„Als Reaktion auf den Beschluss des UN-Sicherheitsrates, Iran Sanktionen wegen des immer noch laufenden Atomprogramms aufzuerlegen, hat der Iran angekündigt, dieses Programm zügig auszubauen und fortzuführen.“
Mit dieser Meldung läutete der Deutschlandfunk die Nachrichten am Morgen des heiligen Abends ein. Weihnachtszeit, Friedenszeit? Irgendwie nicht. Und wiedereinmal ein klassischer Fall verfehlter amerikanischer Politik? Davon hatten wir in den letzten Jahren schon einige, und im Normalfall würde ich mir zutrauen, die weitere Entwicklung vorherzusagen. Im Normalfall würden nun einige Resolutionen verabschiedet werden, mit denen der Iran immer schärfer aufgefordert wird, sein Atomprogramm einzustellen und eine internationale Kontrolle zuzulassen. Dann würde der Punkt kommen, wo die USA vermutlich den Beweis erbringen wollten, dass der Iran Massenvernichtungswaffen besitzt, und dann würde sich die Spirale bis hin zu einem Einmarsch weiterdrehen.
Aber dies ist nicht der Normalfall. Die USA mussten und müssen ihre übliche Politik angesichts des Desasters im Irak nun doch einer gründlichen Überprüfung unterziehen. Auch wenn US-Präsident George W. Bush kurzfristig mehr Soldaten in den Irak schicken wird, lässt sich wohl über die faktische Niederlage der USA im Irak nicht streiten. Darum ist die gestrige Resolution des UN-Sicherheitsrates diesmal wahrscheinlich kein Vorspiel zu einer kriegerischen Handlung von Seiten der USA, aber sie geht natürlich nach hinten los. Der Iran, so haben wir spätestens seit dem Amtsantritt von Präsident Ahmadinedschat lernen müssen, reagiert nicht auf solche Sanktionen. Sie sind immer weniger das probate Mittel gegen stolze Nationen, die gerade im Widerspruch zur einzig verbliebenen Supermacht USA stehen. Die Strategien müssen sich ändern, will man gläubigen Fanatikern wie dem eben genannten iranischen Präsidenten Einhalt gebieten.
Die UN-Sanktionen gegen den Iran sind übrigens vergleichsweise harmlos. Sie beschränken sich, das allerdings gründlich, allein auf solche Maßnahmen, die mit dem Atomprogramm in Zusammenhang stehen. Jede andere wirtschaftliche, technische und erst recht humanitäre Kooperation mit dem Iran bleibt unangetastet. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Resolution nur ein nach langen und zähen Verhandlungen zustande gekommenes Dokument ist und insofern den einzig möglichen Kompromiss in dieser Situation darstellt. Russland und China haben sich lange gesträubt, eine Sanktionsresolution anzunehmen. Jetzt gibt es sie, und die USA und ihre Verbündeten müssen mit ihr leben. Dem Iran wird das vorläufig nicht besonders schwer fallen. Ich gehe davon aus, dass das technische Knowhow ebenso vorhanden ist, wie die notwendigen Materialien, um erste Atomwaffen herzustellen. Dabei ist nicht einmal sicher, ob der Iran vor dem Konflikt wirklich die Absicht hatte, das tatsächlich zu tun. Erst im Laufe der Auseinandersetzungen mit den USA und der europäischen Union gewann die Atomwaffendimension des Programms an Bedeutung. Sicher: Zuzutrauen wäre es der derzeitigen iranischen Regierung ohne Zweifel, eine Atomwaffe zu bauen und auf Israel abzuwerfen. Die Äußerungen des Präsidenten lassen diesen Schluss durchaus zu. Trotzdem hat man mit den jetzt beschlossenen Sanktionen nichts erreicht, vor allem, weil man nicht weiß, ob sich alle Staaten daran halten werden. Wie schon einmal gesagt, die Strategien müssen sich ändern.
Damit kommen wir zur eigentlichen Kernfrage: Was kann die Weltgemeinschaft tatsächlich unternehmen, um den Iran dazu zu bringen, keine Atomwaffen zu bauen? Welche wirksamen Möglichkeiten stehen den Mitgliedern der Vereinten Nationen überhaupt zur Verfügung? Die Frage ist schwieriger zu beantworten, als die Frage nach früheren Fehlern der internationalen Staatengemeinschaft. Hätte man nicht die Schahdiktatur heraufbeschworen und unterstützt, hätte man nicht den Irak beim Angriff auf den Iran stillschweigend als den Weltretter geduldet, hätte man vielleicht einiges retten können. Wäre man gerecht genug gewesen, den Irak rechtzeitig als Agressor anzuprangern, so hätte man möglicherweise bessere Beziehungen zum Iran erhalten und einen Präsidenten ahmadinedschat verhindert. Heute aber sind bereits mehrere Kinder in verschiedene Brunnen gefallen, und man muss mit der jetzigen Situation leben. Wirksam kann man in einem solchen Fall nur noch vorgehen, indem man den vergangenen Fehlern einen weiteren hinzufügt und sofort mit aller Macht in den Iran einmarschiert. Sicher: Dem derzeitigenPräsidenten der Vereinigten Staaten wäre ein solches Vorgehen durchaus zuzutrauen, aber das Irakdebakel wird diese Planspiele im Ansatz ersticken, ganz abgesehen von den logistischen und militärischen Problemen einer solchen Intervention. Was also bleibt noch?
Politisch betrachtet hat der Iran alle Trümpfe in der Hand. Die UNO ist ein Papiertiger, der in sich zerstritten ist, der Iran kann sich als die zu unrecht verfolgte Nation profilieren, und die Vereinigten Staaten können derzeit nicht militärisch eingreifen. Somit bleibt nur der Verhandlungsweg. hier kann der Iran durchaus Bedingungen stellen oder die Verhandlungen abbrechen, wenn man auf seine Forderungen nicht eingeht. Die Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist in dieser Situation kontraproduktiv, so gut formuliert sie auch ist. Sie erlaubt dem Iran, sich in eine Schmollecke zurückzuziehen. Andererseits hätte ohne die Resolution der Iran munter weitermachen können, ohne sich um Verhandlungen zu kümmern. Das Problem gleicht einem gordischen Knoten, und die Bemühungen stecken in der Sackgasse. Die einzige Hoffnung scheint eine Doppelstrategie zu sein: Auf der einen Seite muss man dem Iran anbieten, ihm bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie sogar behilflich zu sein, muss ihn als gleichberechtigten Partner akzeptieren, ohne seine Gefährlichkeit zu vergessen, und auf der anderen Seite ist es geboten, alles zu unterbinden, was zum Bau iranischer Atomwaffen führen könnte. Dazu allerdings wäre es notwendig, dass ausnahmslos alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mitziehen und die Resolution, die gestern beschlossen wurde, Wort für Wort einhalten, sowohl was das Atomprogramm angeht, als auch im Bezug auf die ausdrücklich nicht eingeschränkte Kooperation mit dem Iran in allen anderen Angelegenheiten. Das scheint für mich der einzig gangbare Weg zu sein, obwohl ich für seinen Erfolg heutzutage nicht mehr garantieren möchte. Eher gehe ich davon aus, dass der Iran über kurz oder lang über die Fähigkeiten verfügt, Atomwaffen zu bauen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das noch verhindern kann. Wichtig wäre es dann allerdings, den Iran auf mittelfristige Sicht auf diplomatische Weise in ein Sicherheitssystem einzubinden, das seine nationale Souveränität achtet, die radikalen Auswirkungen seiner Politik aber nachhaltig in Grenzen hält. Wie man das allerdings anstellen soll, dazu kann ich heute beim besten Willen nichts sagen. Unsere Politik wird bestimmt von Kurzzeitstrategien, und die taugen nichts für ein solch langfristiges Ziel.
Die christliche Welt feiert das Weihnachtsfest. Die Nachrichten lassen sich davon allerdings nicht beeindrucken. Das Problem mit dem iranischen Atomprogramm wird uns auch noch im Jahre 2007 beschäftigen, und eine Lösung ist vorläufig nicht in Sicht.
Copyright 2006, Jens Bertrams.
Lieber Jens,
im Wesentlich en hast Du Recht: Der Westen hat sich in Punkto Iran in eine Sackgasse hineinmanövriert, aus der das große dicke Fahrzeug nicht mehr herauskommt. Kein Frieden auf dieser Welt zu Weihnachten!
Ermutigend finde ich aber die Ergebnisse der jüngsten Kommunalwahlen im Iran. Da haben die Reformer und die gemäßigten Konservativen zugelegt, während die konservativen Hardliner ziemlich abgeschmiert sind.
Aber was kümmern den US-Präsidenten George W. Bush schon die Völker, die er bekämpft?
Bush ist und bleibt ein Haudrauf. Auch wenn er seinen Mann fürs Grobe, den unbelehrbaren Donald Rumsfeld, inzwischen in die irakische wüste geschickt hat, ändert das doch nur wenig. Zwr muss Bush nun Rücksicht nehmen auf die Demokraten im Kongress und im Senat, aber seine Strategie – sofern man bei ihm überhaupt von so etwas reden kann – wird dadurch keinen Deut besser!
Sine Ira et Studio – ohne Zorn und Eifer – macht der Mann und sein Umfeld nicht gerade Politik.
Dennoch hoffen wir zu Weihnachten auf das Beste.
Shalom!
fjh
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