Zahnschmerzen lassen eine Radiosendung platzen
Einen Sendungsausfall wie diesen kann man sich nur bei nichtkommerziellen, lokalen Radios leisten.
Seit August 2002 arbeite ich schon bei Frequenzfieber mit, der „Informationssendung für blinde und sehbehinderte Menschen in und um Marburg“ auf Radio Unerhört Marburg (RUM), dem kleinen Lokalsender hier in Marburg. Metin Gemril, der die Sendung hauptverantwortlich leitet und für die Unterhaltungselemente verantwortlich zeichnet, versucht immer, sehr professionell zu arbeiten. Während das sonst bei RUM nicht üblich ist, gibt es bei Frequenzfieber Jingles, Trayler, lockere Moderation, Sketche und vieles mehr, was man auch im modernen Dudelfunk hören kann. Bloß zwei Probleme hat er, wie mir am letzten Sonntag mal wieder auffiel: Erstens klappt es meistens nicht, dass er wirklich pünktlich mit der Sendung aufhört. Aber das geht mir auch so, wenn ich alle zwei Wochen meine Mittwochabendsendung Candlelight starte. Aber während ich manchmal zwanzig Minuten überziehe, darf Metin höchstens zwei Minuten, denn im Gegensatz zu Candlelight kommt hinter Frequenzfieber Sonntagsmorgens gleich das Kinderradio unseres kleinen Senders. Nun gut, mit der Zeit haben wir also beide unsere Probleme. Am Sonntagmorgen rief er mich an und meinte: „Du kannst ausschlafen, ich habe Zahnschmerzen und komme nicht.“ Weil er auch die gesamte Technik der Sendung betreut, fiel Frequenzfieber einfach aus.
So was geht nur bei diesen kleinen schnuckeligen Sendern, die so lokal sind, dass man sich über ein bisschen Amateurhaftigkeit sogar freut, denn moderne Radioprofessionalität im Sinne des Dudel- oder Privatrundfunks will ehrlich gesagt kein Schwein mehr hören, also zumindest will ich das nicht. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hätte es ein großes Problem gegeben, wenn einer wegen Zahnschmerzen ausgefallen wäre. Entweder es hätte schnell ein Ersatzmensch her gemusst, oder man hätte den armen Redakteur dazu verdonnert, mit Schmerzmitteln und Zahnschmerzen ins Studio zu kommen, um seine Sendung zu schieben. Bloß mach das mal bei einem Sender, der auf Freiwilligkeit setzt und dessen Moderatoren ehrenamtlich und aus Spaß an der Freud arbeiten! In manch anderer Situation wäre Metin bestimmt aufgestanden und trotz aller Widrigkeiten gekommen. Aber diesmal hörte man ihm die dicke Wange schon am Telefon an, und er klang ganz bestimmt nicht Audiogen.
Aber wie schön, dass es die kleinen, nichtkommerziellen lokalen Rundfunksender gibt. Warum? Ich konnte mich beruhigt zurücklehnen und noch eine Runde schlafen, denn im Radio kam auch weiterhin das Endlosband, das immer kommt, wenn keiner Sendet. Gut: 20 oder 30 oder vielleicht sogar 50 Leute werden um 10 Uhr eingeschaltet haben, um ihren Sonntagmorgenwecker zu hören, das spritzige und unterhaltsame Frequenzfieber, und sie werden ziemlich in die Röhre geguckt haben, als aus dem Radio die sympathische Stimme einer Sprachausgabe ihnen das kommunistische Manifest vorlas, viel zu schnell, um es zu verstehen, und mit einer Hammermusik unterlegt, dass es einem schlecht werden kann. Und das alle Stunde aufs Neue! Aber damit hatte ich ja nichts zu tun. Ich habe erst mal ausgiebig geschlafen. Aber das gibt es nur bei RUM!
Copyright © 2005 Jens Bertrams.