Irgendwie scheint es das Schicksal von SPD-Regierungen zu sein, durch irgendwelche komischen Umstände in der Mitte einer Legislaturperiode die Mehrheit zu verlieren.
Im Jahre 1982 wurde der damalige Bundeskanzler Schmidt durch Helmut Kohl mit einem konstruktiven Misstrauensvotum gestürzt, und heute strebt Bundeskanzler Gerhard Schröder nach dem Wahldebakel in Nordrheinwestfalen vorzeitige Bundestagswahlen an. Allerdings haben diese keinen wirklichen Sinn, zumindest nicht, wenn man die Rhethorik der SPD-Spitze ernst nimmt. Der Bundeskanzler gibt klar zu erkennen, dass er sich mit den derzeitigen Mehrheiten außerstande sieht, wie bislang weiter zu regieren, denn die Mehrheit im Bundesrat gegen Rot-Grün sei Hemmschuh aller angestrebten Reformpolitik. Gleichzeitig zeigt sich der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering aber entschlossen, bei den am 18. September voraussichtlich stattfindenden Wahlen stärkste Fraktion im Bundestag zu werden und den auftrag zur Regierungsbildung erneut zu erhalten. Eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition im Bund nach einer Neuwahl würde an den jetzigen Mehrheitsverhältnissen rein gar nichts ändern, und deshalb ist die angestrebte Fortsetzung der Regierungsbeteiligung wohl eher Wahlkampfrhethorik.
Mehrere Szenarien sind für die Wahlen am 18. September denkbar, wenn sie denn stattfinden, was noch keineswegs sicher ist. Es könnte sein, dass die Sozialdemokraten sich bereits geschlagen geben. Die desolate Wirtschafts- und Haushaltslage Deutschlands wird auch von den nicht wirtschaftlich orientierten Bevölkerungsteilen stark der Bundesregierung angelastet, und darüber hinaus sind soziale Gerechtigkeit und Armutsverminderung ganz offensichtlich keine vorgesehenen Wahlkampfthemen. Damit hat die SPD ihre Stammkundschaft verraten, und das tut keinem Unternehmen gut. Von all denen, die im September 1998 für Schröder stimmten, und die sich vier Jahre später zähneknirschend noch einmal um die Koalition scharten, wird nur noch ein Bruchteil dem rot-grünen Experiment die Stange halten. Das dürfte auch die SPD-Spitze einsehen, aber sie bleibt unfähig, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, und sich zurück zu den Wurzeln ihrer politischen Tradition zu bewegen, zu den sozial benachteiligten Menschen in unserem Land. Als Verfechterin eines Ellenbogenkapitalismus macht sich eine sozialdemokratische Partei einfach nicht gut. Daran ändert auch die Rhethorik eines Franz Müntefering nichts, der keinesfalls in der Lage ist, die Parteilinken wieder auf Kurs zu bringen.
Darum wäre es auch möglich, dass die SPD versucht, bei den Wahlen tatsächlich wieder stärkste Fraktion zu werden, vielleicht einfach durch den Knalleffekt, den die plötzliche und unerwartete Ankündigung der Neuwahlen hervorgerufen hat. Wenn das geschieht, könnte die sozialdemokratische Parteispitze auf eine große Koalition spekulieren, und wenn CDU und FDP im Bund nicht die Mehrheit allein bekommen, könnte dieses Kalkül theoretisch sogar aufgehen. Damit würde die SPD die Macht nicht vollkommen verlieren, und eine Agenda 2010 ist mit einer CDU an ihrer Seite allemal besser durchzusetzen, als mit den gewendeten, aber hin und wieder doch sperrigen Grünen. Die CDU wird sich aber auf diese Konstellation nur einlassen, wenn sie nicht mit der FDP eine eigene Mehrheit bekommt. Diese neue Mehrheit einer neuen „neuen Mitte“ wäre dann in der Lage, noch wesentlich kapitalistischere Maßnahmen durchzusetzen, zum Beispiel die beabsichtigte völlige Aufhebung des Kündigungsschutzes. Auch viele Menschen, die keine Arbeit haben, befürworten eine solche Maßnahme. Ihre Hoffnung ist wohl, schneller einen Job zu finden, und sie nehmen das Risiko einer plötzlichen, fristlosen Entlassung dafür gern auf sich. So etwas wäre aber selbst mit einer SPD unter Schröder nur sehr schwer durchzuführen. Und deshalb spekuliert die FDP auf eine Regierungsbeteiligung an der Seite der Union.
Die Chancen, dass die neue Linkspartei „Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ in den Bundestag einzieht, sind eher gering. Zum einen hätte sie dafür – anders als im letzten Herbst während der Hartz-Proteste – allein wohl kaum genügend Stimmen, und zum Andern wird sich nicht so schnell ein Linksbündnis mit der PDS schmieden lassen, das notwendig wäre, um die 5-Prozent-Hürde gemeinsam zu überspringen. Obwohl Oskar Lafontaine, der endgültig die SPD verlassen hat und sich der Wahlalternative als Spitzenkandidat zur Verfügung gestellt hat, ein solches Bündnis wünscht, ist dies in der Kürze der Zeit wohl kaum zu schaffen, ganz abgesehen davon ,dass die PDS wohl kein Interesse daran hat. Wenn aber wider Erwarten doch dieses Linksbündnis zustande kommt, dann ist noch lange nicht gesagt, dass die Wähler, die eher auf Konjunkturlösungen als auf Arbeitsplatzbeschaffung setzen, ein solches Bündnis unterstützen. Selbst die Popularität Lafontaines unter den Unzufriedenen wird daran wohl kaum etwas ändern. Mit dem Austritt aus der SPD und der Ankündigung, dem Linksbündnis zur Verfügung zu stehen, hat Lafontaine den Wahlkampf eröffnet, zwei Tage nach dem Wahldebakel in Nordrhein-Westfalen. Von den Medien und den Beobachtern in Berlin wird er allerdings eher wie eine Randfigur gehandelt, die etwas Farbe in den Wahlkampf bringt, ansonsten aber zu vernachlässigen ist. Ich sehe kaum eine Chance, dass sich das noch ändern wird, obwohl ein heißer Sommer ja immer für Wahlkampfüberraschungen gut ist.
Der Wahlausgang in Nordrhein-Westfalen war zu erwarten, aber nichts desto trotz war er enttäuschend une entmutigend. Außer der schwachen neuen Linkspartei gibt es wohl niemanden mehr auf Bundesebene, der die Interessen der sozial benachteiligten Gruppen, der Nichtmanager, der Behinderten, Frauen, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wirksam vertritt. Der Trend geht klar hin zu einer CDU-geführten Bundesregierung, und die SPD besitzt weder den Willen, noch die Glaubwürdigkeit, sich dem Trend zu mehr freier Marktwirtschaft entgegenzusetzen. Die Sozialverbände der CDU und Heiner Geisler, der einmal klar gesagt hat, dass man über die Existenzberechtigung des heutigen Kapitalismus nachdenken müsse, haben keinerlei Macht innerhalb der Union. Hier wird wohl eher versucht werden, die rechten Kräfte zu integrieren, damit die radikalen Rechtsparteien nicht so viele Stimmen erhalten. Aber ausgerechnet Heiner Geisler und Norbert Blühm halten die Ideale einer sozial geprägten Marktwirtschaft hoch, und natürlich der eben schon erwähnte Oskar Lafontaine. Mit diesen Aussichten fragt sich so mancher, wohin er auswandern soll. Natürlich ist das auch keine Lösung, aber Politikverdrossenheit und Protestwahl werden immer mehr zunehmen, und die Debatte um die europäische VErfassung macht es nicht gerade leichter, diesem Trend entgegenzusteuern. Uns sind in einer Zeit, in der nur noch die Börsennotierungen großer Unternehmungen zählt, die Ideale verlorengegangen, und weit und breit ist niemand in Sicht, der sie uns zurückgeben kann. Auch in dieser Bundestagswahl bleibt uns nur, das kleinere Übel zu wählen. Und für mich sind CDU und FDP auf jeden Fall ein Übel, das ich zu verhindern suchen werde. Gleich dahinter allerdings kommt eine SPD unter Schröder, und das ist traurig, wenn man bedenkt, mit wie viel Optimismus viele vor sieben Jahren die Abwahl des „ewigen Kanzlers“ Helmut Kohl begrüßt haben.