Gestern hab ich auf Mastodon meine Gründe dargelegt, warum ich die SPD wählen werde. Das war teils recht schmerzhaft.
Der Wahlkampf stürmt seinem Höhepunkt zu, die Medien lassen den Trommelwirbel erklingen, der die Spannung steigern soll. In Triellen und Quadrellen werden idiotische, persönliche Dinge abgefragt, die wichtigen politischen Themen kommen aber nicht vor. Wir sitzen im Zirkus in der ersten Reihe und schauen gelangweilt, empört oder angeekelt zu. Derweil findet in den Foren und sozialen Medien keine Debatte statt, nur Hass, Zynismus und Überheblichkeit.
Es hätte so vieles gegeben, über das man ernsthaft hätte reden müssen und reden sollen. In den USA wird die Bildung auf Mittelalterniveau zurückgedreht, erste Anzeichen eines misogynen Gottesstaates zeigen sich, Klimaforschung, Evolutionstheorie und Menschenrechtserrungenschaften werden verbannt, mühsam aufrechterhaltene Demokratien werden als Diktaturen beschimpft. Und Trump legt Putin die Weltmacht USA zu Füßen, den Hort der Freiheit, das Heim der Mutigen.
Viele können die dauernde Politikbeschallung nicht mehr hören, und keiner weiß mehr, wie es wirklich weitergehen soll. Hier im Fediverse ruft man dazu auf, die Parteien links von der CDU zu wählen, ich tue das ständig, und was macht meine SPD? Man versichert, dass man keinesfalls mit der Linken zusammenarbeiten will. Dabei hat sie jetzt echt einen Punkt, die Linke, wenn sie eine stärkere Abgrenzung von Trumps autoritären USA fordert.
Wenn wir also am Sonntag endlich zur Wahlurne schreiten, dann unseretwegen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auch in vier Jahren noch zur Wahlurne schreiten und dann hoffentlich Parteien und Kandidaten wählen können, die wirklich progressiv sind. Natürlich kenne ich den Pferdefuß meiner Argumentation: Die, die wir jetzt wählen, können die Welt zugrunde richten. Das stimmt. Wir müssen uns auch nach der Wahl engagieren.
Ich weiß, dass das mühsam ist. Ich hadere auch damit. Ich habe mich jetzt über 6 Jahre in der SPD engagiert, und ich weiß nicht, ob ich das weiterhin tun werde. Das hat zum Teil auch mit der speziellen Situation hier im Stadtteil zu tun, aber auch damit, dass die SPD keine wirkliche Willkommenskultur für Neulinge hat, sehr eingefahren ist und nicht in der Lage, das Steuer herumzureißen. Man könnte auch sagen: Sie ist feige. Das ist schmerzlich und ich werde sie trotzdem wählen.
Wir brauchen eine gemäßigte linke Partei. Eigentlich brauchen wir sogar weiterhin eine Arbeiterpartei. Die heutigen Geringbeschäftigten sehen sich ja nicht mehr als Arbeiter, weil sie nicht mehr in der Industrie arbeiten, was immer das klassische Arbeiterbild war, aber sie sind es. Sie sind erpressbar, unterbezahlt, überarbeitet, herablassend behandelt. Für all die, die sich nicht organisieren können, brauchen wir eine Arbeiterpartei.
Nun weiß ich, dass die SPD diese Aufgabe nicht mehr wirklich erfüllt, doch die Linke ist bis jetzt nicht stark genug dafür, und sie genießt auch noch das Vertrauen nicht. Dabei könnte sie in die Lücke stoßen, die die SPD hinterlassen hat. Und jetzt, nach dem Austritt der Wagenknecht-Chaoten, besteht vielleicht wirklich die Chance dazu, doch das braucht Zeit. Bis dahin muss es eben die SPD tun. Besser wäre allerdings, sie täte es in der Opposition.
In der Opposition könnte die SPD sich wieder finden, könnte sich neu formieren. Aber da sie eine Zusammenarbeit mit der Linken ausschließt, wird sie nach der Wahl mit CDU und Grünen arbeiten müssen. Darin liegt eine besondere Tragik: 1933 sagte Otto Wels mutig im Reichstag: Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. Heute arbeitet die SPD mit den Steigbügelhaltern des Faschismus zusammen. Und sie wissen es und tragen schwer daran.
Einiges am Programm meiner Partei finde ich gut, wenn sie denn die Chance gehabt hätten, mit diesem Programm zu überzeugen. Mit unserem neuen Generalsekretär Mirsch haben wir uns auf einen besseren Weg gemacht. Christliche Trumpisten, russische Trolle und andere Verrückte haben einen normalen Wahlkampf unmöglich gemacht. Trotzdem müssen wir wählen gehen. Es ist unsere einzige Chance, Einfluss zu behalten. Alles Weitere sehen wir später! Viel Glück an der Urne!