilflos ausgeliefert sind, dass die Politik nicht schnell,
nicht durchgreifend reagiert. Sie sehen, dass alle Vorschläge, die zur
Lösung der Klimakatastrophe gemacht werden, unseren Wohlstand ankratzen
werden, dass das gemütliche, beschauliche Leben endgültig vorbei ist,
dass wir jetzt gegen die unbarmherzige Natur um unser Überleben kämpfen
müssen. Angst breitet sich aus. Es ist eine unleugbare, kreatürliche,
tief sitzende Angst, und Angst ist der beste Nährboden für Faschismus.
Desweiteren habe ich ja bereits gesagt, dass wir uns in Deutschland nie
vom völkischen Rassismus befreit haben. Das gilt nicht für jede und
jeden von uns in gleichem Maße, doch wir sind alle Produkte einer
Gesellschaft, die ihren übersteigerten und mörderischen Nationalismus
seit Jahrhunderten pflegt. So wie wir alle in einer rassistischen und
patriarchalen Welt aufgewachsen sind, die uns geprägt hat, so war und
ist auch der Faschismus überall und allgegenwärtig, mal mehr, mal
weniger verschleiert. Unbarmherzige, hilflose Angst vor der Zukunft und
eine weit verbreitete Neigung zu Autoritätshörigkeit, Nationalismus und
Überlegenheitswahn ist der beste Nährboden für die Machtergreifung durch
den Faschismus. Und natürlich sind es die Konservativen, die den
Faschisten den Weg bereiten. Sie wollen pragmatisch bewahren, halten
sich für geeignet, die Wahnsinnigen einzuhegen und zu entzaubern. Sie
wollen die Faschisten durch ihre Annäherung zu einem leichten Wandel
zwingen, damit sie selbst nachher ihre ebenfalls autoritären, wenn auch
weniger mörderischen, Vorstellungen durchsetzen können.

Und dann ist da noch der zeitliche Abstand. So viel man gegen die
Mitglieder der Kriegsgeneration vorbringen kann, so sehr haben sie sich
bemüht, das Land aus echten Kriegen herauszuhalten. Man beschränkte sich
darauf, Geschäfte mit dem Krieg Anderer zu machen. Jetzt aber regiert
eine Generation, die den Krieg nicht mehr aus eigener Anschauung kennt,
und in deren Familien nicht oder nur verzerrt über deutsche Verbrechen
und deutsche Schuld gesprochen wurde. Die Zeiten haben sich geändert,
sagen sie. Man muss sich den heutigen Gegebenheiten anpassen, sagen sie.
Und selbst die Pazifisten, und ich schließe mich ausdrücklich ein,
befürworten Waffenlieferungen an die Ukraine, um einen Agressor in die
Schranken zu weisen, dessen Machthunger keine Grenzen zu kennen scheint.
Warum dann nicht auch ein Tänzchen mit dem modernen Faschismus wagen,
der – so mögen die Konservativen denken – nicht so radikal, nicht so
kriegslüstern, nicht so unberechenbar wie der alte Faschismus ist?

Die AfD, die selbst vom Verfassungsschutz, der ebenfalls faschistisch
durchsetzt ist, für in weiten Teilen rechtsextrem gehalten wird, muss
überhaupt nichts tun. Sie muss hin und wieder ein paar Parolen
schwingen, muss versprechen, gründlich aufzuräumen, wenn sie an die
Macht kommt, muss gegen Fremde und die verhasste europäische Bürokratie
wettern und kann sich ansonsten getrost den eigenen parteiinternen
Macht- und Ränkespielchen hingeben. Besondere Intelligenz oder
taktisches Geschick ist derzeit nicht vonnöten, um an die Macht zu
kommen. Überall in Europa und der Welt suchen die verängstigten,
instinktiv handelnden Menschen ihr Heil im Faschismus, der ihnen
Sicherheit, Führung, Rache, Agression und Geborgenheit verspricht. Die
AfD muss nur die Geduld aufbringen, abzuwarten. So sagt es auch der
Texter Tim Rize im Musical „Evita“, in dem Lied „A new Argentina“, in
dem er die spätere Präsidentengattin Eva Peron zu ihrem Mann sagen
lässt: „All you have to do is sit and wait, Keeping out of everybody’s
way. We’ll … you’ll be handed power on a plate when the ones who
matter have their say. And with chaos installed You can reluctantly
agree to be called.“ In deutsch etwa: „Alles, was du tun musst, ist
ruhig bleiben und abwarten und allen aus dem Weg gehen. Wir werden …
Du wirst die Macht auf dem Silbertablett serviert bekommen, wenn die,
auf die es ankommt, ihre Meinung sagen. Und wenn das Chaos installiert
ist, kannst du widerwillig zustimmen, gerufen zu werden.“

Ist also die Machtübernahme des Faschismus unvermeidlich? Muss Hape
Kerkeling sich fürchten? – Ganz sicher ist Furcht vor einer
Machtübernahme der Faschisten in Deutschland angebracht, doch diese
Machtübernahme ist nicht zwangsläufig. Noch hätten es die Konservativen
in der Hand, dem erstarkenden Faschismus etwas entgegenzusetzen.
Zunächst einmal müssten sie sich deutlich distanzieren. Sie müssten
vermitteln, dass sie zur Demokratie, zur Freiheit und zu den
Menschenrechten stehen, ohne wenn und aber. Gerade ihre so oft
beschworene christliche Ethik gäbe ihnen reichlich Rückendeckung für so
einen Kurs. Das allein wird den Aufstieg der AfD aber nicht stoppen.
Alle demokratischen Parteien müssten bereit sein, in dieser Krise
zusammenzustehen. Es ist, auch wenn viele Menschen das nicht wahrhaben
wollen, eine existenzielle Krise. Da müssten, falls die AfD in manchen
Landtagen zur stärksten Fraktion werden sollte, auch Koalitionen
zwischen CDU, SPD, Grünen, FDP und Linken möglich sein, um die Mehrheit
der Demokraten sicherzustellen. Auch das kann natürlich nur eine
Zwischenlösung sein, denn wenn wir nichts an den Ursachen für den
Aufstieg der AfD ändern, ist dieser Aufstieg vorerst nicht einzugrenzen.
Das wichtigste Mittel zur Lösung dieser Krise ist eine gute
Sozialpolitik, mehr Gerechtigkeit, weniger Markt, Abkehr vom
Neoliberalismus. Das Versprechen, dass die Lebensgrundlage Aller
gesichert wird, muss umgesetzt werden. Das gilt für die Lebensgrundlage
im finanziell-materiellen Sinne, aber auch für die Bewahrung der
Schöpfung, der Mitwelt. Und Ehrlichkeit ist notwendig: Um die
Lebensgrundlage Aller zu sichern, müssen wir einiges von unserem
Wohlstand abgeben. Wir müssen lernen, dass Überfluss keine Notwendigkeit
ist. Das geht nur durch einschneidende, gesetzliche Maßnahmen, das kann
man nicht der Verantwortung der Individuen allein überlassen. Von der
Politik müssen wir Ehrlichkeit erwarten.

Meine Befürchtung ist, dass es bereits zu spät ist, damit allein die AfD
zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen. Der Faschismus ist zu einer
tatsächlichen, nicht mehr zu leugnenden Gefahr für unser Gemeinwesen
geworden. Vor ein paar Tagen schrieb ich dazu auf Mastodon:
„Guten Morgen ihr Tröten allerlei Geschlechts. Heute ist ein besonderer
Tag. Die CDU bekennt sich offen zu einer Zusammenarbeit mit Faschisten,
die sie natürlich nur besorgte Bürger oder Rechtskonservative nennt. Tut
doch bitte nicht so, als sei es das erste Mal. Habt ihr Thüringen
vergessen? Natürlich stimmen die Wertkonservativen mit den Faschisten,
das haben die Saubermänner vor 90 Jahren auch getan. Selbst die
Liberalen, wie unser erster Bundespräsident. Jetzt müssen wir kämpfen!
Natürlich gibt es unter den anständigen Konservativen, denen, die die
Demokratie auch für bewahrenswert halten, Widerspruch. Dafür herzlichen
Dank an alle, mit denen ich sonst auch oft nicht einer Meinung bin. Nur
wird es nicht reichen. Es hat nie gereicht. Der Faschismus kommt jetzt
als extrem bürgerlich, ordnungsliebend, unaufgeregt und krisenlösend
daher. Und wie immer, wenn einem was versprochen wird, schalten viele
den gesunden Menschenverstand aus. Hose ist näher als Jacke. Man lernt
nicht aus der Geschichte, man lernt aus eigenen Erfahrungen und Ängsten.
Bildung ist machtlos gegen Wut, Hass, Zorn und Angst. Der Faschismus
kann siegen, ohne viel tun zu müssen. Es ist gerade der
Autoritätsverfall des freiheitlichen, krisengeschüttelten Systems, das
die Macht dem Faschismus auf dem Silbertablett serviert. Aber wer will
das schon wissen? Mir sagt man immer, ich soll nicht so schwarz sehen,
und ich warne seit 9 Jahren. Viele Freunde schütteln genervt den Kopf.
Für mich ist klar: Aufklärung, Überzeugungsarbeit, Spott und Zynismus
helfen uns nicht, auch kein Besserwissertum. Heute helfen nur noch
klare, staatliche Maßnahmen, wie ein AfD-Verbot. Und vor allem hilft
natürlich eine bessere, weniger taktische, ehrlichere, an den
Erfordernissen der Zeit ausgerichtete Politik. Ehrlichkeit und Klarheit
und Standfestigkeit, das sollten alle demokratischen Politiker\*innen
besitzen.“

Im Reichstag von Weimar hätten die Demokraten am Schluss nicht einmal
mehr gemeinsam die Mehrheit gehabt, denn die KPD hätte, um gegen die
Sozialdemokratie aufzutreten, lieber mit den Faschisten gestimmt. Das
ist eine der unangenehmen Wahrheiten der Geschichte der deutschen
Linken. Heute haben wir noch die Chance, so lange eine Machtergreifung
der Nazis zu verhindern, wie die Bevölkerungsmehrheit sie nicht
tatsächlich will. Knapp ein Viertel der Deutschen bekennt sich
mittlerweile offen zum Faschismus, denn heute kann niemand mehr
behaupten, man wähle die AfD nur aus Protest. Wer Faschisten wählt, im
Wissen, dass es sich um Faschisten handelt, ist Faschist. Diese
unangenehme Wahrheit über unsere Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen
wollen wir nicht gern hören, es nützt aber nichts, sich davor zu
verschließen. Mit geschlossenen Augen kann man nicht die eigene Freiheit
verteidigen. Spätestens jetzt müssen alle Demokraten zusammenstehen und
für ihre gemeinsame Sache kämpfen, damit auch Hape Kerkeling sich wieder
wohler fühlt.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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